Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs
Leitsatz (redaktionell)
Es verletzt den Grundsatz rechtlichen Gehörs, wenn das Berufungsgericht auf entscheidungserhebliche Darlegungen einer Partei, auf die das erstinstanzliche Gericht seine Entscheidung mit gegründet hatte, nicht eingeht und ohne weitere Begründung den Darlegungen der Gegenpartei folgt.
Normenkette
GG Art. 103; ZPO § 544 Abs. 7
Verfahrensgang
OLG Naumburg (Urteil vom 01.04.2003; Aktenzeichen 9 U 205/02) |
LG Dessau (Entscheidung vom 11.10.2002; Aktenzeichen 6 O 52/02) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 1. April 2003 zugelassen.
Auf die Revision der Beklagten wird das vorgenannte Urteil aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 22.800 EUR
Tatbestand
I.
Mit am 29. Dezember 2000 beantragtem und am 3. April 2001 zugestelltem Mahnbescheid verlangte der Kläger 45.231,18 DM Mietrückstand nebst Kosten und teilweise kapitalisierten Zinsen aus zwei Gewerbemietverträgen, die die Beklagte in beiden Fällen mit ihm und einem Dritten als Vermietern geschlossen hatte.
Er bezifferte den ursprünglichen Mietrückstand für die Jahre 1995 bis 1998 auf insgesamt 64.050,08 DM; hiervon sei der Rückstand aus 1995 (16.167,20 DM) und ein Teilbetrag von 2.652,70 DM des Rückstandes aus 1996 dadurch getilgt, dass er insoweit die Aufrechnung gegen zwei unstreitige Gegenforderungen der Beklagten von zusammen 18.818,90 DM erklärt habe.
Nachdem die Beklagte Widerspruch eingelegt und eingewandt hatte, die geltend gemachte Forderung stehe beiden Vermietern zur gesamten Hand zu und könne nicht vom Kläger allein eingeklagt werden, legte der Kläger eine von ihm und dem Dritten unterzeichnete Erklärung vom 23. Mai 2002 vor, mit der dieser vorsorglich seine Ansprüche gegen die Beklagte abtrat und sich damit einverstanden erklärte, dass der Kläger die Ansprüche im eigenen Namen geltend mache.
Die Beklagte berief sich im Folgenden – nunmehr in erster Linie – auf Verjährung der bis Ende 1997 angefallenen Rückstände, weil die Erklärung vom 23. Mai 2002 nicht rückwirkend zur Unterbrechung der Verjährung durch die Zustellung des von einem Nichtberechtigten erwirkten Mahnbescheides geführt habe (unter Hinweis auf BGH NJW 1972, 1580).
Gegen die Forderung aus dem Jahr 1998 (17.668,48 DM) wandte sie ein, diese sei durch Aufrechnung mit den beiden unstreitigen Gegenforderungen von zusammen 18.818,90 DM erloschen. Diese Gegenansprüche hätten ungeachtet der zuvor vom Kläger erklärten Aufrechnung mit Mietrückständen aus 1995 und 1996 fortbestanden, weil der Kläger zur Aufrechnung mit diesen Ansprüchen der Vermietergemeinschaft nicht befugt gewesen sei. Hilfsweise rechne sie insoweit mit einer weiteren Gegenforderung von 17.400 DM auf.
Das Landgericht wies die Klage sowohl mit dem Hauptantrag als auch mit dem auf Zahlung an den Kläger und den Dritten als Gesamtberechtigte gerichteten Hilfsantrag ab. Zur Begründung führte es aus, der Hauptantrag sei schon deshalb unbegründet, weil der Kläger auch durch die Abtretungserklärung nicht Inhaber der Forderung geworden sei. Eine solche Abtretung sei rechtlich nicht möglich, weil der Mietzinsanspruch mehrerer Vermieter auf eine im Rechtssinne unteilbare Leistung gerichtet sei. Zum Hilfsantrag folgte es der Auffassung der Beklagten in allen vorstehend wiedergegebenen Punkten.
Auf die Berufung des Klägers änderte das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung ab und verurteilte die Beklagte auf den Hauptantrag unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 13.904,36 EUR (27.194,57 DM) nebst Zinsen an den Kläger. Dabei ging es von einem restlichen, nicht verjährten Zahlungsanspruch für die Jahre 1996 bis 1998 in Höhe von 44.594,57 DM aus, der in Höhe von 17.400 DM durch Aufrechnung mit der weiteren Gegenforderung der Beklagten erloschen sei. Die beiden unstreitigen Gegenforderungen stünden für eine weitere Aufrechnung nicht mehr zur Verfügung, da sie ihrerseits durch Aufrechnung des Klägers mit Forderungen aus 1995 erloschen seien. Die Revision ließ es nicht zu. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist statthaft. Die erforderliche Revisionsbeschwer des § 26 Nr. 8 EGZPO ist erreicht, weil sich die Beschwer der Beklagten, die sie mit der Revision geltend machen will, aus der Addition der zugesprochenen Klageforderung (13.904,36 EUR) und ihrer nach den Entscheidungsgründen durch Hilfsaufrechnung erloschenen Gegenforderung (17.400 DM = 8.896,48 EUR) zusammensetzt (vgl. Thomas/Putzo/Reichold ZPO § 511 Rdn. 16 m.N.).
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 544 ZPO). Die Zulassung der Revision war geboten, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt hat und deshalb die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (BGH, Beschluss vom 11. Mai 2004 – XI ZB 39/03 – BGHZ 159, 135, 139 ff = NJW 2004, 2222 = WM 2004, 1407 = MDR 2004, 1135 unter II 2 b m.w.N.). Der Durchführung des Revisionsverfahrens bedarf es jedoch zur Behebung dieses Verfahrensfehlers nicht; vielmehr kann das Revisionsgericht in Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach der am 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Vorschrift des § 544 Abs. 7 ZPO, die durch Art. 1 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) eingefügt worden ist, in dem der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Beschluss unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat hier Gebrauch.
2. Zu Recht rügt die Nichtzulassungsbeschwerde, dass das Berufungsgericht das Verfahrensgrundrecht der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt hat.
Das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gebietet es, dass sich das Gericht mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags einer Partei auseinandersetzt. Zwar muss nicht jede Erwägung in den Urteilsgründen ausdrücklich erörtert werden (§ 313 Abs. 3 ZPO). Aus dem Gesamtzusammenhang der Gründe muss aber hervorgehen, dass das Gericht das zentrale, entscheidungserhebliche Vorbringen einer Partei berücksichtigt und in seine Überlegungen mit einbezogen hat (BVerfG ZIP 1992, 1020, 1023 f.).
a) Daran fehlt es hier. Die Beklagte hatte in erster Instanz ihre Rechtsansicht zu einem entscheidungserheblichen Punkt dargelegt, indem sie geltend machte, der Mahnbescheid habe die Verjährung der bis Ende 1997 entstandenen Klageforderungen nicht unterbrochen, weil der Mahnbescheid nicht vom Berechtigten erwirkt worden sei. Die erst mit der Erklärung vom 23. Mai 2002 erteilte Ermächtigung zur Prozessführung wirke insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Einreichung des Mahnantrages zurück. Dieser (zutreffenden) Ansicht hat das Landgericht sich angeschlossen und seine Entscheidung, auch den Hilfsantrag abzuweisen, im Wesentlichen darauf gestützt. Den dagegen gerichteten Angriffen der Berufung des Klägers ist die Beklagte im zweiten Rechtszug erneut unter (zutreffendem) Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 30. Mai 1972 – I ZR 75/71 – NJW 1972, 1580) entgegengetreten und hat das erstinstanzliche Urteil verteidigt.
Darauf geht das Berufungsgericht in den Urteilsgründen mit keinem Wort ein. Seine Ansicht, der Mahnbescheid habe die Verjährung unterbrochen, ist insoweit nicht mit Gründen versehen. Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, aus welchen Erwägungen das Berufungsgericht der Rechtsauffassung der Berufung gefolgt ist und nicht der vom Landgericht geteilten Auffassung der Beklagten. Damit ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht diesen Vortrag nicht berücksichtigt und in seine Überlegungen einbezogen hat.
b) Etwas anderes könnte nur gelten, wenn das Berufungsgericht die Frage der Rückwirkung der Erklärung vom 23. Mai 2002 als nicht entscheidungserheblich erklärt hätte, etwa weil der Kläger auch schon zuvor prozessführungsbefugt gewesen sei. Das ist seinen Urteilsgründen aber nicht zu entnehmen.
Das Berufungsgericht führt zwar auf Seite 4 oben seiner Entscheidung aus, der Kläger sei aufgrund der Abtretungserklärung aktivlegitimiert; zumindest lägen die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozeßstandschaft vor. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht auch insoweit jegliche Begründung vermissen lässt, warum es die Abtretung entgegen der Auffassung des Landgerichts für wirksam hält, ist dem aber nicht zu entnehmen, das Berufungsgericht sei davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozeßstandschaft oder gar die Sachbefugnis des Klägers seiner Auffassung nach nicht erst nach der Erklärung vom 23. Mai 2002, sondern auch schon bei Beantragung des Mahnbescheids vorgelegen hätten.
Dies ergibt sich auch nicht aus der in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht zitierten Rechtsprechung, die im übrigen eine Begründung nicht zu ersetzen vermag:
aa) Dem Hinweis des Berufungsgerichts auf die eigene Rechtsprechung (Urteil vom 19. Februar 2002 – 9 U 199/01 –) vermag das Revisionsgericht nichts zu entnehmen, weil dieses Urteil nicht beigefügt wurde und offenbar nicht veröffentlicht, zumindest aber in der Rechtsprechungsdatenbank JURIS nicht zu ermitteln ist.
bb) Die weiter zitierten Entscheidungen liegen neben der Sache. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf (Grundeigentum 2003, 183) befasst sich damit, ob die Gesamtheit der Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts deren Ansprüche im eigenen Namen geltend machen kann. Die Entscheidungen des LG Darmstadt (Urteil vom 29. März 1990 – 6 S 235/89 – JURIS) und des LG Bremen (Urteil vom 2. September 1993 – 6 S 114/93 – JURIS) befassen sich mit der gewillkürten Prozeßstandschaft eines Hausverwalters.
Hier liegen weder Anhaltspunkte, geschweige denn Feststellungen dazu vor, dass der Kläger Verwalter der Vermietergemeinschaft gewesen sei oder deren Mitglieder eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gebildet hätten, abgesehen davon, dass auch im letzteren Fall nach der Entscheidung des OLG Düsseldorf keine Prozessführungsbefugnis eines einzelnen Gesellschafters bestanden hätte.
Aber selbst dann, wenn das Berufungsgericht diesen Entscheidungen rechtsirrig entnommen hätte, der Kläger sei von Anfang an prozessführungsbefugt gewesen, hätte dies eine Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zur Frage der Unterbrechung der Verjährung durch den Mahnbescheid und insbesondere mit der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesgerichtshofes nicht erübrigen können. Denn die Klage eines Nichtberechtigten, der die Forderung erst später erwirbt oder bei dem die Voraussetzungen einer gewillkürten Prozeßstandschaft vorliegen, unterbricht die Verjährung erst mit dem Wirksamwerden des Erwerbs bzw. erst dann, wenn er zum Ausdruck bringt, dass er ein fremdes Recht im eigenen Namen kraft einer ihm erteilten Ermächtigung geltend macht (BGH, Urteil vom 30. Mai 1972 aaO; BGHZ 78, 1, 6). Daran fehlte es hier bis zur Vorlage der Erklärung vom 23. Mai 2002.
Dem Berufungsgericht kann nicht unterstellt werden, dies alles verkannt und die zentrale Frage der Rückwirkung deshalb für nicht entscheidungserheblich angesehen zu haben.
3. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Beklagte gegenüber dem Rückstand aus 1998 in erster Linie mit ihren beiden unstreitigen Gegenforderungen aufgerechnet hatte. Das Berufungsgericht hätte daher die (nur gegen diesen Teil der Forderung) erklärte Hilfsaufrechnung mit dem weiteren Gegenanspruch von 17.400 DM nicht durchgreifen lassen dürfen, ohne zuvor zu prüfen, ob der restliche Mietzinsanspruch aus 1998 bereits – wie auch vom Landgericht angenommen – durch die von der Beklagten zunächst erklärte Aufrechnung erloschen war. Auch insoweit ist das Urteil nicht mit Gründen versehen.
Unterschriften
Hahne, Sprick, Fuchs, Ahlt, RiBGH Dr. Vézina ist urlaubsbedingt verhindert zu unterschreiben. Hahne
Fundstellen