Tenor
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 10. Mai 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Beschwerdewert: 66.800 DM.
Gründe
I. Die Beklagte hat gegen das ihr am 10. Oktober 2000 zugestellte Urteil des Landgerichts Essen vom 7. September 2000 am 21. November 2000 Berufung eingelegt und gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zur Begründung hat sie vorgetragen und glaubhaft gemacht, ihr Prozeßbevollmächtigter habe am 8. November 2000 den Auftrag zur fristwahrenden Berufungseinlegung unter Hinweis auf das Zustellungsdatum erhalten und noch am selben Tag seine Bürovorsteherin angewiesen, die Berufung fristwahrend einzulegen und dann eine dreiwöchige Wiedervorlagefrist zu notieren. Die Bürovorsteherin habe zwar die Akte angelegt, die Weisungen des Prozeßbevollmächtigten jedoch – aus nicht mehr aufklärbaren Gründen – nicht befolgt. Dies sei ihr erst am Montag, dem 13. November 2000, bewußt geworden, als sie die Akte mit anderen zur Ablage bestimmten Akten wieder aufgefunden habe.
II. Das Berufungsgericht hat den Antrag der Beklagten auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und gleichzeitig ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe nicht dargelegt, daß in der Kanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten zur Sicherung der Fristwahrung ein Fristenkalender geführt werde, in dem die Berufungssachen nach Eingang des Auftrages zur Berufungseinlegung und Berechnung der Berufungsfrist eingetragen würden. Die Anweisung an die Bürovorsteherin, die Berufung fristwahrend einzulegen, sei nicht ausreichend gewesen, um die Wahrung der Berufungsfrist zu sichern.
III. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten, mit der diese geltend macht, die der Bürovorsteherin am 8. November 2000 mündlich erteilte Weisung, fristwahrend Berufung einzulegen und eine Wiedervorlagefrist von drei Wochen zu notieren, stelle eine „organisationsersetzende Einzelanweisung” dar, auf deren Befolgung durch eine nachweislich zuverlässige Kanzleikraft sich der Anwalt verlassen dürfe, so daß es auf die vom Berufungsgericht zitierten allgemeinen Anforderungen an die Büroorganisation nicht ankomme.
IV. Die form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig (§§ 238 Abs. 2, 519 b Abs. 2, 547, 567 Abs. 4 Satz 2, 569, 577 ZPO), hat in der Sache aber keinen Erfolg. Die Beklagte hat nicht glaubhaft gemacht, daß die Berufungsfrist ohne ein ihr zuzurechnendes Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigen versäumt worden ist (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO).
1. Ein Prozeßbevollmächtigter muß nach ständiger Rechtsprechung dafür Sorge tragen, daß ein fristwahrender Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und fristgerecht bei dem zuständigen Gericht eingeht. Er ist gehalten, durch entsprechende organisatorische Maßnahmen Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen in größtmöglichem Umfang auszuschließen. Hierzu gehört insbesondere eine hinreichend sichere Ausgangskontrolle, durch die zuverlässig verhindert wird, daß fristwahrende Schriftstücke über den Fristablauf hinaus noch nicht gefertigt sind oder in der Kanzlei liegen bleiben (vgl. BGH, Beschluß vom 27. Oktober 1998 – X ZB 20/98, NJW 1999, 429 = BGHR ZPO § 233 Einzelanweisung 3; BGH, Beschluß vom 26. September 1995 – XI ZB 13/95, NJW 1996, 130 = BGHR ZPO § 233 Fristenkontrolle 45). Für diese Ausgangskontrolle ist ein täglich zu überwachender Fristenkalender unabdingbar, in dem das Fristende vermerkt und diese Eintragung erst gestrichen wird, wenn die fristwahrende Maßnahme durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht worden ist (BGH, Beschluß vom 26. Mai 1994 – III ZB 16/93, BGHR ZPO § 233 Ausgangskontrolle 3).
Im Wiedereinsetzungsgesuch ist nicht dargelegt, daß im Büro des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten eine derartige Ausgangskontrolle anhand eines Fristenkalenders stattfand. Eine funktionstüchtige Ausgangskontrolle wäre geeignet gewesen, die Fristversäumung im Streitfall zu vermeiden. Wäre das Ende der Berufungsfrist – wie es geboten gewesen wäre – am 8. November 2000 alsbald nach Eingang des Auftrags zur fristwahrenden Berufungseinlegung im Fristenkalender unter dem 10. November 2000 notiert worden, dann hätte die Kontrolle des Fristenkalenders am 10. November 2000 aufgedeckt, daß die Bürovorsteherin die Weisung des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten vom 8. November 2000, fristwahrend Berufung einzulegen, nicht ausgeführt hatte. Die Berufungsschrift hätte dann noch an diesem Tag gefertigt und rechtzeitig bei Gericht eingehen können.
In dem Fehlen einer allgemeinen Weisung zur Eintragung des Endes der Berufungsfrist im Fristenkalender und einer entsprechenden Ausgangskontrolle liegt ein Organisationsverschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, das sich diese zurechnen lassen muß (§ 85 Abs. 2 ZPO).
Daß dieses Verschulden für die Fristversäumung ursächlich war, ist nicht auszuschließen. Es ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht, daß sich das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten auf die Fristversäumung nicht ausgewirkt haben kann (Senat, Beschluß vom 9. Januar 2001 – VIII ZB 26/00, NJW-RR 2001, 782; BGH, Beschluß vom 21. September 2000 – IX ZB 67/00, NJW 2000, 3649). Vielmehr ist – wie dargelegt – davon auszugehen, daß die Berufungsfrist gewahrt worden wäre, wenn in der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten eine allgemeine Weisung dahingehend bestanden hätte, daß die Berufungsfrist alsbald nach Eingang des Auftrages zur Berufungseinlegung im Fristenkalender eingetragen und dieser täglich kontrolliert wird.
2. Zu Unrecht beruft sich die Beklagte in ihrer Beschwerdebegründung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der es auf allgemeine organisatorische Maßnahmen nicht entscheidend ankommt, wenn im Einzelfall konkrete Anweisungen vorliegen, deren Befolgung die Fristwahrung sichergestellt hätte (vgl. BGH, Beschluß vom 18. März 1998 – XII ZB 180/96, NJW-RR 1998, 1360; BGH, Beschluß vom 15. April 1997 – VI ZB 7/97, NJW-RR 1997, 955; BGH, Beschluß vom 26. September 1995, aaO). Denn eine Einzelweisung, die hinreichend Gewähr dafür bot, die oben dargelegten Defizite in der Fristenkontrolle zu kompensieren, ist der Bürovorsteherin mit der am 8. November 2000 ergangenen Aufforderung, fristwahrend Berufung einzulegen, nicht erteilt worden.
Nur solche Einzelweisungen können allgemeine organisatorische Maßnahmen zur Fristenkontrolle ersetzen, die über ihre Eignung, den gewünschten Erfolg herbeizuführen, hinaus hinreichende Gewähr bieten, daß eine Fristversäumung zuverlässig verhindert wird (BGH, Beschluß vom 27. Oktober 1998, aaO). Diese Anforderung erfüllte die der Bürovorsteherin erteilte Weisung nicht.
Die Aufgabe, fristwahrend Berufung einzulegen, umfaßte ein Bündel von Maßnahmen, deren Ausführung sich über einen längeren Zeitraum erstreckte und die nicht allein in der Hand der Bürovorsteherin lagen. Es mußte der Berufungsschriftsatz zunächst verfaßt, sodann dem Prozeßbevollmächtigten zugeleitet, von diesem geprüft und unterschrieben, wiederum der Bürovorsteherin zugeleitet und von dieser abgesandt werden. Insoweit ist die Sachverhaltsgestaltung im Streitfall nicht vergleichbar mit den Fällen, in denen lediglich eine einfache Verrichtung – als letzter Schritt zur Fristwahrung – anstand und sich der Anwalt darauf verlassen durfte, daß dem damit betrauten Büropersonal insoweit kein Versehen unterläuft (z.B. Übersendung eines fertiggestellten Schriftsatzes noch am selben Tag per Telefax an das Gericht; vgl. BGH, Beschluß vom 15. April 1997, aaO; BGH, Beschluß vom 18. März 1998, aaO; Senatsbeschluß vom 18. Februar 1998, aaO).
Hinzu kommt, daß der Bürovorsteherin für die Erledigung der komplexen Aufgabe, fristwahrend Berufung einzulegen, bei verständiger Würdigung dieser Weisung insgesamt drei Tage bis zum Ablauf der Berufungsfrist am 10. November 2000 zur Verfügung standen. Daß die Bürovorsteherin angewiesen worden wäre, die Erledigung dieser Aufgabe am 8. November 2000 nicht nur anzugehen, sondern dafür zu sorgen, daß die Berufung noch am selben Tag an das Gericht übermittelt wird, ist weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Nach der eidesstattlichen Versicherung der Bürovorsteherin hatte diese am 8. November 2000 lediglich die Anordnung erhalten, „die am 10. Oktober 2000” – gemeint ist offenbar der 10. November 2000 – „ablaufende Berufungsfrist durch Berufungseinlegung zu wahren”.
Bei dieser Sachlage war die Gefahr, daß es am 8. November 2000 oder in den verbleibenden Tagen bis zum Ablauf der Berufungsfrist am 10. November 2000 bei einem der mehreren Schritte von der Herstellung des Berufungsschriftsatzes bis zu dessen Absendung zu Fehlern oder Verzögerungen kommen konnte, welche die Fristwahrung gefährdeten oder vereitelten, so naheliegend, daß eine effektive Organisation der Fristenkontrolle, die dieser Gefahr entgegenwirkte, insbesondere eine Eintragung der Berufungsfrist im täglich zu kontrollierenden Fristenkalender nicht entbehrlich war (vgl. auch BGH, Beschluß vom 27. Oktober 1998, aaO, in dem eine Einzelanweisung, eine bereits vorbereitete Berufungsschrift vier Tage später per Telefax an das Gericht zu übermitteln, als nicht ausreichend angesehen wurde, um ein Organisationsverschulden wegen unzureichender Ausgangskontrolle auszugleichen).
Unberührt bleibt die Möglichkeit der Beklagten, ihr als selbständige Berufung unzulässiges Rechtsmittel als Anschlußberufung aufrechtzuerhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Deppert, Dr. Beyer, Wiechers, Dr. Wolst, Dr. Frellesen
Fundstellen
Haufe-Index 651639 |
NJOZ 2002, 897 |