Entscheidungsstichwort (Thema)
sexueller Mißbrauch eines Kindes
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 17. November 1998 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen „sexuellen Mißbrauchs von Kindern [richtig: eines Kindes] in sechs Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexueller Nötigung, und wegen sexueller Nötigung” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt; ferner hat es angeordnet, daß er an die Verletzte ein Schmerzensgeld von 7.000 DM zu zahlen habe. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
1. Das Urteil hat keinen Bestand, weil die bisher getroffenen Feststellungen eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung (§ 178 Abs. 1 StGB a.F. bzw. § 177 Abs. 1 StGB n.F.) nicht tragen. Das Landgericht ist ausdrücklich nicht davon ausgegangen, daß der Angeklagte die Geschädigte, die Tochter seiner früheren Lebensgefährtin, „durch Schläge oder Drohungen gefügig gemacht habe” (UA 19). Gleichwohl geht es – ohne dies im Rahmen der rechtlichen Würdigung allerdings näher auszuführen (UA 21) – ersichtlich davon aus, daß der Angeklagte jeweils unter Anwendung von Gewalt die sexuellen Handlungen an dem Mädchen vorgenommen hat. Diese Annahme entbehrt jedoch einer ausreichenden tatsächlichen Grundlage.
Tatbestandliche Gewaltanwendung erfordert nach der Rechtsprechung nicht unbedingt einen größeren Kraftaufwand; es muß sich aber um eine nicht ganz unerhebliche, gegen den Körper des Opfers gerichtete Einwirkung handeln, die von diesem als körperlicher Zwang empfunden wird. Hinzu kommen muß eine zweckbedingte Verknüpfung zwischen dem Nötigungsmittel und dem Taterfolg dergestalt, daß die Gewaltanwendung nach dem Willen des Täters der Vornahme der sexuellen Handlung tatsächlich dient (BGH NStZ 1981, 218; 1985, 71; BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 3, 4, 7, 8; BGH, Urteil vom 28. Februar 1991 - 4 StR 553/90 - und Beschluß vom 18. November 1997 - 4 StR 546/97).
Zwar hat das Landgericht in allen Fällen – sowohl in den vier Fällen „der erzwungenen Duldung von Beischlafbewegungen mit Samenergüssen” als auch in den drei Fällen, in denen der Angeklagte die Scheide des Mädchens „über oder unter ihrem Schlüpfer” betastete – festgestellt, daß sich das Mädchen „gegen diese Annäherungen … wehrte” bzw. „vergebens sträubte” (UA 8/9). Doch ergibt die eher pauschale Feststellung, daß das Mädchen versuchte, den Angeklagten „mit Armen und Beinen abzuwehren” (UA 8), noch nicht notwendig, daß der Angeklagte seinerseits qualifizierende Gewalt gegen das Mädchen zur Erzwingung der sexuellen Handlungen verübte. Insoweit fehlt es in den Fällen II 2. c und 3. der Urteilsgründe an jeglicher Konkretisierung. Demgegenüber teilt das Urteil zwar im Fall II 2. a mit, daß der Angeklagte dem Mädchen, das sich zur Wand abkehrte, „den Mund zu(hielt) oder ihr das Kissen ins Gesicht (drückte)” (UA 7), und daß er sich in den Fällen II 2. b „in ähnlicher Weise” an dem Mädchen verging und er sie „auf die Couch oder auch auf den Fußboden niederdrückte und sie dann am Unterkörper entkleidete, worauf er sich zu ihr legte” (UA 8). Hierin könnte für sich genommen die Anwendung von tatbestandlicher Gewalt gesehen werden. Doch macht das Urteil nicht hinreichend deutlich, daß sich das Landgericht die Überzeugung verschafft hat, daß in jedem der abgeurteilten Einzelfälle der Angeklagte in dieser Weise Gewalt angewendet hat und er sich dabei auch bewußt war, hierdurch die sexuellen Handlungen zu erzwingen. Daß er sich in „ähnlicher” Weise an dem Mädchen verging (UA 7), genügt den Mindestanforderungen an die Konkretisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen in jedem Einzelfall nicht. Dahingehender konkreter Feststellungen zu den einzelnen Taten hätte es hier auch deshalb bedurft, weil das Landgericht in den Fällen II. 2 jegliche nähere zeitliche Einordnung der davon erfaßten Taten innerhalb des nur pauschal angegebenen, sich über mehrere Jahre erstreckenden Tatzeitraums unterläßt, es aber selbst davon ausgeht, daß der Angeklagte bei einschlägigen Vorkommnissen innerhalb desselben Zeitraums (und danach) auch ohne weiteres von dem Mädchen abließ, wenn es sich wehrte (UA 9/10), er also gerade keine körperliche Kraft gegen es einsetzte und dies ersichtlich auch nicht wollte.
Der die Verurteilung wegen sexueller Nötigung betreffende Feststellungsmangel führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt, auch soweit der Angeklagte des tateinheitlich verwirklichten sexuellen Mißbrauchs eines Kindes für schuldig befunden worden ist.
Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln.
2. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß die gerichtliche Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) es angesichts der gegebenen Beweislage, bei der Aussage gegen Aussage steht, nahelegt, zur Frage der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin, auf deren Aussage die Verurteilung des die Tatbegehung bestreitenden, nicht bestraften Angeklagten allein beruht, einen Sachverständigen zu vernehmen. Hierzu geben Besonderheiten in der Person des Mädchens und seines Aussageverhaltens, die das Landgericht auch nicht verkannt hat (UA 17), Anlaß (vgl. BGH StV 1995, 115 f.; BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 12). Angesichts dieser Besonderheiten hätte der Senat Bedenken, die von dem Landgericht in Anspruch genommene eigene Sachkunde (UA 21) zu bestätigen. Dies gilt umso mehr, als das angefochtene Urteil eine einleuchtende Begründung dafür vermissen läßt, daß die Nebenklägerin glaubwürdig sei, obwohl sie den Angeklagten bei ihrer polizeilichen Vernehmung vom 17. Oktober 1997 (UA 13 f.) in erheblich größerem Umfang als bei ihrer Aussage in der Hauptverhandlung belastet hat. In diesem Zusammenhang ist es zudem widersprüchlich, wenn das Landgericht – ersichtlich unter Bezugnahme auf die Angaben bei der polizeilichen Vernehmung – meint, das Mädchen sei dabei „mit der ganzen Wahrheit heraus(ge)kommen”, andererseits sich vom Umfang der dortigen Beschuldigungen gerade nicht überzeugen konnte. Schließlich gibt die Beweiswürdigung des Landgerichts Anlaß zu dem Hinweis, daß die Annahme, das Mädchen habe Einzelheiten beschrieben, „die sie nicht erfunden haben kann” (UA 18), sich nicht auf ein gesichertes Erfahrungswissen stützen läßt. Im übrigen dürfen Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit eines Zeugen nicht durch sonst unbestätigte Angaben desselben Zeugen zerstreut werden („Kreisschluß”; BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 12 a.E.).
Die höheren Anforderungen, die in Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, auch an die Aufklärungspflicht zu stellen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 43. Aufl. § 244 Rdn. 12 m.N.), legen hier auch die von der Revision vermißte Vernehmung der Großmutter der Nebenklägerin, Hildegard M., nahe. Wie die Urteilsgründe ausweisen, hat sie in besonderem Maße eine Vertrauensstellung bei dem Mädchen; sie kann zudem zum Randgeschehen des Falles II 3 der Urteilsgründe auch aus eigenem Erleben Angaben machen. Sollten ihrem Erscheinen in der Hauptverhandlung Hinderungsgründe entgegenstehen, ist ihre Vernehmung durch einen ersuchten Richter in Erwägung zu ziehen.
3. Die Aufhebung des Urteils entzieht auch dem Ausspruch über den Schmerzensgeldanspruch die Grundlage. Insoweit verweist der Senat für das weitere Verfahren auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. März 1999 zu den Bedenken, denen die Begründung der Adhäsionsentscheidung im angefochtenen Urteil begegnet.
Unterschriften
Meyer-Goßner, Maatz, Kuckein, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 540688 |
NStZ 1999, 506 |
StV 1999, 371 |