Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 4. Juli 2000
- im Schuldspruch dahin abgeändert, daß der Angeklagte des Totschlags schuldig ist,
- im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei rechtskräftigen Verurteilungen zu lebenslanger Freiheitsstrafe als Gesamtstrafe verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen Mordes hat keinen Bestand.
a) Nach den Feststellungen faßte Erika H., die ihre im Jahre 1969 mit dem Angeklagten geschlossene Ehe seit langem als gescheitert ansah, im Herbst 1979 den Entschluß, ihren Ehemann unter Mitnahme der beiden Töchter zu verlassen. Darüber kam es in den frühen Morgenstunden des 11. November 1979 zu einem heftigen Streit zwischen den Eheleuten. Spätestens dabei erklärte Erika H. dem Angeklagten, „daß und warum sie ihn verlassen wolle, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie neben den von ihr als belastend empfundenen Umständen der Abhängigkeit, Einsamkeit und Vernachlässigung dem Angeklagten auch zu erklären versuchte, in der Ehe sexuell unbefriedigt zu sein” (UA 17). Wegen der eindeutigen Trennungsabsichten und auch wegen ihrer – ihm seit längerem bekannten – Beziehung zu einem anderen Mann, die er als ursächlich dafür ansah, geriet der Angeklagte, der an der Ehe festhalten wollte, in Wut. Zunächst versetzte er seiner Ehefrau einige Ohrfeigen, sodann würgte er sie mit beiden Händen am Hals, bis sie bewußtlos zu Boden sank.
Spätestens jetzt entschloß sich der Angeklagte, seine Ehefrau zu töten, um sie an der beabsichtigten Trennung zu hindern und sein Ansehen als Ehemann zu wahren; außerdem wollte er sie wegen ihrer Beziehung zu einem anderen Mann bestrafen. Er wickelte eine Paketschnur mehrfach um ihren Hals und zog diese kräftig zu. Anschließend traf er verschiedene Vorkehrungen, um einen Selbstmord seiner Ehefrau vorzutäuschen: Er legte die bewußtlose Frau in die Badewanne, füllte diese mit Wasser und band die noch immer um den Hals des Opfers gewundene Paketschnur um den Duschschlauch. Dabei stellte er sich vor, daß seine Ehefrau, falls sie trotz der vorausgegangenen Strangulation noch leben sollte, ertrinken werde. Erika H. verstarb binnen weniger Minuten infolge Ertrinkens.
b) Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB aus niedrigen Beweggründen gehandelt, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat „niedrig” sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212), wobei es stets besonders sorgfältiger Prüfung bedarf, wenn sich eine Tat plötzlich aus einer Situation heraus entwickelt (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11 m.w.N.). Dem wird die Würdigung des Landgerichts nicht gerecht.
Das Landgericht begründet die Annahme niedriger Beweggründe wie folgt:
„Beweggrund des Angeklagten war hier, seiner Ehefrau das Recht, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten und sich von ihm zu trennen, abzusprechen sowie sein eigenes ausgeprägtes Besitzdenken, das sich auch darin verdeutlicht, daß er ihr das Recht absprach, sich einem anderen Mann zuzuwenden. Die Tötung durch den Angeklagten, bei der er von der Vorstellung ausging, seine Ehefrau habe ihr Leben verwirkt, da sie sich von ihm trennen wollte, und bei der er sich gleichsam als Vollstrecker eines Todesurteils über die Rechtsordnung und das Lebensrecht seiner Ehefrau erhob, ist in höchstem Maße verwerflich und begründet die Annahme niedriger Beweggründe. Nichts anderes gilt deswegen, weil es dem Angeklagten auch um sein Ansehen vor ihren Verwandten und in seinem Umfeld ging, weil er es als Schande und Niederlage ansah, von seiner Ehefrau verlassen zu werden. Die Tötung der Ehefrau aus diesen Gründen bedeutet, dass der Angeklagte seiner Ehefrau aus rücksichtslosem Eigennutz das Lebensrecht absprach” (UA 89).
Diese Bewertung ist lückenhaft. Zum einen hat das Landgericht nicht bedacht, daß es bei einem Motiv wie Eifersucht darauf ankommt, ob es seinerseits auf niedriger Gesinnung beruht (vgl. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 211 Rdn. 11 mit zahlreichen Nachweisen). Daran könnten hier deswegen Zweifel bestehen, weil der Angeklagte berechtigten Anlaß zur Eifersucht hatte. Vor allem aber ist bei der Bewertung nicht berücksichtigt, daß – wie das Urteil im Zusammenhang mit der Schuldfähigkeitsbeurteilung ausführt – „die Anwendung körperlicher Gewalt durch den Angeklagten auf einer aktuellen Provokation durch seine Ehefrau” beruhte, „die ihm nicht nur in sexueller Hinsicht, sondern auch bezogen auf die Ehe insgesamt Vorwürfe machte” (UA 83), wodurch „eine gewisse affektive Aufladung ausgelöst” (UA 84) wurde. Zwar führte diese affektive Aufladung, wie das Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. R. rechtsfehlerfrei dargetan hat, nicht zu einer erheblichen Einschränkung oder gar zum Ausschluß der Steuerungsfähigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Auch erreichten die Äußerungen Erika H.s – entgegen der bedenklichen Formulierung „aktuelle Provokation” (UA 83) – nach den Feststellungen keinesfalls etwa den Grad einer schweren Beleidigung im Sinne des § 213 1. Alt. StGB. Trotzdem durfte die affektive Aufladung (UA 17: „Wut”) bei der Gesamtwürdigung nicht unberücksichtigt bleiben, da sie die Bewertung und Gewichtung der weiteren Beweggründe, zumindest im subjektiven Bereich, beeinflussen kann.
2. Angesichts der Tatsache, daß die Tat, die aufgrund unsorgfältiger Ermittlungen erst so spät aufgeklärt werden konnte, nunmehr mehr als 21 Jahre zurückliegt, sind weitere Feststellungen, die eine Verurteilung wegen Mordes tragen könnten, nicht zu erwarten. Der Senat ändert daher den Schuldspruch dahingehend ab, daß der Angeklagte des Totschlags, § 212 Abs. 1 StGB, schuldig ist. § 265 StPO steht dem nicht entgegen, da dieser Tatvorwurf bereits in der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift erhoben worden ist. Außerdem hätte sich der Angeklagte gegen den geänderten Schuldvorwurf nicht wirksamer als bisher verteidigen können.
Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; jedoch können die Feststellungen, auch diejenigen zur Schuldfähigkeit des Angeklagten, aufrecht erhalten bleiben, da sie rechtsfehlerfrei getroffen sind.
3. Der Senat verweist die Sache zur Festsetzung einer zeitigen Freiheitsstrafe an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Bochum zurück (§ 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 584400 |
StraFo 2001, 264 |