Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs. Berufungsgericht. Nichtzulassung neuen Vorbringens. Zurückweisung entscheidungserheblichen nicht substantiierten Vortrags. Unmissverständlicher Hinweis auf Ergänzungmöglichkeit. Zurückweisung neuen Vorbringens. Verfahrensfehler. Nichtzulassungsbeschwerde. Aufhebung Berrufungsurteil und Zurückverweisung
Leitsatz (amtlich)
a) Das Gebot aus Art. 103 Abs. 1 GG, rechtliches Gehör zu gewähren, ist jedenfalls dann verletzt, wenn das Berufungsgericht neues Vorbringen unter offensichtlich fehlerhafter Anwendung des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zur Verhandlung zulässt (BVerfG v. 26.10.1999 - 2 BvR 1292/96, NJW 2000, 945 [946], zur Präklusion).
b) Ein solcher Fehler liegt vor, wenn im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen worden ist, ohne dass der Partei durch einen unmissverständlichen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, und das Berufungsgericht auch das neue, nunmehr substantiierte Vorbringen unter Hinweis auf § 531 Abs. 2 ZPO zurückweist.
c) Wird ein solcher Verfahrensfehler in einer Nichtzulassungsbeschwerde gerügt, kann das Berufungsgericht im Beschlusswege nach § 544 Abs. 7 ZPO das Berufungsurteil aufheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
Normenkette
ZPO § 531 Abs. 2, § 544 Abs. 7
Verfahrensgang
LG Schweinfurt (Urteil vom 08.09.2004; Aktenzeichen 43 S 76/03) |
AG Bad Neustadt a.d. Saale |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Schweinfurt v. 8.9.2004 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 65.344,29 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Zahlung einer Geldrente und von Krankenkassenbeiträgen aus einem Vertrag über die Überlassung landwirtschaftlichen Grundbesitzes unter Übernahme von Leistungen zum vollständigen Unterhalt durch den Übernehmer.
Die Klägerin ist seit dem 20.4.2001 in einem Seniorenheim untergebracht. Sie hat nach ihrer Aufnahme in das Heim von dem Beklagten die Zahlung einer Geldrente für ersparte Leistungen aus dem Leibgedingsvertrag sowie die Zahlung der Beiträge zur Krankenversicherung einschließlich des Beitrags zur Pflegeversicherung verlangt, was der Beklagte ablehnte.
Die Klage hat vor dem AG Erfolg gehabt, die Berufung des Beklagten hat das LG zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat der Beklagte Nichtzulassungsbeschwerde erhoben, mit der er auch die Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf rechtliches Gehör wegen der Nichtzulassung seines Vortrages zur unzureichenden Leistungsfähigkeit des Betriebes gerügt hat.
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist begründet.
1. Das LG ist zwar rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass die Klägerin aus Art. 18 S. 1 BayAGBGB von dem Beklagten eine Geldrente für dessen Befreiung von der Pflicht zur Gewährung der Wohnung und zu Dienstleistungen verlangen kann. Die Erforderlichkeit der Unterbringung der Klägerin in einem Pflegeheim ist in den Vorinstanzen festgestellt worden. Für derartige Fälle hat der Senat bereits entscheiden, dass der Übernehmer des landwirtschaftlichen Anwesens, der seine Verpflichtungen zur Gewährung von Unterkunft und Pflege auf dem Grundstück wegen einer medizinisch notwendigen Unterbringung des Berechtigten in einem Pflegeheim nicht mehr erfüllen kann, sich in Höhe der ersparten Aufwendungen an den Kosten des Pflegeheimes beteiligen muss (BGH, Urt. v. 21.9.2001 - V ZR 14/01, MDR 2002, 271 = BGHReport 2002, 214 = DNotZ 2002, 702 [705]; Beschl. v. 23.1.2003 - V ZB 48/02, BGHReport 2004, 716 = NJW-RR 2003, 577 [578]).
2. Die Entscheidung kann aber nicht bestehen bleiben, weil das LG den Einwendungen des Beklagten über die unzureichende Leistungsfähigkeit des übernommenen Hofes für eine Rente in der festgesetzten Höhe nicht nachgegangen ist. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist wegen des gerügten Verfahrensfehlers begründet.
a) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht den Vortrag und die Beweisantritte in den Schriftsätzen v. 25.5.2004 und v. 16.7.2004 dazu, dass die Leistungsfähigkeit des übernommenen landwirtschaftlichen Anwesens zur Zahlung der zuerkannten Geldrente nicht ausreiche, unter Hinweis auf § 531 ZPO nicht zur Verhandlung und Entscheidung zugelassen. Es hätte dem Vortrag nach § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nachgehen müssen, weil das Vorbringen auf Grund eines Verfahrensmangels des Erstgerichts nicht geltend gemacht worden war. Nach dieser Vorschrift ist neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn das Eingangsgericht die nach § 139 Abs. 1 S. 2 ZPO gebotenen Hinweise unterlassen hat, damit sich die Parteien rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, ungenügende Angaben ergänzen und die anzubietenden Beweismittel bezeichnen können (BGH v. 19.3.2004 - V ZR 104/03, BGHZ 158, 295 [305], unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drucks. 14/4722, 101).
Diese Hinweise waren in erster Instanz nicht erteilt worden. Der Beschluss des AG v. 8.3.2002, auf den das LG verwiesen hat, vermag die Nichtzulassung des neuen Vortrags und der dazu angebotenen Beweise nicht zu tragen. Jener Beschluss enthielt zwar umfängliche Hinweise zu den für die Entscheidung zu beachtenden rechtlichen Gesichtspunkten und forderte die Parteien zu einer Stellungnahme auf. Es fehlte aber jeder Hinweis darauf, dass der Vortrag des Beklagten zu der nicht vorhandenen Leistungsfähigkeit nicht den Anforderungen genügte, um im Rahmen der Ausübung billigen Ermessens durch das Gericht bei der Bestimmung der Höhe der Geldrente nach Art. 18 S. 1 BayAGBGB berücksichtigt werden zu können. Das Gericht erfüllt seine Hinweispflicht nicht dadurch, dass es allgemeine und pauschale Hinweise erteilt; es muss vielmehr die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, den es als entscheidungserheblich ansieht, unmissverständlich hinweisen und ihnen damit die Möglichkeit eröffnen, dieses Vorbringen zu ergänzen (BGH, Urt. v. 25.6.2002 - X ZR 83/00, BGHReport 2002, 966 = MDR 2002, 1183 = NJW 2002, 3317 [3320]).
b) Die Zurückweisung des unter Beweis gestellten Vortrags des Beklagten verletzt dessen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Zwar führt nicht jeder Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht in erster Instanz und jede fehlerhafte Zurückweisung neuen Vorbringens im Berufungsrechtszug auch zu einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts. Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Berufungsgericht jedoch dazu, neues Vorbringen dann zuzulassen, wenn eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der richterlichen Fürsorgepflicht das Ausbleiben des Vorbringens in der Eingangsinstanz mitverursacht hat (BVerfG v. 26.10.1999 - 2 BvR 1292/96, NJW 2000, 945 [946]). Ist im Urteil des erstinstanzlichen Gerichts Vortrag zu einem entscheidungserheblichen Punkt mangels hinreichender Substantiierung zurückgewiesen worden, ohne dass der Partei durch einen unmissverständlichen Hinweis Gelegenheit zur Ergänzung gegeben war, stellt sich die Zurückweisung des neuen, nunmehr substantiierten Vortrags im Berufungsrechtszug als eine offenkundig unrichtige Anwendung des § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO dar. Ein solches Vorgehen des Gerichts kommt einer Verhinderung des Vortrages zu entscheidungserheblichen Punkten gleich (BVerfG v. 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188 [190]).
c) Das Ausgangsurteil beruht auch auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Dies ist bereits dann so, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens anders entschieden hätte (BGH, Urt. v. 18.7.2003 - V ZR 187/02, BGHReport 2003, 1231 m. Anm. Kramer = MDR 2004, 48 = NJW 2003, 3205 f., unter Hinweis auf die Rspr. des BVerfG).
Insoweit gilt für die Bemessung einer Geldrente anstelle von Unterbringung und der Erbringung von Pflegeleistungen auf dem Grundstück aus Art. 18 S. 1 BayAGBGB der allgemeine Grundsatz, dass durch einen Altenteilsvertrag dem Verpflichteten nicht höhere Leistungen auferlegt werden sollen, als er aus der Hofstelle bewirken kann (BGHZ 25, 293 [298]). Ist eine Rente nach Art. 18 S. 1 BayAGBGB festzusetzen, so ist es geboten, den rechnerischen Wert der Einzelleistungen auch dahin zu überprüfen, ob die sich daraus ergebende monatliche Geldleistung vom Verpflichteten aus den Erträgnissen des Hofes billigerweise in voller Höhe gewährt werden kann (BayObLGZ 1974, 386 [395 f.]).
3. Der Senat hat von der Möglichkeit der Aufhebung und Zurückverweisung durch Beschluss nach § 544 Abs. 7 ZPO Gebrauch gemacht. Das gibt dem LG Gelegenheit, die notwendigen Feststellungen zur Ertragskraft der überlassenen Hofstelle nachzuholen und im Anschluss daran das Ermessen zur Bestimmung der Höhe der Rente neu auszuüben.
III.
Die Entscheidung über den Streitwert der Beschwerde folgt aus § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, §§ 3, 9 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 1394856 |
BB 2005, 1818 |
NJW 2005, 2624 |
BGHR 2005, 1346 |
MDR 2005, 1365 |