Leitsatz (amtlich)
1. Sollen Prüfungsleistungen eines Kandidaten (hier: notarielle Fachprüfung) einer erneuten Bewertung unterzogen werden, sind die Gründe eines rechtskräftigen prüfungsrechtlichen Bescheidungsurteils dafür maßgeblich, in welchem Umfang die Prüfungsbehörde eine Neubewertung zu veranlassen hat und welche Rechtsauffassung dabei zugrunde zu legen ist.
2. Die Beibehaltung einer Note trotz Rücknahme eines Korrekturmangels ist als solches nicht zu beanstanden. Es ist Prüfern grundsätzlich nicht verwehrt, nach Auseinandersetzung mit den Einwendungen eines Prüflings gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistung unter Vermeidung früherer Begründungsmängel anzugeben, dass und aus welchen Gründen sie ihre bei der ersten Bewertung einer Arbeit vergebene Note auch bei selbstkritischer Würdigung nach wie vor für zutreffend halten (Anschluss an BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1999 - 6 C 20/98, BVerwGE 109, 211 und BVerwG, Urteil vom 24. Februar 1993 - 6 C 38/92, NVwZ 1993, 686).
Normenkette
BNotO §§ 7a, 7b, 111b Abs. 1 S. 1; VwGO § 113 Abs. 5 S. 2, § 121 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Kammergerichts - Senat für Notarsachen - vom 17. November 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 5.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die erneute Neubewertung einer von ihr im Rahmen der notariellen Fachprüfung erbrachten Leistung.
Rz. 2
Sie nahm an der Prüfungskampagne 2018/I der von dem Beklagten durchgeführten notariellen Fachprüfung teil. Mit Prüfungsbescheid vom 12. September 2018 wurde ihr mitgeteilt, sie habe die notarielle Fachprüfung mit der Prüfungsgesamtnote "ausreichend" (6,05 Punkte) bestanden. Die jetzt allein noch im Streit befindliche Klausur F 20-95, die erbrechtliche Fragestellungen zum Gegenstand hatte, wurde mit 6,00 Punkten bewertet, wobei der Erstkorrektor 7 Punkte ("befriedigend") und der Zweitkorrektor 5 Punkte ("ausreichend") vergaben. Den Widerspruch der Klägerin vom 12. Oktober 2018, der sich gegen die (End-)Bewertungen sämtlicher Aufsichtsarbeiten sowie des Vortrags in der mündlichen Prüfung richtete, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 25. März 2019 zurück. Die dagegen erhobene Klage war teilweise erfolgreich. Mit (rechtskräftigem) Urteil vom 22. Juni 2020 hob das Kammergericht den Prüfungsbescheid vom 12. September 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 25. März 2019 auf und verurteilte den Beklagten unter Klageabweisung im Übrigen, die Klägerin nach Neubewertung der Klausur F 20-95 neu zu bescheiden. Hierbei beanstandete das Kammergericht lediglich Folgendes:
Rz. 3
- Die Kritik der Prüfer an der Lösung von Aufgabe 2 ("Wie wirken sich die ‚Verzichte‘ von A und B auf die gesetzliche Erbfolge … aus?") sei nur teilweise berechtigt. Die auf Seite 6 der Klausur angestellte (hypothetische) Ermittlung der Erbquoten für den Fall eines wirksamen Erbverzichts der B sei zutreffend.
Rz. 4
- Bei Bewertung der Aufgabe 4 ("Was sollte Notar Dr. N den Eheleuten im Hinblick auf die Vorstellung von M zur erbrechtlichen Situation des E empfehlen?") sei nicht klar, ob die Prüfer - gegebenenfalls nach Auslegung der Klausurlösung - den dem E zugewandten Erbteil (S. 12: "der seinem gesetzlichen Erbteil entspricht") für zu gering oder zu hoch erachtet hätten. Darüber hinaus hätten sie übersehen, dass die von der Klägerin vorgeschlagene "Vermächtnislösung" in der Literatur vertreten werde.
Rz. 5
- Die Beurteilung der Aufgabe 5 ("Welche erbrechtlichen Regelungen wird Notar Dr. N den Eheleuten empfehlen, um ihre geäußerten Wünsche umzusetzen?") sei insoweit nicht frei von Bedenken, als nach dem Votum der Prüfer als Gestaltungselement und Empfehlung ein Ehevertrag zur Aufhebung der Gütertrennung zu erörtern gewesen sei. Dies sei in der Aufgabenstellung ("erbrechtliche Regelungen") nicht ausdrücklich angelegt gewesen.
Rz. 6
Im Übrigen sei die Bewertung der Klausur nicht zu beanstanden (Aufgaben 1 und 3 sowie alle weiteren Einwendungen der Klägerin gegen die Bewertung der Aufgaben 2, 4 und 5).
Rz. 7
Der Beklagte forderte die Prüfer daraufhin zur Neubewertung der Aufsichtsarbeit F 20-95 auf. Der Erstkorrektor blieb bei der Bewertung mit 7 Punkten (Nachbewertung vom 24. August 2020), während der Zweitkorrektor "bei äußerst wohlwollender Abwägung unter Hintanstellung größter Bedenken" seine Bewertung auch auf diese Punktzahl anhob (Neubewertung vom 8. September 2020). Der Beklagte teilte der Klägerin sodann mit Prüfungsbescheid vom 17. September 2020 das korrigierte Ergebnis mit und stellte fest, sie habe die notarielle Fachprüfung mit "ausreichend" (6,24 Punkte) bestanden. Auf den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin vom 21. Oktober 2020 bat der Beklagte beide Korrektoren um Überdenkung ihrer Bewertung. Diese nahmen hierzu unter dem 9. November 2020 (Erstkorrektor) und 27. November 2020 (Zweitkorrektor) Stellung, wobei sie bei ihren Bewertungen blieben. Nach Durchführung des Überdenkungsverfahrens wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 5. Januar 2021 zurück. Die Ausführungen der Prüfer seien nach Maßgabe der vorliegenden Stellungnahmen nicht zu beanstanden. Sie seien fachlich richtig und von dem den Prüfern eingeräumten Bewertungsspielraum gedeckt.
Rz. 8
Mit der hiergegen erhobenen Klage hat die Klägerin die Verurteilung des Beklagten erstrebt, sie unter Aufhebung des Bescheids vom 17. September 2020 und des Widerspruchsbescheids vom 5. Januar 2021 nach Neubewertung der Klausur F 20-95 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Rz. 9
Das Kammergericht hat die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide seien nicht rechtswidrig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs.1, 5 VwGO i.V.m. § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO). Die Rechtskraft des Urteils vom 22. Juni 2020 stehe einer umfassenden Nachprüfung der Beurteilung der Klausur F 20-95 entgegen. Die gerichtliche Nachprüfung beschränke sich vielmehr auf die Beanstandungen in dem vorgenannten Urteil an der Bewertung der Aufgaben 2, 4 und 5. Soweit die Kritik der Prüfer für berechtigt gehalten worden sei, sei sie einer erneuten Nachprüfung entzogen. Die Auffassung der Klägerin, die Anordnung der Neubescheidung durch das Urteil vom 22. Juni 2020 müsse zwangsläufig zu einer Verbesserung der Note führen, treffe nicht zu. Außerdem hätten die neuen Korrekturen eine Anhebung um einen Punkt ergeben. Die erneute Beurteilung der Klausur durch beide Prüfer sei nicht zu beanstanden. Hinsichtlich der Aufgabe 2 habe der Erstprüfer insbesondere an seiner Kritik, die Ausführungen zur Erbfolge bei der (nicht verlangten) Annahme eines wirksamen Erbverzichts seien unzutreffend, nicht mehr festgehalten. Bei der Neubewertung der Aufgabe 4 hätten sich die Prüfer ausreichend mit dem Urteil vom 22. Juni 2020 auseinandergesetzt. Zu Recht hätten sie auf den Widerspruch in der Klausurlösung, der sich aus der Erbeinsetzung des E entsprechend "seinem gesetzlichen Erbteil" und dem Vermächtnis "in Höhe des gesetzlichen Pflichtteils" ergebe, und auf die fehlende Auseinandersetzung mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen der verschiedenen Gestaltungsmöglichkeiten hingewiesen. Im Rahmen der Neubewertung der Aufgabe 5 habe der Erstkorrektor klargestellt, dass die unterlassenen Ausführungen zu einem Ehevertrag als Gestaltungselement nicht negativ in die Bewertung eingeflossen seien. Es bleibe aber dabei, dass der Klägerin bei der Lösung der Aufgabe nur wenig Zählbares gelungen sei (auch unter Berücksichtigung des Hinweises auf § 2065 BGB hinsichtlich der etwaigen Erbeinsetzung des D auf S. 20 der Klausurlösung).
Rz. 10
Das Kammergericht hat die Berufung nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung.
II.
Rz. 11
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 111d Satz 2 BNotO) liegt nicht vor.
Rz. 12
1. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass der Antragsteller im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung der angefochtenen Entscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat und sich dies auf die Richtigkeit des Ergebnisses auswirken kann (st. Senatsrechtsprechung, z.B. Senat, Beschlüsse vom 20. Juli 2015 - NotZ(Brfg) 12/14, DNotZ 2015, 872 Rn. 19 [insoweit nicht in BGHZ 206, 248 abgedruckt]; vom 23. November 2015 - NotSt(Brfg) 5/15, DNotZ 2016, 311 Rn. 5; vom 20. Juli 2020 - NotZ(Brfg) 5/19, ZNotP 2020, 48 Rn. 2; vom 15. November 2021 - NotZ(Brfg) 3/21, ZNotP 2022, 206 Rn. 8 und vom 14. März 2022 - NotZ(Brfg) 10/21, juris Rn. 9; jeweils mwN; siehe auch BeckOK BNotO/Herrmann, § 111d BNotO Rn. 3 [5. Edition, Stand: 31. Juli 2021]; Kopp/R.-W. Schenke, VwGO, 27. Aufl., § 124 Rn. 7).
Rz. 13
2. Daran fehlt es hier. Das Kammergericht hat Bewertungsfehler der Prüfer zutreffend verneint und die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Prüfungsbescheids vom 17. September 2020 und Neubewertung der Klausur F 20-95.
Rz. 14
a) Dem angefochtenen Urteil liegt kein unzutreffender Überprüfungsmaßstab zugrunde. Durch das rechtskräftige Urteil des Kammergerichts vom 22. Juni 2020 wurde bindend festgestellt, dass sich die gerichtliche Nachprüfung im Rahmen der nunmehr geltend gemachten erneuten (weiteren) Neubescheidung nur noch auf die Beanstandungen an der Bewertung der Aufgaben 2, 4 und 5 bezieht. Da insoweit die Kritik der Prüfer in dem unter I. dargestellten Umfang nur teilweise für berechtigt gehalten wurde, ist die Bewertung im Übrigen ebenfalls einer erneuten Nachprüfung entzogen.
Rz. 15
Dies folgt - wie das Kammergericht zutreffend angenommen hat - aus der Rechtskraftwirkung (§ 121 Nr. 1 VwGO) des Bescheidungsurteils (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO) vom 22. Juni 2020. Da sich die Rechtsauffassung, die ein Bescheidungsurteil der Behörde zur Beachtung bei dem Erlass des neuen Verwaltungsakts vorschreibt, nicht unmittelbar der Urteilsformel entnehmen lässt, ergeben sich der Umfang der materiellen Rechtskraft und damit die Bindungswirkung notwendigerweise auch aus den Entscheidungsgründen, in denen die nach dem Urteilstenor zu beachtende Rechtsauffassung des Gerichts im Einzelnen dargelegt wird (BVerwG, NJW 1996, 737 = juris Rn. 11). Sollen Prüfungsleistungen eines Kandidaten einer erneuten Bewertung unterzogen werden, sind die Gründe des prüfungsrechtlichen Bescheidungsurteils dafür maßgeblich, in welchem Umfang die Prüfungsbehörde eine Neubewertung zu veranlassen hat und welche Rechtsauffassung dabei zugrunde zu legen ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 8. Januar 2010 - OVG 10 N 86.08, juris Rn. 4 und vom 27. November 2013 - OVG 7 N 18.13, juris Rn. 3). Im vorliegenden Fall hat das Kammergericht in den Entscheidungsgründen des Urteils vom 22. Juni 2020 (S. 15 bis 20) ausdrücklich festgestellt, dass die Kritik der Prüfer nur hinsichtlich der Aufgaben 2, 4 und 5 und auch nur teilweise - in wenigen Punkten - unberechtigt war. Zwar bezieht sich der streitgegenständliche Neubescheidungsantrag - im Gegensatz zum ersten Klageverfahren - (nur) auf die behauptete Fehlerhaftigkeit der erneuten Begutachtung der Klausur F 20-95 (Nachbewertungen der Prüfer vom 24. August und 8. September 2020 sowie Stellungnahmen vom 9. November und 27. November 2020). Diese (weitere) Neubescheidung hatte jedoch die Rechtsauffassung in dem Urteil vom 22. Juni 2020 zu beachten. An diese rechtliche Bewertung war das Kammergericht in dem zweiten Klageverfahren gebunden (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 17. März 2017 - 2 LA 268/15, juris Rn. 30 ff).
Rz. 16
b) Soweit die Klägerin geltend macht, die unveränderte Benotung durch den Erstkorrektor - trotz Wegfalls ursprünglicher Beanstandungen auf Grund des Urteils vom 22. Juni 2020 - könne nur auf einer unzulässigen Änderung des Bewertungssystems beruhen, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Berufung.
Rz. 17
aa) Die Beibehaltung einer Note trotz Rücknahme eines Korrekturmangels ist als solches nicht zu beanstanden. Es ist Prüfern grundsätzlich nicht verwehrt, nach Auseinandersetzung mit den Einwendungen eines Prüflings gegen die Bewertung seiner Prüfungsleistung unter Vermeidung früherer Begründungsmängel anzugeben, dass und aus welchen Gründen sie ihre bei der ersten Bewertung einer Arbeit vergebene Note auch bei selbstkritischer Würdigung nach wie vor für zutreffend halten (BVerwGE 109, 211, 217; BVerwG, NVwZ 1993, 686, 688). Allerdings darf ein Prüfer, dem ein Bewertungsfehler unterlaufen ist, bei der deshalb erforderlichen Neubewertung nicht sein Bewertungssystem ändern. Der Begriff des Bewertungssystems umfasst dabei nur diejenigen Bewertungskriterien, die in den prüfungsspezifischen Beurteilungsspielraum des Prüfers fallen. Dabei handelt es sich um diejenigen Kriterien, nach denen der Prüfer die festgestellten fachlichen Vorzüge und Mängel der Prüfungsleistung einem vorgegebenen Notensystem zuordnet, zum Beispiel die Einschätzung des Schwierigkeitsgrads einer Aufgabe, die Bewertung der Qualität der Darstellung und der Überzeugungskraft der Argumentation, die Gewichtung von Fehlern sowie die auf durchschnittliche Anforderungen bezogene Einschätzung der Leistung (BVerwGE aaO S. 216). Die Beibehaltung einer Note trotz Rücknahme eines Korrekturfehlers darf ferner auch nicht darauf beruhen, dass der Prüfer im Rahmen der Neubewertung "beliebige Gründe" nachschiebt, die nur dem Zweck dienen, eine Verbesserung der Note "unter allen Umständen" auszuschließen (BVerwGE aaO S. 218). Von dem Prüfer ist vielmehr zu verlangen, dass er seine Bewertung durch Korrektur der als rechtsfehlerhaft beanstandeten Einzelwertungen ergänzt und die neu vorzunehmenden Wertungen in die komplexen Erwägungen, auf denen das Bewertungsergebnis beruht, einpasst (BVerwG, NVwZ 1993 aaO). Ein Prüfling, der mit einer Rüge gegen eine nachteilige Einzelwertung vor Gericht erfolgreich war, kann es den Prüfern im Hinblick auf den Grundsatz der Chancengleichheit jedoch nicht verwehren, seine Prüfungsleistung daraufhin zu überprüfen, ob die nunmehr als vertretbar zu behandelnde Lösung folgerichtig und sachgerecht begründet worden ist. Als ein unzulässiges Nachschieben beliebiger Gründe ist es nicht anzusehen, wenn die Prüfer eine früher als falsch bewertete, nunmehr jedoch als vertretbar anzusehende Lösung erstmals auf ihre sachgerechte Durchführung untersuchen und sich auf dieser Grundlage neue Einwendungen ergeben (BVerwGE aaO S. 217, 219 f).
Rz. 18
bb) Diese Maßgaben wurden in dem angefochtenen Urteil beachtet. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die Prüfer die Beanstandung einzelner Kritikpunkte bei den Aufgaben 2, 4 und 5 zum Anlass genommen haben, ihre prüfungsspezifischen Bewertungskriterien und somit ihr Bewertungssystem insgesamt zu ändern. Nach den nicht zu beanstandenden Feststellungen des Kammergerichts (Urteil, S. 5 bis 8) haben die Prüfer im Einzelnen dargelegt, inwieweit ihre ursprünglichen Bewertungen durch die nunmehr aufgegebenen Kritikpunkte beeinflusst wurden. Der Erstkorrektor hat ausführlich begründet, dass die in dem Urteil vom 22. Juni 2020 beanstandeten Bewertungsfehler nicht beziehungsweise nicht so erheblich in die Klausurbewertung eingeflossen seien, dass er im Gesamtergebnis zu einer Anhebung der Note gekommen sei. Es stellt auch keinen Verstoß gegen die Denklogik dar, wenn der Erstkorrektor einen Kritikpunkt aufgibt und dennoch zu derselben Gesamtnote kommt. Dies folgt im vorliegenden Fall hinsichtlich der von der Klägerin vorgeschlagenen "Vermächtnislösung" (Aufgabe 4) schon daraus, dass sie es unterlassen hat, die Vor- und Nachteile dieser Alternative aufzuzeigen, und auch außer Betracht gelassen hat, dass ein Notar von mehreren gangbaren Wegen den sichersten und gefahrlosesten Weg zumindest vorschlagen muss (vgl. st. Rspr.; z.B. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2008 - III ZR 15/08, NJW 2009, 71 Rn. 18 mwN).
Rz. 19
Soweit die Klägerin meint, die Ausführungen des Erstkorrektors zur Irrelevanz einzelner entfallener Kritikpunkte, seien nicht glaubhaft, ist dies unbeachtlich, weil sie lediglich ihre Bewertung an die Stelle der Bewertung des Prüfers setzt. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass der Zweitkorrektor im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums die Benotung "bei äußerst wohlwollender Abwägung unter Hintanstellung größter Bedenken" um zwei Punkte angehoben hat. In diesem Zusammenhang weist der Beklagte zu Recht darauf hin, dass der Zweitkorrektor ursprünglich eine um zwei Punkte nach unten abweichende Bewertung vorgenommen hatte.
Rz. 20
3. Der Einwand der Klägerin, bei Annahme einer Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils des Kammergerichts vom 22. Juni 2020, hätte die Klage als unzulässig abgewiesen werden müssen, übersieht, dass das erste und das zweite Klageverfahren unterschiedliche Streitgegenstände betrafen (Überprüfung der Erstbewertung der Klausur F 20-95 einerseits und deren Neubewertung andererseits). Außerdem wäre für die Klägerin nichts gewonnen, wenn ihre Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft gemäß § 121 Nr. 1 VwGO als unzulässig abzuweisen wäre. Denn die Berufung ist auch dann nicht zuzulassen, wenn das Erstgericht die Klage als unbegründet abgewiesen hat, das Berufungsgericht sie aber bereits als unzulässig bewertet (VGH München, NVwZ 2004, 629; Kopp/W.-R. Schenke aaO Rn. 7a).
III.
Rz. 21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 111b Abs. 1 Satz 1 BNotO i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.
Rz. 22
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 111g Abs. 1 BNotO i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Herrmann |
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Reiter |
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Böttcher |
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Frank |
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Kuske |
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Fundstellen
NJW 2022, 9 |
WM 2022, 2097 |
JZ 2022, 557 |
MDR 2022, 1247 |
ZNotP 2022, 394 |
ZNotP 2022, 423 |
BRAK-Mitt. 2022, 284 |