Entscheidungsstichwort (Thema)
geheimdienstliche Agententätigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Auslagenentscheidung des Oberlandesgerichts in einem das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellenden Beschluß ist grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar.
2. Stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß außerhalb der Hauptverhandlung wegen eines Verfahrenshindernisses ein, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn ein auf die bisherige Beweisaufnahme der ausgesetzten Hauptverhandlung gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei einer neuen Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozeßordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden.
Normenkette
StPO § 304 Abs. 4 S. 2, § 467 Abs. 3 S.z 2 Nr. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen die Auslagenentscheidung in dem Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 25. Februar 1999 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
F. wurde am 19. April 1993 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main angeklagt. Durch Beschluß vom 13. Dezember 1994 wurde das Hauptverfahren eröffnet und Termin zur Hauptverhandlung beginnend mit dem 8. Mai 1995 bestimmt. An diesem Tag wurde die Hauptverhandlung ausgesetzt, weil eine Begutachtung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten erforderlich wurde. Infolge der Erkrankung des Angeklagten und seiner fortdauernden medizinischen Behandlungsbedürftigkeit konnte erst am 16. September 1997 mit der Hauptverhandlung neu begonnen und diese wegen der eingeschränkten Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten nur während weniger Stunden in der Woche durchgeführt werden. Am 23. Juli 1998 wurde die Hauptverhandlung nach 25 Verhandlungstagen aufgrund erneuter Erkrankung des Angeklagten ausgesetzt.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht das Verfahren wegen spätestens im Frühjahr 1999 eingetretener Verfolgungsverjährung gemäß § 206 a StPO eingestellt und gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen. Die gegen die Auslagenentscheidung eingelegte sofortige Beschwerde des Angeklagten bleibt ohne Erfolg; sie ist unzulässig.
I.
Gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte ist grundsätzlich eine Beschwerde nicht zulässig, § 304 Abs. 4 Satz 2 1. Halbs. StPO. Beschwerdefähig sind lediglich Beschlüsse, welche bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des Oberlandesgerichts die im Katalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. StPO aufgeführten Fallgestaltungen betreffen. Zu ihnen zählt der Beschluß, der das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellt (§ 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. Nr. 2 StPO). Die Einstellungsentscheidung hat der Beschwerdeführer nicht angegriffen. Er hätte sie mangels Beschwer auch nicht mit Erfolg anfechten können. Die angefochtene Auslagenentscheidung gehört nicht in den Katalog und ist deshalb nach dem Gesetzeswortlaut nicht anfechtbar.
II.
Eine über den Wortlaut hinausgehende, ausdehnende Anwendung des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. StPO kommt hier nicht in Betracht. Diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur allgemeinen Einführung eines zweiten Rechtszuges in Staatsschutzstrafsachen vom 8. September 1969 (BGBl I 1582) neu gefaßt worden. Nach der Übertragung der vollen erstinstanzlichen Zuständigkeit in Staatsschutzstrafsachen auf die Oberlandesgerichte konnte an dem bis dahin geltenden Grundsatz der Unanfechtbarkeit oberlandesgerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen nicht mehr allgemein festgehalten werden. Um eine zu starke Belastung des Bundesgerichtshofs durch Beschwerden zu vermeiden, wurde aus den nach allgemeinen Vorschriften beschwerdefähigen Entscheidungen eine Auswahl getroffen: Es sollten nur solche Entscheidungen beschwerdefähig sein, die besonders nachhaltig in die Rechtssphäre der Betroffenen eingreifen, die den Abschluß des Verfahrens herbeiführen würden, oder die sonst von besonderem Gewicht sind (vgl. BT-Drucks. 5/4086 S. 11). Nur in diesen, im Katalog des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. StPO aufgeführten, schwerwiegenden Fällen hat der Gesetzgeber wegen des Rechtsschutzinteresses des Betroffenen, des öffentlichen Interesses an einer Überprüfung im Einzelfall oder des allgemeinen Interesses an der Einheitlichkeit der Rechtsprechung die Zulässigkeit der Beschwerde für geboten angesehen (vgl. BT-Drucks. 5/4269 S. 6). Die Vorschrift ist deshalb eine den Grundsatz der Unanfechtbarkeit oberlandesgerichtlicher Entscheidungen durchbrechende, die Anfechtungsmöglichkeit abschließend regelnde Ausnahmevorschrift, die restriktiv auszulegen ist (vgl. BVerfG NJW 1977, 1815, 1816 (vorangehend BGHSt 27, 96, 97); BGHSt 25, 120, 121; 29, 394, 395; 30, 168, 170; 32, 365, 366; 34, 34, 35; 37, 347, 348; 43, 262, 264 [zu § 304 Abs. 5 StPO]). Mit denjenigen Fallgestaltungen, für die der Senat eine analoge Anwendung bislang im engsten Rahmen für möglich erachtet hat, weil sie besonders nachteilig in die Rechtssphäre des Betroffenen eingreifen (vgl. BGHSt 30, 168, 171 – Strafaussetzung zur Bewährung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung; BGHSt 36, 192, 195 – zu § 305 Abs. 5 StPO, Anordnung der Erzwingungshaft; BGHR StPO § 304 IV Untersuchung 1 – mit längerdauernder Unterbringung verbundene Anordnung nach § 81 a StPO), ist die Auslagenentscheidung nicht vergleichbar. Dem entsprechend hat der Senat mehrfach ausgesprochen, daß für eine isolierte Anfechtbarkeit der in einem erstinstanzlichen, mit der Revision angreifbaren oberlandesgerichtlichen Urteil enthaltenen Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 StPO sowie der Entscheidung über die Entschädigungspflicht nach §§ 2 ff. StrEG in einem oberlandesgerichtlichen Urteil kein Raum ist (BGHSt 26, 250, 251; 27, 96, 97; BGHR StPO § 304 IV Kostenbeschwerde 1).
III.
Auch die sich aus dem angegriffenen Beschluß ergebenden Besonderheiten führen nicht zur Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde.
1. Die Begründung, mit der das Oberlandesgericht die Auslagenüberbürdung abgelehnt hat, ist rechtsfehlerhaft, sie verstößt gegen die Unschuldsvermutung.
Das Oberlandesgericht hat zur Begründung der Auslagenentscheidung festgestellt, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung eingeräumt hatte, sich von 1970 bis 1988 regelmäßig mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit an verschiedenen Orten in der DDR und bei gemeinschaftlichen Reisen in osteuropäische Länder getroffen und dabei seinen Gesprächspartnern Informationen und Erkenntnisse aus dem politischen Bereich der Bundesrepublik Deutschland und der Sozialistischen Internationale vermittelt zu haben, und diese Angaben u.a. durch den Zeugen W. bestätigt worden sind. Soweit der Angeklagte bestritten hatte, den geheimdienstlichen Hintergrund seiner Treffen erkannt zu haben, hat das Oberlandesgericht dies aufgrund der Aussage der Zeugin M. für widerlegt erachtet und dazu Einzelheiten dieser Aussage dargelegt. Danach hat die Zeugin unter anderem bekundet, dabeigewesen zu sein, als dem Angeklagten bei einem Treffen in der DDR die ihm verliehenen Orden der DDR gezeigt wurden; sie hat weiter ausgesagt, der Angeklagte habe den Zeugen W. auf dessen Enttarnung durch Veröffentlichung eines Bildes auf der Titelseite des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL im März 1979 angesprochen.
Das Oberlandesgericht hat ferner dargelegt, daß zum Zeitpunkt der neuerlichen Aussetzung der Hauptverhandlung weitere Beweiserhebungen nur noch zur Aufklärung von für die Strafzumessung bedeutsamen Umständen erforderlich gewesen waren. Zuletzt hat es festgestellt, daß der Angeklagte auch aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit als Abgeordneter des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments in guten und gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt.
Diese Darlegungen hat das Oberlandesgericht wie folgt eingeleitet (BA S. 3): „Aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung steht fest, daß der Angeklagte dem MfS vorsätzlich Tatsachen und Erkenntnisse mitgeteilt und sich damit der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat.” Abschließend hat es ausgeführt, das Verfahren gegen den Angeklagten sei „somit für einen Schuldspruch als solchen reif” gewesen (BA S. 8). Das Oberlandesgericht ist damit erkennbar der in Rechtsprechung und Schrifttum vorherrschenden Auffassung gefolgt, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur gegeben seien, wennallein wegen des Verfahrenshindernisses keine Verurteilung erfolgen kann, wenn es deshalb beim Hinwegdenken des Verfahrenshindernissesmit Sicherheit zu einer Verurteilung gekommen wäre (Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 467 Rdn. 54 m.w.Nachw. zur vorherrschenden Meinung). Unter Zugrundelegung dieser Auffassung ist mit der Entscheidung, die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht der Staatskasse aufzuerlegen, eine Schuldzuschreibung verbunden. Diese aber ist in Ansehung der Unschuldsvermutung an enge Voraussetzungen geknüpft: Feststellungen zur Schuld des Angeklagten zu treffen, Schuld zuzusprechen und Strafe zuzumessen, ist den Strafgerichten erst erlaubt, wenn die Schuld des Angeklagten in dem mit rechtsstaatlichen Verteidigungsgarantien ausgestatteten, bis zum prozeßordnungsgemäßen Abschluß durchgeführten Strafverfahren nachgewiesen ist. Erst die durchgeführte Hauptverhandlung setzt den Richter in den Stand, sich eine Überzeugung zur Schuldfrage zu bilden. Sie schafft die prozessual vorgesehenen Voraussetzungen dafür, Feststellungen zur Schuld zu treffen und gegebenenfalls die Unschuldsvermutung zu widerlegen. Wird das Verfahren beendet, bevor die Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden ist, so fehlt es an der prozeßordnungsgemäßen Grundlage für ein Erkenntnis zur Schuld. Schuldzuweisungen oder – feststellungen in den Gründen eines das Verfahren abschließenden Beschlusses, der vor Durchführung einer Hauptverhandlung bis zur Schuldspruchreife ergeht, vermögen zur Feststellung eines selbständigen Grundrechtsverstoßes zu führen (vgl. BVerfG NJW 1987, 2427; NJW 1990, 2741; NJW 1992, 1612; NStZ 1992, 289; NStZ-RR 1996, 45). Schuldspruchreife setzt nach den Maßstäben dieser Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts voraus, daß die Hauptverhandlung durchgeführt wurde und der Angeklagte das letzte Wort hatte (vgl. BVerfG NJW 1987, 2427, 2428; NJW 1990, 2741, 2742; NStZ-RR 1996, 45, 46). Danach war im vorliegenden Verfahren Schuldspruchreife noch nicht eingetreten. Das Oberlandesgericht hätte deshalb die Feststellung, „aufgrund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung” stehe „fest, daß der Angeklagte dem MfS vorsätzlich Tatsachen und Erkenntnisse mitgeteilt und sich damit der geheimdienstlichen Agententätigkeit gemäß § 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar gemacht hat” (BA S. 3), nicht treffen dürfen.
2. Einer im übrigen zulässig erhobenen Verfassungsbeschwerde könnte wegen dieses Verstoßes gegen das Grundrecht des Angeklagten aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nach Auffassung des Senats der Erfolg nicht versagt bleiben, nachdem das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach in solchen Fällen auf Verfassungsbeschwerde hin Auslagenentscheidungen aufgehoben hat (vgl. BVerfG NJW 1992, 1611; NJW 1992, 1612).
3. Der Senat hat erwogen, ob in einem Fall wie diesem wegen des grundrechtlich relevanten Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung, der den Fällen der besonders in die Rechtssphäre des Angeklagten eingreifenden Entscheidungen vergleichbar erscheint, ebenfalls in ausdehnender Auslegung des § 304 Abs. 4 Satz 2 2. Halbs. StPO die sofortige Beschwerde für zulässig zu halten ist, wenn sonst erst eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergehen müßte, um den nur aus den Entscheidungsgründen erkennbaren Verfassungsverstoß zu beseitigen. Er kann die Frage aber unentschieden lassen, weil die angegriffene Auslagenentscheidung bei Auslegung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO in der vom Senat für richtig gehaltenen Weise auch ohne die Annahme der Schuldspruchreife hätte ergehen können, die sofortige Beschwerde deshalb im Ergebnis unbegründet wäre, und die den Angeklagten belastenden Entscheidungsgründe durch diese Senatsentscheidung relativiert werden.
a) Bei der Prüfung in der Sache ginge der Senat im Beschwerdeverfahren von den tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts zum Ablauf und Inhalt der ausgesetzten Hauptverhandlung, an denen zu zweifeln kein Anlaß besteht, aus.
b) Der Senat teilt nicht die Auffassung, daß allein die Durchführung des Verfahrens bis zur Schuldspruchreife eine Ermessensentscheidung nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO ermöglicht. Vielmehr kann schon auf einer darunter liegenden Stufe des Tatverdachts eine Ermessensentscheidung ergehen (vgl. OLG Karlsruhe JR 1981, 38, 39; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 467 Rdn. 16). Das Ermessen wird schon dann eröffnet, wenn – wie hier – nach weitgehender Durchführung der Hauptverhandlung bei Eintritt des Verfahrenshindernisses ein auf die bisherige Beweisaufnahme gestützter erheblicher Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozeßordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen würden.
(1) Der Wortlaut der Vorschrift gebietet nicht die Auslegung, daß allein das Verfahrenshindernis die ansonsten mit Sicherheit zu erwartende Verurteilung des Angeklagten hindern, daß die Auslagenentscheidung deshalb mit einer Schuldzuweisung verbunden und deshalb wegen der Unschuldsvermutung das Strafverfahren bis zur Schuldspruchreife durchgeführt sein muß.
(2) Die Versagung des Auslagenersatzes muß nicht mit einer Schuldzuweisung verbunden werden, weil sie keine vom Schutzbereich des Art. 103 Abs. 3 GG umfaßte Strafe oder strafähnliche Sanktion ist. Das der Strafe innewohnende sozialethische Unwerturteil ist mit der Auferlegung der notwendigen Auslagen nicht verbunden. Vielmehr wird durch das Gericht damit nur abgelehnt, die notwendigen Auslagen zu Lasten der Allgemeinheit zu erstatten (vgl. EGMR NJW 1988, 3257, 3258; BVerfG NStZ-RR 1996, 45, 46; OLG Frankfurt NJW 1980, 2031; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 467 Rdn. 55 m.w.Nachw.).
(3) Bei der Beschränkung auf Fälle der Schuldspruchreife nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hätte die Vorschrift einen äußerst engen Anwendungsbereich. Sie wäre beschränkt auf die Fälle, in denen während der Urteilsberatung ein Verfahrenshindernis zutage tritt. Bei Verfahrenseinstellungen außerhalb der Hauptverhandlung käme Schuldspruchreife nicht in Betracht.
(4) Auch die Einstellung des Verfahrens nach einer Vorschrift, die die Verfahrenseinstellung nach dem Ermessen des Gerichts zuläßt, kann mit einer Entscheidung verbunden werden, daß die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten nicht der Staatskasse auferlegt werden, § 467 Abs. 4 StPO. Bei der Ausübung des Ermessens darf dabei auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 467 Rdn. 19 m.w.Nachw.).
(5) Dieser Auslegung stehen verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen. Die Unschuldsvermutung schließt nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können deshalb auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden. Allerdings muß dabei aus der Begründung deutlich hervorgehen, daß es sich nicht um eine gerichtliche Schuldfeststellung oder – zuweisung handelt, sondern nur um die Beschreibung und Bewertung einer Verdachtslage (BVerfG NStZ 1992, 289, 290; NJW 1992, 1612, 1613; NStZ-RR 1996, 45).
(6) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht dieser Auffassung nicht entgegen. In dem Beschluß vom 9. Dezember 1988 – 2 StR 164/88 – hat der 2. Strafsenat die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen eine Entscheidung, mit der die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse auferlegt worden waren, verworfen, weil „nach Aktenlage” nicht davon auszugehen war, daß der Angeklagte, wenn seine Verhandlungsfähigkeit zu bejahen gewesen wäre, wegen der ihm vorgeworfenen Tat verurteilt werden würde. Damit liegt der Entscheidung ein anderer Sachverhalt zugrunde. In dem Urteil vom 1. März 1995 – 2 StR 331/94 (= NJW 1995, 1297 = BGHR StPO § 467 III Verfahrenshindernis 1) hat sich der 2. Strafsenat zwar der Meinung angeschlossen, es müsse Schuldspruchreife vorliegen. Auf dieser Ansicht beruhte die Entscheidung indes nicht, weil in dem zugrundeliegenden Fall einer der seltenen Fälle der Schuldspruchreife (Feststellung der Verjährung nach vollständig durchgeführter Hauptverhandlung) vorlag.
c) Ausgehend von dieser Auslegung des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO lägen die Voraussetzungen, unter denen auch dem Senat als Beschwerdegericht eine Ermessensentscheidung eröffnet wäre, vor. Der Angeklagte dürfte bei einer solchen Entscheidung nicht als der Tat überführt angesehen und bezeichnet werden. Es könnte nur zugrundegelegt werden, daß aufgrund des Ablaufs und des Inhalts der weitgehend durchgeführten Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht gegen ihn verblieben ist und konkrete Umstände, die bei Fortführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozeßordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage gestellt hätten, nicht erkennbar sind.
d) Der Angeklagte befindet sich in einer gesicherten finanziellen Position. Auch ist den Feststellungen des Oberlandesgerichts zu entnehmen, daß bei Anklageerhebung nicht erkennbar war, daß der Angeklagte in einem solchen Maße in seiner Verhandlungsfähigkeit eingeschränkt werden würde, daß das Strafverfahren vor Eintritt der Verjährung nicht mehr beendet werden könnte. Der Senat würde sein Ermessen ebenfalls dahin ausüben, die notwendigen Auslagen des Angeklagten nicht der Staatskasse aufzuerlegen.
Unterschriften
Kutzer, RiBGH Dr. Blauth ist nach Beschlußfassung verstorben. Kutzer, Pfister
Fundstellen
Haufe-Index 556718 |
Nachschlagewerk BGH |