Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Leitsatz (amtlich)
a) Wurde dem Rechtsanwalt wegen schwerer Verstöße gegen die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit durch eine Tätigkeit als IM des MfS der ehemaligen DDR die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entzogen oder eine Zulassung zur Anwaltschaft versagt, ist ein neuer Antrag in der Regel zulässig, wenn seit rechtskräftigem Abschluß des vorausgegangenen Verfahrens mindestens drei Jahre vergangen sind.
b) Beruhte die Wertung im Ausgangsverfahren, daß der Bewerber unwürdig sei, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, auf dessen Tätigkeit als IM des MfS der ehemaligen DDR, hat für die im Falle eines zulässigen Neuantrags zu treffende Abwägung die Sperrfrist des § 7 Nr. 3 BRAO keine Bedeutung.
Normenkette
BRAO § 6 Abs. 2, § 7 Nrn. 3, 5, § 41 Abs. 2; RNPG § 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs des Landes Sachsen-Anhalt vom 11. Dezember 1998 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß der in dem Gutachten der Antragsgegnerin vom 22. April 1998 angeführte Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO nicht besteht.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 90.000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist nach seinem juristischen Hochschulstudium, das er mit dem akademischen Grad eines Diplom-Juristen abschloß, ab September 1981 als Rechtsanwaltsassistent und ab Oktober 1982 als Rechtsanwalt in das Kollegium der Rechtsanwälte des Bezirks H. aufgenommen worden. Von März 1984 bis Juni 1989 war er als inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) tätig.
Mit Bescheid vom 21. September 1990 stellte der Minister der Justiz der ehemaligen DDR fest, daß die Zulassung des Antragstellers als Rechtsanwalt fortbestehe. Nach der Vereinigung Deutschlands wurde der Antragsteller beim Amtsgericht W., Landgericht D. und Oberlandesgericht N. zugelassen. Mit Bescheid vom 30. September 1994 hat der Justizminister des Landes Sachsen-Anhalt die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft wegen seiner Tätigkeit für das MfS widerrufen und die sofortige Vollziehung der Verfügung angeordnet. Die Widerrufsverfügung wurde aufgrund des Beschlusses des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs vom 11. Dezember 1995 (AnwZ (B) 37/95) bestandskräftig.
Am 18. Dezember 1997 hat der Antragsteller bei der damals noch zuständigen Landesjustizverwaltung die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. In dem daraufhin bei der zwischenzeitlichen Antragsgegnerin eingeholten Gutachten gelangte diese zu dem Ergebnis, daß die Zulassung nach § 7 Nr. 3 und 5 BRAO zu versagen sei. Die Landesjustizverwaltung hat das Gutachten dem Antragsteller zugestellt und das Zulassungsverfahren ausgesetzt. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte keinen Erfolg; der Anwaltsgerichtshof stellte fest, daß der im Gutachten angeführte Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO vorliegt. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 BRAO) und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Der Zulassungsantrag ist trotz der rechtskräftigen Entscheidung des beschließenden Senats vom 11. Dezember 1995 (AnwZ (B) 37/95), mit der die auf die Tätigkeit des Antragstellers als IM gestützte Widerrufsverfügung bestätigt hat, zulässig.
a) Die Rechtskraft dieser Entscheidung versperrt allerdings den Weg für eine sachliche Prüfung des Zulassungsantrags, solange sich die Sachlage gegenüber dem zur Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung gegebenen Sachverhalt nicht wesentlich geändert hat (Senatsbeschluß vom 30. November 1987 – AnwZ (B) 35/87 – BGHZ 102, 252, 256). Das Verhalten des Bewerbers, das zu seinem Ausschluß aus der Anwaltschaft geführt hat, kann jedoch nach einigen Jahren durch Wohlverhalten oder andere Umstände so an Bedeutung verlieren, daß es einer Zulassung nicht mehr im Wege steht. Trägt der Bewerber neue Tatsachen vor, die in dieser Hinsicht rechtlich erheblich sein können, ist trotz der Rechtskraft der zu seinen Ungunsten ergangenen gerichtlichen Entscheidung nunmehr über das Zulassungsgesuch neu in der Sache zu befinden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das durch gerichtliche Entscheidung abgeschlossene vorausgegangene Verfahren den Widerruf der Zulassung oder die Ablehnung eines Zulassungsgesuchs zum Gegenstand hatte.
b) Betrifft das Verhalten, das zunächst den Vorwurf gerechtfertigt hat, der Bewerber sei unwürdig, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, dessen Tätigkeit für das DDR-Regime, so kann es, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, schon mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zum Zusammenbruch der DDR so sehr an Gewicht verlieren, daß nach einer gewissen Zeit allein auf das frühere Verhalten die Versagung der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs im Hinblick auf Art. 12 GG nicht mehr gestützt werden kann (Senatsbeschl. v. 16. Februar 1998 – AnwZ (B) 76/97; v. 5. Oktober 1998 – AnwZ (B) 19/98 – BRAK-Mitt. 1999, 144, 146). In diesen Fällen ist in der Regel ein zeitlicher Abstand von mindestens drei Jahren zur Beendigung des vorausgegangenen Verfahrens als wesentliche neue Tatsache anzusehen, sofern sich aus der Vorentscheidung nicht unmittelbar ergibt, daß der Betroffene eine längere Wartezeit einhalten muß, bevor er, lediglich gestützt auf den weiteren Zeitablauf und die Fortsetzung seines Wohlverhaltens, eine neue Sachprüfung verlangen kann.
2. Wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend erkannt hat, ist der Antragsteller nicht schon deshalb als unwürdig im Sinne von § 7 Nr. 5 BRAO anzusehen, weil noch nicht acht Jahre seit der Bestandskraft der Widerrufsverfügung vergangen sind.
Eine unmittelbare Anwendung der Bestimmung des § 7 Nr. 3 BRAO scheidet schon deshalb aus, weil der Antragsteller nicht durch ein anwaltsgerichtliches Urteil nach § 114 Abs. 1 Nr. 5 BRAO aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen worden ist. Allerdings beruht die in § 7 Nr. 3 BRAO angeordnete Sperrfrist auf einer Wertung, die auch für die nach § 7 Nr. 5 BRAO zutreffende Abwägung von Bedeutung ist. Dies setzt jedoch voraus, daß das maßgebliche Verhalten des Antragstellers mit Tatbeständen vergleichbar ist, die den Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft rechtfertigen (vgl. Senatsbeschl. v. 30. November 1992 – AnwZ (B) 34/92 – BRAK-Mitt. 1993, 42, 43). Gründet sich der den Bewerber treffende Vorwurf auf Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt in der ehemaligen DDR, ist kein Raum für eine vergleichende Wertung mit Pflichtverstößen oder Straftaten, die nach § 114 BRAO zum Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft führen.
3. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Diesen Versagungsgrund hat der Senat in ständiger Rechtsprechung dahin umschrieben, daß der Bewerber im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung bei Abwägung seines schuldhaften Verhaltens und aller erheblichen Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf (noch) nicht tragbar ist (Senatsbeschl. v. 21. November 1994 – AnwZ (B) 54/94 – BRAK-Mitt. 1995, 71; v. 18. November 1996 – AnwZ (B) 19/96 – BRAK-Mitt. 1997, 122; v. 5. Oktober 1998 – AnwZ (B) 19/98 – BRAK-Mitt. 1999, 144). Der Antragsteller hat dadurch in schwerwiegender Weise gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen, daß er in der Zeit von März 1984 bis Juni 1989 an das MfS in beträchtlichem Umfang Berichte über Mandanteninformationen, über Kollegen im Bezirk H. sowie in sonstigen ihm bekannt gewordenen Fällen weitergeleitet und jedenfalls teilweise die Betroffenen dadurch der Gefahr schwerwiegender persönlicher Nachteile ausgesetzt hat. Auf die dazu im Senatsbeschluß vom 11. Dezember 1995 (AnwZ (B) 37/95) getroffenen Feststellungen nimmt der Senat Bezug. Die gegen den Antragsteller aus den dort im einzelnen angeführten Gründen zu Recht erhobenen Vorwürfe erfordern es jedoch nicht, ihn gegenwärtig noch von der Anwaltschaft fernzuhalten.
a) Inzwischen sind seit den letzten ihm zur Last fallenden Handlungen mehr als zehn Jahre vergangen. In Anbetracht dieser Zeitspanne kommt nunmehr der Tatsache entscheidende Bedeutung zu, daß sich nicht hat klären lassen, ob die Berichte des Antragstellers an das MfS den darin genannten Personen tatsächlich wesentliche persönliche Nachteile zugefügt haben. Auch der Umstand, daß die Tätigkeit des Antragstellers der Stützung einer Staatsmacht galt, die inzwischen untergegangen und deren System durch eine rechtsstaatliche Ordnung ersetzt worden ist, fällt nunmehr bei der Abwägung zugunsten des Bewerbers ins Gewicht. Der Senat hat deshalb in letzter Zeit schon mehrfach darauf hingewiesen, daß eine Tätigkeit als IM des Staatssicherheitsdienstes, welche nicht nachweisbar einzelne davon betroffene Personen schwer geschädigt hat, nach Ablauf von zehn Jahren in der Regel für die Wertung, der ehemalige IM sei unwürdig, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, keine tragfähige Grundlage mehr liefert (Senatsbeschl. v. 16. Februar 1998 – AnwZ (B) 76/97; v. 5. Oktober 1998 – AnwZ (B) 19/98 – BRAK-Mitt. 1999, 144, 146).
b) Das Verhalten des Antragstellers seit Beendigung seiner Tätigkeit für das MfS liefert keine Gründe, die dazu führen können, bei einer Gesamtabwägung ihn auch jetzt noch als unwürdig anzusehen, den Anwaltsberuf auszuüben. Berufliche Pflichtverletzungen während seiner Tätigkeit als Anwalt bis zum Erlaß des Widerrufsbescheides sowie anschließend als Unternehmensberater sind nicht bekannt geworden. Entgegen der Meinung des Anwaltsgerichtshofs kann aus der Art und Weise, wie der Antragsteller seine Berufsausübung in einem totalitären Staat erläutert hat, nicht hergeleitet werden, daß er zu seiner damaligen Tätigkeit noch nicht die nötige innere Distanz gewonnen hat oder kein menschliches Verständnis für die Opfer von Repressionsmaßnahmen des ehemaligen DDR-Staatsapparates aufzubringen vermag. Auch dem Umstand, daß der Antragsteller nicht von sich aus seine Tätigkeit für das MfS aufgedeckt hat, kommt heute keine wesentliche Bedeutung mehr zu. Dem Unrechts- und Schuldgehalt der Tätigkeit als IM ist durch den inzwischen mehr als fünf Jahre andauernden Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft angemessen Rechnung getragen worden. Weder die Wahrung des Ansehens der Anwaltschaft noch der Schutz der Rechtsuchenden machen es notwendig, dem Antragsteller weiterhin die Zulassung als Rechtsanwalt wegen Unwürdigkeit zu verweigern.
4. Da der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens entfallen ist, entspricht es nicht der Billigkeit, eine Erstattung außergerichtlicher Auslagen anzuordnen (vgl. § 40 Abs. 4 BRAO i.V.m. § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG).
Unterschriften
Geiß, Fischer, Ganter, Otten, Salditt, Christian, Wüllrich
Fundstellen
Haufe-Index 556544 |
NJW 2000, 3074 |
Nachschlagewerk BGH |
VIZ 2000, 435 |
ZAP-Ost 2000, 302 |
MDR 2000, 1036 |
NJ 2000, 447 |