Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Kosten des Rechtsstreits. Erstattungsfähigkeit. Bundesweit tätiger Krankenversicherer. Ständig beauftragter „Hausanwalt”. Nicht ansässig am Gerichtsort. Selbstständige Bearbeitung nach den Geschäftsgrundsätzen des Auftraggebers. Fiktive Reisekosten des Hauptbevollmächtigten. Unterbevollmächtigung
Leitsatz (amtlich)
Überlässt ein bundesweit tätiger Versicherer nach endgültiger Leistungsablehnung seine Akten einem Rechtsanwalt, der aufgrund ständiger Geschäftsbeziehungen derartige Verfahren weiter bearbeitet ("Hausanwalt"), hat der unterliegende Prozessgegner diese Betriebsorganisation hinzunehmen und etwaige fiktive Reisekosten des bevollmächtigten Hausanwalts als notwendige Kosten des Rechtsstreits zu tragen (Fortführung von Senatsbeschluss vom 21.1.2004 - IV ZB 32/03 - RuS 2005, 91).
Normenkette
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; ZPO Abs. 2 S. 1 Hs. 2
Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 28.10.2005; Aktenzeichen 8 W 479/05) |
LG Stuttgart (Beschluss vom 09.09.2005; Aktenzeichen 22 O 340/03) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 8. Zivilsenats des OLG Stuttgart vom 28.10.2005 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des LG Stuttgart vom 9.9.2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 1.046,78 EUR festgesetzt.
Gründe
[1]I. Der Rechtsbeschwerdeführer verlangt im Kostenfestsetzungsverfahren Erstattung fiktiver Reisekosten seines Hauptprozessbevollmächtigten.
[2]Im Ausgangsrechtsstreit stritt der Kläger vor dem LG Stuttgart mit seinem bundesweit tätigen Krankenversicherer um die Erstattungsfähigkeit entstandener Arztkosten. Der Beklagte, der seinen Sitz in L. hat, beauftragte mit der Prozessvertretung einen in B. ansässigen Rechtsanwalt, dem er alle seine Fälle, bei denen es nach endgültiger Leistungsablehnung zum Rechtsstreit kommt, zur weiteren weitgehend eigenständigen Bearbeitung überlässt. Die Parteien schlossen nach drei Verhandlungsterminen einen Vergleich, wonach der Kläger 4/5, der Beklagte 1/5 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. Die Verhandlungstermine hatten für den Beklagten Unterbevollmächtigte aus T. wahrgenommen.
[3]Deren Kosten i.H.v. 1.996,36 EUR setzte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten in seinem Kostenfestsetzungsantrag an, hilfsweise seine eigenen fiktiven Reisekosten von L. nach Stuttgart i.H.v. 1.308,48 EUR. Die Rechtspflegerin des LG erkannte nur letztere als erstattungsfähig an. Auf die hiergegen vom Kläger eingelegte sofortige Beschwerde hob das Beschwerdegericht den Kostenfestsetzungsbeschluss auf und setzte die zu erstattenden Kosten des Beklagten unter Abzug (auch) dieser fiktiven Reisekosten fest. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Beklagte die Kostenerstattung unter Berücksichtigung fiktiver Reisekosten weiter.
[4]II. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
[5]1. Nach Ansicht des Beschwerdegerichts hätte der Beklagte einen Rechtsanwalt am Ort des Prozessgerichts bevollmächtigen müssen. Dieser hätte durch die qualifizierten Mitarbeiter des Beklagten schriftlich instruiert werden können, da der Ausgangsrechtsstreit - was unstreitig ist - in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht keine Schwierigkeiten geboten habe. Der Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sein Prozessbevollmächtigter besonders sachkundig gewesen sei, da es bei Wahrnehmung der rechtlichen Interessen weniger auf juristisches, als vielmehr auf medizinisches Wissen angekommen sei. Die Rechtsprechung des BGH zum sog. "Outsourcing" (BGH, Beschlüsse vom 11.11.2003 - VI ZB 41/03 - VersR 2004, 352; vom 2.12.2004 - I ZB 4/04 - BB 2005, 294) sei nicht einschlägig, da es nicht um rechtliche Schwierigkeiten des Prozesses gehe, sondern um die Information und Instruktion eines Rechtsanwalts in einer Rechtsangelegenheit, die zum eigentlichen Unternehmensgegenstand des Beklagten gehöre. Der Beklagte verlagere mithin typische Sachbearbeiteraufgaben auf seinen Hausanwalt, um so Personal einzusparen. Allgemeiner Aufwand bei der Bearbeitung eines Prozesses begründe jedoch keinen Kostenerstattungsanspruch.
[6]2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
[7]a) Die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines Unterbevollmächtigten richtet sich nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO (BGH, Beschlüsse vom 9.9.2004 - I ZB 5/04 - VersR 2005, 1454 unter 2; vom 11.11.2003a.a.O. unter 2a; vom 16.10.2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898 unter B II 1). Um dem Bedarf an persönlichem Kontakt und dem Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Anwalt Rechnung zu tragen, kann eine Partei grundsätzlich die Kosten ihres Prozessbevollmächtigten auch dann erstattet verlangen, wenn dieser bei dem Prozessgericht nicht zugelassen und am Gerichtsort nicht ansässig ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6.5.2004 - I ZB 27/03 - NJW-RR 2004, 1500 unter II; vom 18.12.2003 - I ZB 18/03 - NJW-RR 2004, 856 unter II 1). Die - dann ggf. zusätzlich entstehenden - Kosten eines Unterbevollmächtigten sind zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung aber nur notwendig - also erstattungsfähig -, soweit sie die durch die Tätigkeit des Unterbevollmächtigten ersparten, erstattungsfähigen Reisekosten des Hauptbevollmächtigten nicht wesentlich übersteigen (Senatsbeschluss vom 21.9.2005 - IV ZB 11/04 - VersR 2006, 136 unter 2a aa; BGH, Beschlüsse vom 2.12.2004a.a.O. unter II 2; vom 14.9.2004 - VI ZB 37/04 - NJW-RR 2005, 707 unter II 1; vom 16.10.2002a.a.O. unter B II 2 a).
[8]Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Reisekosten des Hauptbevollmächtigten wiederum ist § 91 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ZPO (Senatsbeschluss vom 21.1.2004 - IV ZB 32/03 - RuS 2005, 91 unter 1; BGH, Beschluss vom 11.11.2003a.a.O. unter 2b bb). Danach ist die Beauftragung des Hauptbevollmächtigten nicht erforderlich, wenn ein am Ort des Prozessgerichts ansässiger Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter hätte beauftragt werden müssen (BGH, Beschlüsse vom 2.12.2004a.a.O. unter II 2; vom 9.9.2004a.a.O. unter 2a; vom 13.5.2004 - I ZB 3/04 - NJW-RR 2004, 1212 unter 1). Dies ist (u.a.) dann der Fall, wenn bereits zum Zeitpunkt der Beauftragung des Hauptbevollmächtigten feststeht, dass ein eingehendes Mandantengespräch nicht erforderlich sein wird (BGH, Beschlüsse vom 3.3.2005 - I ZB 24/04 - NJW-RR 2005, 922 unter II 2c; vom 2.12.2004a.a.O. unter II 3b; vom 9.9.2004a.a.O. unter 3b; vom 23.3.2004 - VIII ZB 145/03 - FamRZ 2004, 866 unter 2; vom 11.11.2003a.a.O. unter 2b bb (b)), wie beispielsweise bei einem Unternehmen, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt (Senatsbeschluss vom 21.1.2004a.a.O. unter 2a; BGH, Beschlüsse vom 13.5.2004a.a.O. unter 1; vom 6.5.2004a.a.O. unter II; vom 16.10.2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898 unter B II 2b bb (2)).
[9]b) Nach diesen Grundsätzen war der Beklagte nicht gehalten, einen Bevollmächtigten am Gerichtsort zu beauftragen.
[10]aa) Unstreitig verfügt er zwar über qualifiziertes Personal, das auch zur schriftlichen Instruktion auswärtiger Rechtsanwälte in der Lage ist. Allerdings erforderte eine solche Bearbeitung der jährlich anfallenden 120-150 Gerichtsverfahren seinen Angaben zufolge die Einstellung weiterer Mitarbeiter. Aus diesem - vom Kläger bestrittenen - Grunde beauftragt der Beklagte in allen Fällen streitig werdender Leistungsablehnungen den auch hier mandatierten Hauptprozessbevollmächtigten, indem er ihm regelmäßig ohne weitere Instruktionen lediglich die Mitgliedsakten zur selbständigen Bearbeitung nach den ihm bekannten Geschäftsgrundsätzen seines Auftragsgebers überlässt. Diese interne betriebliche Organisation der Abwicklung derartiger Prozessfälle hat der Kläger hinzunehmen, ohne dass es auf die vorgenannte Frage vorhandener Personalkapazität für schriftliche Instruktionen anstelle nicht erforderlicher Mandantengespräche ankommt.
[11]bb) Der Beklagte muss sich nicht so behandeln lassen, als sei seine Betriebsorganisation auf nicht-mündliche Unterrichtungen wechselnder Rechtsanwälte am jeweiligen Gerichtssitz eingerichtet. Im Rahmen der Kostenerstattung kommt es auf die tatsächliche Organisation des Unternehmens der Partei an und nicht darauf, welche Organisation als zweckmäßiger anzusehen sein könnte (st.Rspr. Senatsbeschlüsse vom 21.9.2005 - IV ZB 11/04 - VersR 2006, 136 unter 2b aa; vom 21.1.2004a.a.O. unter 2a mit zahlreichen w.N.). Der Prozessgegner hat es hinzunehmen, dass er die erforderlichen Kosten eines als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalts regelmäßig zu tragen hat, während etwa die Kosten einer Rechtsabteilung bzw. besonders qualifizierter Fachabteilungen nicht auf ihn abgewälzt werden könnten (BGH, Beschlüsse vom 2.12.2004a.a.O. unter II 3b bb m.w.N.; vom 9.9.2004a.a.O. unter 3a bb; vom 13.5.2004a.a.O. unter 2). Es besteht keine Obliegenheit oder gar Verpflichtung, durch eine unternehmerische Entscheidung, deren Kosten nicht absehbar sind und hier zu Lasten der Versichertengemeinschaft gehen müsste, eine entsprechende interne Organisation vorzusehen bzw. vorzuhalten.
[12]cc) Die vom Beklagten gewählte Organisationsform wird von seinem berechtigten Interesse getragen, sich durch den Rechtsanwalt seines Vertrauens auch vor auswärtigen Gerichten vertreten zu lassen; ein solcher Bedarf ist ebenso gewichtig wie ein etwaiger Bedarf an persönlichem Kontakt zwischen Partei und Anwalt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2.12.2004a.a.O. unter II 3a; vgl. auch Beschlüsse vom 14.9.2004 - VI ZB 37/04 - NJW-RR 2005, 707 unter II 2; vom 9.9.2004a.a.O. unter 3a; vom 11.3.2004 - VII ZB 27/03 - NJW-RR 2004, 858 unter II 2 a). Das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant dient der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (BGH, Urt. v. 4.4.2005 - AnwZ (B) 19/04 - NJW 2005, 1711 unter II zu Fachanwaltsbezeichnungen) und war ein entscheidender Grund für die Änderung des Lokalisationsprinzips und der Singularzulassung (vgl. BT-Drucks. 12/4993, 43 und 53; BVerfGE 103, 1, 16; BGH, Beschlüsse vom 11.3.2004a.a.O.; vom 16.10.2002 - VIII ZB 30/02 - NJW 2003, 898 unter B II 2b bb (1)). Dem muss auch im Rahmen der Kostenerstattung Rechnung getragen werden (BGH, Beschluss vom 11.3.2004a.a.O.).
[13]dd) Entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts lässt sich der Rechtsprechung des BGH zum sog. "Outsourcing" (Beschluss vom 11.11.2003a.a.O.) nichts anderes entnehmen. Zu Recht weist die Beschwerde daraufhin, dass die vom Beschwerdegericht daraus abgeleitete Sonderbehandlung rechtlich minder schwerer Fälle erhebliche Abgrenzungsprobleme mit sich brächte. Dies wäre bereits mit der im Kostenrecht gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht zu vereinbaren (BGH, Beschlüsse vom 12.12.2002 - I ZB 29/02 - VersR 2004, 666 unter 2b aa; vom 2.12.2004a.a.O. unter II 2; vom 9.9.2004a.a.O. unter 2b; vgl. auch Wolst in Musielak, ZPO 4. Aufl., § 91 Rz. 27).
[14]c) Ob ggf. auch höhere Kosten infolge der Beauftragung eines - wie hier - an einem dritten Ort ansässigen Prozessbevollmächtigten erstattungsfähig sein können, bedarf keiner Entscheidung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14.9.2004a.a.O. unter II 2c; vom 11.3.2004a.a.O. unter II 2b (2)). Der Beklagte begehrt lediglich die Festsetzung der fiktiven Reisekosten des Prozessbevollmächtigten vom Unternehmenssitz zum Gerichtsort.
Fundstellen
Haufe-Index 1560006 |
NJW 2006, 3008 |
BGHR 2006, 1334 |
EBE/BGH 2006, 276 |
MDR 2007, 431 |
NZV 2006, 535 |
Rpfleger 2006, 673 |
VRS 2006, 168 |
VersR 2006, 1562 |
GuT 2006, 267 |
NJW-Spezial 2006, 497 |
RVGreport 2006, 391 |
r+s 2007, 43 |
BRAK-Mitt. 2006, 288 |