Entscheidungsstichwort (Thema)
Organisationsverschulden des Rechtsanwalts bei fehlerhafter Fristenkontrolle in Familiensachen
Leitsatz (amtlich)
Insbesondere in Familiensachen ist durch allgemeine Büroanweisung des Rechtsanwalts sicherzustellen, dass bei zwei oder mehr Rechtsmitteln in einem oder mehreren Verfahren derselben Partei auch am gleichen Tag ablaufende Fristen jeweils gesondert und unverwechselbar im Fristenkalender eingetragen werden (Fortführung von BGH, Beschl. v. 4.2.1987 - IVb ZB 132/86, FamRZ 1987, 1017 f.; v. 25.3.1992 - XII ZB 25/92, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 25).
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 2, § 233
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 19.07.2005; Aktenzeichen 15 UF 178/05) |
AG Ulm (Urteil vom 05.04.2005; Aktenzeichen 4 F 770/04) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 15. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Stuttgart v. 19.7.2005 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 11.438 EUR
Gründe
I.
Durch Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des AG v. 5.4.2005, dem Beklagten zugestellt am 14.4.2005, wurde dieser zu rückständigem und laufendem Trennungs- und Kindesunterhalt verurteilt.
Mit Telefax v. 15.6.2005 beantragte er, die Frist zur Begründung seiner rechtzeitig eingelegten Berufung bis zum 18.7.2005 zu verlängern. Noch am gleichen Tag ging ihm per Fax der gerichtliche Hinweis zu, dass die Begründungsfrist bereits am 14.6.2005 abgelaufen sei. Darauf beantragte der Beklagte mit am 29.6.2005 beim Berufungsgericht eingegangenem Schriftsatz, ihm gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren und die Begründungsfrist um einen Monat zu verlängern.
Am 29.6.2005 verfügte der Vorsitzende des Berufungssenats, dass die Begründungsfrist bis zum 14.7.2005 verlängert werde; die Begründung ging am 14.7.2005 ein.
Durch Beschluss v. 19.7.2005 wies das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung als unzulässig. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten, mit der er sein Wiedereinsetzungsgesuch weiterverfolgt und Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt.
II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil sich die angefochtene Entscheidung im Ergebnis als richtig erweist.
Die Berufung des Beklagten ist unzulässig, weil sie nicht rechtzeitig begründet wurde. Dem steht nicht entgegen, dass die Begründungsschrift innerhalb der vom Vorsitzenden bis zum 14.7.2005 verlängerten Begründungsfrist eingegangen ist. Denn diese Fristverlängerung war unwirksam, weil die Begründungsfrist bereits einen Tag vor Eingang des Verlängerungsantrages (15.6.2005) abgelaufen war (BGH v. 17.12.1991 - VI ZB 26/91, BGHZ 116, 377 [378 f.] = BRAK 1992, 175 = MDR 1992, 407). Das gilt auch, soweit der Antrag auf Fristverlängerung zugleich mit dem Wiedereinsetzungsgesuch wiederholt worden ist, da eine bereits versäumte Frist auch nicht im Verfahren der Wiedereinsetzung verlängert werden kann.
Der Beklagte hat zwar rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und die versäumte Prozesshandlung nachgeholt. Wiedereinsetzung war jedoch nicht zu gewähren.
2. Der Beklagte hat sein Wiedereinsetzungsgesuch wie folgt begründet:
Nach Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils am 14.4.2005 habe die zuverlässige Kanzleiangestellte H. seiner Prozessbevollmächtigten im Fristenbuch zunächst zutreffend den Ablauf der Berufungsfrist auf den 17.5.2005 (Dienstag nach Pfingsten) und den Ablauf der Begründungsfrist auf den 14.6.2005 sowie eine Vorfrist auf den 7.6.2005 eingetragen.
Während des Urlaubs der Angestellten H. habe die Kanzleiangestellte G. in der irrtümlichen Annahme, die Begründungsfrist laufe einen Monat nach Einlegung der Berufung ab, auf Grund der gerichtlichen Mitteilung, die Berufung sei am 17.5.2005 eingegangen, den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf den 17.6.2005 eingetragen, die zuvor hierfür zutreffend eingetragene Frist 14.6.2005 aber nicht gestrichen.
Am 31.5.2005 sei seiner Prozessbevollmächtigten der seinen Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückweisende Beschluss des AG zugestellt worden. Daraufhin habe seine Prozessbevollmächtigte der Kanzleiangestellten H. die Weisung erteilt, als Fristablauf für eine ggf. einzulegende Beschwerde hiergegen den 14.6.2005 zu notieren. Diese habe daraufhin im Fristenbuch unter der bereits auf diesen Tag notierten (Berufungsbegründungs-) Frist den Zusatz angebracht: "Ablauf sofortige Beschwerde PKH AG Ulm heute".
Am Tag der Vorfrist (7.6.2005) habe seine Prozessbevollmächtigte sodann nach Vorlage der erstinstanzlichen Akte entschieden, gegen die Verweigerung der Prozesskostenhilfe keine Beschwerde einzulegen. Daraufhin habe die Angestellte H. die Vorfrist und die auf den 14.6.2005 notierte Frist als erledigt gestrichen.
3. Das Berufungsgericht hat die begehrte Wiedereinsetzung mit der Begründung abgelehnt, die Prozessbevollmächtigte des Beklagten habe versäumt, bei ihrer Anweisung, den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist auf den 14.6.2005 einzutragen, zugleich die Eintragung einer Vorfrist anzuordnen. Bei deren Notierung und Beachtung hätte die Versäumung der Frist vermieden werden können. Außerdem hätte sie der erst ab 1.3.2005 bei ihr tätigen Angestellten G. während des Urlaubs der Angestellten H. nicht die selbständige Bearbeitung komplizierter Fristsachen überlassen dürfen.
4. Es kann dahinstehen, ob dies den Angriffen der Rechtsbeschwerde standhält, und insb., ob das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft den Vortrag des Beklagten übergangen hat, eine Vorfrist (auch für die Berufungsbegründung) sei notiert gewesen.
Auch ist es für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nicht ursächlich, dass die Angestellte G. den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist irrtümlich (zusätzlich) auf den 17.6.2005 notierte, da jedenfalls die zutreffend auf den 14.6.2005 notierte Frist bestehen blieb und deren Wahrung damit (zunächst) gewährleistet war.
Im Ergebnis kann dem Beklagten Wiedereinsetzung aber wegen eines ihm gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschuldens seiner Prozessbevollmächtigten nicht gewährt werden.
Dem Wiedereinsetzungsgesuch ist nämlich nicht zu entnehmen, dass in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Weisung bestand, wie in den - insb. in Familiensachen nicht seltenen - Fällen zu verfahren sei, dass in einem oder mehreren Verfahren der gleichen Parteien mehrere Fristen für Rechtsmittel gegen unterschiedliche Entscheidungen zu notieren sind.
Ein Rechtsanwalt muss aber durch geeignete Anweisungen sicherstellen, dass grundsätzlich bei zwei oder mehr Rechtsmitteln in der Angelegenheit eines Mandanten die Frist für jedes dieser Rechtsmittel auch bei gleichzeitigem Fristablauf gesondert notiert wird (BGH, Beschl. v. 4.2.1987 - IVb ZB 132/86, FamRZ 1987, 1017 [1018]). Ferner bedarf es einer allgemeinen Anweisung, die in mehreren Verfahren derselben Parteien laufenden Fristen deutlich unterscheidbar (entweder durch Angabe des Aktenzeichens oder zumindest durch einen Hinweis auf den Verfahrensgegenstand) im Fristenkalender einzutragen (BGH, Beschl. v. 25.3.1992 - XII ZB 25/92, BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 25).
Das Fehlen einer solchen allgemeinen Anweisung war hier auch nicht etwa deshalb unschädlich, weil die Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Einzelweisung erteilt hatte, den Ablauf einer als solchen bezeichneten Beschwerdefrist auf den 14.6.2005 einzutragen. Denn gerade wegen der - besonders in Familiensachen gegebenen - Verwechslungsgefahr, die sich hier verwirklicht hat, wäre eine solche Einzelweisung nur beim Bestehen der erforderlichen allgemeinen Anweisung hinreichend klar und geeignet gewesen, die irrtümliche Veränderung eines früheren, eine andere Frist betreffenden Eintrags im Fristenbuch zu verhindern.
Somit hat der Beklagte nicht dargelegt, dass in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten ausreichende organisatorische Vorkehrungen getroffen waren, die es hätten verhindern können, dass eine bereits eingetragene Berufungsbegründungsfrist in derselben Sache versehentlich durch einen auf eine Beschwerdefrist hinweisenden Zusatz ihrer ursprünglichen Bestimmung beraubt und nach der Entscheidung, keine Beschwerde einzulegen, als erledigt gestrichen wurde.
Fundstellen