Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsfähigkeit von Reisekosten eines in die Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragenen Verbands

 

Leitsatz (amtlich)

Ein nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4 UKlaG in die Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragener Verbraucherverband ist unabhängig von seiner Geschäftsorganisation in durchschnittlich schwierigen Fällen unter dem Gesichtspunkt der Kostenerstattung gehalten, einen am Gerichtsort ansässigen Prozessvertreter zu beauftragen. Reisekosten zum Prozessgericht zählen in diesen Fällen nicht zu den notwendigen Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung.

 

Normenkette

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 10.05.2012; Aktenzeichen 18 W 78/12)

LG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 30.03.2012; Aktenzeichen 2-24 O 135/10)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des OLG Frankfurt, 18. Zivilsenat, vom 10.5.2012 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Streitwert: 256,24 EUR

 

Gründe

Rz. 1

I. Die Parteien streiten um die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des in H. ansässigen Prozessvertreters des Klägers für ein in beiden Instanzen in F. betriebenes Streitverfahren nach dem Unterlassungsklagengesetz (UKlaG).

Rz. 2

Der Kläger ist ein nach §§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 4 UKlaG in die Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragener Verbraucherverband, der auf dem Gebiet des Versicherungswesens tätig ist und seinen Sitz in H. hat. Er nahm in 18 Parallelverfahren bei verschiedenen Gerichten im gesamten Bundesgebiet Versicherungsunternehmen auf Unterlassung der in ihren Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB) im Wesentlichen gleich lautend aufgenommenen sog. Kostenminderungsklausel in Anspruch. Nach dieser hat der Versicherungsnehmer alles zu vermeiden, was eine unnötige Erhöhung der Kosten oder eine Erschwerung ihrer Erstattung durch die Gegenseite verursachen könnte.

Rz. 3

Im Streitfall ließ sich der Kläger - wie auch in den übrigen Verfahren - von dem an seinem Sitz niedergelassenen und auch sonst für ihn tätigen Prozessbevollmächtigten vertreten.

Rz. 4

Die Klage hatte ganz überwiegend Erfolg und die Beklagte die Kosten zu tragen.

Rz. 5

Im Kostenfestsetzungsverfahren hat das LG die für beide Instanzen angemeldeten Reisekostenpositionen (Fahrtkosten, Abwesenheitsgeld, Auslagen) von insgesamt 256,24 EUR nicht anerkannt. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das OLG zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen, mit der der Kläger seinen Festsetzungsantrag in vollem Umfang weiterverfolgt.

Rz. 6

II. Die Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.

Rz. 7

1. Das Beschwerdegericht meint, gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO sei der streitgegenständliche Kostenaufwand zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen. Als eingetragener Verbraucherschutzverband sei der Kläger nach seiner personellen, sachlichen und finanziellen Ausstattung in der Lage und gehalten gewesen, einen am Gerichtsort ansässigen Prozessbevollmächtigten mit seiner Vertretung zu beauftragen und ihn für die entsprechende Wahrnehmung des Mandats schriftlich und telefonisch zu informieren. Sein Einwand, die von ihm beschäftigten Volljuristinnen seien mit anderen Tätigkeiten als der Instruktion von Prozessvertretern ausgelastet gewesen, sei entgegen der Auffassung des OLG Düsseldorf (VuR 2007, 78) unbeachtlich. Besondere Gründe, die Beklagte mit solchen Mehrkosten zu belasten, seien nicht gegeben. Insbesondere hätte der Kläger auch am Gerichtsort für diese Streitverfahren ausreichend qualifizierte Rechtsanwälte finden können. Ebenso habe er die Parallelverfahren mit den an verschiedenen Gerichtsorten ansässigen Rechtsanwälten selbst koordinieren können.

Rz. 8

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.

Rz. 9

Das Beschwerdegericht hat mit Recht angenommen, dass es dem Kläger i.S.v. § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung möglich gewesen wäre, am jeweiligen Gerichtsort ansässige Verfahrensbevollmächtigte zu mandatieren. Reisekosten für den an seinem Sitz niedergelassenen und von ihm mit allen Parallelverfahren betrauten Anwalt seines Vertrauens sind daher nicht erstattungsfähig.

Rz. 10

a) Zutreffend ist der vom Beschwerdegericht für die Kostenerstattungsfrage zugrunde gelegte rechtliche Ansatz. Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten nach § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich ansehen durfte; dabei trifft sie die Obliegenheit, unter mehreren gleichgearteten Maßnahmen die kostengünstigere auszuwählen (BGH, Beschl. v. 10.7.2012 - VIII ZB 106/11, MDR 2012, 1128 Rz. 8).

Rz. 11

Auf dieser Grundlage handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH bei entstehenden reisebedingten höheren Kosten eines Prozessvertreters im Allgemeinen um notwendige Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung, wenn eine vor einem auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei einen an ihrem Wohn- oder Geschäftsort ansässigen Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt (BGH, Beschl. v. 20.5.2008 - VIII ZB 92/07, NJW-RR 2009, 283 unter II 2a; v. 25.1.2007 - V ZB 85/06, NJW 2007, 2048 unter III 1a; v. 11.3.2004 - VII ZB 27/03, VersR 2005, 93 unter II a; jeweils m.w.N.).

Rz. 12

Das gilt allerdings nicht, wenn schon im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch für die Prozessführung nicht erforderlich sein wird (BGH v. 28.6.2006 - IV ZB 44/05, VersR 2006, 1562 Rz. 8; v. 21.9.2005 - IV ZB 11/04, VersR 2006, 136 unter 2b aa; jeweils m.w.N.).

Rz. 13

Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn die Partei - wie etwa gewerbliche Unternehmen mit entsprechend organisierter eigener Rechtsabteilung - den Rechtsstreit in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet und daher in der Lage ist, einen am auswärtigen Gerichtsort niedergelassenen Rechtsanwalt in ausreichendem Umfang schriftlich zu instruieren (Senatsbeschlüsse, a.a.O., m.w.N.).

Rz. 14

Insoweit hat der BGH anerkannt, dass zu diesen Parteien, denen eine solche umfassende schriftliche Instruktion zur Prozessführung abzuverlangen ist, grundsätzlich Verbände zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen gem. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UKlaG (BGH, Beschl. v. 18.12.2003 - I ZB 18/03, NJW-RR 2004, 856 unter II 2) und Verbraucherschutzverbände gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 UKlaG (BGH, Beschl. v. 2.10.2008 - I ZB 96/07, VersR 2009, 374 Rz. 9; Senatsbeschluss vom 21.9.2005, a.a.O., unter 2b bb) zählen.

Rz. 15

b) Nach diesen Grundsätzen war der Kläger kostenrechtlich gehalten, einen Bevollmächtigten am Gerichtsort zu beauftragen.

Rz. 16

Er gehört zu der Gruppe von Verbraucherverbänden, von denen nach der Rechtsprechung des BGH in typischen und durchschnittlich schwierigen Fällen grundsätzlich die schriftliche Information ihrer Bevollmächtigten zu fordern ist (BGH, Beschl. v. 2.10.2008, a.a.O.; Senatsbeschluss vom 21.9.2005, a.a.O.).

Rz. 17

Das Beschwerdegericht hat ferner die gesamten Umstände des Falles rechtsfehlerfrei dahingehend gewürdigt, dass auch unter Berücksichtigung der Parallelverfahren die Einschaltung des H. Anwalts nicht notwendig war, weil der Kläger Prozessbevollmächtigte am Gerichtsort selbst hätte unterrichten können.

Rz. 18

aa) Ohne Erfolg versucht die Rechtsbeschwerde dem die Besonderheiten des Streitfalles mit seiner Einbeziehung von 17 weiteren Parallelverfahren entgegenzuhalten, die zum Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts ausnahmsweise eine persönliche Kontaktaufnahme als unverzichtbar hätten erscheinen lassen, um die erforderliche Koordination des Vorgehens gegen verschiedene in einem Wirtschaftsverband verbundene Unternehmen mit einheitlichen Argumenten sicherzustellen.

Rz. 19

Es ging in allen Verfahren allein um die von den in Anspruch genommenen Versicherern in ihren ARB jeweils verwandte inhaltsgleiche Kostenminderungsklausel. Die Bedenken gegen die Wirksamkeit einer solchen Klausel waren seit der Terminsnachricht des Senats im Verfahren IV ZR 352/07 und einer späteren Veröffentlichung (Wendt, r+s 2010, 221) weitgehend aufgedeckt. Der Sachverhalt war insoweit unstreitig und der Prozessstoff und dessen Vor- und Aufarbeitung auch aus ex-ante-Sicht im Wesentlichen festgelegt. Angesichts dessen hätte der mit Volljuristinnen besetzte Kläger auch durch schriftliche/fernmündliche Instruierungen wechselnder Prozessvertreter am jeweiligen Gerichtsort (vgl. Senatsbeschluss vom 28.6.2006, a.a.O., Rz. 11) für eine sachgerechte anwaltliche Interessenvertretung sorgen können, ohne die Beklagtenseite mit zusätzlichen Kosten zu belasten.

Rz. 20

Die von der Rechtsbeschwerde betonte erforderliche Koordination in einer Hand am Geschäftsort des Klägers durch seinen Hausanwalt vor allem im Interesse einer einheitlichen Argumentation in den verschiedenen Prozessen und Abwehr von sonst ggf. teilweise akzeptierten einzelnen Gegenargumenten verliert demgegenüber an Gewicht. Die von ihr beschworene Gefahr einer nicht hinzunehmenden Schwächung der Stellung des Klägers bei der Wahrnehmung der ihm zugewiesenen und von ihm übernommenen Verbraucherschutzaufgaben ist bei der gegebenen überschaubaren Sach- und Rechtslage weder im Streitfall noch in den übrigen Parallelverfahren zu erkennen.

Rz. 21

Die zusätzlich herausgestellten Unterschiede in der Rechtsprechung der verschiedenen Gerichte und in dem Vorgehen des jeweiligen Prozessgegners vermögen schon wegen der tatsächlich nur auf eine Klausel beschränkten Wirksamkeitskontrolle die Notwendigkeit einer persönlichen Kontaktaufnahme zum Zeitpunkt der Beauftragung des Anwalts nicht zu stützen; erforderlich war dies nach der rechtlich nicht zu beanstandenden tatrichterlichen Würdigung nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 21.9.2005, a.a.O., unter 2b cc).

Rz. 22

bb) Die weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Bedenken gegen die Gleichstellung des Klägers mit Parteien, die nach der vorgenannten Rechtsprechung des BGH auf die schriftliche Instruktion von Anwälten für die Prozessführung verwiesen werden dürfen, greifen ebenfalls insgesamt nicht durch.

Rz. 23

(1) Dem Senatsbeschluss vom 21.9.2005 (a.a.O. unter 2b bb) zur fehlenden Erstattungsfähigkeit von Verkehrsanwaltskosten bei klagenden Verbraucherverbänden ist nicht eine weitgehende Anerkennung von Reisekosten eines am Geschäftssitz der klagenden Partei ansässigen Rechtsanwalts zu entnehmen. Der Senat hat vielmehr seine Entscheidung darauf gestützt, dass bei in der Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG eingetragenen Verbraucherverbänden wegen der für die Eintragung nach § 4 Abs. 2 Satz 1, Satz 4 Nr. 2 UKlaG vorausgesetzten Gewähr für eine sachgerechte Aufgabenerfüllung nichts anderes gelten kann als bei Verbänden zur Förderung gewerblicher oder selbständiger beruflicher Interessen i.S.v. § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG, die wie Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung behandelt werden. Das gilt für Verkehrsanwaltskosten und Reisekosten gleichermaßen.

Rz. 24

(2) Die nach Auffassung der Rechtsbeschwerde bestehenden Unterschiede zwischen Wettbewerbsverbänden und Verbraucherverbänden erlauben eine andere Beurteilung nicht.

Rz. 25

Bei Verbraucherverbänden wird - was auch die Rechtsbeschwerde nicht verkennt - gem. § 4 Abs. 2 Satz 2 UKlaG unwiderleglich vermutet, dass sie - bei Förderung mit öffentlichen Mitteln wie beim Kläger - die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben verbundenen Eintragungsvoraussetzungen erfüllen und ihnen deswegen die Klagebefugnis zusteht. Eine Differenzierung bei den Kostenerstattungsmöglichkeiten - etwa nach der gewählten Struktur und Schwerpunktsetzung der Aufgaben, der Höhe der Fördermittel, den personellen Kapazitäten, dem spezifischen personellen Einsatz etc., wie sie die Rechtsbeschwerde erwägt - ist damit nicht zu vereinbaren.

Rz. 26

(3) Aus diesem Grund kann auch mit dem Beschwerdegericht der Auffassung des OLG Düsseldorf (a.a.O.) nicht zugestimmt werden, nach der der Einwand einer anderweitigen Auslastung beschäftigter Volljuristen im Einzelfall beachtlich sein soll. Auch das ist bereits höchstrichterlich anerkannt (BGH, Beschl. v. 2.10.2008 - I ZB 96/07, VersR 2009, 374 Rz. 9).

Rz. 27

(4) Die personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung, die die schriftliche Unterrichtung von Prozessbevollmächtigten in geeigneten Fällen ermöglicht und kostenrechtlich verlangt, wird von dieser Fiktion ebenso erfasst. Unterlegene Parteien müssen danach nicht hinnehmen, mit Kosten belastet zu werden, die sie bei anderer Organisation der Geschäfte des Verbraucherschutzverbandes nicht zu tragen hätten. Die zusätzlichen rechtspolitischen Überlegungen der Rechtsbeschwerde vermögen an der über diese Fiktion gesetzlich bindend festgelegten Qualifizierung von Verbraucherverbänden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ebenso wenig etwas zu ändern wie ihre sonst befürchtete Schwächung der Konfliktfähigkeit des Klägers und der damit verbundenen Gefahren für einen effektiven Verbraucherschutz. Eine Kostenerstattung kann nicht davon abhängig gemacht werden, wie ein Verbraucherverband die Schwerpunkte bei der Erfüllung seiner Aufgaben setzt (vgl. OLG Köln VersR 2012, 1385, 1389 a.E.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 3545820

NJW-RR 2013, 242

JurBüro 2013, 201

ZIP 2013, 800

JZ 2013, 131

MDR 2013, 183

NJ 2013, 6

Rpfleger 2013, 234

VersR 2013, 877

GuT 2014, 222

RVGreport 2013, 67

Mitt. 2013, 200

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