Verfahrensgang
AGH Schleswig (Urteil vom 26.04.2023; Aktenzeichen 2 AGH 4/22) |
Nachgehend
Tenor
Auf Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das am 26. April 2023 verkündete Urteil des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichtshofs - 2. Senat - zugelassen.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen zwei von der beklagten Rechtsanwaltskammer erlassene Bescheide, mit denen Abwicklervergütungen festgesetzt wurden.
Rz. 2
Der Kläger war seit April 1990 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen und betrieb seine Kanzlei seitdem in N.. Mit Bescheid vom 13. November 2019 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls. Am 10. November 2020 bestellte der Vorstand der Beklagten gemäß § 55 Abs. 5 BRAO - zunächst bis zum 31. März 2021 - Rechtsanwalt H. aus N. zum Abwickler der Kanzlei des Klägers. Die Bestellung wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 31. Dezember 2021. Mit Bescheid der Beklagten vom 8. Dezember 2021 wurde der Kläger erneut zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Daraufhin widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 8. Dezember 2021 mit sofortiger Wirkung die Bestellung von Rechtsanwalt H. zum Abwickler der Kanzlei des Klägers.
Rz. 3
Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 17. Januar 2022 beantragte Rechtsanwalt H., nachdem er zuvor seitens der Beklagten mit Schreiben vom 25. November 2021 auf die Notwendigkeit eines Einigungsversuchs mit dem Kläger gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 Satz 2 BRAO hingewiesen worden war, gegen den Kläger für die Abwicklung seiner Kanzlei im Zeitraum vom 10. November 2020 bis zum 31. Oktober 2021 (2 AGH 4/22) einen Aufwendungsersatz von 8.201,58 € zuzüglich Verzugszinsen festzusetzen. In der Begründung des Antrags führte er aus, er habe mit persönlich zugestelltem Schriftsatz vom 30. November 2021 gegenüber dem Kläger die Zahlung des vorgenannten Betrages gefordert und nach Ausbleiben einer entsprechenden Zahlung den Kläger mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2021 gemahnt. Dennoch sei keine Zahlung erfolgt. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs (Seite 3 des angefochtenen Urteils) erhielt der Kläger den Festsetzungsantrag vom 17. Januar 2022 mit Schreiben der Beklagten vom 2. Februar 2022, äußerte sich hierzu jedoch nicht. Daraufhin setzte die Beklagte mit Bescheid vom 22. Juli 2022 die Vergütung von Rechtsanwalt H. für die Abwicklung der Kanzlei des Klägers für den Zeitraum vom 10. November 2020 bis 31. Oktober 2021 antragsgemäß auf 8.201,58 € brutto zuzüglich Verzugszinsen fest.
Rz. 4
Mit an die Beklagte gerichtetem Schreiben vom 8. Juni 2022 beantragte Rechtsanwalt H., gegen den Kläger für die Abwicklung seiner Kanzlei im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 25. April 2022 (2 AGH 1/23) einen Aufwendungsersatz von 2.511 € zuzüglich Verzugszinsen festzusetzen. In der Begründung des Antrags führte er aus, er habe mit persönlich zugestelltem Schriftsatz vom 25. April 2022 gegenüber dem Kläger die Zahlung des vorgenannten Betrages gefordert und nach Ausbleiben einer entsprechenden Zahlung den Kläger mit Schriftsatz vom 25. Mai 2022 gemahnt. Dennoch sei keine Zahlung erfolgt. Nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs (Seite 3 des angefochtenen Urteils) erhielt der Kläger auch diesen Antrag zur Stellungnahme. Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 6. Dezember 2022 die Vergütung von Rechtsanwalt H. für die Abwicklung der Kanzlei des Klägers für den Zeitraum vom 1. Januar 2022 bis 25. April 2022 antragsgemäß auf 2.511 € brutto zuzüglich Verzugszinsen fest.
Rz. 5
Die vom Kläger gegen die Bescheide der Beklagten vom 22. Juli 2022 und 6. Dezember 2022 gerichteten Klagen hat der Anwaltsgerichtshof - nach Verbindung der Klageverfahren - abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 6
Der nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthafte Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg. Es liegt ein Verfahrensfehler vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Zudem bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO) im Hinblick auf die Angemessenheit der von der Beklagten mit den Bescheiden vom 22. Juli 2022 und 6. Dezember 2022 gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 Satz 1 und 2 BRAO festgesetzten Vergütung von Rechtsanwalt H..
Rz. 7
1. Der Kläger rügt zu Recht, dass der Anwaltsgerichtshof verfahrensfehlerhaft keine hinreichenden Feststellungen zu - gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 Satz 2 BRAO erforderlichen - Einigungsversuchen zwischen Rechtsanwalt H. und dem Kläger im Hinblick auf die Höhe der Abwicklervergütungen getroffen hat.
Rz. 8
Der Kläger hat im Verfahren - 2 AGH 4/22 - vorgetragen, die Beklagte habe ihn von der Bestellung von Rechtsanwalt H. zum Abwickler nicht unterrichtet. Dies gelte auch für die Verlängerung der Bestellung. Mit dem Bescheid vom 22. Juli 2022 erhalte der Kläger von der Beklagten erstmalig Kenntnis von der Bestellung von Rechtsanwalt H. zum Abwickler. Dieser habe sich niemals bei ihm, dem Kläger, gemeldet (Klageschrift vom 24. August 2022, Seite 2-4). In dem Verfahren - 2 AGH 1/23 - hat der Kläger entsprechend vorgetragen (Klageschrift vom 8. Januar 2023, Seite 2-5).
Rz. 9
Diesem Vortrag des Klägers ist zu entnehmen, dass er die von Rechtsanwalt H. in seinen Anträgen auf Vergütungsfestsetzung erwähnten Schrift-sätze, mit denen er den Kläger zur Zahlung der Abwicklervergütungen aufgefordert haben will, und die dort ebenfalls erwähnten Mahnschreiben nicht erhalten habe und vor den angefochtenen Festsetzungsbescheiden der Beklagten keinerlei Kontakt zwischen ihm und Rechtsanwalt H. bestanden habe. Wenn dies zutrifft, haben jeweils keine Einigungsversuche gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 Satz 2 BRAO als Voraussetzung einer Vergütungsfestsetzung durch die Beklagte stattgefunden. Es oblag daher dem Anwaltsgerichtshof gemäß § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Feststellungen insbesondere dazu zu treffen, ob der Kläger die - nach der Darstellung von Rechtsanwalt H. dem Kläger persönlich zugestellten - Schriftsätze von Rechtsanwalt H. erhalten hat, mit denen dieser den Kläger zur Zahlung der Abwicklervergütungen aufgefordert haben will.
Rz. 10
Entsprechende Feststellungen hat der Anwaltsgerichtshof verfahrensfehlerhaft nicht getroffen. Seine Feststellung, der Kläger habe sich auch gegenüber Rechtsanwalt H. nicht geäußert (Seite 3 des angefochtenen Urteils), betrifft lediglich den mit Schriftsatz der Beklagten vom 2. Februar 2022 übermittelten Antrag von Rechtsanwalt H. auf Vergütungsfestsetzung, nicht hingegen die vorherigen, für die Feststellung eines Einigungsversuchs allein maßgeblichen Schreiben von Rechtsanwalt H., mit denen dieser den Kläger zur Zahlung der Abwicklervergütungen aufgefordert haben will. Soweit der Anwaltsgerichtshof an anderer Stelle in rechtlicher Hinsicht ausführt (Seite 6 des angefochtenen Urteils), es habe für erfolglose Einigungsbemühungen der Beteiligten genügen können, dem Kläger vor Festsetzung der Vergütung die entsprechenden Berechnungen zu übermitteln, ersetzt dies nicht die Feststellung, dass eine solche Übermittlung durch Rechtsanwalt H. auch tatsächlich erfolgt ist.
Rz. 11
2. Es bestehen zudem ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO) im Hinblick auf die Angemessenheit der von der Beklagten mit den Bescheiden vom 22. Juli 2022 und 6. Dezember 2022 gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 Satz 1 und 2 BRAO festgesetzten Vergütung von Rechtsanwalt H..
Rz. 12
Der Begriff der angemessenen Vergütung im Sinne von gemäß § 55 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 54 Abs. 4 Satz 1 BRAO ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Für ihre Festsetzung sind im Wesentlichen der Zeitaufwand, den der Abwickler für die Bewältigung seiner Aufgabe benötigt, seine berufliche Erfahrung und Stellung sowie die Schwierigkeit und Dauer der Abwicklung von Bedeutung. Dabei sind regionale Unterschiede zu berücksichtigen (st. Senatsrspr.; vergleiche zur Vergütung des von Amts wegen bestellten Vertreters eines Rechtsanwalts zuletzt Senat, Beschluss vom 22. Mai 2023 - AnwZ (Brfg) 2/23, NJW 2023, 2579 Rn. 18 mwN). Der Ansatz eines Kanzleikostenanteils als zusätzlicher Bestandteil der festzusetzenden angemessenen Vergütung erscheint gerechtfertigt, wenn ein selbstständiger Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei zum Abwickler bestellt wird und eine Abwicklungstätigkeit von erheblichem Umfang erforderlich ist. Ein Kanzleikostenanteil kommt dagegen hinsichtlich solcher Rechtsanwälte nicht in Betracht, deren Abwicklungstätigkeit ihre Arbeitszeit nur in geringem Umfang - vergleichbar mit einer begrenzten Anzahl von zu leistenden Überstunden - in Anspruch nimmt, so dass sie eigene Mandate in üblichem Umfang weiterbearbeiten und hieraus die Kosten ihrer eigenen Kanzlei decken können (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Mai 2023 aaO Rn. 31 und 42 mwN).
Rz. 13
Der Anwaltsgerichtshof hat gemeint, die von der Beklagten (ohne Begründung) festgesetzte Stundenpauschale von 120 € netto, die auch einen Kanzleikostenanteil des Rechtsanwalts H. enthalte, liege im Bereich des Vertretbaren (Seite 7 des angefochtenen Urteils).
Rz. 14
Diese Ausführungen begründen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs. Der Ansatz eines Kanzleikostenanteils ist vorliegend nicht gerechtfertigt. Er wird weder in den Vergütungsfestsetzungsanträgen von Rechtsanwalt H. noch in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten und ihren erstinstanzlichen Schriftsätzen zur Rechtfertigung eines Stundensatzes von 120 € angeführt. Nach den Festsetzungsanträgen von Rechtsanwalt H., die den angefochtenen Bescheiden der Beklagten zugrunde liegen, hat dieser in dem knapp zwölfmonatigen Vergütungszeitraum vom 10. November 2020 bis 31. Oktober 2021 eine Abwicklungstätigkeit von 57 Stunden und in dem knapp viermonatigen Vergütungszeitraum vom 1. Januar bis zum 25. April 2022 eine Abwicklungstätigkeit von 17,5 Stunden entfaltet. Das entspricht einer Tätigkeit von durchschnittlich 4,75 beziehungsweise 4,4 Stunden pro Monat. Es handelt sich mithin um eine Abwicklungstätigkeit, die die Arbeitszeit von Rechtsanwalt H. nur in geringem Umfang - vergleichbar mit einer begrenzten Anzahl von zu leistenden Überstunden - in Anspruch genommen hat und nach den dargelegten Grundsätzen der Senatsrechtsprechung den Ansatz eines Kanzleikostenanteils nicht rechtfertigt.
Rz. 15
Soweit der Anwaltsgerichtshof ergänzend ausgeführt hat, zudem habe die Geschäftsführerin der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgeführt, man habe sich bezüglich des Stundenhonorars an der STAR-Statistik für das Bundesland Schleswig-Holstein orientiert, dort lägen die in Ansatz gebrachten 120 € pro Stunde im unteren Bereich des statistischen Durchschnitts, fehlen - ungeachtet der Frage, ob solche statistisch erhobenen Stundensätze zur Festsetzung der nach einem Stundenhonorar bemessenen Abwicklervergütung herangezogen werden können - ebenfalls entsprechende Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs. Die dem Senat bekannten STAR-Statistiken enthalten hinsichtlich der erfassten Rechtsanwaltshonorare jedenfalls keine Aufgliederung nach einzelnen Bundesländern (vgl. etwa die Abbildungen unter Ziff. 8.2 "Zeithonorare; Stundensätze" des STAR-Berichts 2020 der Bundesrechtsanwaltskammer und des Instituts für Freie Berufe [https://www.brak.de/fileadmin/04_fuer_journalisten/star-2020/star2020_ergebnisbericht_02-2021.pdf].
Rz. 16
3. Offenbleiben kann, ob die Zulassung der Berufung auch aufgrund der weiteren vom Kläger geltend gemachten Gründe angezeigt ist.
III.
Rz. 17
Das Verfahren wird als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO).
Rechtsmittelbelehrung:
Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist beim Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von der Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Wegen der Verpflichtung, sich im Berufungsverfahren vertreten zu lassen, wird auf die Rechtsmittelbelehrung in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
Limperg Remmert Liebert
Lauer Niggemeyer-Müller
Fundstellen
Dokument-Index HI16227410 |