Leitsatz (amtlich)
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 22. Juni 2022 - XII ZB 544/21, FamRZ 2022, 1556).
Normenkette
BGB § 104 Abs. 2, § 1814 Abs. 3 S. 2 Nr. 1; FamFG § 26
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Entscheidung vom 28.05.2024; Aktenzeichen 25 T 86/24) |
AG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.11.2023; Aktenzeichen 98 XVII 133/23) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 25. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 28. Mai 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Betroffene wendet sich gegen die Bestellung eines beruflichen Betreuers.
Rz. 2
Der im Jahr 1939 geborene Betroffene, der an einer Demenz vom Alzheimer Typ leidet, hatte im Jahr 2019 seiner Nichte eine Generalvollmacht erteilt. Am 27. November 2022 erteilte er Herrn A. eine schriftliche Vorsorgevollmacht, die am 29. November 2022 notariell beglaubigt wurde und in der der Vollmachtnehmer hinsichtlich der Aufgabenbereiche Gesundheitssorge und Postangelegenheiten bevollmächtigt wurde. Mit notarieller Urkunde vom 11. Mai 2023 erteilte er Herrn A. eine Generalvollmacht, in der auch die Regelung enthalten ist, dass der Bevollmächtigte zum Betreuer bestellt werden soll, wenn dies trotz der Erteilung der Vollmacht erforderlich werden sollte. Am 26. April 2023 widerrief der Betroffene die seiner Nichte im Jahr 2019 erteilte Generalvollmacht.
Rz. 3
Auf Anregung des Gesundheitsamts der Stadt D. hat das Amtsgericht den Beteiligten zu 1 zum beruflichen Betreuer mit umfassendem Aufgabenkreis bestellt und einen Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögensangelegenheiten angeordnet. Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Der Betroffene komme wegen seiner Erkrankung nicht ohne Hilfe einer anderen Person im täglichen Leben zurecht. Die vom Betroffenen zu Gunsten von Herrn A. erteilte notarielle Vollmacht vom 11. Mai 2023 sei unwirksam. Zum Zeitpunkt der Ausstellung der Vollmacht sei der Betroffene bereits geschäftsunfähig gewesen. Aussagekräftige ärztliche Atteste, die dieser Annahme des Sachverständigen entgegenstehen würden, habe der Betroffene auch nach einem entsprechenden richterlichen Hinweis nicht eingereicht. Gleiches gelte für die durch den Betroffenen ausgestellte Vollmacht vom 27. November 2022. Zwar habe der Sachverständige ein genaues Datum, zu dem der Betroffene geschäftsunfähig gewesen sei, nicht angeben können. Er habe aber festgestellt, dass die Geschäftsunfähigkeit mit Sicherheit Ende des Jahres 2022 bereits bestanden habe. Wo genau die zeitliche Grenze zum Ende des Jahres verlaufe, könne dahinstehen. Denn umfasst sei zumindest auch der 27. November 2022, da die Erkrankung des Betroffenen nicht plötzlich aufgetreten sei, sondern schleichend in ihrer Intensität zunehme. Daher komme es für die Beurteilung der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen auf wenige Tage nicht an. Ob Herr A. auf Antrag des Betroffenen die Betreuung zukünftig werde übernehmen können, sei nicht Gegenstand des jetzigen Verfahrens.
Rz. 6
2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rz. 7
a) Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Feststellungen des Beschwerdegerichts verfahrensfehlerhaft getroffen worden sind, weil im Beschwerdeverfahren von einer erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen worden ist.
Rz. 8
aa) Vor der Bestellung eines Betreuers hat das Gericht gemäß § 278 Abs. 1 FamFG den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen. Die Pflicht zur persönlichen Anhörung des Betroffenen besteht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren. Zwar räumt § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG dem Beschwerdegericht auch im Betreuungsverfahren die Möglichkeit ein, von einer erneuten Anhörung des Betroffenen abzusehen. Dies setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung zwingender Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind.
Rz. 9
bb) Danach durfte das Beschwerdegericht nicht von einer Anhörung des Betroffenen absehen, weil die vom Amtsgericht durchgeführte Anhörung verfahrensfehlerhaft war.
Rz. 10
(1) Wird der Betroffene vor dem Amtsgericht angehört, ohne dass ihm zuvor das Sachverständigengutachten in ausreichender Weise bekanntgegeben wurde, leidet diese Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Denn die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Dies erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Senats, der der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 278 Abs. 2 Satz 1 FamFG durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 (BGBl I S. 882) Rechnung getragen hat, dass der Betroffene vor der Entscheidung im Besitz des vollständigen Gutachtens ist und ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich zu äußern. Holt das Gericht nach Eingang eines schriftlichen Sachverständigengutachtens eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen ein, die inhaltlich über das bereits vorliegende Gutachten hinausgeht, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dem Betroffenen vor der persönlichen Anhörung allein das erste Sachverständigengutachten übermittelt wird. Denn dadurch wird dem Betroffenen hinsichtlich der ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen jede Möglichkeit genommen, sich auf den Anhörungstermin ausreichend vorzubereiten und durch die Erhebung von Einwendungen und durch Vorhalte an den Sachverständigen eine andere Einschätzung zu erreichen (vgl. Senatsbeschluss vom 22. September 2021 - XII ZB 146/21 - FamRZ 2022, 56 Rn. 8 f. mwN).
Rz. 11
(2) So liegen die Dinge hier. Das Amtsgericht hat zwar vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen dessen Verfahrensbevollmächtigten das Sachverständigengutachten vom 24. Mai 2023 übersandt. Dass auch die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 17. Juli 2023 zu der Frage, ab wann von der Geschäftsunfähigkeit des Betroffenen auszugehen ist, dem Betroffenen oder dessen Verfahrensbevollmächtigten übermittelt worden wäre, ist hingegen weder festgestellt noch sonst ersichtlich.
Rz. 12
b) Wie die Rechtsbeschwerde ebenfalls zutreffend rügt, beruht die Feststellung des Landgerichts, der Betroffene sei bei Erteilung der Vorsorgevollmacht vom 27. November 2022 geschäftsunfähig gewesen, auf einer unzureichenden, § 26 FamFG nicht genügenden Sachaufklärung.
Rz. 13
aa) Nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuerbestellung erforderlich ist. An der Erforderlichkeit fehlt es, soweit die Angelegenheiten des Betroffenen durch einen Bevollmächtigten gleichermaßen wie durch einen Betreuer besorgt werden können (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB). Eine Vorsorgevollmacht steht daher der Bestellung eines Betreuers grundsätzlich entgegen. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Erteilung der Vollmacht unwirksam war, weil der Betroffene zu diesem Zeitpunkt geschäftsunfähig i.S.v. § 104 Nr. 2 BGB war, steht die erteilte Vollmacht einer Betreuerbestellung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2022 - XII ZB 544/21 - FamRZ 2022, 1556 Rn. 17 mwN).
Rz. 14
Die Frage, ob der Betroffene im Zeitpunkt der Vollmachterteilung nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig war, hat das Gericht nach § 26 FamFG von Amts wegen aufzuklären. Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen hat es von Amts wegen nachzugehen. Dabei entscheidet der Tatrichter über Art und Umfang seiner Ermittlungen grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (Senatsbeschluss vom 22. Juni 2022 - XII ZB 544/21 - FamRZ 2022, 1556 Rn. 18 f. mwN).
Rz. 15
bb) Nach diesen Maßstäben hat das Beschwerdegericht die Frage der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen jedenfalls zum Zeitpunkt der Vollmachterteilung im November 2022 nicht hinreichend ausermittelt.
Rz. 16
Das Beschwerdegericht hat sich zur Begründung seiner Annahme, der Betroffene sei bei der Erteilung der Vollmachten vom 27. November 2022 und 11. Mai 2023 geschäftsunfähig gewesen, allein auf die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen vom 17. Juli 2023 gestützt. Darin hat dieser auf die Frage des Amtsgerichts, ab wann der Betroffene geschäftsunfähig gewesen sei, ausgeführt, dass er dies aufgrund der ihm vorliegenden aktuellen Informationen nicht beantworten könne. Aufgrund der Art der Erkrankung und der aktuellen Symptomatik sei jedoch „mit Sicherheit aktuell zu erwähnen, dass bei dem Betroffenen seit Ende des Jahres 2022, Anfang des Jahres 2023 keine Geschäftsfähigkeit vorhanden“ gewesen sei.
Rz. 17
Mit dieser Aussage des Sachverständigen lässt sich nicht die sichere positive Feststellung treffen, dass die am 27. November 2022 vom Betroffenen erteilte Vollmacht unwirksam ist. Bei Wirksamkeit dieser Vollmacht wäre die Bestellung eines Betreuers jedenfalls für die Aufgabenbereiche der Gesundheitssorge und der damit zusammenhängenden Postangelegenheiten nicht erforderlich (§ 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB).
Rz. 18
3. Die angefochtene Entscheidung kann somit keinen Bestand haben. Der Senat kann insoweit nicht abschließend in der Sache entscheiden, da diese nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG). Die Sache ist daher gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur Nachholung der notwendigen Feststellungen an das Landgericht zurückzuverweisen.
Rz. 19
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
Rz. 20
Für den Fall, dass das Landgericht nach Durchführung der erforderlichen Ermittlungen weiterhin die Einrichtung einer Betreuung für erforderlich i.S.v. §§ 1814 Abs. 3 Satz 1, 1815 Abs. 1 Satz 3 BGB hält, wird es im Wege der dann zu treffenden Einheitsentscheidung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. April 2022 - XII ZB 451/21 - FamRZ 2022, 1130 Rn. 14 mwN und vom 20. Juni 2018 - XII ZB 39/18 - FamRZ 2018, 1533 Rn. 8 mwN) selbst über die Betreuerauswahl zu befinden haben. Dabei wird es zu prüfen haben, ob der Betroffene einen nach § 1816 Abs. 2 Satz 1 BGB beachtlichen Betreuerwunsch geäußert hat, nachdem in der Generalvollmacht vom 11. Mai 2023 eine Betreuungsverfügung zugunsten Herrn A. enthalten ist und der Betroffene - worauf die Rechtsbeschwerde zu Recht hinweist - im Verfahren mehrfach den Wunsch geäußert hat, dass sich Herr A. um seine Angelegenheiten kümmern soll. Ein solcher Betreuerwunsch erfordert weder Geschäftsfähigkeit noch natürliche Einsichtsfähigkeit. Vielmehr genügt, dass der Betroffene seinen Willen oder Wunsch kundtut, eine bestimmte Person solle sein Betreuer werden (Senatsbeschluss vom 4. Mai 2022 - XII ZB 118/21 - FamRZ 2022, 1559 Rn. 8).
Rz. 21
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
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Fundstellen
Haufe-Index 16717367 |
NJW 2025, 8 |