Verfahrensgang
AnwG Hamburg (Entscheidung vom 23.10.2023; Aktenzeichen AGH I ZU 8/2021 (I-37)) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 23. Oktober 2023 an Verkündungs statt zugestellte Urteil des I. Senats des Anwaltsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Hamburg in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 11. Januar 2024 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Parteien streiten um den Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt.
Rz. 2
Der Kläger, ein deutscher und britischer Staatsbürger, ist seit 2019 als Barrister in Großbritannien zugelassen. Auf seinen Antrag vom 16. November 2020 wurde er - nach den insoweit von ihm nicht angegriffenen Feststellungen des Widerrufsbescheids der Beklagten vom 3. Juni 2021 - auf der Grundlage seiner Zulassung in Großbritannien am 14. Dezember 2020 in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt aufgenommen. Der Kläger hat vorgetragen, er sei auch in Irland befugt, Rechtsdienstleistungen als Barrister zu erbringen.
Rz. 3
Nach dem sogenannten "Brexit" am 31. Januar 2020 wurde die Anlage zu § 1 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG) mit Wirkung zum 1. Januar 2021 dahingehend geändert, dass ein in Großbritannien zugelassener Barrister nicht mehr unter die Berufsbezeichnungen fällt, unter denen eine Tätigkeit als europäischer Rechtsanwalt möglich ist (Art. 1 der Verordnung zur Anpassung des anwaltlichen Berufsrechts an den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union vom 10. Dezember 2020, BGBl. I 2020, 2929). Mit Schreiben vom 12. Januar 2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie beabsichtige, seine Zulassung als europäischer Rechtsanwalt zu widerrufen. Mit Bescheid vom 3. Juni 2021 widerrief sie die Aufnahme des Klägers als europäischer Rechtsanwalt nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2021 zurück. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltsgerichtshof über die gegen den Widerrufsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids gerichtete Klage des Klägers hat dieser mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 20. Juni 2023 beantragt, das Verfahren nach § 118b Abs. 1 BRAO und hilfsweise nach § 112c Abs. 1 BRAO i.V.m. § 94 VwGO auszusetzen, da § 207 BRAO gegen Art. 194 des Trade and Cooperation Agreement between the European Union and the European Atomic Energy Community, of the one part, and the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland, of the other part (TCA; ABl. EU Nr. L 149/10 vom 30. April 2021) verstoße und er diesbezüglich Beschwerde bei der Europäischen Kommission eingelegt habe.
Rz. 4
Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 5
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
Rz. 6
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angefochtenen Urteils mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (st. Rspr.; vgl. etwa Senat, Beschluss vom 28. Oktober 2011 - AnwZ (Brfg) 30/11, NJW-RR 2012, 189 Rn. 5 mwN). Daran fehlt es.
Rz. 7
a) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG ist die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer zu widerrufen, wenn die Person aus sonstigen Gründen den Status eines europäischen Rechtsanwalts verliert. Der Anwaltsgerichtshof hat festgestellt, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Norm vorliegend erfüllt sind, nachdem ein in Großbritannien zugelassener Barrister nicht mehr in der Anlage zu § 1 EuRAG genannt wird. Dies begegnet keinen Bedenken.
Rz. 8
Dabei kann dahinstehen, ob in Anbetracht der herkunftsstaatbezogenen (vgl. § 2 Abs. 2, § 3 Abs. 2 Satz 1 EuRAG), im Fall des Klägers also auf Großbritannien bezogenen Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer und in Anbetracht der Verpflichtung des Aufgenommenen, die Berufsbezeichnung des Herkunftsstaates zu führen (§ 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 EuRAG), die Aufnahme auch dann zu widerrufen ist, wenn der Betroffene im Hinblick auf den ursprünglichen Herkunftsstaat den Status eines europäischen Rechtsanwalts verloren hat, jedoch in Bezug auf einen anderen Herkunftsstaat - hier: Irland - die Voraussetzungen eines europäischen Rechtsanwalts i.S.v. § 1 EuRAG erfüllt. Denn Letzteres ist, wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, nicht der Fall.
Rz. 9
Nach § 2 Abs. 2 EuRAG setzt die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer voraus, dass die antragstellende Person bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaates als europäischer Rechtsanwalt eingetragen ist. Mit dieser Bestimmung wird Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (Rechtsanwalts-Richtlinie; ABl. EG L S. 36 vom 14. März 1998), umgesetzt (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet des Berufsrechts der Rechtsanwälte, BT-Drucks. 14/2269, S. 23). Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Rechtanwalts-Richtlinie nimmt die zuständige Stelle des Aufnahme-staats die Eintragung des Rechtsanwalts anhand einer Bescheinigung über dessen Eintragung bei der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats vor. "Herkunftsstaat" bezeichnet dabei den Staat, in dem die betreffende Person als Rechtsanwalt zugelassen ist (BT-Drucks. 14/2269 aaO). Nicht ausreichend ist dagegen, dass der ausländische Anwalt die bloße Berechtigung hat, in seinem Herkunftsstaat als Anwalt zugelassen zu werden (Glindemann in Henssler/Prütting, BRAO, 6. Aufl., § 2 EuRAG Rn. 3). Im Fall des Klägers genügt es danach nicht, dass er in Irland befugt ist, Rechtsdienstleistungen als Barrister zu erbringen. Er bedarf vielmehr der Zulassung und Eintragung in Irland als Barrister. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Soweit der Kläger anführt, das Abstellen (durch den Anwaltsgerichtshof) auf die Mitgliedschaft in der "Bar of Ireland" sei fehlerhaft, die zuständige Zulassungsstelle für Barristers in Irland seien die King‚s Inns, legt er nicht dar, dass er dort eingetragen und zugelassen ist. Dagegen räumt er ein, dass der European Circuit of the Bar, in dem er Mitglied ist, nicht für die Zulassung von Barristern in Irland zuständig ist (Schriftsatz vom 6. Juli 2023, S. 4).
Rz. 10
b) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen auch nicht, soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte habe mit dem Widerruf seiner Kammeraufnahme nicht die richtige Rechtsfolge gewählt.
Rz. 11
Bei der Entscheidung über den Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 EuRAG handelt es sich ausweislich des Wortlauts der Norm um eine gebundene Entscheidung. Danach ist die Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen zu widerrufen. Diesem Gesetzesbefehl hatte die Beklagte im Fall des Klägers Folge zu leisten.
Rz. 12
aa) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht daraus, dass sich in den Gesetzesmaterialien die Formulierung findet, es sei "grundsätzlich" angezeigt, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus dem Vereinigten Königreich nicht mehr an den Privilegien partizipieren zu lassen, die wie die §§ 2 ff. EuRAG auf der Richtlinie 98/5/EG fußten und nicht durch Artikel 27 des Austrittsabkommens geschützt seien (Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften, BR-Drucks. 196/20, S. 73).
Rz. 13
Zwar könnte die Formulierung "grundsätzlich" in einem streng juristischen Verständnis darauf hindeuten, dass in besonderen Fällen von einem Widerruf abgesehen werden kann. Hierfür spricht jedoch angesichts der weiteren Begründung des Gesetzesentwurfs nichts. Danach sollte mit der Änderung des § 4 EuRAG eine "klarstellende" Regelung geschaffen werden, nach der eine Aufnahme als europäische Rechtsanwältin oder europäischer Rechtsanwalt zu widerrufen "ist", wenn die Rechtsanwältin oder der Rechtsanwalt seinen Status als europäische Rechtsanwältin oder Rechtanwalt verloren hat, wie dies insbesondere beim Austritt eines Mitgliedstaats aus der Europäischen Union der Fall ist. Genau dieser von der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannte Fall ist vorliegend gegeben. Dementsprechend lässt sich aus der Gesetzesbegründung kein Anhaltspunkt dafür herleiten, dass in einem solchen Fall in einer Ausnahmekonstellation doch von einem Widerruf der Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer abgesehen werden können soll. Das spricht dafür, dass der - in der Gesetzesbegründung auffallend häufig gebrauchte - Begriff "grundsätzlich" nicht im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses zu verstehen ist.
Rz. 14
Ob der Begriff - abweichend von den vorstehenden Ausführungen - dahingehend zu verstehen ist, dass ein Widerruf im Falle seiner Unverhältnismäßigkeit ausnahmsweise nicht erfolgen soll, bedarf keiner Entscheidung. Denn der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte entspricht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (nachfolgend zu bb)).
Rz. 15
bb) Es kann dahinstehen, ob von einer in einem Gesetz vorgesehenen gebundenen Entscheidung (ausnahmsweise) aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abgewichen werden kann. Denn die Auffassung des Anwaltsgerichtshofs, der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte sei nicht unverhältnismäßig, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils.
Rz. 16
In diesem Zusammenhang bedarf es ebenfalls keiner Entscheidung, ob im Fall des Widerrufs einer Aufnahme in die Rechtsanwaltskammer gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit und insbesondere der Verhältnismäßigkeit des Widerrufs auf den Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufsverfahrens abzustellen ist (so für den Widerruf einer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO: Senat, Beschlüsse vom 1. Februar 2021 - AnwZ (Brfg) 34/20, juris Rn. 6 und vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.) oder ob insofern auch nachträgliche Entwicklungen zu berücksichtigen sind. Denn auch im letzten Fall erweist sich der Widerruf als verhältnismäßig, insbesondere - entgegen der Auffassung des Klägers - als angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne; nachfolgend zu (2) (a) (dd)).
Rz. 17
(1) Im Hinblick auf den Kläger ist kein atypischer Fall gegeben, den der Gesetzgeber nicht vor Augen hatte. Der Kläger irrt, wenn er meint, der Beurteilungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit in Grundrechtseingriffe beschränke sich bei britischen Staatsangehörigen - im Unterschied zu ihm als deutschem Staatsangehörigen - auf Art. 3 GG. Die Unanwendbarkeit des Art. 12 Abs. 1 GG auf Ausländer bedeutet nicht, dass die Verfassung sie in diesem Bereich schutzlos lässt oder ihre Rechte auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG beschränkt. Der systemgerechte Ansatz liegt vielmehr bei dem subsidiären allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG (BVerfG, NJW 1988, 2290, 2291; BVerfGE 104, 337, 345 f.; Senat, Urteil vom 22. Mai 2023 - AnwZ (Brfg) 23/22, BRAK-Mitt. 2023, 313 Rn. 36). Insofern sind erhebliche, eine Atypizität begründende Unterschiede hinsichtlich des einem deutschen Staatsbürger im Unterschied zu einem britischen Staatsbürger zukommenden grundrechtlichen Schutzniveaus in der konkret vorliegenden Konstellation nicht ersichtlich und werden vom Kläger auch nicht dargelegt.
Rz. 18
Soweit der Kläger geltend macht, es habe für die "Brexit-Folgenregelung" keine Übergangsregelungen gegeben, trifft dies nicht zu. Vielmehr enthält Art. 126 des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (Abl. EU C 384 I vom 12. November 2019, S. 1) einen Übergangszeitraum bis zum 31. Dezember 2020. Soweit der Kläger darüber hinaus meint, der Grundsatz des Vertrauensschutzes gebiete für die Exekutive, im Rahmen der Individualprüfung in Ausnahmefällen auf einen Widerruf der Aufnahme zu verzichten, hat der Anwaltsgerichtshof zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger sich angesichts seiner Aufnahme in die Beklagte erst am 14. Dezember 2020 und damit unmittelbar vor dem "Brexit" sowie nur wenige Wochen vor der Ankündigung des Widerrufs seiner Zulassung durch die Beklagte mit Schreiben vom 12. Januar 2021 nicht auf einen besonderen Vertrauensschutz berufen kann.
Rz. 19
(2) Der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte erweist sich nicht im Hinblick auf die Schwere dieses Eingriffs in die Berufsfreiheit des Klägers als unangemessen.
Rz. 20
(a) Der Widerruf der Kammeraufnahme stellt einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Klägers dar. Auf eine existenzvernichtende Wirkung des Eingriffs kann sich der Kläger indes nicht berufen.
Rz. 21
(aa) Dabei ist erneut zu berücksichtigen, dass der Kläger - auf der Grundlage seiner Zulassung in Großbritannien - den Antrag auf Aufnahme in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt erst am 16. November 2020 und damit kurz vor dem Ende des den "Brexit" betreffenden Übergangszeitraums gestellt hat. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung des Verbraucherschutzes im Inkassorecht und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 22. Dezember 2020 (BGBl. I 3320), durch das in § 4 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 EuRAG die Möglichkeit zum Widerruf der Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer gerade für den Fall des "Brexit" geschaffen wurde, - wie auch dem Kläger als betroffenem britischen Berufsträger nicht verborgen geblieben sein konnte - seit langem im Gesetzgebungsverfahren (vgl. BR-Drucks. 196/20 vom 24. April 2020, S. 32, 73). Der Kläger durfte daher und erst Recht in Anbetracht der schon kurz nach dem Inkrafttreten des vorgenannten Gesetzes und seiner Aufnahme in die Beklagte erfolgten Mitteilung der Beklagten vom 12. Januar 2021 über den beabsichtigten Widerruf seiner Aufnahme als europäischer Rechtsanwalt nicht darauf vertrauen, auf dieser Aufnahme seine berufliche und wirtschaftliche Existenz aufbauen zu können.
Rz. 22
(bb) Zudem weist der Anwaltsgerichtshof zu Recht darauf hin, dass dem Kläger die Möglichkeit offensteht, sich bei der zuständigen Stelle der Republik Irland i.S.v. § 2 Abs. 2 EuRAG als Barrister eintragen zu lassen und auf dieser Grundlage die Aufnahme in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt zu beantragen.
Rz. 23
Der bevorstehende "Brexit" führte dazu, dass bereits bis Anfang 2018 über eintausend englische Solicitors in einem bilateral zwischen Großbritannien und Irland vereinbarten erleichterten Verfahren zusätzlich die Qualifikation als irischer Solicitor erworben hatten (Hellwig, Anwaltsbl Online 2018, 9, 16; vgl. auch The Law Society Gazette vom 29. April 2019, Brexit: England and Wales now accounts for one in seven 'Irish' solicitors [https://www.lawgazette.co.uk/law/brexit-england-and-wales-now-accounts-for-one-in-seven-irish-solicitors/5070102.article]; Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ.Net: Britische Anwälte fliehen nach Irland, zuletzt aktualisiert am 9. August 2018 [https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/britische-anwaelte-ziehen-wegen-brexit-nach-irland-15729907.html]). Eine ähnliche Möglichkeit besteht für in Großbritannien zugelassene Barristers bei den irischen King‚s Inns aufgrund der sogenannten "Rule 25" (vgl. The Honorable Society of King‚s Inns, Education Rules, Edition of June 2021, S. 22 f.: Rule 25 "Admission of Barristers qualified in England and Wales (post Brexit)”). Anwälte aus Großbritannien können sich mithin auf der Grundlage einer zusätzlichen irischen Anwaltsqualifikation als europäische Rechtsanwälte in Deutschland niederlassen (Hellwig aaO). Dies war auch dem Kläger, der nach seinem Vortrag ohnehin dauerhaft in Irland Rechtsdienstleistungen als Barrister erbringt, dort über eine "Practising Address" verfügt (Klageerwiderung vom 20. Dezember 2021, S. 1, 3; Schriftsatz vom 5. Mai 2022, S. 3) und sich im vorliegenden Verfahren auf seine Tätigkeit als Barrister in Irland beruft, zumutbar.
Rz. 24
Nach dem Vortrag des Klägers handelt es sich bei den irischen King‚s Inns um die zuständige Stelle der Republik Irland i.S.v. § 2 Abs. 2 EuRAG (Schriftsatz vom 6. Juli 2023, S. 3 f.). Weshalb er die an die King‚s Inns zu zahlende Verwaltungsgebühr von 1.000 € erst am 17. August 2023 überwiesen hat (Anlage K 20 zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung), obwohl das Verfahren nach der "Rule 25" (s.o.) bei den King‚s Inns bereits seit dem Jahr 2021 besteht, erscheint angesichts der für ihn nach seinem Vortrag hohen Bedeutung einer Aufnahme in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt nicht nachvollziehbar.
Rz. 25
(cc) Schließlich wurde der Kläger - wie sich aus den von ihm nicht angegriffenen Feststellungen des Widerrufsbescheides vom 3. Juni 2021 ergibt (S. 3) - gemäß § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO als sogenannter "WHO-Rechtsanwalt" in die Beklagte aufgenommen. Zwar ist insofern seine Befugnis zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen gemäß § 206 Abs. 3 Nr. 1 BRAO auf das Recht des Herkunftsstaats und des Völkerrechts beschränkt. Durch eine solche Befugnis wird jedoch - wenn auch in beschränktem Umfang - ebenfalls die Intensität des Grundrechtseingriffs in Gestalt des Widerrufs der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt gemindert.
Rz. 26
(dd) Die vorstehend (unter (aa) bis (cc)) dargestellten Umstände der Antragstellung des Klägers unmittelbar vor dem "Brexit", der in seinem Fall besonders naheliegenden Möglichkeit der Eintragung als Barrister bei der zuständigen Stelle der Republik Irland als Grundlage für eine Aufnahme in die Beklagte als europäischer Rechtsanwalt und der Aufnahme in die Beklagte als sogenannter "WHO-Rechtsanwalt" gemäß § 206 Abs. 1 und 2, § 207 Abs. 1 BRAO lassen den angefochtenen Widerruf der Aufnahme in die Beklagte nicht als unverhältnismäßig erscheinen.
Rz. 27
(b) Die durch den Widerruf der Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer geschützte Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege und der ebenfalls hierdurch bewirkte Schutz der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen sind überragende Gemeinschaftsgüter, die die vorliegende - in ihrer grundrechtlichen Einordnung hier unterstellte - subjektive Berufswahlregelung zu rechtfertigen vermögen (vgl. Senat, Urteil vom 22. Mai 2023, aaO Rn. 61).
Rz. 28
Im Falle von nur im Ausland zugelassenen Rechtsanwälten liegt eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege darin, dass diese Rechtsanwälte über keine mit in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten vergleichbare - durch formalisierte Nachweise dokumentierte - Qualifikation verfügen. Der Umstand, dass der Kläger dennoch in Deutschland als (europäischer) Rechtsanwalt tätig werden durfte, war allein der Bindung an das europäische Recht geschuldet. Nachdem letzteres auf britische Juristen keine Anwendung mehr findet, gelten auch in Bezug auf den Kläger die vorgenannten Grundsätze zum Schutz der Funktionsfähigkeit der deutschen Rechtspflege und der Rechtsuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen als überragenden Gemeinschaftsgütern.
Rz. 29
(c) Bei Abwägung der für diese Gemeinschaftsgüter bestehenden Gefahren mit dem grundrechtlich geschützten Interesse des Klägers erweist sich nach alledem der Widerruf der Aufnahme des Klägers in die Beklagte als angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne).
Rz. 30
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die Rechtssache wegen einer erheblich über dem Durchschnitt liegenden Komplexität des Verfahrens oder der ihr zu Grunde liegenden Rechtsmaterie in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht und sich damit von den üblichen verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen deutlich abhebt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 4. März 2019 - AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 15 mwN). Das ist nicht der Fall. Der Sachverhalt ist überschaubar. Die sich ergebenden Rechtsfragen lassen sich weitgehend auf der Grundlage des Gesetzes und einer an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten, ihrerseits keine besonderen Schwierigkeiten aufweisenden Abwägung der betroffenen Rechtsgüter beantworten. Die Frage, auf welchen Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Widerrufs der Aufnahme in eine Rechtsanwaltskammer abzustellen ist, bedarf - wie ausgeführt - keiner Entscheidung. Unabhängig davon, dass sich der Anwaltsgerichtshof entgegen der Darstellung des Klägers nicht über sieben Seiten, sondern nur über eine halbe Seite mit der Verhältnismäßigkeit befasst hat, ist der Umfang der Ausführungen in dem angefochtenen Urteil zu einer bestimmten Frage allein kein hinreichender Anhaltspunkt für die besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten einer Rechtssache.
Rz. 31
3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. nur Senat, Beschluss vom 6. Februar 2012 - AnwZ (Brfg) 42/11, juris Rn. 25 mwN). Das ist nicht der Fall. Die Rechtslage ist eindeutig und nicht klärungsbedürftig. Soweit der Kläger meint, ein weiterer Austritt eines Mitgliedstaates aus der Europäischen Union sei für die Zukunft nicht ausgeschlossen, ist dies nicht absehbar und begründet nicht, dass sich eine - vom Kläger überdies nicht konkret benannte - im vorliegenden Rechtsstreit aufgeworfene Rechtsfrage in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann.
Rz. 32
4. Dem Anwaltsgerichtshof ist kein Verfahrensfehler unterlaufen, auf dem sein Urteil beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Ein solcher Verfahrensfehler liegt insbesondere nicht darin, dass der Anwaltsgerichtshof nicht - wie vom Kläger mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 20. Juni 2023 beantragt - das Verfahren in Anbetracht der vom Kläger bei der Europäischen Kommission mit Schreiben vom 19. Juni 2023 eingelegten Beschwerde gemäß § 35 EuRAG, § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 94 VwGO ausgesetzt hat. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt weder ganz noch zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das Gegenstand des Beschwerdeverfahrens bei der Europäischen Kommission ist. Der Anwaltsgerichtshof hat insofern zutreffend ausgeführt, dass der vom Kläger in dem Beschwerdeverfahren gerügte Verstoß von § 207 BRAO gegen Art. 194 TCA für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich ist (Seite 8 des angefochtenen Urteils).
III.
Rz. 33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Limperg |
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Remmert |
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Liebert |
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Lauer |
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Niggemeyer-Müller |
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Fundstellen
Haufe-Index 16344585 |
NJW 2024, 9 |
NJW-RR 2024, 925 |