Leitsatz (amtlich)
›Die Verkündung einer Entscheidung ist nicht im Protokoll festgestellt, wenn der Gegenstand der Verkündung weder aus dem Protokoll selbst erkennbar ist noch in einer dem Protokoll beigefügten und im Protokoll als solche bezeichneten Anlage festgehalten wird.‹
Verfahrensgang
OLG Stuttgart |
LG Stuttgart |
Gründe
I. Die Parteien streiten nach der Scheidung ihrer Ehe über eine vermögensrechtliche Auseinandersetzung. Die Einzelrichterin beim Landgericht, der der Rechtsstreit gemäß § 348 ZPO zur Entscheidung übertragen war, verhandelte mit den anwaltlich vertretenen Parteien mündlich am 26. August 1988 und verkündete am Ende der Verhandlung den Beschluß, ein Termin zur Verkündung einer Entscheidung werde auf den 28. Oktober 1988 bestimmt. Durch Verfügungen, die den Parteien und ihren Prozeßbevollmächtigten nicht mitgeteilt wurden, verlegte sie danach diesen Termin zweimal, zuletzt auf den 18. November 1988. In den Akten befindet sich ein von der Richterin unterschriebenes Verkündungsprotokoll vom 18. November 1988 (GA 91); danach folgt in den Akten ein in vollständiger Form abgefaßtes Urteil, das mit den Seitenzahlen 92 bis 105 blattiert ist und nach einem Vermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle auf Blatt 92 GA am 18. November 1988 verkündet worden ist. Nach Blatt 105 folgt ein handgeschriebener Urteilstenor ohne Blattnummer.
Gegen das ihren Prozeßbevollmächtigten am 24. April 1989 in vollständiger Form zugestellte Urteil des Landgerichts legte die Beklagte durch Rechtsanwältin Dr. K. am 24. Mai 1989 Berufung ein. Der Vorsitzende des mit der Sache befaßten Zivilsenats beim Oberlandesgericht verlängerte am 22. Juni 1989 antragsgemäß die Frist zur Berufungsbegründung bis zum 18. September 1989. Nachdem an diesem Tage die Berufungsbegründung eingegangen war, bestimmte der Vorsitzende Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 5. Februar 1990. Nunmehr wies der Prozeßbevollmächtigte des Klägers darauf hin, daß die fünf Monate nach Verkündung des angefochtenen Urteils beginnende Berufungsfrist überschritten sei. Durch eine der Rechtsanwältin Dr. K. am 27. September 1989 zugestellte Verfügung teilte der Vorsitzende daraufhin die Absicht des Gerichtes mit, den Verhandlungstermin aufzuheben und nach § 519b ZPO zu entscheiden, weil bisher übersehen worden war, daß die Berufungsfrist nicht eingehalten sei. Die Beklagte beantragte am 6. Oktober 1989, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren, da weder sie noch ihre Prozeßbevollmächtigten die Fristversäumung zu vertreten hätten; diese beruhe auf dem Versehen einer Büroangestellten. Zugleich machte die Beklagte auf die Besonderheiten in der verfahrensrechtlichen Handhabung der Verkündung des Urteils durch das Landgericht aufmerksam. Das Oberlandesgericht holte eine dienstliche Äußerung der Einzelrichterin ein. Diese erklärte unter dem 17. November 1989, die Entscheidungsgründe seien am 18. November 1988 nicht vollständig abgesetzt gewesen; sie habe das Urteil durch Bezugnahme auf die dem Urteil beigeheftete handgeschriebene Urteilsformel in ihrem Dienstzimmer verkündet, da ihr ein Sitzungssaal für diesen Tag nicht zugeteilt gewesen sei.
Das Oberlandesgericht hat eine Wiedereinsetzung verweigert und die Berufung der Beklagten verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
II. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Die Beklagte hat die Berufungsfrist nicht versäumt; auf die Frage, ob Wiedereinsetzung gewährt werden könnte, kommt es danach nicht mehr an.
Die Berufungsfrist beginnt nach § 516 ZPO mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefaßten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Hier begann die Frist erst mit der Zustellung des Urteils am 24. April 1989 zu laufen. Die Einlegung der Berufung am 24. Mai 1989 war daher rechtzeitig. Ein früherer Fristbeginn könnte nur in Frage kommen, wenn das Urteil schon vor dem 24. November 1988 verkündet worden wäre. Das kann jedoch nicht festgestellt werden.
Die in die Akten geheftete Urschrift des Urteils (GA 92 bis 105) trägt zwar den nach § 315 Abs. 3 ZPO vorgeschriebenen, vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterschriebenen Vermerk, daß das Urteil am 18. November 1988 verkündet worden ist. Damit ist die Verkündung aber ebensowenig bewiesen wie durch die dienstliche Äußerung der Richterin. Denn nach § 165 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, zu denen nach § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO die Verkündung von Entscheidungen gehört, nur durch das Protokoll bewiesen werden (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Februar 1989 - III ZB 38/88 - BGHR ZPO § 516 Fristbeginn 1 = VersR 1989, 604 m.w.N.).
Das Protokoll vom 18. November 1988 (GA 91) beweist die Urteilsverkündung an diesem Tage jedoch nicht. Die Beweiskraft dieser Urkunde ist dadurch beeinträchtigt (§ 419 ZPO), daß sie nachträglich verändert worden ist. Die Richterin, die ohne Zuziehung eines Protokollführers gehandelt und das Protokoll handschriftlich selbst ausgefüllt hat, hat den vorgedruckten Text "Es wurde... das Urteil Bl. __ verkündet" nicht ergänzt. Die Einfügung der Blattzahl "92", die auch in anderer Farbe geschrieben ist, erfolgte zu einem späteren Zeitpunkt, denn nach der dienstlichen Äußerung der Richterin lag die mit Blatt 92 beginnende Urschrift des Urteils am 18. November 1988 noch nicht vor. Ohne Angabe einer Blattzahl läßt das Protokoll nicht erkennen, was am 18. November 1988 verkündet worden ist. Es fehlt jeglicher Hinweis auf eine Anlage. Der ohne Blattnummer in der Akte an anderer Stelle, nämlich erst vor dem Blatt 106 abgeheftete handgeschriebene Urteilstenor ist entgegen § 160 Abs. 5 ZPO weder dem Protokoll als Anlage beigefügt noch im Protokoll als Anlage bezeichnet.
Fundstellen
Haufe-Index 2993017 |
LM § 160 ZPO Nr. 83 |
BGHR ZPO § 160 Abs. 3 Nr. 7 Urteil 2 |
NJW-RR 1991, 1084 |
MDR 1990, 919 |
Rpfleger 1990, 306 |
VersR 1990, 637 |