Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfegesuch als Berufungsbegründung
Leitsatz (redaktionell)
Ein Prozesskostenhilfegesuch kann als Berufungsbegründung gewertet werden, wenn es inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entspricht und an der äußeren Form des Gesuchs der Wille des Rechtsmittelführers zu erkennen ist, dass das Prozesskostenhilfegesuch auch als Berufungsbegründung dienen soll.
Normenkette
ZPO § 520 Abs. 3, 5, § 130 Nr. 6
Verfahrensgang
OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 12.06.2003) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des OLG Frankfurt am Main v. 12.6.2003 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.
Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 15.000 Euro
Gründe
I.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das klagabweisende Urteil der 3. Zivilkammer des LG v. 11.4.2002, das am 27.6.2002 zugestellt worden ist, am 25.7.2002 Berufung eingelegt und zugleich Prozesskostenhilfe beantragt. Er nahm wegen der Erfolgsaussicht auf den beigefügten, nicht unterzeichneten "Entwurf" einer Berufungsbegründung Bezug. Durch Beschl. v. 24.3.2003, zugestellt am 1.4.2003, hat das Berufungsgericht für die Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt. Auf die Anfrage des Berufungsgerichts v. 6.5.2003, ob die Berufung zurückgenommen werde, da diese sonst als unzulässig zu verwerfen sei, ist am 9.5.2003 eine dem Entwurf entsprechende, nunmehr unterzeichnete Berufungsbegründungsschrift v. 8.5.2003 zusammen mit dem vorsorglichen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beim Berufungsgericht eingegangen. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses. Sie macht geltend, eine Korrektur sei zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, weil das Berufungsgericht mit seiner Auffassung, dass die Berufung nicht fristgerecht begründet worden sei, von der höchtsrichterlichen Rechtsprechung abweiche. Der XII. Zivilsenat des BGH habe im Beschl. v. 16.8.2000 (BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - XII ZB 65/00, NJW-RR 2001, 789) einen als "Entwurf" bezeichneten Berufungsbegründungsschriftsatz, der dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügt war, als ordnungsgemäße Berufungsbegründung für ausreichend erachtet.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. §§ 522 Abs. 1 S. 4, 238 Abs. 2 ZPO). Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine Entscheidung des BGH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) nicht erforderlich (zu den Voraussetzungen dieser Zulässigkeitsvoraussetzung, vgl. etwa BGH, Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, MDR 2003, 1131 = NJW-RR 2003, 1366 [1367]; v. 4.7.2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221 [225 f.] = BGHReport 2002, 948 = MDR 2002, 1207).
1. Das Berufungsgericht weicht mit seiner Rechtsauffassung nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung ab.
a) Rechtsmittelbegründungsschriften als bestimmende Schriftsätze im Anwaltsprozess müssen grundsätzlich von einem beim Rechtsmittelgericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein (§§ 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO), da mit der Unterschrift der Nachweis geführt wird, dass der Berufungs- oder Revisionsanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernimmt (BGH BGHZ 37, 156 ff.; v. 20.3.1986 - VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251 ff. = MDR 1986, 667; Beschl. v. 6.12.1979 - VII ZB 13/79, VersR 1980, 331 m. w. N.). Ausnahmsweise kann trotz fehlender Unterzeichnung der Berufungsbegründungsschrift durch den Berufungsanwalt dieser Nachweis erbracht sein, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Rechtsmittelanwalt die Verantwortung für den Inhalt der Rechtsmittelbegründungsschrift übernommen hat. Deren Wirksamkeit darf dann nicht allein deshalb verneint werden, weil die Unterschrift fehlt.
b) Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass ein inhaltlich den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO entsprechendes Prozesskostenhilfegesuch auch als Berufungsbegründung dienen soll, wenn nicht ein anderer Wille des Rechtsmittelführers erkennbar ist (vgl. BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - XII ZB 65/00, NJW-RR 2001, 789; v. 10.3.1998 - XI ZB 1/98, MDR 1998, 793 = NJW 1998, 1647; v. 15.2.1995 - XII ZB 7/9, NJW 1995, 2112 [2113]; v. 6.12.1991 - V ZR 229/90, MDR 1992, 254 = NJW 1992, 556 [557]; v. 9.11.1988 - IVb ZB 154/88, NJW-RR 1989, 184; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 520 Rz. 6). Auch ist der Rechtsbeschwerde darin zuzustimmen, dass der Nachweis nach der Rechtsprechung des BGH als erbracht gilt, wenn die Rechtmittelbegründungsschrift mit einem vom Rechtsmittelanwalt unterzeichneten Begleitschreiben fest verbunden ist, so dass die Schriftstücke bei der büromäßigen Behandlung in der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts als zusammengehörig erkennbar sind (vgl. BGH v. 20.3.1986 - VII ZB 21/85, BGHZ 97, 251 ff. = MDR 1986, 667).
c) Doch verkennt die Rechtsbeschwerde, dass im vorliegenden Fall, auch wenn der Entwurf der Berufungsbegründungsschrift und der Prozesskostenhilfeantrag mit einer festen Klammer verbunden waren, die übrigen Umstände nicht darauf hinweisen, dass der Berufungsanwalt der Klägerin die Verantwortung für den Inhalt des Entwurfs der Berufungsbegründungsschrift übernehmen wollte. Das wendet die Beschwerdeerwiderung zu Recht ein. Die äußere Form lässt im vorliegenden Fall gerade nicht den Willen der Klägerin erkennen, dass die bereits eingelegte Berufung durch den dem Prozesskostenhilfeantrag beigefügten Schriftsatz begründet werden sollte. Gegen einen solchen Willen spricht schon die Kennzeichnung des Schriftstückes als Entwurf und die fehlende Unterschrift. Dazu wird mit dem Prozesskostenhilfeantrag vorgetragen, dass das Berufungsverfahren nur für den Fall der Gewährung der Prozesskostenhilfe durchgeführt werden soll.
Die vorliegende Fallgestaltung ist - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - nicht vergleichbar mit dem Sachverhalt, der dem Beschluss des XII. Zivilsenats v. 16.8.2000 (BGH, Beschl. v. 16.8.2000 - XII ZB 65/00, NJW-RR 2001, 789) zu Grunde liegt. Dort hat der Kläger zur Durchführung einer lediglich beabsichtigten Berufung Prozesskostenhilfe beantragt und wegen der Erfolgsaussichten auf einen als Anlage beigefügten zwar als Entwurf bezeichneten Berufungsbegründungsschriftsatz verwiesen, der aber von einer beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwältin unterzeichnet war.
Im vorliegenden Fall ist die Berufungsbegründungsfrist - nachdem eine Verlängerung nicht erfolgt ist - am 27.8.2002 abgelaufen, § 520 Abs. 2 ZPO.
2. Durch den angegriffenen Beschluss wird die Klägerin - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - auch nicht in einem Verfahrensgrundrecht verletzt.
a) Das kann zwar insbesondere der Fall sein, wenn die Partei in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes offenkundig beeinträchtigt wird (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser Anspruch verbietet es, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auf Grund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen die Partei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (BVerfG v. 28.2.1989 - 1 BvR 649/88, BVerfGE 79, 372 [376 f.]; v. 14.12.2001 - 1 BvR 1009/01, NJW-RR 2002, 1004 [1005]; BGH, Beschl. v. 13.5.2003 - VI ZB 76/02, MDR 2003, 1131 = NJW-RR 2003, 1366 [1367]).
b) Der angegriffene Beschluss beruht jedoch nicht auf einem solchen Verfahrensverstoß. Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin v. 9.5.2003 auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht verworfen. Der Klägerin ist auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen zu gewähren (§ 236 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 ZPO).
aa) Zum einen war die Frist nach § 234 Abs. 1 ZPO bereits verstrichen, da die Bewilligung der Prozesskostenhilfe der Klägerin seit 1.4.2003 bekannt war. Eine Wiedereinsetzung in diese Frist kommt nicht in Betracht, weil der Prozessbevollmächtigte wie aus dem Schriftsatz v. 9.5.2003 ersichtlich, auf Grund seiner fehlerhaften Rechtsauffassung, die Wiedereinsetzungsfrist bewusst hat verstreichen lassen. Es liegt eine schuldhafte Fristversäumnis vor, die sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
bb) Zum anderen ist darüber hinaus aber auch nicht ersichtlich, wodurch die Klägerin gehindert gewesen sein könnte, die Berufung rechtzeitig zu begründen, zumal die Berufungsbegründung im Entwurf bereits im Zeitpunkt der Berufungseinlegung vorlag. Auch die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sich die Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Ein Anwalt, der während eines schwebenden Pozesskostenhilfeverfahrens auf Prozesskostenhilfe ein Rechtsmittel einlegt, muss das Rechtsmittel rechtzeitig begründen, mindestens aber rechtzeitig Verlängerung der Rechtsmittelbegründungsfrist beantragen, wenn er nicht vor Ablauf dieser Frist seiner Partei gegenüber unzweifelhaft zum Ausdruck bringt, dass er mit der Rechtsmitteleinlegung seine Tätigkeit als beendet ansieht und es ablehnt, die Einhaltung der Rechtsmittelbegründungsfrist weiter zu überwachen. Verstößt der Anwalt gegen diese Pflicht, so kann der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten, das sich diese nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss, nicht gewährt werden (vgl. BGHZ 7, 280 [284 ff.]).
3. Nach § 97 Abs. 1 ZPO hat die Klägerin die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 1090849 |
BGHR 2004, 406 |
NJOZ 2004, 288 |