Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des 1. Senats des Schleswig-Holsteinischen Anwaltsgerichtshofs vom 28. Mai 1998 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß der von der Antragsgegnerin in ihrem Gutachten vom 9. Oktober 1997 angeführte Versagungsgrund nicht vorliegt.
Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 100.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die 1955 geborene Antragstellerin war von 1981 bis 1989 als Rechtsanwältin beim Landgericht L. zugelassen.
Am 17. April 1989 wurde sie durch Urteil des Landgerichts L. wegen Anstiftung zum Meineid, Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage, Beihilfe zur uneidlichen Falschaussage, falscher Verdächtigung, Steuerhinterziehung, Betruges, Urkundenfälschung sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; der Antragstellerin wurde zugleich untersagt, für die Dauer von fünf Jahren den Beruf einer Rechtsanwältin auszuüben.
Mit Rücksicht auf diese Verurteilung hat die Antragstellerin noch am 17. April 1989 auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet.
Nach Verbüßung eines Teils der Freiheitsstrafe bis zum 1. November 1989 wurde die Vollstreckung des Restes zur Bewährung ausgesetzt und die Bewährungszeit bis zum 1. November 1992 festgesetzt. Die Reststrafe wurde nach Ablauf der Bewährungszeit am 4. Mai 1993 erlassen.
Ein gegen die Antragstellerin wegen des Vorwurfs durchgeführtes Strafverfahren, am 27. Januar 1998 in einer Strafsache vor dem Amtsrichter wegen Beleidigung ohne Zulassung als Rechtsanwältin aufgetreten zu sein, wurde durch Beschluß des Amtsgerichts O. in H. vom 14. September 1998 gemäß § 153 a StPO vorläufig eingestellt und der Antragstellerin die (ratenweise) Zahlung einer Geldbuße von 600 DM aufgegeben.
Die (geschiedene) Antragstellerin lebt gemeinsam mit ihrem 1990 geborenen Sohn in Sch.. Sie ist seit 1994 arbeitslos.
Mit Gesuch vom 3. Juni 1997 beantragte die Antragstellerin, sie (erneut) zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsanwältin bei dem Amtsgericht E. und dem Landgericht L. zuzulassen. In ihrem Gutachten vom 9. Oktober 1997 machte die Antragsgegnerin geltend, der Antragstellerin sei die Zulassung zu versagen, da sie sich eines Verhaltens schuldig gemacht habe, das sie als unwürdig erscheinen lasse, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Den Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen und in den Gründen seiner Entscheidung festgestellt, daß der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO vorliege. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO) und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Der Unwürdigkeitsvorwurf und die jedenfalls zeitweilige Einschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Freiheit der Berufswahl sind danach gerechtfertigt, wenn der Bewerber ein Verhalten gezeigt hat, das ihn bei Abwägung dieses Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar erscheinen läßt (Senatsbeschluß vom 14. März 1994 - AnwZ (B) 6/93 - NJW 1994, 1730 = BRAK-Mitt. 1994, 108). Maßgeblich für diese Beurteilung ist der Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung. Denn auch ein schwerwiegendes berufsunwürdiges Verhalten kann nach einer mehr oder minder langen Zeit durch Wohlverhalten oder andere Umstände soviel an Bedeutung verlieren, daß es die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nicht mehr hindern kann. Dabei sind das berechtigte Interesse des Bewerbers nach beruflicher und sozialer Eingliederung und das durch das Berufsrecht geschützte Interesse der Öffentlichkeit, insbesondere der Rechtsuchenden, an der Integrität des Anwaltsberufs gegeneinander abzuwägen (st. Rspr. vgl. Senatsbeschluß vom 29. Januar 1996 - AnwZ (B) 52/95 - BRAK-Mitt. 1996, 122).
Die Frage, wieviele Jahre zwischen einer die Unwürdigkeit begründenden Straftat und dem Zeitpunkt liegen müssen, in dem eine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtlich wieder möglich ist, läßt sich nicht allgemein beantworten. Der Senat hat (Wieder-)Zulassungen als möglich angesehen, wenn nach den Verfehlungen in leichteren Fällen vier bis fünf Jahre, in schweren Fällen bis zu 15 oder 20 Jahre vergangen waren (Senatsbeschluß vom 20. Januar 1995 - AnwZ (B) 16/94 - BRAK-Mitt. 1995, 162 m.w.N.; Senatsbeschluß vom 29. Januar 1996 aaO). Eine schematische Festsetzung des Zeitpunkts, von dem an eine Zeitspanne zu berechnen ist, die vor der (Wieder-)Zulassung liegen muß, ist unangebracht. Es geht nicht um die Berechnung einer Frist, sondern darum, ob das die Unwürdigkeit begründende Verhalten den Bewerber für den Beruf des Rechtsanwalts derzeit noch als untragbar erscheinen läßt; das verlangt eine einzelfallbezogene Gewichtung aller für und gegen den Bewerber sprechenden Umstände.
2. Von diesen Grundsätzen ist auch der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Der Senat vermag sich jedoch dem Ergebnis seiner Beurteilung nicht anzuschließen. Daß die Antragstellerin für den Anwaltsberuf weiterhin untragbar sei, kann nach Auffassung des Senats nicht mehr festgestellt werden.
a) Die strafrechtlichen Verfehlungen der Antragstellerin wiegen zwar – was den Unwürdigkeitsvorwurf anlangt – schwer. Ihr schuldhaftes – bereits vom Anwaltsgerichtshof näher erörtertes – Verhalten, das zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einem immerhin fünfjährigen Berufsverbot führte, hat sie für längere Zeit unwürdig gemacht, den Beruf einer Rechtsanwältin auszuüben. Das gilt zumal deshalb, weil jedenfalls der überwiegende Teil der der Antragstellerin zur Last gelegten Taten mit der anwaltlichen Berufsausübung unmittelbar verknüpft war; insbesondere waren die Aussagedelikte, an denen sie beteiligt war, geeignet, die Rechtspflege in ihrem Kern zu beeinträchtigen (vgl. Feuerich/Braun, BRAO, 4. Aufl., § 7 Rdn. 46).
b) Andererseits liegen – wie bereits vom Anwaltsgerichtshof zutreffend festgestellt – die Vorgänge, die zur Verurteilung der Antragstellerin geführt haben, inzwischen 13 bis zu 15 Jahre zurück. Der Vollzug der Strafe aus dem Urteil vom 17. April 1989 ist vor etwa neun Jahren abgeschlossen worden, die Reststrafe nach Ablauf der Bewährungszeit vor mehr als fünf Jahren erlassen worden. Die Antragstellerin hat sich nach der vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft nach den Feststellungen des Anwaltsgerichtshofs bemüht, beruflich und sozial wieder Fuß zu fassen; sie hat sich zudem der Pflege ihrer krebskranken Mutter gewidmet, die Ende 1994 verstorben ist. Wenngleich sie derzeit arbeitslos ist, hat sie sich ständig um einen Arbeitsplatz bemüht.
Diese Umstände machen in ihrer Gesamtheit deutlich, daß nunmehr – insbesondere unter Berücksichtigung der Ausstrahlung und Bedeutung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG – dem Interesse der Antragstellerin an ihrer beruflichen und sozialen Wiedereingliederung ganz erhebliches Gewicht beigemessen werden muß.
c) Davon ist zutreffend auch der Anwaltsgerichtshof ausgegangen. Er hat die Voraussetzungen des § 7 Nr. 5 BRAO aber dennoch weiterhin als gegeben angesehen, weil die Antragstellerin – wie sie selbst eingeräumt hat – während des laufenden Zulassungsverfahrens im Januar 1998 unter Vorlage einer entsprechenden Vollmacht als Rechtsanwältin an einem Strafverfahren mitgewirkt hat. Dem folgt der Senat im Ergebnis nicht.
Die Versagung der Zulassung bedeutet für den Betroffenen, daß er den Beruf nicht (wieder) ergreifen darf, den er als Grundlage seiner Lebensführung anstrebt, für den er sich ausgebildet hat und für den er die fachlichen Voraussetzungen mitbringt. Durch die Versagung der Zulassung wird deshalb die Freiheit der Berufswahl (Art. 12 Abs. 1 GG) in schwerer Weise eingeschränkt. Das gebietet auch bei der im Einzelfall zu treffenden Entscheidung nach § 7 Nr. 5 BRAO eine strikte Beachtung und Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Senatsbeschluß vom 24. Oktober 1994 - AnwZ (B) 28/94 - BRAK-Mitt. 1995, 166). In diesem Lichte kommt der Verfehlung der Antragstellerin im Januar 1998 nicht eine solche Bedeutung zu, daß sie trotz der seit den früheren Verfehlungen vergangenen Zeit, der zwischenzeitlich ordnungsgemäßen Führung, dem stetigen Streben nach einem die Lebensgrundlage sichernden Arbeitsplatz eine neuerliche Zulassung der Antragstellerin hindern könnte. Die strafrechtliche Bedeutung des Vorgangs im Januar 1998 wird schon durch die Einstellungsentscheidung gemäß § 153 a StPO als weniger gewichtig gekennzeichnet. Hinzu kommt, daß die Antragstellerin das Mandat – in einem Verfahren von geringerer Bedeutung – unwiderlegt zu einem Zeitpunkt übernommen hat, in dem sie zumindest noch hoffen konnte, vor einem anwaltlichen Handeln die Zulassung erlangt zu haben. Daß sie – obwohl das Zulassungsverfahren noch nicht abgeschlossen war – dennoch als Rechtsanwältin aufgetreten ist, gereicht ihr zwar zum Vorwurf, stellt sich aber in der hier gegebenen Situation jedenfalls nicht als Ausdruck eines noch vorhandenen Persönlichkeitsmangels dar, der den Unwürdigkeitsvorwurf im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO zu stützen geeignet wäre.
Eine Gesamtabwägung führt mithin zu dem Ergebnis, daß gegenwärtig nicht mehr festgestellt werden kann, die Antragstellerin sei für den Anwaltsberuf noch untragbar.
Unterschriften
Geiß, Basdorf, Ganter, Terno, v. Hase, Kieserling, Körner
Fundstellen
Haufe-Index 539905 |
NJW-RR 1999, 1219 |
BRAK-Mitt. 1999, 187 |