Verfahrensgang
AnwG Hamburg (Entscheidung vom 02.06.2023; Aktenzeichen AGH I ZU 12/2021 (I-40)) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 2. Juni 2023 an Verkündungs statt zugestellte Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 17. Oktober 2023 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten um den Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt.
Rz. 2
Der Kläger, ein deutscher und britischer Staatsbürger, ist seit dem 1. März 1996 als Solicitor im Vereinigten Königreich zugelassen. Am 5. November 2002 erfolgte seine Aufnahme in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt.
Rz. 3
Nach dem sogenannten "Brexit" am 31. Januar 2020 wurde die Anlage zu § 1 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) mit Wirkung zum 1. Januar 2021 dahingehend geändert, dass ein in Großbritannien zugelassener Solicitor nicht mehr unter die Berufsbezeichnungen fällt, unter denen eine Tätigkeit als europäischer Rechtsanwalt möglich ist (Art. 1 der Verordnung zur Anpassung des anwaltlichen Berufsrechts an den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vom 10. Dezember 2020, BGBl. I 2020, 2929). Mit Bescheid vom 31. Mai 2021 widerrief die Beklagte die Aufnahme des Klägers als europäischer Rechtsanwalt nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 4. November 2021 zurück. In der Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof vom 16. Januar 2023 über die gegen den Widerruf in Gestalt des Widerspruchsbescheids gerichtete Klage des Klägers hat letzterer bei der Beklagten einen Antrag auf Eingliederung gemäß § 11 EuRAG gestellt. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 4
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
Rz. 5
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angefochtenen Urteils mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es.
Rz. 6
a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG ist die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer zu widerrufen, wenn die Person aus sonstigen Gründen den Status eines europäischen Rechtsanwalts verliert. Der Anwaltsgerichtshof hat festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm vorliegend erfüllt sind, nachdem ein in Großbritannien zugelassener Solicitor nicht mehr in der Anlage zu § 1 EuRAG genannt wird. Dies begegnet keinen Bedenken und wird vom Kläger nicht angegriffen.
Rz. 7
b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht, soweit der Anwaltsgerichtshof ausgeführt hat, die Beklagte habe mit dem Widerruf der Kammeraufnahme des Klägers die richtige Rechtsfolge gewählt.
Rz. 8
Bei der Entscheidung über den Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG handelt es sich ausweislich des Wortlauts der Norm um eine gebundene Entscheidung. Danach ist die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen zu widerrufen. Diesem Gesetzesbefehl hatte die Beklagte im Fall des Klägers Folge zu leisten.
Rz. 9
aa) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht daraus, dass sich in den Gesetzesmaterialien die Formulierung findet, es sei "grundsätzlich" angezeigt, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus dem Vereinigen Königreich nicht mehr an den Privilegien partizipieren zu lassen, die wie die §§ 2 ff. EuRAG auf der Richtlinie 98/5/EG fußten und nicht durch Artikel 27 des Austrittsabkommens geschützt seien (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften, BR-Drucks. 196/20, S. 73).
Rz. 10
Zwar könnte, wie auch der Anwaltsgerichtshof nicht verkannt hat, die Formulierung "grundsätzlich" in einem streng juristischen Verständnis darauf hindeuten, dass in besonderen Fällen von einem Widerruf abgesehen werden kann. Hierfür spricht jedoch, wie der Anwaltsgerichtshof ebenfalls zutreffend erkannt hat, angesichts der weiteren Begründung des Gesetzesentwurfs nichts. Danach sollte mit der Änderung des § 4 EuRAG eine "klarstellende" Regelung geschaffen werden, nach der eine Aufnahme als europäische Rechtsanwältin oder europäischer Rechtsanwalt zu widerrufen "ist", wenn die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt seinen Status als europäische Rechtsanwältin oder Rechtanwalt verloren hat, wie dies insbesondere beim Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union der Fall ist. Genau dieser von der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannte Fall ist vorliegend gegeben. Dementsprechend lässt sich aus der Gesetzesbegründung kein Anhaltspunkt dafür herleiten, dass in einem solchen Fall in einer Ausnahmekonstellation doch von einem Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer abgesehen werden können soll. Das spricht dafür, dass der - in der Gesetzesbegründung auffallend häufig gebrauchte - Begriff "grundsätzlich" nicht im Sinne eines Regel-Ausnahme - Verhältnisses zu verstehen ist.
Rz. 11
Ob der Begriff - abweichend von den vorstehenden Ausführungen - dahingehend zu verstehen ist, dass ein Widerruf im Falle seiner Unverhältnismäßigkeit ausnahmsweise nicht erfolgen soll, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (nachfolgend zu bb)).
Rz. 12
bb) Der Anwaltsgerichtshof hat zu Recht dahinstehen lassen, ob von einer in einem Gesetz vorgesehenen gebundenen Entscheidung (ausnahmsweise) aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abgewichen werden kann. Seine sorgfältig und umfassend begründete Auffassung, der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte sei verhältnismäßig, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Rz. 13
In diesem Zusammenhang bedarf es ebenfalls keiner Entscheidung, ob im Fall des Widerrufs einer Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und insbesondere der Verhältnismäßigkeit des Widerrufs auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen ist (so für den Widerruf einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO: Senat, Beschlüsse vom 1. Februar 2021 - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 6 und vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.) oder ob insofern auch nachträgliche Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Denn auch im letzten Fall erweist sich der Widerruf als verhältnismäßig, insbesondere - entgegen der Auffassung des Klägers - als angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne; nachfolgend zu (2) (a) (dd)).
Rz. 14
(1) Zutreffend ist der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen, dass im Hinblick auf den Kläger kein atypischer Fall gegeben ist, den der Gesetzgeber nicht vor Augen hatte. Der Kläger irrt, wenn er meint, der Beurteilungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit in Grundrechtseingriffe beschränke sich bei britischen Staatsangehörigen - im Unterschied zu ihm als deutschem Staatsangehörigen - auf Art. 3 GG. Die Unanwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GG auf Ausländer bedeutet nicht, dass die Verfassung sie in diesem Bereich schutzlos lässt oder ihre Rechte auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG beschränkt. Der systemgerechte Ansatz liegt vielmehr bei dem subsidiären allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; BVerfGE 104, 337, 345 f.; Senat, Urteil vom 22. Mai 2023 - AnwZ (Brfg) 23/22, BRAK-Mitt. 2023, 313 Rn. 36). Insofern sind erhebliche, eine Atypizität begründende Unterschiede hinsichtlich des einem deutschen Staatsbürger im Unterschied zu einem britischen Staatsbürger zukommenden grundrechtlichen Schutzniveaus in der konkret vorliegenden Konstellation nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht dargelegt.
Rz. 15
Soweit der Kläger geltend macht, es habe für die "Brexit-Folgenregelung" keine Übergangsregelungen gegeben, trifft dies nicht zu. Vielmehr enthält Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Abl. EU C 384 I vom 12.11.2019, S. 1) einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020. Soweit der Kläger darüber hinaus meint, der Grundsatz des Vertrauensschutzes gebiete für die Exekutive, im Rahmen der Individualprüfung in Ausnahmefällen auf einen Widerruf der Aufnahme zu verzichten, führt er dies nicht näher aus und sind hierfür vorliegend auch keine Gründe ersichtlich.
Rz. 16
(2) Der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte erweist sich nicht im Hinblick auf die Schwere dieses Eingriffs in die Berufsfreiheit des Klägers als unangemessen.
Rz. 17
(a) Der Anwaltsgerichtshof hat seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass der Widerruf der Kammeraufnahme einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers darstellt. Ebenso zutreffend hat er jedoch eine existenzvernichtende Wirkung des Eingriffs verneint.
Rz. 18
(aa) Zu Recht und vom Kläger nicht angegriffen hat der Anwaltsgerichtshof ausgeführt, dass die Eingriffsintensität dadurch verringert wird, dass der Kläger - auf der Grundlage seines Vortrags - mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Eingliederung nach §§ 11 ff. EuRAG hätte stellen können. Aus dem klägerischen Vortrag folgt, dass er mehr als drei Jahre als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland und auf dem Gebiet des deutschen und des europäischen Rechts tätig war (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG). Wenn der Kläger geltend macht, ohne die Berechtigung zur Beratung im deutschen Recht und Gemeinschaftsrecht sei seine wirtschaftliche Existenz ganz erheblich beeinträchtigt, lässt dies den Schluss zu, dass er in den genannten Rechtsgebieten eine "effektive und regelmäßige Tätigkeit" (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG) ausgeübt hat. Zutreffend hat der Anwaltsgerichtshof in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Einfügung des § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG für den Kläger absehbar war und ihm daher rechtzeitig - zur Vermeidung der mit dem Widerruf der Aufnahme in die Beklagte verbundenen erheblichen beruflichen und wirtschaftlichen Folgen - ein Antrag auf Eingliederung möglich gewesen wäre.
Rz. 19
(bb) Ähnliches gilt für einen Antrag des Klägers auf Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation gemäß § 16 ff. EuRAG. Auch insofern ist angesichts des Vortrags des Klägers zu seiner Erfahrung und seinen Kenntnissen im deutschen Recht nicht ersichtlich, weshalb ein solcher Antrag, wenn der Kläger ihn rechtzeitig gestellt hätte - gegebenenfalls nach Ablegung einer Eignungsprüfung (§ 16a Abs. 3 EuRAG) -, ohne Aussicht auf Erfolg gewesen wäre. Im Falle seines Erfolgs wäre die Intensität des Grundrechtseingriffs in Gestalt des Widerrufs der Aufnahme des Klägers in die Beklagte ebenfalls erheblich gemindert gewesen.
Rz. 20
(cc) Schließlich ist es, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend ausführt, dem Kläger unbenommen, gemäß § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO die Aufnahme in die Beklagte als sogenannter "WHO-Rechtanwalt" zu beantragen. Zwar wäre in diesem Fall seine Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen gemäß § 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO auf das Recht des Herkunftsstaats und des Völkerrechts beschränkt. Durch eine solche Befugnis würde aber - wenn auch in beschränktem Umfang - ebenfalls die Intensität des Grundrechtseingriffs in Gestalt des Widerrufs der Aufnahme des Klägers in die Beklagte gemindert.
Rz. 21
(dd) Ob in vorliegendem Zusammenhang die - nach der letzten behördlichen Entscheidung und nach der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof eingetretene - Änderung der beruflichen Tätigkeit des Klägers infolge der Insolvenz der I. zu berücksichtigen ist (siehe oben zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage), kann offenbleiben. Denn selbst, wenn dies der Fall sein sollte, folgt daraus nicht, dass der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte unverhältnismäßig ist.
Rz. 22
Der Kläger trägt in der Begründung seines Antrages auf Zulassung der Berufung vor, über das Vermögen der in L. ansässigen I. sei ein Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mitte März 2023 hätten sich die Geschäftsführung und Gesellschafter der I. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, bei der er tätig gewesen sei, entschieden, die Kooperationsvereinbarungen mit dem I. -Netzwerk zu beenden. Die in H. ansässige Gesellschaft sei in A. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH umfirmiert worden. Der Kläger trägt - ohne dies näher zu konkretisieren - weiter vor, die Maßnahmen zur Umfirmierung und Umstrukturierung der I. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH hätten schließlich dazu geführt, dass er aus der Rechtsanwaltsgesellschaft ausgeschieden sei und nunmehr in Einzelkanzlei unter He. in H. tätig sei. Es bestehe für ihn nicht mehr die - vom Anwaltsgerichtshof erwogene (Seite 11 f. des angefochtenen Urteils) - Möglichkeit, seine Beratungspraxis zu ändern und gemeinsam mit deutschen Rechtsanwälten die der Rechtsanwaltsgesellschaft übertragenen Mandate im Team zu bearbeiten.
Rz. 23
Hieraus ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine existenzvernichtende Wirkung des Widerrufs der Aufnahme des Klägers in die Beklagte.
Rz. 24
Aus dem Vortrag des Klägers wird bereits nicht deutlich, aus welchem Grund die von ihm geschilderten Vorgänge um die Umfirmierung und Umstrukturierung der I. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH zu seinem Ausscheiden aus dieser Gesellschaft geführt haben und weshalb auch nach seinem Ausscheiden eine Zusammenarbeit mit den deutschen Rechtsanwälten dieser in A. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH umfirmierten Gesellschaft oder anderen deutschen Rechtsanwälten in dem vom Anwaltsgerichtshof beschriebenen Sinne (Konzentration der Tätigkeit des Klägers auf die Beratung im englischen Recht) nicht möglich sein soll. Dies gilt umso mehr, als sowohl die Kanzlei des Klägers als auch diejenige der A. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH unter derselben Geschäftsadresse ansässig sind (G. in H. ) und in ihren Internetauftritten auf eine Zusammenarbeit mit der jeweils anderen Kanzlei hinweisen (https://he. / und https://a. /).
Rz. 25
Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Denn bereits die vorstehend (unter (aa) bis (cc)) dargestellten Möglichkeiten der Eingliederung nach §§ 11 ff. EuRAG, der Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation gemäß §§ 16 ff. EuRAG und der Aufnahme in die Beklagte als sogenannter "WHO-Rechtanwalt" gemäß § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO, die dem Kläger - jedenfalls auf der Grundlage seines Vortrags - offenstanden, lassen den Widerruf der Aufnahme in die Beklagte nicht als unverhältnismäßig erscheinen. Die Eingliederung und die Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation hätten zur Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft geführt (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG, § 16a Abs. 5 EuRAG) und ihn hinsichtlich des Umfangs der ihm erlaubten Rechtsdienstleistungen dem in eine Rechtanwaltskammer aufgenommenen europäischen Rechtsanwalt gleichgestellt.
Rz. 26
(b) Die durch den Widerruf der Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer geschützte Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege und der ebenfalls hierdurch bewirkte Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen sind überragende Gemeinschaftsgüter, die die vorliegende - in ihrer grundrechtlichen Einordnung hier unterstellte (ebenso Seite 11 des angefochtenen Urteils) - subjektive Berufswahlregelung zu rechtfertigen vermögen (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 2023, aaO Rn. 61). Der Anwaltsgerichtshof hat zutreffend ausgeführt, dass im Falle von nur im Ausland zugelassenen Rechtsanwälten eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege darin liegt, dass diese Rechtsanwälte über keine mit in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten vergleichbare - durch formalisierte Nachweise dokumentierte - Qualifikation verfügen. Sollte der Kläger durch seine langjährige Tätigkeit als Solicitor in Deutschland und seine in dieser Zeit erfolgte Befassung mit dem deutschen Recht eine inhaltlich dem deutschen Rechtsanwalt vergleichbare Qualifikation erworben haben, hätte es ihm freigestanden, dies im Rahmen eines Antrages auf Eingliederung (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EuRAG) oder auf Feststellung einer gleichwertigen Berufsqualifikation (§ 16 Abs. 1 Satz 1 EuRAG) formell nachzuweisen. Allein seine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit als Solicitor in Deutschland genügt zu einem solchen Nachweis nicht. Denn sie bedeutet nicht zwingend eine hinreichende Befassung mit dem deutschen Recht. Der Umstand, dass der Kläger dennoch in Deutschland als (europäischer) Rechtsanwalt tätig werden durfte, war - wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat - allein der Bindung an das europäische Recht geschuldet. Nachdem letzteres auf britische Juristen keine Anwendung mehr findet, gelten auch in Bezug auf den Kläger die vorgenannten Grundsätze zum Schutz der Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege und der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen als überragenden Gemeinschaftsgütern.
Rz. 27
(c) Bei Abwägung der für diese Gemeinschaftsgüter bestehenden Gefahren mit dem grundrechtlich geschützten Interesse des Klägers erweist sich nach alledem der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne).
Rz. 28
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen deutlich abhebt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 15 mwN). Das ist nicht der Fall. Der Sachverhalt ist überschaubar. Die sich ergebenden Rechtsfragen lassen sich weitgehend auf der Grundlage des Gesetzes und einer an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten, ihrerseits keine besonderen Schwierigkeiten aufweisenden Abwägung der betroffenen Rechtsgüter beantworten. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Widerrufs der Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer abzustellen ist, bedarf - wie ausgeführt - keiner Entscheidung.
Rz. 29
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN). Das ist nicht der Fall. Die Rechtslage ist eindeutig und nicht klärungsbedürftig. Soweit der Kläger meint, ein weiterer Austritt eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union sei für die Zukunft nicht ausgeschlossen, ist dies nicht absehbar und begründet nicht, dass sich eine - vom Kläger überdies nicht konkret benannte - im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfene Rechtsfrage in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.
Rz. 30
4. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).
Rz. 31
a) Ein solcher Verfahrensfehler liegt nicht darin, dass der Anwaltsgerichtshof nicht - wie vom Kläger beantragt (vgl. Seite 2 des Berichtigungsbeschlusses des Anwaltsgerichtshofs vom 17. Oktober 2023) - gemäß § 35 EuRAG, § 112 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO, § 251 Satz 1 ZPO das Ruhen des Verfahrens bis zu einer Entscheidung der Beklagten über den Antrag des Klägers nach §§ 11 ff. EuRAG und bis gegebenenfalls zu einer sich anschließenden rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über den Antrag beziehungsweise den gegen die ablehnende Entscheidung der Beklagten gerichteten Rechtsbehelf angeordnet hat (Seite 7 des angefochtenen Urteils).
Rz. 32
Nach § 251 Satz 1 ZPO hat das Gericht das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Zwischen den Parteien schwebten keine Vergleichsverhandlungen. Sonstige Gründe, die zur Annahme einer Zweckmäßigkeit im Sinne von § 251 Satz 1 ZPO führen können, liegen insbesondere vor, wenn das Abwarten des Fortgangs bestimmter Entwicklungen den Ausgang des Rechtsstreits erledigen oder vereinfachen könnte (MünchKomm-ZPO/Stackmann, 6. Aufl., § 251 Rn. 12). Im Allgemeinen lässt sich eine Zweckmäßigkeit bejahen, wenn konkrete Tatsachen den Schluss rechtfertigen, dass das Verfahren durch verfahrensfremde Umstände in überschaubarer Zeit eine Förderung erfährt (BeckOK ZPO/Jaspersen, § 251 Rn. 5 (Stand: 1. September 2023)). Dem Gesichtspunkt der Verfahrensförderung in überschaubarer Zeit kommt dabei besondere Bedeutung zu, wenn das Verfahren bereits entscheidungsreif ist. Zwar kann ein Ruhen im Falle schwebender Vergleichsverhandlungen auch bei einer bereits bestehenden Entscheidungsreife angeordnet werden (Stadler in Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 251 Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Stackmann, aaO Rn. 11). Das Gericht kann jedoch im Rahmen des ihm im Hinblick auf den Begriff der Zweckmäßigkeit zukommenden Ermessens (vgl. hierzu BFH, DStR 2021, 1359 Rn. 58; BeckRS 2009, 25015146 (unter II. 1); W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl., § 94 Rn. 1; Beck OKVwGO/Garloff, § 94 Rn. 14 (Stand: 1. Juli 2023); Rudisile in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, § 94 VwGO Rn. 124 (Stand: März 2023); aA (gebundene Entscheidung) OVG Lüneburg, NVwZ-RR 2011, 340, 341) von einer Anordnung des Ruhens des Verfahrens absehen, wenn bei bestehender Entscheidungsreife noch nicht überschaubar ist, ob und wann das Verfahren durch verfahrensfremde Umstände gegebenenfalls eine Förderung erfahren kann.
Rz. 33
So liegt der Fall hier. Der Kläger hat erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof am 16. Januar 2023 bei der Beklagten einen Antrag auf Eingliederung gemäß §§ 11 ff. EuRAG gestellt. In der Folge hat er gemäß § 12 Abs. 1 EuRAG die Anzahl und die Art der von ihm im deutschen Recht bearbeiteten Rechtssachen sowie die Dauer seiner Tätigkeit nachzuweisen. Hierzu hat er gemäß § 12 Abs. 2 EuRAG Falllisten und - auf Verlangen der Beklagten - anonymisierte Arbeitsproben vorzulegen. Im Anschluss sind die vorgenannten Unterlagen von der Beklagten umfassend im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 11 Abs. 1 EuRAG zu prüfen und gegebenenfalls auf ihre Aufforderung seitens des Klägers dessen Angaben und Unterlagen zu erläutern. Mithin kann bereits das Verwaltungsverfahren betreffend die Eingliederung des Klägers einen erheblichen Zeitraum in Anspruch nehmen. Letzteres gilt erst recht in Bezug auf ein sich anschließendes - unter Umständen über zwei Instanzen geführtes - gerichtliches Verfahren betreffend den im Eingliederungsverfahren ergangenen Bescheid der Beklagten, bis zu dessen Abschluss nach dem Antrag des Klägers die Anordnung des Ruhens erstreckt werden sollte. Das durch den Antrag des Klägers erst am 16. Januar 2023 eingeleitete behördliche Verfahren und ein sich anschließendes gerichtliches Verfahren können sich gegebenenfalls über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstrecken. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Anwaltsgerichtshof angesichts der Entscheidungsreife des bei ihm anhängigen Verfahrens die Anordnung von dessen Ruhen abgelehnt hat.
Rz. 34
b) Soweit der Kläger rügt, bei der Unterschrift des Mitglieds des Anwaltsgerichtshofs RiOLG Dr. M. auf dem Urteil vom 24. Januar 2023 handele es sich nicht um ein Original, sondern um die Kopie seiner Unterschrift, ist dies nicht nachvollziehbar. Aus dem Original des Urteils ergeben sich keine Hinweise darauf, dass es sich bei der Unterschrift nur um eine Kopie handelt. Der Kläger trägt insofern auch keine Umstände vor, die Anlass zu einer solchen Annahme geben könnten.
Rz. 35
c) Schließlich beruht die angefochtene Entscheidung auch nicht darauf, dass der Anwaltsgerichtshof nicht in vollständiger Besetzung über alle wesentlichen Entscheidungsgründe beraten hat.
Rz. 36
Der Kläger rügt insofern, der Berichterstatter des Anwaltsgerichtshofs Professor Dr. S. sei am 31. März 2023 aus dem I. Senat des Anwaltsgerichtshofs ausgeschieden. Die von ihm dem Kläger gesetzte Stellungnahmefrist auf den Schriftsatz der Beklagten vom 3. Februar 2023 sei am 4. April 2023 abgelaufen. Gleichwohl fänden sich Feststellungen und tragende Gründe für die Ablehnung des Ruhensantrages des Klägers im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des Urteils. Eine Beratung des Anwaltsgerichtshofs in seiner gesetzlichen Besetzung habe aber nach Ablauf der Stellungnahmefrist des Klägers nicht mehr erfolgen können. Im Sachverhalt sowie in der Urteilsbegründung stelle der Anwaltsgerichtshof indes darauf ab, dass der Kläger auf den Schriftsatz der Beklagten vom 3. Februar 2023 keine Stellungnahme abgegeben und keinen förmlichen Ruhensantrag gestellt habe. Damit liege ein wesentlicher Verfahrensmangel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO vor. Das Urteil beruhe auch auf dem dargelegten Verfahrensfehler, da der Anwaltsgerichtshof in den Entscheidungsgründen insbesondere darauf abstelle, dass der Kläger innerhalb der ihm gesetzten Stellungnahmefrist nicht auf den Schriftsatz der Beklagten reagiert habe und keinen förmlichen Ruhensantrag gestellt habe.
Rz. 37
Dies trifft nicht zu. Nachdem in Ziffer II Satz 1 des angefochtenen Urteils der Halbsatz "weil der Kläger keinen darauf gerichteten Antrag gestellt hat" mit auf Antrag des Klägers ergangenem Berichtigungsbeschluss des Anwaltsgerichtshofs vom 17. Oktober 2023 gestrichen worden ist, stellt das angefochtene Urteil nicht mehr darauf ab, dass der Kläger keinen förmlichen Ruhensantrag gestellt hat. Die Ablehnung dieses Antrags durch den Anwaltsgerichtshof beruht nunmehr allein - und auch vorher bereits selbständig tragend - darauf, dass dieser eine Zweckmäßigkeit im Sinne von § 35 EuRAG, § 112c Abs. 1 Satz1 BRAO, § 173 Satz 1 VwGO, § 251 Satz 1 ZPO verneint hat. Darauf, dass der Kläger innerhalb der ihm gesetzten Stellungnahmefrist nicht auf den Schriftsatz der Beklagten reagiert hat, hat der Anwaltsgerichtshof in den Entscheidungsgründen ebenfalls nicht abgestellt. Diese Feststellung findet sich allein im Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 5). Das Urteil beruht mithin weder darauf, dass der Kläger nicht auf den Schriftsatz der Beklagten vom 3. Februar 2023 reagiert hat, noch darauf, dass der Kläger keinen förmlichen Ruhensantrag gestellt hat.
III.
Rz. 38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Schoppmeyer |
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Remmert |
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Grüneberg |
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Lauer |
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Niggemeyer-Müller |
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Fundstellen
Haufe-Index 16249997 |
NJW-RR 2024, 990 |
NJW-Spezial 2024, 350 |