Leitsatz (amtlich)
Die Feststellung eines begründeten Verdachts, der Ausländer wolle sich der Abschiebung entziehen, ist eine auf der Grundlage relevanter Anknüpfungstatsachen gezogene tatrichterliche Schlußfolgerung, die auf weitere Beschwerde nur einer Rechtskontrolle dahin unterliegt, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen eine solche Folgerung als möglich erscheinen lassen.
Normenkette
AuslG § 57 Abs. 2 S. 1 Nr. 5; FGG § 27 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Kleve vom 22. Dezember 1999 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten erfolgt nicht.
Gründe
I.
Der Betroffene wurde am 28. November 1999 dem Bundesgrenzschutz überstellt, nachdem er ohne gültige Papiere aus dem Bundesgebiet in die Niederlande auszureisen versuchte. Nach seinen Angaben war er ca. eine Woche zuvor mit Hilfe eines Schleusers aus Indien über Moskau in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.
Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen Abschiebehaft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG bis längstens zum 28. Februar 2000 angeordnet. Mit Schreiben vom 9. Dezember 1999 stellte er aus der Haft heraus einen Asylantrag. Seine sofortige Beschwerde gegen die Abschiebehaft hat das Landgericht zurückgewiesen.
Der sofortigen weiteren Beschwerde des Betroffenen möchte das Oberlandesgericht Düsseldorf stattgeben. Es sieht sich daran jedoch durch den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 30. April 1999 (InfAuslR 1999, 464) gehindert und hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat mit Bescheid vom 5. Dezember 1999, zugestellt am 12. Januar 2000, den Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt und die Abschiebung des Betroffenen angeordnet.
II.
Die Vorlage ist statthaft (§ 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG, § 28 Abs. 2 Satz 1 FGG).
Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft, die sich allein auf § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG stützen lasse, komme nach einem aus der Haft gestellten Asylantrag nur dann in Betracht, wenn der Ausländer sich nach der unerlaubten Einreise länger als einen Monat ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten habe (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG).
Demgegenüber hat das Bayerische Oberste Landesgericht im genannten Beschluß die Auffassung vertreten, unabhängig von der Dauer des Aufenthalts nach einer unerlaubten Einreise in das Bundesgebiet stehe ein Asylantrag aus der Haft heraus der Aufrechterhaltung von Abschiebehaft nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG nicht entgegen. Von dieser Entscheidung will das vorlegende Gericht abweichen. Das trägt die Vorlage.
III.
Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 22 Abs. 1, 27, 29 FGG; § 103 Abs. 2 AuslG, § 3 Satz 2 FreihEntzG); sie bleibt in der Sache aber ohne Erfolg.
Das vorlegende Oberlandesgericht verneint entgegen der Auffassung des Amts- und Landgerichts einen Haftgrund nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG. Diese Beurteilung ist für den Senat nur bindend, soweit die Zulässigkeit der Vorlage in Rede steht (vgl. BGHZ 7, 339, 341 und seither in st. Rspr.; Keidel/Kahl, FGG 14. Aufl. § 28 Rdn. 32 m.w.N.), sie hindert ihn jedoch nicht, den Fall bei der von ihm zu treffenden Sachentscheidung in jeder Richtung hin zu prüfen.
Auf die Entscheidung der Vorlagefrage kommt es für das sachliche Ergebnis nicht an, weil das Landgericht in dem angefochtenen Beschluß die Voraussetzungen eines Haftgrundes nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG rechtsfehlerfrei bejaht hat und in diesem Fall ein aus der Haft heraus gestellter Asylantrag der Aufrechterhaltung von Abschiebehaft nicht entgegensteht (§ 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 AsylVfG).
§ 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG rechtfertigt die Sicherungshaft, wenn „der begründete Verdacht besteht, daß der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will”. Richtig ist der Ausgangspunkt des Oberlandesgerichts, daß dieser Haftgrund die Feststellung konkreter Umstände voraussetzt, die einen solchen Verdacht zu rechtfertigen vermögen, mithin allgemeine Vermutungen nicht genügen. Andererseits geht es allein um den aus konkreten äußeren Umständen des Einzelfalles zu begründenden Verdacht auf einen Entziehungswillen. Dieser ergibt sich immer nur aus einer Schlußfolgerung, die zunächst dem Tatrichter obliegt und die im Rahmen einer weiteren Beschwerde nur einer Rechtskontrolle unterliegt (§ 27 Abs. 1 FGG). Zu Unrecht vermißt das Oberlandesgericht die Feststellung konkreter einzelfallbezogener Umstände. Amts- und Landgericht haben vielmehr eine Reihe von Anhaltspunkten festgestellt und das Verhalten des Betroffenen insgesamt gewürdigt. Danach ist der Betroffene mit Hilfe eines Schleusers in die Bundesrepublik eingereist. Nach allgemeiner Erfahrung werden solche Dienste nur gegen Zahlung erheblicher Geldbeträge geleistet (auch der Betroffene räumt solche Zahlungen ein, will deren Höhe aber nicht wissen), die der Betroffene nicht vergeblich aufgewendet haben will, wie es bei einer Abschiebung der Fall wäre. Er hat ohne Meldung bei Behörden der Bundesrepublik versucht, in die Niederlande auszureisen, um – wie er selbst angegeben hat – in einer großen Stadt wie Rotterdam „irgendwie unterzukommen”. Soweit das Oberlandesgericht meint, dies könne den erforderlichen Verdacht nur rechtfertigen, wenn er es vor dem Hintergrund einer angedrohten Abschiebung getan hätte, verlangt es rechtsirrtümlich im Ergebnis die Voraussetzung eines besonderen anderen Haftgrundes nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AuslG, bei dem sich der Betroffene einer Abschiebung schon entzogen haben muß.
Über Ausweispapiere verfügt der Betroffene nicht und hat zudem versucht, insoweit die Behörden zu täuschen, indem er zunächst angab, der Schleuser habe ihm seinen Paß abgenommen. Er hat weder soziale Bindungen, noch verfügt er über finanzielle Mittel.
Diese Feststellungen über äußere Umstände und das Verhalten des Betroffenen zieht die weitere Beschwerde nicht in Zweifel, sie macht lediglich pauschal geltend, der Verdacht nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AuslG werde „unzutreffend” angenommen und „nicht ausreichend begründet”. Mit der Rechtsbeschwerde kann aber nicht geltend gemacht werden, die Folgerungen des Tatrichters seien nicht zwingend oder eine andere Schlußfolgerung liege ebenso nahe (vgl. Keidel/Kahl, FGG, aaO § 27 Rdn. 42 m.w.N.). Die Feststellung des Tatrichters ist vielmehr rechtsfehlerfrei, wenn sie – wie hier – vom richtigen rechtlichen Ausgangspunkt aus auf der Grundlage bestimmter Tatsachen als möglich erscheint. Danach vermag der Senat einen Rechtsfehler nicht erkennen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei auch, daß es sich um eine Gesamtwürdigung handelt, so daß offen bleiben kann, ob nur einzelne der oben angeführten Tatsachen für sich genommen ebenfalls den Verdacht auf einen Entziehungswillen rechtfertigen könnten (vgl. dazu auch die Zusammenstellung Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. § 57 AuslG Rdn. 19 und 20 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 14, 16 FreihEntzG.
Unterschriften
Vogt, Tropf, Schneider, Krüger, Klein
Fundstellen
Haufe-Index 556275 |
BGHR |
EBE/BGH 2000, 98 |
NVwZ 2000, 965 |
FGPrax 2000, 130 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2000, 523 |