Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Verfahrensgang
AGH Berlin (Beschluss vom 16.01.2002) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Berlin vom 16. Januar 2002 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller übte nach seinem juristischen Hochschulstudium an der H. -Universität in B., das er 1963 mit dem Staatsexamen abgeschlossen hatte, verschiedene juristische Berufe aus. Unter anderem war er von April 1966 bis September 1969 als Vertragsrichter am Vertragsgericht in G. -B., von Oktober 1980 bis Februar 1984 als Rechtsanwalt, und zwar als Mitglied des Kollegiums der Rechtsanwälte in B., und von April 1987 bis März 1990 als Jurist im Ministerium für Finanzen der DDR, Abteilung Steuern und Abgaben, tätig. Mit Wirkung vom 1. April 1990 wurde der Antragsteller durch den Minister der Justiz der DDR als Rechtsanwalt zugelassen.
Mit Bescheid vom 25. August 1993 nahm die damals zuständige Senatsverwaltung für Justiz B. die Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft zurück, weil er von 1957 bis 1965 als „Geheimer Informator” und von 1976 bis Dezember 1989 als informeller Mitarbeiter (IM) für das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) tätig gewesen war. Die Rücknahmeverfügung wurde aufgrund des Beschlusses des Anwaltssenats des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 1994 (AnwZ (B) 22/94) bestandskräftig.
Am 15. Oktober 1996 beantragte der Antragsteller bei der damals noch zuständigen Senatsverwaltung für Justiz B. erstmals, ihn wieder zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen. In ihrer gutachterlichen Stellungnahme zu diesem Antrag vom 10. September 1997 gelangte die Antragsgegnerin zu dem Ergebnis, daß einer Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach wie vor der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO entgegenstehe. Den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung wies der Anwaltsgerichtshof mit rechtskräftig gewordenem Beschluß vom 22. Juni 1998 zurück.
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2000 hat der Antragsteller erneut die Wiederzulassung zur Rechtsanwaltschaft beantragt. Gegen den ablehnenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2001 hat er Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Diesen Antrag hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschluß vom 16. Januar 2002 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO), bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
1. Nach § 7 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu versagen, wenn sich der Bewerber eines Verhaltens schuldig gemacht hat, das ihn unwürdig erscheinen läßt, den Beruf eines Rechtsanwalts auszuüben. Dieser Versagungsgrund ist nach der ständigen Senatsrechtsprechung gegeben, wenn der Bewerber im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Zulassung bei Abwägung seines schuldhaften Verhaltens und aller erheblicher Umstände – wie Zeitablauf und zwischenzeitliche Führung – nach seiner Gesamtpersönlichkeit für den Anwaltsberuf nicht mehr oder noch nicht wieder tragbar ist (Senatsbeschlüsse vom 21. November 1994 – AnwZ (B) 54/94 – BRAK-Mitt. 1995, 71; vom 18. November 1996 – AnwZ (B) 19/96 – BRAK-Mitt. 1997, 122; vom 5. Oktober 1998 – AnwZ (B) 19/98 – BRAK-Mitt. 1999, 144 und vom 14. Februar 2000 – AnwZ (B) 12/99 – LM BRAO § 6 Nr. 4 Bl. 2). Dabei stellt es einen besonderen Fall der Unwürdigkeit im Sinne des § 7 Nr. 5 BRAO dar, wenn der Bewerber in der früheren DDR Verstöße gegen Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit begangen hat, die nach § 1 oder § 2 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24. Juni 1992 (BGBl. I S. 1386) den Widerruf oder die Rücknahme einer durch den Minister der Justiz der DDR ausgesprochene Zulassung zur Rechtsanwaltschaft rechtfertigen konnten (Senatsbeschlüsse aaO).
2. a) Sind – wie hier – der Stellung des Zulassungsantrags durch gerichtliche Entscheidungen abgeschlossene Verfahren vorausgegangen, die den Widerruf der Zulassung, die Ablehnung eines Zulassungsantrags oder das einen Versagungsgrund bejahende Gutachten des Vorstands einer Rechtsanwaltskammer zum Gegenstand hatten, so ist bei der Prüfung des Zulassungsantrags die Rechtskraft dieser Entscheidungen zu beachten. Diese versperrt den Weg für eine sachliche Prüfung des Antrags, solange sich die Sachlage gegenüber dem zum Zeitpunkt der getroffenen Entscheidung gegebenen Sachverhalt nicht wesentlich geändert hat (Senatsbeschluß BGHZ 102, 252, 256). Dabei kann das Verhalten des Bewerbers, das zu einem Ausschluß aus der Anwaltschaft geführt hat, nach einigen Jahren durch Wohlverhalten oder andere Umstände so an Bedeutung verlieren, daß es einer Zulassung nicht mehr entgegensteht. Trägt der Bewerber neue Tatsachen vor, die in dieser Hinsicht rechtlich erheblich sein können, ist trotz der Rechtskraft der zu seinen Ungunsten ergangenen gerichtlichen Entscheidungen nunmehr über das Zulassungsgesuch neu in der Sache zu befinden (Senatsbeschluß vom 14. Februar 2000 aaO Bl. 1 R).
b) Betrifft – wie hier – das Verhalten, das zunächst den Vorwurf gerechtfertigt hat, der Bewerber sei unwürdig, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, dessen Tätigkeit für das DDR-Regime, so kann es schon mit dem zunehmenden zeitlichen Abstand zum Zusammenbruch der DDR so sehr an Gewicht verlieren, daß nach einer gewissen Zeit allein auf das frühere Verhalten die Versagung der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs im Hinblick auf Art. 12 GG nicht mehr gestützt werden kann (Senatsbeschluß vom 5. Oktober 1998 aaO S. 146). In diesen Fällen ist in der Regel ein zeitlicher Abstand von mindestens drei Jahren zur Beendigung des vorausgegangenen Verfahrens als wesentliche neue Tatsache anzusehen, sofern sich aus der Vorentscheidung nicht unmittelbar ergibt, daß der Betroffene eine längere Wartezeit einhalten muß, bevor er, lediglich gestützt auf den weiteren Zeitablauf und die Fortsetzung seines Wohlverhaltens, eine neue Sachprüfung verlangen kann (Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 2000 aaO Bl. 1 R und vom 29. Mai 2000 – AnwZ (B) 43/99 – BRAK-Mitt. 2000, 309, 310).
Ist diese zeitliche Grenze überschritten und eine erneute Sachprüfung vorzunehmen, so liefert eine Tätigkeit als IM des MfS, welche nicht nachweisbar einzelne davon betroffene Personen schwer geschädigt hat, nach Ablauf von zehn Jahren in der Regel für die Wertung, der ehemalige IM sei unwürdig, den Beruf des Rechtsanwalts auszuüben, keine tragfähige Grundlage mehr (Senatsbeschlüsse vom 5. Oktober 1998 aaO S. 146 und 14. Februar 2000 aaO Bl. 2). Dabei ist weiter zu beachten, daß dem Unrechts- und Schuldgehalt einer Tätigkeit als IM im allgemeinen durch einen mehr als fünf Jahre andauernden Ausschluß aus der Rechtsanwaltschaft angemessen Rechnung getragen wird (Senatsbeschluß vom 14. Februar 2000 aaO Bl. 2 R).
3. Nach Maßgabe dieser vom Senat aufgestellten Rechtsprechungsgrundsätze ist der erneut gestellte Antrag auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bereits als unzulässig zu erachten.
a) Der Beschluß des Anwaltsgerichtshofs vom 22. Juni 1998, in dem nach eingehender sachlicher Prüfung des Begehrens des Antragstellers der Rechtsstandpunkt der Antragsgegnerin, wonach eine (Wieder-)Zulassung des Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft der Versagungsgrund des § 7 Nr. 5 BRAO entgegenstehe, bestätigt wurde, wurde dem Antragsteller am 2. November 1998 durch förmliche Zustellung bekannt gemacht (vgl. § 16 Abs. 2 FGG). Daß der nunmehr zu beurteilende zweite Antrag bereits im Dezember 2000 gestellt worden ist, also geraume Zeit vor Ablauf der Regelfrist von drei Jahren, stünde zwar einer erneuten sachlichen Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr entgegen (vgl. Senatsbeschluß vom 29. Mai 2000 aaO). Jedoch fällt vorliegend entscheidend ins Gewicht, daß in dem Beschluß vom 22. Juni 1998 in Übereinstimmung mit der Senatsentscheidung vom 24. Oktober 1994 das Fehlverhalten, das dem Antragsteller im Zusammenhang mit seiner IM-Tätigkeit anzulasten ist, als besonders schwerwiegend eingestuft worden ist. Daraus folgt, daß in der Regel erst nach einem Zeitraum von 15 bis 20 Jahren nach Beendigung seiner Zusammenarbeit mit dem MfS der Unwürdigkeitsvorwurf entfallen kann.
b) Neue Tatsachen, die es schon jetzt erlauben würden, den zweiten Zulassungsantrag vom 12. Dezember 2000 positiv zu verbescheiden, sind auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht ersichtlich.
4. Nach dem Vorgesagten geht der Senat davon aus, daß der Antragsteller zu Beginn des Jahres 2004 wieder zur Rechtsanwaltschaft zuzulassen ist.
Unterschriften
Hirsch, Basdorf, Schlick, OttenSalditt, Schott, Wosgien
Fundstellen
Haufe-Index 926174 |
NJ 2003, 672 |
BRAK-Mitt. 2003, 128 |
NJOZ 2003, 993 |