Leitsatz (amtlich)
Die durch Hinzuziehung zum Betreuungsverfahren in erster Instanz begründete Beteiligtenstellung (hier: des Vaters der Betroffenen) besteht in der Beschwerdeinstanz fort.
Normenkette
FamFG §§ 7, 71, 274, 303
Verfahrensgang
LG Berlin (Beschluss vom 25.07.2011; Aktenzeichen 83 T 508/10) |
AG Berlin-Schöneberg (Entscheidung vom 24.08.2010; Aktenzeichen 50 XVII B 163/10) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 4) wird der Beschluss der Zivilkammer 83 des LG Berlin vom 25.7.2011 aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das LG zurückverwiesen.
Wert: 3.000 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Das AG hat für die 1992 geborene Betroffene eine rechtliche Betreuung eingerichtet, weil diese wegen einer geistigen Behinderung und eines zerebralen Anfallsleidens nicht hinreichend in der Lage sei, ihre Angelegenheiten selbst zu besorgen.
Rz. 2
Nachdem es die Beteiligte zu 3), die Mutter der Betroffenen (im Folgenden: Mutter), und den Beteiligten zu 4), den Vater (im Folgenden: Vater), hinzugezogen und die Beteiligte zu 2) zur Verfahrenspflegerin bestellt hatte, hat es die Beteiligte zu 1), eine Rechtsanwältin, zur berufsmäßigen Betreuerin bestellt. Das LG hat auf die dagegen eingelegte Beschwerde statt der Beteiligten zu 1) die Mutter zur Betreuerin bestellt. Den Vater hat es im Beschwerdeverfahren nicht hinzugezogen und ihm den Beschwerdebeschluss nicht zugestellt.
Rz. 3
Dagegen hat der Vater Rechtsbeschwerde eingelegt, mit welcher er die Wiederherstellung der vom AG getroffenen Regelung anstrebt.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das LG.
Rz. 5
1. Das LG hat das Absehen von der Hinzuziehung des Vaters damit begründet, dass - wie sich aus § 68 Abs. 3 FamFG ergebe - das Beschwerdeverfahren ein eigenständiges Verfahren darstelle. Eine Hinzuziehung des Vaters sei von vornherein nicht in Betracht gekommen, weil dies nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Ermittlungen wegen dessen Voreingenommenheit gegenüber der Mutter nicht im Interesse der Betroffenen liege und zudem durch seine Hinzuziehung eine weitere Verfahrensförderung nicht zu erwarten gewesen sei. Da einem Antrag des Vaters auf Hinzuziehung nicht entsprochen werden könne und insoweit auch die Zulassung der Rechtsbeschwerde nicht in Betracht komme, habe kein Anlass bestanden, diesen gem. § 7 Abs. 4 FamFG über sein diesbezügliches Antragsrecht zu belehren, denn dies würde sich als bloße Förmelei darstellen.
Rz. 6
2. Das erweist sich als verfahrensfehlerhaft.
Rz. 7
a) Die Rechtsbeschwerde ist gem. § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG statthaft (vgl. BGH v. 15.9.2010 - XII ZB 166/10, FamRZ 2010, 1897 Rz. 10).
Rz. 8
b) Die Frist zur Einlegung (§ 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG) und Begründung (§ 71 Abs. 2 Satz 1, 2 FamFG) der Rechtsbeschwerde ist gewahrt. Beide Fristen beginnen mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses zu laufen. Die Frist ist entsprechend der für das Beschwerdeverfahren geltenden Regelung für jeden Beteiligten gesondert zu bestimmen (Keidel/Sternal FamFG 17. Aufl., § 68 Rz. 20 m.w.N.).
Rz. 9
aa) Der Vater hat entgegen der Auffassung des LG auch im Beschwerdeverfahren die Stellung eines Beteiligten nach §§ 7 Abs. 3, 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG gehabt. Denn er ist vom AG nicht lediglich angehört, sondern als Beteiligter hinzugezogen worden. Dass der Vater - wie auch die Mutter - entgegen § 38 Abs. 2 Nr. 1 FamFG im Rubrum des amtsgerichtlichen Beschlusses nicht aufgeführt worden ist, steht dem nicht entgegen (vgl. Keidel/Zimmermann FamFG 17. Aufl., § 7 Rz. 29). Von einer Hinzuziehung als Beteiligter ist auch das LG im angefochtenen Beschluss ausgegangen.
Rz. 10
Entgegen der Auffassung des LG besteht die durch Hinzuziehung in erster Instanz begründete Beteiligtenstellung in der Beschwerdeinstanz fort. Aus § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG folgt nichts anderes. Aus dem Verweis auf die Vorschriften des erstinstanzlichen Verfahrens folgt insb. nicht, dass das Beschwerdegericht über die Hinzuziehung der bereits erstinstanzlich Beteiligten abermals nach §§ 7 Abs. 3, 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG zu entscheiden hätte und diese nunmehr auch ablehnen könnte. Die Rechtsbeschwerde weist mit Recht darauf hin, dass sich das Gegenteil bereits aus § 303 Abs. 2 FamFG ergibt. Darin wird die Beschwerdebefugnis nach § 303 Abs. 2 Satz 1 FamFG u.a. den Eltern des Betroffenen zugestanden, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind. Das ist notwendigerweise mit einer Beteiligung am Beschwerdeverfahren verbunden. Dass zudem gem. § 66 FamFG den weiteren Beteiligten die Anschlussbeschwerde offen steht, zeigt, dass die Beteiligung in der Beschwerdeinstanz auch nicht davon abhängig ist, welcher Beteiligter Beschwerde einlegt. Es wäre sogar widersinnig, wenn am Beschwerdeverfahren nur derjenige zu beteiligen wäre, der die erstinstanzliche Entscheidung anficht, während der Beteiligte, der sie verteidigt, nicht hinzugezogen werden müsste.
Rz. 11
Demnach hätte die Beschwerdeentscheidung dem Vater bekannt gegeben werden müssen.
Rz. 12
bb) Das LG hat eine Bekanntgabe des Beschlusses vom 25.7.2011 an den Vater nicht veranlasst. Dieser hat den Beschluss vielmehr erst auf seine Anforderung hin am 30.9.2011 erhalten. Durch die am 5.10.2011 eingegangene Rechtsbeschwerde ist die Einlegungsfrist gewahrt.
Rz. 13
Anders als § 63 Abs. 3 Satz 2 FamFG (für das Beschwerdeverfahren; vgl. auch § 548 ZPO für das Revisionsverfahren) enthält § 71 FamFG keine Regelung für den Fall, dass die Bekanntgabe unterblieben ist. Ob die gesetzliche Regelung insoweit ergänzungsbedürftig ist (zur entsprechenden Frage bei der Rechtsbeschwerde nach der Zivilprozessordnung s. Lipp in MünchKomm/ZPO § 575 Rz. 5 m.w.N.; Musielak/Ball ZPO, 8. Aufl., § 575 Rz. 2 sowie - zu § 71 FamFG - Abramenko in Prütting/Helms FamFG 2. Aufl., § 71 Rz. 6 m.w.N.) und die Frist in diesem Fall fünf Monate nach Erlass der Entscheidung zu laufen beginnt, bedarf hier keiner Entscheidung, weil auch eine so bestimmte Frist gewahrt wäre.
Rz. 14
c) Die Beschwerdebefugnis des Vaters der Betroffenen ergibt sich aus § 303 Abs. 2 Nr. 1 FamFG. Auf die Frage, ob sich die Beschwerdebefugnis für das Rechtsbeschwerdeverfahren bereits daraus ergibt, dass der Vater zum Beschwerdeverfahren nicht hinzugezogen worden ist und dieses der Zurückweisung oder Verwerfung einer eigenen Beschwerde (vgl. BGHZ 162, 137, 138 f. = FamRZ 2005, 1738 [LS]; BGH v. 25.8.1999 - XII ZB 109/98, FamRZ 2000, 219 m.w.N.) gleichzusetzen ist, kommt es nicht an.
Rz. 15
Denn der Vater ist bereits deswegen beschwerdebefugt, weil er in erster Instanz beteiligt worden ist und er die Rechtsbeschwerde in zulässiger Weise im Interesse der Betroffenen einlegen kann. Dass das LG davon ausgegangen ist, dass von der Hinzuziehung eine weitere Verfahrensförderung nicht zu erwarten gewesen sei, steht der Beschwerdeberechtigung im Interesse der Betroffenen schon deswegen nicht entgegen, weil die Ablehnung der Hinzuziehung - wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht - eine unzulässige Vorwegnahme der gebotenen Sachaufklärung darstellen würde.
Rz. 16
d) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
Rz. 17
Das LG hat den Sachverhalt im Hinblick auf die Auswahl des Betreuers nicht hinreichend aufgeklärt (§ 26 FamFG). Es hat den Vater, dessen Beteiligtenstellung - wie oben ausgeführt - im Beschwerdeverfahren nicht entfallen ist, nicht von der Beschwerdeschrift und -begründung informiert und ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Außerdem durfte das LG von der Anhörung der Betroffenen nicht absehen, schon weil es von der Einschätzung des AG abgewichen ist (vgl. BGH v. 27.7.2011 - XII ZB 118/11, FamRZ 2011, 1577 Rz. 13; v. 16.3.2011 - XII ZB 601/10, FamRZ 2011, 880 Rz. 13; s. auch BGH v. 11.8.2010 - XII ZB 171/10, FamRZ 2010, 1650 Rz. 5 ff.). Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das LG bei einer vollständigen Aufklärung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben. Von einer weiteren Begründung wird gem. § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Fundstellen