Verfahrensgang
LG Rottweil (Urteil vom 11.06.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 11. Juni 2018 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, versuchter Nötigung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch sowie wegen Beleidigung in drei tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Im Übrigen wurde der Angeklagte freigesprochen.
Rz. 2
Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 26. September 2018 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
Rz. 4
1. Der Angeklagte hielt sich am 23. Mai 2017 ab 18.00 Uhr im Bereich des Bahnhofsplatzes in H. auf. Da er sich außerhalb einer dortigen Gaststätte hinsetzen wollte, nahm er aus deren Terrassenbereich einen Stuhl und trug diesen davon. Nachdem er von der Servicekraft deswegen angesprochen und aufgefordert wurde, den Stuhl stehen zu lassen, beleidigte er diese verbal mit den Worten „Ich schlag dich kaputt, du Schlampe!”. Als er auf die Servicekraft mit Händen und Fäusten einschlagen wollte, nahm diese aus ihrem Gürtel ein Pfefferspray und sprühte es in Richtung des Angeklagten, bevor dieser sie treffen konnte. Anschließend wehrte sich der Angeklagte gegenüber den herbeigerufenen Polizeibeamten heftig mit erheblichem Krafteinsatz gegen die Festnahme, wobei ein Beamter durch einen Schlag des Angeklagten am linken Oberarm leicht verletzt wurde. Auf dem Weg zur Dienststelle gelang es dem Angeklagten sich kurzzeitig loszureißen und mit seinem Ellenbogen kräftig gegen den Oberarm des Polizeibeamten zu stoßen.
Rz. 5
Am 2. Oktober 2017 beleidigte der Angeklagte während eines Aufenthalts in der Gewahrsamszelle wegen einer Auseinandersetzung mit Dritten drei Polizeibeamte mit den Worten „Ihr seid alles Arschlöcher”.
Rz. 6
Trotz bestehenden Hausverbots hielt sich der Angeklagte am 12. Oktober 2017 im Eingangsbereich eines Einkaufsmarktes auf, worauf ihm der Marktleiter den Zutritt verweigerte. Daraufhin baute der Angeklagte sich vor diesem auf und drohte ihm mit Schlägen, damit er den Einkaufsmarkt betreten dürfe, wovon sich der Marktleiter aber nicht beeindrucken ließ.
Rz. 7
Am 18. Oktober 2017 schlug der Angeklagte im Bereich des Bahnhofs in H. mit seiner rechten Hand, in der er eine noch teilweise gefüllte Bierdose hielt, gegen den Geschädigten S.. Dieser erlitt durch den Schlag starkes Nasenbluten und das Gestell seiner Brille zerbrach.
Rz. 8
2. Das Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte als Folge eines im Jahr 2005 erlittenen Schädel-Hirn-Traumas auf Grund eines hirnorganischen Psychosyndroms in Verbindung mit akuter Alkoholintoxikation bei allen vorgenannten Taten in seiner Steuerungsfähigkeit jeweils erheblich eingeschränkt war, wobei die Höhe der Alkoholisierung im Einzelfall nicht mehr konkret festgestellt werden konnte.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 9
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des gesamten Rechtsfolgenausspruchs.
Rz. 10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war, und die Tatbegehung hierauf beruht. Die Vorschrift ist grundsätzlich nicht anwendbar in Fällen, in denen die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit oder die Schuldunfähigkeit nicht allein durch einen länger andauernden Defekt herbeigeführt wurde, sondern letztlich durch den Genuss von Alkohol oder anderer berauschender Mittel. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn der Angeklagte an einer krankhaften Alkoholsucht leidet, in krankhafter Weise alkoholüberempfindlich ist oder an einer länger andauernden geistig-seelischen Störung leidet, bei der bereits geringer Alkoholkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (BGH, Beschluss vom 1. April 2014 – 2 StR 602/13, NStZ-RR 2014, 207; Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 374 ff.).
Rz. 11
2. Diese Voraussetzungen sind hier nicht hinreichend belegt.
Rz. 12
a) Den Feststellungen des Landgerichts ist im Rahmen der Prüfung der Schuldfähigkeit zu entnehmen, dass bei dem Angeklagten auf Grund eines im Jahr 2005 erlittenen Schädel-Hirn-Traumas ein hirnorganisches Psychosyndrom besteht, welches im Zusammenhang mit einer bei sämtlichen Taten vorgelegenen akuten Alkoholintoxikation jeweils den tragenden Grund für den Zustand des Angeklagten darstellt (UA S. 43). In Folge seiner krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal verfüge der Angeklagte im alkoholisierten Zustand über kaum suffiziente Konflikt- oder Bewältigungsmechanismen und damit über eine psychische Verfassung, die zu allen Tatzeitpunkten „ein ausnahmezustandhaftes Gepräge angenommen habe, welches zwar nicht seine Fähigkeit, das Unrecht der ihm zu Last gelegten Taten einzusehen, wohl aber seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, sicher erheblich eingeschränkt und damit eine verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begründe” (UA S. 45). Auch im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB stellt das Landgericht darauf ab, dass tragender Grund für die Erforderlichkeit einer Maßregel seine schwerwiegenden hirnorganischen Defizite in alkoholisiertem Zustand sind (UA S. 49).
Rz. 13
b) Den Ausführungen des Landgerichts lässt sich damit nicht entnehmen, ob das beim Angeklagten festgestellte hirnorganische Psychosyndrom als krankhafte seelische Störung schon für sich genommen einen nach §§ 20, 21 StGB erheblichen Defektzustand begründet. Sollte erst die hinzukommende hohe Alkoholisierung in Verbindung mit dieser Störung die Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert haben, wären die vom Angeklagten begangenen Taten nicht Ausfluss eines länger andauernden geistigen Defekts, sondern eines vorübergehenden Zustands. Dies würde aber für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht ausreichen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 17. Juni 2015 – 2 StR 358/14, BGHR StGB § 63 Zustand 44; Beschlüsse vom 19. Januar 2017 – 4 StR 595/16, StV 2017, 572, 573; vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142 und vom 12. November 2004 – 2 StR 367/04, BGHSt 49, 347, 351 mwN).
Rz. 14
Im Übrigen legt das angefochtene Urteil auch nicht dar, dass die Gefährlichkeit des Angeklagten gerade auf dem Zustand beruht, auf den die Anlasstaten zurückzuführen sind. Die Anlasstat muss insoweit für die künftige Gefährlichkeit des Angeklagten symptomatisch sein, als auch sie Ausfluss eines Zustands ist, der künftige Straftaten erwarten lässt. Die bisherigen Feststellungen schließen die Annahme nicht aus, dass die Taten des Angeklagten nicht auf sein hirnorganisches Psychosyndrom auf Grund des erlittenen Schädel-Hirn-Traumas zurückzuführen sind, sondern auf seine jeweilige akute Alkoholintoxikation.
Rz. 15
3. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Dies hat unter den hier gegebenen Umständen die Aufhebung auch des Strafausspruchs zur Folge, da über die Voraussetzungen des § 21 StGB insgesamt neu befunden werden muss und dies wegen der Doppelrelevanz der schulderheblichen Gesichtspunkte auch Einfluss auf die Strafzumessung für die Anlasstaten hat. Der Schuldspruch wird dagegen hiervon nicht berührt. Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zur Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten führen wird.
Rz. 16
Um dem neuen Tatrichter insgesamt widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat die bisherigen Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch mit auf (§ 353 Abs. 2 StPO).
Unterschriften
Raum, Bellay, Fischer, Bär, Hohoff
Fundstellen
Dokument-Index HI12512771 |