Leitsatz (amtlich)
Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist von dem Tatrichter so vorzunehmen, dass dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine angemessene Vergütung gewährt wird. Eine Vergleichsrechnung anhand der Anzahl der aufgewendeten Stunden des Verwalters und seiner Mitarbeiter hat nicht stattzufinden (Fortführung BGH, Beschl. v. 1.3.2007 - IX ZB 278/05).
Normenkette
InsVV §§ 10, 11 Abs. 3, § 3
Verfahrensgang
LG Krefeld (Beschluss vom 21.01.2020; Aktenzeichen 7 T 184/19) |
AG Krefeld (Entscheidung vom 07.11.2019; Aktenzeichen 93 IN 32/17) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Krefeld vom 21.1.2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 138.492,94 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Auf den Eigenantrag der Schuldnerin bestellte das Insolvenzgericht den weiteren Beteiligten mit Beschluss vom 19.7.2017 zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt. Für seine Tätigkeit als Sachverständiger erhielt der weitere Beteiligte eine Vergütung i.H.v. 2.118,55 EUR. Mit Beschluss vom 1.9.2017 eröffnete das AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin und bestellte den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter.
Rz. 2
Der weitere Beteiligte hat beantragt, seine Vergütung als vorläufiger Insolvenzverwalter nach einer Berechnungsgrundlage von 2.491.854,03 EUR auf das 2,5-fache der Regelvergütung des Insolvenzverwalters, insgesamt auf 231.645,64 EUR, festzusetzen. Die Recherche der Vermögensverhältnisse der Schuldnerin habe sich - auch vor dem Hintergrund strafrechtlicher Ermittlungen - als schwierig erwiesen. Zuschläge begründeten sich weiter insb. aus der arbeitsaufwendigen Verwaltung des vermieteten Grundeigentums, der Einleitung vorbereitender Maßnahmen zur Fortführung des schuldnerischen Unternehmens, der Beteiligung von mehr als 100 Gläubigern, dem Auslandsbezug, der Bearbeitung von Aus- und Absonderungsrechten, den komplexen Konzernstrukturen und der Höhe des Jahresumsatzes der Schuldnerin.
Rz. 3
Das Insolvenzgericht hat eine Erhöhung der Regelvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters um 75 % für gerechtfertigt erachtet und die Vergütung auf 93.152,70 EUR festgesetzt. Die hiergegen erhobene sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt er seinen Vergütungsantrag weiter.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Bei der Bemessung des Zuschlags aufgrund ungeordneter und unübersichtlicher wirtschaftlicher Verhältnisse der Schuldnerin sei zu berücksichtigen, dass der weitere Beteiligte sich bereits im Rahmen seiner Tätigkeit als Sachverständiger Kenntnisse verschafft habe. Es sei nicht dargelegt, dass dies zu keiner Arbeitsersparnis geführt habe. Viele der geltend gemachten Erhöhungstatbestände beruhten auf den strafrechtlichen Vorwürfen und damit in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten der Informationslage, was bei der Gutachtervergütung erhöhend berücksichtigt worden sei. Im Blick auf erhebliche Überschneidungen der einzelnen Zuschlagstatbestände und auf die kurze Dauer des Eröffnungsverfahrens sei eine Kürzung auf 100 % der Regelvergütung des Insolvenzverwalters, wie vom Insolvenzgericht vorgenommen, gerechtfertigt. Die Angemessenheit des Zuschlags sei durch einen Vergleich mit Stundenlöhnen zu überprüfen. Nach dem Vorbringen des weiteren Beteiligten zu seinem Tätigwerden ergebe sich auf Basis der vom Insolvenzgericht gewährten Zuschläge ein täglicher Zuschlag von 1.939,68 EUR oder bei 10 Stunden Arbeit am Tag ein Stundenzuschlag von 193,97 EUR. Die vom weiteren Beteiligten beantragte Vergütung führe zu einem Stundenzuschlag von 581,90 EUR und sei deutlich überhöht.
Rz. 6
2. Die angefochtene Entscheidung ist nicht bereits deswegen aufzuheben, weil das Beschwerdegericht bei Erlass der angefochtenen Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Zwar hat die Kammer in einer gem. § 568 Satz 1 ZPO allein dem Einzelrichter zufallenden Sache durch den Gesamtspruchkörper entschieden, ohne dass der Einzelrichter den erforderlichen Beschluss zur Übertragung auf den Gesamtspruchkörper gefasst hätte. Die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Beschwerdegerichts stellt nach §§ 576 Abs. 3, 547 Nr. 1 ZPO einen absoluten Rechtsbeschwerdegrund dar. Dieser ist jedoch grundsätzlich nur auf Rüge zu prüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2020 - I ZB 38/20 NJW 2021, 941 Rz. 13 ff. m.w.N.). Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Im Streitfall liegt weder ein willkürlicher Übertragungsbeschluss der Kammer vor noch rügt die Rechtsbeschwerde den einfachen Verfahrensfehler.
Rz. 7
3. Indes hält die Entscheidung des Beschwerdegerichts der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Rz. 8
a) Die Bemessung von Zu- und Abschlägen ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur darauf zu überprüfen, ob sie die Gefahr der Verschiebung von Maßstäben mit sich bringt (st.Rspr.; vgl. BGH, Beschl. v. 22.6.2017 - IX ZB 65/15, ZInsO 2017, 1694 Rz. 6 m.w.N.; v. 29.4.2021 - IX ZB 58/19 WM 2021, 1194 Rz. 9). Zu prüfen sind die Maßstäbe (Rechtsgrundsätze) und ihre Beachtung, nach denen das Leistungsbild der entfalteten Verwaltertätigkeit im Einzelfall gewürdigt und zu dem Grundsatz einer leistungsangemessenen Vergütung (§§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 63 InsO) in Beziehung gesetzt worden ist (BGH, Beschl. v. 4.7.2002 - IX ZB 31/02, ZIP 2002, 1459, 1460 unter III. 2.).
Rz. 9
Maßgebend ist, ob die Bearbeitung den Insolvenzverwalter stärker oder schwächer als in entsprechenden Insolvenzverfahren allgemein üblich in Anspruch genommen hat, also der real gestiegene oder gefallene Arbeitsaufwand. Das Insolvenzgericht hat dabei die in Betracht kommenden Tatbestände im Einzelnen zu überprüfen und zu beurteilen. Einer Bewertung der Höhe jedes einzelnen Zu- oder Abschlags bedarf es nicht. Es genügt, wenn der Tatrichter die möglichen Zu- und Abschlagstatbestände dem Grunde nach prüft und anschließend in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung von Überschneidungen und einer auf das Ganze bezogenen Angemessenheitsbetrachtung den Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag bestimmt (st.Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschl. v. 6.4.2017 - IX ZB 48/16, NZI 2017, 459 Rz. 8 m.w.N.; v. 22.6.2017 - IX ZB 65/15, ZInsO 2017, 1694 Rz. 7 m.w.N.; v. 14.2.2019 - IX ZB 25/17 ZIP 2019, 715 Rz. 14; v. 12.9.2019 - IX ZB 1/17 ZIP 2019, 2016 Rz. 6). Dabei gilt § 3 InsVV für den vorläufigen Insolvenzverwalter entsprechend (§ 10 InsVV; vgl. BGH, Beschl. v. 17.10.2019 - IX ZB 5/18 WM 2019, 2325 Rz. 10; v. 10.6.2021 - IX ZB 51/19 WM 2021, 1503 Rz. 33 f.).
Rz. 10
b) Diesen Grundsätzen genügt die Entscheidung des Beschwerdegerichts nicht.
Rz. 11
aa) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die vorherige Tätigkeit des weiteren Beteiligten als Gutachter zwar nicht zu einer erheblichen Unterschreitung der Anforderungen an den Verwalter gegenüber dem Normalfall führt, weil die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerade die Regel ist (BGH, Beschl. v. 18.6.2009 - IX ZB 97/08 WM 2009, 1661 Rz. 12), sich der weitere Beteiligte durch die Tätigkeit als Gutachter allerdings Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin verschafft und bereits für die Vergütung des Gutachtens eine besonders aufwendige und zeitintensive Ermittlungsarbeit geltend gemacht hat. Insoweit zeigt die Rechtsbeschwerde keine Maßstabsverschiebung zum Nachteil des weiteren Beteiligten auf. Vermittelt ein Sachverständigengutachten dem Verwalter Kenntnisse für die vorläufige Insolvenzverwaltung, lässt dies den vom Verwalter zu betreibenden Ermittlungsaufwand in der Eröffnungsphase des Insolvenzverfahrens regelmäßig nicht unberührt (vgl. BGH, Beschl. v. 22.4.2004 - IX ZB 136/03, NZI 2004, 448). Es ist nicht ersichtlich, dass die Tätigkeit als Sachverständiger nach dem Vorbringen des weiteren Beteiligten zur Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldnerin keinerlei Beitrag geleistet hätte.
Rz. 12
bb) Indes fehlt es an einer tragfähigen Würdigung der Gesamtlage, die im Hinblick auf den konkreten Festsetzungsfall nachvollziehbar begründet, in welchem Maße der weitere Beteiligte durch die Aufgaben der vorläufigen Verwaltung stärker als allgemein üblich in Anspruch genommen worden ist und inwieweit der Tätigkeitsumfang daher auch in einer vom Normalfall abweichenden Festsetzung der Vergütung Niederschlag finden muss. Nach der Begründung des Beschwerdegerichts ist weder auszuschließen, dass der Mehraufwand in zu geringem, noch dass er - was auf die Beschwerde des weiteren Beteiligten allerdings nicht zu einer Schlechterstellung in der Gesamthöhe führen könnte (vgl. BGH, Beschl. v. 6.5.2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 124) - vom Insolvenzgericht bereits in zu hohem Maße berücksichtigt worden ist. Der für die Bewertung der Angemessenheit des Gesamtzuschlags neben den Überschneidungen der einzelnen Zuschlagstatbestände herangezogene Gesichtspunkt der Höhe des Stundensatzes, der sich aus der gewährten Erhöhung von 75 % bei Zugrundelegung der vom Beschwerdegericht geschätzten Zahl der aufgewendeten Arbeitsstunden des Verwalters ergebe, verschiebt die Maßstäbe. Der darin vorgenommene Vergleich mit Stundensätzen ist, wie der Senat bereits entschieden hat, kein geeignetes Kriterium für die Bemessung der Höhe des Vergütungssatzes (BGH, Beschl. v. 1.3.2007 - IX ZB 278/05, ZInsO 2007, 370 Rz. 11 m.w.N.). Eine solche Vergleichsrechnung widerspräche dem System der insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung. Der Verordnungsgeber hat die Vergütungsregelung insb. im Interesse der Rechtssicherheit, leichterer Handhabbarkeit und Entlastung der Gerichte so ausgestaltet, dass sich die Vergütung nach einer festzustellenden Bemessungsgrundlage bemisst (vgl. BGH, Beschl. v. 15.1.2004 - IX ZB 96/03, BGHZ 157, 282, 287). Eine Vergütungsbemessung nach dem Arbeits- und Kostenaufwand im Einzelfall und eine Berechnung nach Stundensätzen kommt danach nicht in Betracht (BGH, Beschl. v. 15.1.2004, a.a.O., S. 301, vom 1.3.2007, a.a.O.).
Rz. 13
4. Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif und daher an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO). Bei der erneuten Entscheidung wird das Beschwerdegericht zu berücksichtigen haben, dass der Wert des mit Grundpfandrechten belasteten Immobiliareigentums der Schuldnerin i.H.v. 1,6 Mio. EUR in die von dem weiteren Beteiligten zugrunde gelegte Berechnungsgrundlage eingeflossen ist und diese damit in beträchtlichem Umfang erhöht hat. Feststellungen zu einer Befassung des weiteren Beteiligten mit den Vermögensgegenständen in erheblichem Umfang (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV) sind bisher nicht getroffen. Soweit sich im Rahmen der Überprüfung der Berechnungsgrundlage (vgl. BGH, Beschl. v. 28.9.2006 - IX ZB 108/05, NZI 2007, 45 Rz. 5 ff.) nach den insoweit nachzuholenden Feststellungen die Einbeziehung des Wertes der Immobilie rechtfertigt (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 10.6.2021 - IX ZB 51/19 WM 2021, 1503 Rz. 15, 24), erhält der vorläufige Insolvenzverwalter eine Vergütung für den aus der erheblichen Befassung mit dem Vermögensgegenstand entstandenen Aufwand. Da nach der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung vergütungsrelevante Umstände nicht doppelt berücksichtigt werden dürfen, können solche über die Erhöhung der Berechnungsgrundlage vergütete Tätigkeiten nicht mehr herangezogen werden, um einen Zuschlag zu rechtfertigen (BGH, Beschl. v. 10.6.2021 - IX ZB 51/19, a.a.O., Rz. 39 vgl. insoweit bereits zum alten Recht: BGH, Beschl. v. 14.12.2000 - IX ZB 105/00, BGHZ 146, 165, 177; v. 23.9.2004 - IX ZB 215/03, NZI 2004, 665). Das Beschwerdegericht wird daher insb. eine etwaige Überschneidung der die Einstellung des Werts des Grundstücks in die Berechnungsgrundlage begründenden Tätigkeiten mit den geltend gemachten Zuschlägen für die Bearbeitung von Aus- und Absonderungsrechten sowie die Verwaltung des Grundeigentums zu beachten haben.
Rz. 14
Bei der Bewertung der Angemessenheit des Gesamtzuschlags wird angesichts einer für die Berechnungsgrundlage maßgeblichen Masse von rund 2,5 Mio. EUR weiter zu beachten sein, dass in einem größeren Insolvenzverfahren der regelmäßig anfallende Mehraufwand des Verwalters im Grundsatz bereits dadurch abgegolten wird, dass die größere Vermögensmasse zu einer höheren Vergütung führt (vgl. BGH, Beschl. v. 21.9.2017 - IX ZB 28/14 WM 2017, 2028 Rz. 24; v. 29.4.2021 - IX ZB 58/19 WM 2021, 1194 Rz. 16; , InsVV, 6. Aufl., § 11 Rz. 106 f.). Zuschläge für einen quantitativ höheren Aufwand setzen daher voraus, dass der tatsächlich erforderliche Aufwand in dem fraglichen Verfahrensabschnitt - hier im Eröffnungsverfahren - erheblich über dem bei vergleichbaren Massen Üblichen liegt (BGH, Beschl. v. 21.9.2017, a.a.O.; vom 29.4.2021, a.a.O.). Auch diese Betrachtung wird nachzuholen sein.
Fundstellen
Haufe-Index 14901053 |
BB 2021, 2625 |
DStR 2021, 14 |
NJW 2021, 9 |
EWiR 2022, 15 |
WM 2021, 2207 |
ZIP 2021, 2346 |
ZIP 2021, 85 |
DZWir 2023, 160 |
JZ 2021, 739 |
NZI 2021, 1076 |
Rpfleger 2022, 2 |
Rpfleger 2022, 95 |
ZInsO 2021, 2454 |
ZInsO 2023, 1507 |
InsbürO 2022, 133 |
ZVI 2022, 38 |
ZRI 2021, 969 |