Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 21.10.2021; Aktenzeichen 67 S 140/21) |
AG Berlin-Mitte (Urteil vom 03.06.2021; Aktenzeichen 3 C 74/20) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien schlossen unter dem 6. Januar/17. Januar 2019 per E-Mail einen Mietvertrag über eine Wohnung der Beklagten in Berlin. Eine Besichtigung der Wohnung durch den Kläger erfolgte vor der Unterzeichnung des Mietvertrags nicht. Die monatliche Nettokaltmiete betrug seit Mietbeginn am 1. Februar 2019 765,05 € zuzüglich monatlicher Vorauszahlungen auf die Betriebs- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 144 €.
Rz. 2
Mit Schreiben vom 2. Januar 2020 erklärte der Kläger den Widerruf seiner auf Abschluss des Mietvertrags gerichteten Willenserklärung und forderte die Beklagte zur Erstattung der von ihm gezahlten Miete auf.
Rz. 3
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger die Beklagte auf Rückzahlung der von ihm gezahlten Bruttomiete in Höhe von 10.800,60 € (900,05 € x 12) nebst Zinsen in Anspruch genommen. Die Beklagte hat (hilfsweise) die Aufrechnung mit einem Anspruch auf Wertersatz für die Überlassung der Wohnung in Höhe des von dem Kläger geltend gemachten Rückzahlungsbetrags sowie mit einer Betriebskostennachforderung in Höhe von 358,28 € erklärt. Der Kläger hat sich auf eine Mietminderung wegen Schäden am Parkett der Wohnung sowie eines dort eingetretenen Wasserschadens berufen.
Rz. 4
Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung eines Betrags in Höhe von 1,74 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen wegen der aus seiner Sicht durchgreifenden Aufrechnung der Beklagten mit dem Anspruch auf Zahlung von Wertersatz für die Nutzung der Mietwohnung (einschließlich auf Nachzahlung von Betriebskosten) abgewiesen, den es allerdings aufgrund des geltend gemachten Wasserschadens um einen Betrag von 360,02 € gekürzt hat. Hiergegen hat allein der Kläger Berufung eingelegt.
Rz. 5
Auf die Berufung des Klägers hat das Landgericht das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger über den bereits zu seinen Gunsten ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 10.363,35 € nebst Zinsen zu zahlen. Dabei hat es den von dem Kläger geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung der Miete einschließlich der Nebenkostenvorauszahlungen in dem zuerkannten Umfang für begründet erachtet und die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche unter Hinweis auf die nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 357 Abs. 8 Satz 1, 2 und 3 BGB in der vom 13. Juni 2014 bis zum 27. Mai 2022 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) verneint. Mit der von dem Berufungsgericht zugunsten der Beklagten zugelassenen Revision erstrebt diese die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
II.
Rz. 6
Der Senat beabsichtigt, die Revision der Beklagten als unzulässig zu verwerfen. Soweit die Beklagte die Ausübung des fernabsatzrechtlichen Widerrufsrechts nach § 312c Abs. 1, § 312g Abs. 1 BGB durch den Kläger als treuwidrig ansieht und sich damit gegen das Bestehen des von dem Kläger auf ein solches Widerrufsrecht gestützten und mit der Klage geltend gemachten Rückzahlungsanspruchs wendet, ist die Revision bereits nicht statthaft (§ 542 Abs. 1, § 543 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO). Denn sie ist vom Berufungsgericht diesbezüglich nicht zugelassen worden. Hinsichtlich der von der Beklagten im Wege der Aufrechnung verfolgten Gegenforderungen ist die Revision zwar vom Berufungsgericht zugelassen worden und damit statthaft. Es mangelt insoweit jedoch an einer den Anforderungen der Vorschrift des § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO entsprechenden Revisionsbegründung.
Rz. 7
1. Das Berufungsgericht hat die Zulassung der Revision in den Entscheidungsgründen wirksam auf die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche auf Zahlung von Wertersatz für die Nutzung der Mietwohnung in Höhe der Klageforderung beschränkt.
Rz. 8
a) Eine Beschränkung der Revisionszulassung muss nicht im Tenor des Urteils angeordnet werden, sondern kann sich auch aus dessen Entscheidungsgründen ergeben, wenn sie sich diesen mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen lässt. Hat das Berufungsgericht die Revision wegen einer Rechtsfrage zugelassen, die nur für einen eindeutig abgrenzbaren Teil des Streitstoffs von Bedeutung ist, kann die gebotene Auslegung der Entscheidungsgründe ergeben, dass die Zulassung der Revision auf diesen Teil des Streitstoffs beschränkt ist (st. Rspr.; vgl. Senatsurteile vom 10. November 2021 - VIII ZR 187/20, NJW 2022, 686 Rn. 26, insoweit in BGHZ 232, 1 nicht abgedruckt; vom 6. Juli 2022 - VIII ZR 155/21, juris Rn. 20; Senatsbeschlüsse vom 17. August 2021 - VIII ZR 378/19, juris Rn. 8; vom 30. November 2021 - VIII ZR 81/20, juris Rn. 7; vom 14. Juni 2022 - VIII ZR 311/20, juris Rn. 9; jeweils mwN). So liegt der Fall hier.
Rz. 9
Das Berufungsgericht hat die Revision ausweislich seiner Ausführungen in den Entscheidungsgründen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die Frage zugelassen, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen der Mieter in Fällen fehlender Widerrufsbelehrung für den Zeitraum bis zum wirksamen Widerruf des Mietvertrags Wert- oder Nutzungsersatz für die Ingebrauchnahme der Mietsache an den Vermieter zu leisten hat. Diese Frage stellt sich jedoch nur im Rahmen der von der Beklagten im Wege der Hilfsaufrechnung geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Wertersatz für die Überlassung der Mietwohnung, nicht jedoch hinsichtlich des mit der Klage verfolgten Anspruchs auf Rückzahlung der an die Beklagte geleisteten Miete gemäß § 357 Abs. 1 BGB.
Rz. 10
b) Diese Zulassungsbeschränkung ist auch wirksam.
Rz. 11
aa) Zwar ist eine Beschränkung der Revision auf einzelne Rechtsfragen und Anspruchselemente unwirksam. Das Berufungsgericht hat jedoch anerkanntermaßen die Möglichkeit, die Revision nur hinsichtlich eines tatsächlich und rechtlich selbständigen Teils des Gesamtstreitstoffs zuzulassen, auf den die Partei selbst die Revision beschränken könnte (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 30. November 2021 - VIII ZR 81/20, juris Rn. 10; vom 14. Juni 2022 - VIII ZR 311/20, juris Rn. 13; jeweils mwN).
Rz. 12
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass ein Urteil, das über die Klageforderung und die hilfsweise zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung sachliche Entscheidungen trifft, zwei prozessual selbständige Elemente des Streitstoffs enthält. Dementsprechend ist eine Beschränkung der Revisionszulassung auf eine zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung möglich (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 - VII ZR 6/19, NJW-RR 2020, 269 Rn. 24; Beschlüsse vom 24. November 2021 - VII ZR 176/20, NJW-RR 2022, 306 Rn. 3; vom 19. Oktober 2021 - VIII ZR 160/20, juris Rn. 8; vom 23. Mai 2022 - V ZB 9/21, ErbR 2022, 915 Rn. 7). Dies gilt nicht nur für den Fall, dass Klageforderung und Gegenforderung jeweils bejaht worden sind, also die Hilfsaufrechnung Erfolg hatte und zur Abweisung der Klage führte, sondern auch dann, wenn die Klageforderung - wie hier durch das Berufungsgericht - bejaht und die Gegenforderung verneint worden ist (vgl. BGH, Urteil vom 19. Dezember 2019 - VII ZR 6/19, aaO mwN). Allein aufgrund der prozessualen Abhängigkeit der hilfsweise zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung zur Hauptforderung ist die für eine Beschränkung der Revision erforderliche tatsächliche und rechtliche Selbständigkeit der Gegenforderung nicht zu verneinen, wie auch die mögliche Beschränkung eines Rechtsmittels auf die Zulässigkeit der Klage zeigt (vgl. Senatsurteil vom 12. Mai 2010 - VIII ZR 96/09, NJW 2010, 3015 Rn. 22 [zur Hilfswiderklage]; siehe auch BGH, Beschluss vom 11. April 2013 - IX ZR 92/11, juris Rn. 2).
Rz. 13
bb) Ausgehend hiervon hat das Berufungsgericht die Zulassung der Revision wirksam auf die zur Aufrechnung gestellten Ansprüche der Beklagten auf Wert- beziehungsweise Nutzungsersatz beschränkt. Allein der Umstand, dass das Entstehen eines Rückgewährschuldverhältnisses aufgrund eines wirksamen Widerrufs Voraussetzung für die aus dem Rückgewähr-schuldverhältnis resultierenden Rückzahlungs- und Wertersatzansprüche ist, verbindet die aus dem Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Rechtsfragen nicht in einer Weise, die die Beschränkung der Zulassung zugunsten einer Person und auf einen bestimmten Anspruch ausschlösse (BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 - XI ZR 362/17, WM 2019, 538 Rn. 3).
Rz. 14
cc) Dass sich das Berufungsgericht auch mit der Begründetheit der vom Amtsgericht bejahten Klageforderung befasst hat, obwohl allein der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung eingelegt hat, ist in Anbetracht der beschränkten Revisionszulassung nicht vom Senat überprüfbar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2012 - VI ZR 141/11, juris Rn. 7).
Rz. 15
2. Soweit die Beklagte mit der Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils und damit die Abweisung der Klage aufgrund der von ihr erklärten Aufrechnung begehrt, ist die Revision zwar statthaft, es fehlt aber an einer Revisionsbegründung.
Rz. 16
a) Nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO muss die Revisionsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Revisionsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Greift der Revisionskläger das Berufungsurteil uneingeschränkt an, muss er sein Rechtsmittel grundsätzlich hinsichtlich jedes selbständigen prozessualen Anspruchs, über den zu seinen Lasten entschieden wurde, begründen. Andernfalls ist die Revision für den nicht begründeten Teil unzulässig (vgl. BGH, Urteile vom 17. Dezember 2010 - V ZR 45/10, WM 2011, 711 Rn. 6; vom 28. Oktober 2020 - VIII ZR 230/19, NJW-RR 2021, 15 Rn. 25).
Rz. 17
b) Danach ist die Revision auch im Hinblick auf die von der Beklagten zur Aufrechnung gestellten Ansprüche auf Wertersatz unzulässig. Denn die Revision hat lediglich geltend gemacht, dass die Ausübung des Widerrufsrechts durch den Kläger treuwidrig gemäß § 242 BGB sei und deshalb ein Anspruch des Klägers auf Rückzahlung der Miete nicht bestehe. Dagegen hat sie nicht begründet, weshalb der Beklagten bei begründetem Widerruf des Mietverhältnisses ein Wertersatzanspruch gegen den Kläger zustehen sollte. Ob der Ausschluss von Wertersatz, wie er für den Fall eines begründeten Widerrufs in § 357 Abs. 8 Satz 2 BGB aF vorgesehen sei, "im Lichte des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG" verfassungsgemäß sei, hat sie ausdrücklich offengelassen.
III.
Rz. 18
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Dr. Fetzer |
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Dr. Bünger |
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Kosziol |
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Dr. Matussek |
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Dr. Reichelt |
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Hinweis:
Das Revisionsverfahren ist durch Rücknahme erledigt worden.
Fundstellen
Dokument-Index HI15642134 |