Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherung. Arbeitnehmerbeitrag. Geschäftsführerhaftung. Säumniszuschlag. Schutzgesetz
Leitsatz (amtlich)
Der wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung schadensersatzpflichtige Geschäftsführer einer GmbH (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) haftet nicht für Säumniszuschläge gem. § 24 Abs. 1 SGB IV. Diese Vorschrift ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2; SGB IV § 24 Abs. 1; StGB § 266a Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision der Klägerin durch Beschluss gem. § 552a ZPO zurückzuweisen.
Streitwert: 18.000 EUR (Differenz zwischen den geforderten Säumniszuschlägen und den zuerkannten Zinsen; §§ 3, 9 ZPO).
Gründe
[1] Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Das Rechtsmittel hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg.
[2] I. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts (ZIP 2008, 506, 508) und der Revision ist durch das Urteil des BGH vom 11.6.1985 (VI ZR 61/84, ZIP 1985, 996, 998 zu II 2a) nach wie vor geklärt, dass § 24 Abs. 1 SGB IV kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB ist und die Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für die Vorenthaltung der von ihr abzuführenden Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a Abs. 1 StGB) sich auf Säumniszuschläge gem. § 24 Abs. 1 SGB IV nicht erstreckt.
[3] 1. Das genannte Urteil betraf zwar die frühere, bis Ende 1994 geltende Fassung des § 24 SGB IV, welche die Verhängung von Säumniszuschlägen noch in das Ermessen des Sozialversicherungsträgers gestellt hatte, während die nunmehrige Fassung den Beitragsschuldner unmittelbar zur Zahlung von Säumniszuschlägen i.H.v. 1 % des rückständigen (auf volle 50 EUR nach unten abgerundeten) Betrages für jeden angefangenen Monat der Säumnis verpflichtet. Das ist aber für die Frage des Schutzgesetzcharakters der Vorschrift nicht entscheidend.
[4] a) Der BGH (a.a.O.) hat ausgeführt, dass es sich bei den Säumniszuschlägen nicht um eine gesetzlich zugelassene pauschalierte Berechnung des "Verzugsschadens" handele, den der (gemäß den Vorläuferbestimmungen der §§ 266a, 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB) für die Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung verantwortliche Geschäftsführer (vgl. BGH, a.a.O., S. 997) außer dem dafür zu leistenden Schadensersatz zu zahlen hätte, sondern vielmehr um eine neben den Beitrag tretende Ungehorsamsfolge, deren Verhängung in das pflichtgemäße Ermessen des Sozialversicherungsträgers gestellt sei und die pünktliche Zahlung der Beiträge durch den Arbeitgeber in der Zukunft gewährleisten solle (vgl. auch BGH, Urt. v. 18.5.1976 - VI ZR 241/73, VersR 1976, 982, 984 zu II 3). Für derartige Zuschläge komme "auch § 823 Abs. 2 BGB nicht unmittelbar als Anspruchsgrundlage in Betracht, da Art. I § 24 (a.F.) SGB IV kein Schutzgesetz im Sinne dieser Vorschrift" sei. Diese Feststellung bringt lediglich eine Selbstverständlichkeit zum Ausdruck (vgl. unten b); sie fußt entgegen der Lesart des Berufungsgerichts und der Revision nicht auf den vorhergehenden - allerdings ebenfalls nach wie vor gültigen - Ausführungen zur Frage der Zurechenbarkeit der Säumniszuschläge als Verzugs- bzw. als Folgeschaden der Beitragsvorenthaltung (dazu unten 2) und hängt auch nicht, wie das Berufungsgericht meint, davon ab, ob § 24 SGB IV nur ein Allgemeininteresse oder (auch) ein Individualinteresse des betreffenden Sozialversicherungsträgers schützt. Zahlreiche Normen, so auch die Verzugsvorschriften des BGB, schützen Individualinteressen, ohne schon deshalb Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zu sein.
[5] b) Ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist § 24 SGB IV schon seiner Struktur nach nicht, weil die Vorschrift (i.V.m. § 28e Abs. 4 SGB IV) die Haftungsfolgen bzw. die Ansprüche des Sozialversicherungsträgers bei verspäteten Beitragszahlungen selbst eigenständig regelt (vgl. RGRK-BGB/Steffen 12. Aufl., § 823 Rz. 546, S. 342m.Nachw.). Eine entsprechend ausgestaltete Regelung findet sich z.B. in § 288 Abs. 1 BGB, ohne dass jemals erwogen wurde, diese Vorschrift als "Schutzgesetz" mit der Folge zu begreifen, dass der Geschäftsführer einer GmbH gegenüber ihren Gläubigern gem. § 823 Abs. 2 BGB für von ihr geschuldete Verzugszinsen haften müsste. Schuldner des Säumniszuschlags sind gem. § 28e SGB IV der Arbeitgeber (Abs. 1) sowie die in Abs. 2 und Abs. 3 lit. a bis f genannten Unternehmer (vgl. Udsching in Hauck/Noftz, SGB IV K § 24 Rz. 5), welche gem. § 28e Abs. 4 SGB IV für die Beiträge und Säumniszuschläge haften. Der Geschäftsführer einer GmbH als Beitragsschuldnerin, welcher kein Arbeitgeber im sozialversicherungsrechtlichen Sinne ist (vgl. Felix in Wannagat Sozialgesetzbuch SGB IV § 28e Rz. 16 m.w.N.), gehört dazu nicht. Anders als in § 69 AO ist hier eine Haftung des gesetzlichen Vertreters des Zahlungspflichtigen für Säumniszuschläge nicht angeordnet. Eine deliktische, durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB oder § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vermittelte Vertreterhaftung gem. § 823 Abs. 2 BGB scheidet in Bezug auf § 24 SGB IV schon deshalb aus, weil es sich nicht um einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand handelt.
[6] 2. Ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB ist allerdings § 266a StGB. Nach dieser Vorschrift i.V.m. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist der Geschäftsführer einer GmbH als Beitragsschuldnerin strafrechtlich und über § 823 Abs. 2 BGB auch haftungsrechtlich für eine "Vorenthaltung" von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung verantwortlich (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1996 - VI ZR 319/95, NJW 1997, 130 f.). Jedoch erfasst § 266a Abs. 1 StGB seinem eindeutigen Wortlaut nach nur Beiträge im engeren Sinne, nicht dagegen Säumniszuschläge (vgl. LK-StGB/Gribbohm 11. Aufl., § 266a Rz. 48; Segebrecht in juris PK SGB IV § 24 Rz. 8.1). Sie können dem Geschäftsführer auch nicht, soweit sie auf Arbeitnehmerbeiträge entfallen, als pauschalierter Folgeschaden der von § 266a Abs. 1 StGB erfassten Beitragsvorenthaltung in Rechnung gestellt werden, weil damit der nur beschränkte Schutzzweck des § 266a Abs. 1 StGB gesetzwidrig erweitert würde. Zudem handelt es sich bei den Säumniszuschlägen nach wie vor jedenfalls nicht nur um den Ausgleich des säumnisbedingten Schadens des Sozialversicherungsträgers (vgl. BGH, Urt. v. 11.6.1985, a.a.O.). Sowohl für § 24 Abs. 1 SGB IV als auch für den dieser Vorschrift als Vorbild dienenden § 240 AO ist allgemein anerkannt, dass mit den Säumniszuschlägen vor allem ein "Druckmittel eigener Art" bezweckt ist, das den Beitrags- bzw. Steuerschuldner zu rechtzeitiger Zahlung anhalten soll (vgl. Segebrecht, a.a.O.; Udsching, a.a.O., § 24 Rz. 1; BFHE 203, 8 = BStBl. II 2003, 901; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO § 240 AO Rz. 11). Daneben bezwecken § 24 Abs. 1 n.F. SGB IV sowie § 240 AO zwar auch den Ausgleich des Nachteils, welcher dem Sozialversicherungsträger bzw. dem Fiskus durch die verspätete Zahlung entsteht (vgl. die vorigen Nachweise sowie BSG NZS 1999, 562). Das galt aber auch schon für § 24 a.F. SGB IV (vgl. BSG ZIP 1984, 513 f.) und ändert nichts daran, dass der Anspruch auf Zahlung von Säumniszuschlägen - als Druckmittel wie als pauschalierter Schadensersatz - gem. § 24 Abs. 1 SGB IV nur gegen den Beitragsschuldner, im vorliegenden Fall also gegen die GmbH, nicht aber gegen deren Geschäftsführer geltend gemacht werden kann (vgl. oben I 1b). Er schuldet Verzugszinsen (§ 288 BGB) auf die von ihm im Wege des Schadensersatzes gem. §§ 823 Abs. 2 BGB, 266a Abs. 1 StGB zu zahlenden Arbeitnehmerbeiträge erst ab Mahnung (§ 286 ZPO), wie von der Klägerin hilfsweise geltend gemacht.
[7] II. Da der Klägerin Verzugs- und Prozesszinsen zuerkannt worden sind und der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Säumniszuschlägen nicht besteht, hat die Revision keine Erfolgsaussicht.
Fundstellen
Haufe-Index 2066015 |
BB 2008, 2487 |
DB 2008, 2421 |