Leitsatz (amtlich)
1. Das Entstehen einer Einigungsgebühr nach VVRVG Nr. 1000 setzt voraus, dass bereits ein Rechtsverhältnis zwischen den Parteien besteht oder dies zumindest von einer Partei behauptet wird. Deshalb kann auch beim einvernehmlichen Abschluss von streitigen Vertragsverhandlungen keine Einigungsgebühr anfallen, wenn sich keine Partei bei den Verhandlungen einer auf Vertragsschluss gerichteten Rechtsposition berühmt hat und durch den Vertrag zwischen den Parteien erstmals ein Rechtsverhältnis begründet wird.
2. Die Ungewissheit, ob ein von dem Betreuer im Namen des Betroffenen abgeschlossenes und nach § 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB aF (jetzt: § 1850 Abs. 1 Satz 1 BGB) genehmigungspflichtiges Grundstücksgeschäft nachträglich durch das Betreuungsgericht genehmigt wird, betrifft kein „Rechtsverhältnis“ im Sinne von VVRVG Nr. 1000.
3. Liegt den Verhandlungen der Vertragsparteien in Bezug auf das vom Betreuer abgeschlossene Grundstücksgeschäft ansonsten kein streitiges oder ungewisses Rechtsverhältnis zugrunde, entsteht für den anwaltlichen Verfahrenspfleger auch dann keine Einigungsgebühr, wenn die Parteien ihren ursprünglichen Vertragsentwurf vor dem endgültigen Vertragsschluss entsprechend den Beanstandungen des im Genehmigungsverfahren bestellten Verfahrenspflegers anpassen, weil sie ansonsten eine Versagung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung befürchten (Abgrenzung zum Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2019 - XII ZB 276/19 - FamRZ 2020, 619).
Normenkette
BGB § 1850 Abs. 1 S. 1, § 1821 Abs. 1 Nr. 1 aF, § 1829 Abs. 1 S. 1 aF, § 1835 Abs. 3 aF; FamFG § 277 Abs. 2 S. 2 aF; RVG § 2; RVG-VV Nr. 1000
Verfahrensgang
LG München I (Entscheidung vom 11.10.2022; Aktenzeichen 13 T 3519/22) |
AG München (Entscheidung vom 24.01.2022; Aktenzeichen 713 XVII 6622/19) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 11. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert: 9.851 €
Gründe
I.
Rz. 1
Das Verfahren betrifft die Festsetzung der Vergütung eines anwaltlichen Verfahrenspflegers gegen die Staatskasse.
Rz. 2
Für die 1954 geborene Betroffene ist eine Betreuung mit umfassendem Aufgabenkreis eingerichtet und ihr Ehemann (Beteiligter zu 1) zum Betreuer bestellt worden. In einem seit Ende 2018 anhängigen Rechtsstreit machte die Betroffene gegen ihren Bruder als Alleinerben nach der verstorbenen Mutter Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend. Die Betroffene und ihr Bruder waren jeweils zur Hälfte Miteigentümer eines Hausgrundstücks, auf dem die Betroffene auch eine Wohnung hatte.
Rz. 3
Der Verfahrensbevollmächtigte des Betreuers zeigte dem Amtsgericht mit Schreiben vom 1. Juli 2020 an, dass zur Beilegung des Rechtsstreits zwischen den Geschwistern der Abschluss eines außergerichtlichen Vergleichs mit dem Ziel einer umfassenden Auseinandersetzung aller vermögensrechtlichen Verhältnisse innerhalb der Familie beabsichtigt sei. Im Zuge dieser Auseinandersetzung sollte auch der hälftige Miteigentumsanteil der Betroffenen an dem Hausgrundstück gegen Zahlung eines Kaufpreises von 1.100.000 € an den Neffen der Betroffenen veräußert werden. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betreuers bat insoweit um Prüfung, ob diese Vereinbarung gerichtlich genehmigt werden könne. Das Amtsgericht bestellte daraufhin am 6. Juli 2020 den als Rechtsanwalt tätigen Beteiligten zu 2 (im Folgenden: Verfahrenspfleger) zum berufsmäßigen Verfahrenspfleger mit dem Aufgabenkreis „Vertretung im Verfahren der gerichtlichen Genehmigung“.
Rz. 4
Nach Einsichtnahme in die Akten nahm der Verfahrenspfleger mit Schreiben vom 30. Juli 2020 zum beabsichtigten Vergleich Stellung und teilte darin unter anderem mit, dass angesichts der von der Betroffenen beabsichtigten Übersiedlung nach Italien und der fehlenden behindertengerechten Ausstattung ihrer Wohnung aus seiner Sicht auch eine betreuungsgerichtliche Genehmigung der Veräußerung ihres Miteigentumsanteils nach Vorlage und Prüfung eines Kaufvertragsentwurfs und näheren Erläuterungen zur Bildung des Kaufpreises in Aussicht gestellt werden könne. Am 8. Oktober 2020 übersandte der Verfahrensbevollmächtigte des Betreuers den endgültigen Entwurf eines notariellen Vertrages zwischen der Betroffenen, ihrem Bruder und ihrem Neffen über die vergleichsweise Abgeltung der Pflichtteilsansprüche und den Grundstücksverkauf. Der Verfahrenspfleger machte mit Schreiben vom 17. November 2020 Bedenken gegen das Grundstücksgeschäft geltend und monierte, dass die in dem Vertragsentwurf vorgesehene Räumungsfrist zu kurz bemessen sei, die Vereinbarung einer Vertragsstrafe für den Fall einer verspäteten Räumung nicht dem Wohl und dem Interesse der Betroffenen entspreche und die im Gesetz vorgesehene Frist zur Vorlage der betreuungsgerichtlichen Genehmigung des Vertrages von vier Wochen (§ 1829 Abs. 2 BGB aF) auf vier Monate verlängert werden müsse. Nachdem die Vertragsparteien den vom Verfahrenspfleger erhobenen Beanstandungen in einem geänderten Vertragsentwurf Rechnung getragen hatten, regte der Verfahrenspfleger die betreuungsgerichtliche Genehmigung des am 11. Mai 2021 notariell beurkundeten Vertrages an, die durch Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Juni 2021 erteilt wurde.
Rz. 5
Mit Schreiben vom 27. Oktober 2021 hat der Verfahrenspfleger beantragt, seine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) unter Ansatz einer 1,3-Geschäftsgebühr nach einem Wert von 1.400.480 € und einer 1,5-Einigungsgebühr nach einem Wert von 1.100.000 € nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer auf insgesamt 20.199,89 € festzusetzen. Das Amtsgericht hat die Vergütung ausgehend von einer geltend gemachten 1,3-Geschäftsgebühr nebst Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer auf 10.348,48 € gegen die Staatskasse festgesetzt und den Antrag im Übrigen zurückgewiesen. Die dagegen vom Verfahrenspfleger eingelegte Beschwerde ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich der Verfahrenspfleger mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der er weiterhin die zusätzliche Festsetzung einer Einigungsgebühr erstrebt.
II.
Rz. 6
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 7
1. Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, dass dem Verfahrenspfleger die Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VVRVG nicht zustehe. Zwar hätten seine Stellungnahmen zur Abänderung des Grundstückskaufvertrags geführt. Es sei indessen nicht Aufgabe des Verfahrenspflegers, sich in Vertragsverhandlungen einzubringen und diese mitzugestalten. Die Tätigkeit des Verfahrenspflegers, mit der er einen Anspruch auf RVG-Vergütung verdient haben wolle, bewege sich außerhalb des durch die Bestellung zum Verfahrenspfleger bestimmten Pflichtenkreises. Der Verfahrenspfleger sei anders als der Betreuer nicht gesetzlicher Vertreter der Betroffenen. Etwas Anderes ergebe sich nicht aus der unzutreffenden Formulierung des Bestellungsbeschlusses, wonach der Aufgabenkreis die „Vertretung im Verfahren der gerichtlichen Genehmigung“ umfasse. Der nach § 276 FamFG bestellte Verfahrenspfleger habe in erster Linie den Willen des Betreuten zu erkunden, gegenüber dem Gericht kundzutun und den Anspruch des Betreuten auf rechtliches Gehör zu verwirklichen. Diese Aufgabe habe der Verfahrenspfleger vorliegend nicht erfüllt, zumal er zu keinem Zeitpunkt einen persönlichen Kontakt mit der Betroffenen aufgenommen habe. Vielmehr sei er als „Wahrer der objektiven Interessen“ der Betroffenen aufgetreten. Die vertraglichen Vereinbarungen auf mögliche Beeinträchtigungen der objektiven Interessen der Betroffenen bzw. Risiken für diese zu überprüfen, habe indessen dem Betreuer und dem Amtsgericht oblegen. Der Verfahrenspfleger sei keine Hilfsperson des Gerichts und habe weder eine rechtliche Vorprüfung des Sachverhalts noch dessen rechtliche Bewertung vorzunehmen. Die Interventionen des Verfahrenspflegers in die Vertragsverhandlungen seien für die Betroffene zwar vorteilhaft gewesen, aber gleichwohl mit Blick auf eine gesetzlich nicht vorgesehene Vertretungsmacht des Verfahrenspflegers problematisch. Würde dem Verfahrenspfleger die Befugnis eingeräumt, aufgrund einer ihm vom Gericht verliehenen „Verhandlungsmacht“ in die Vertragsverhandlungen einzugreifen und dies zudem auch noch - wie im vorliegenden Fall - mit völliger Passivität des Betreuungsgerichts einhergehen, würde der vom Gesetzgeber mit § 276 FamFG beabsichtigte Zweck auf den Kopf gestellt.
Rz. 8
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.
Rz. 9
a) Auf die Vergütungsansprüche des am 6. Juli 2020 bestellten Verfahrenspflegers für die von ihm im Zeitraum von Juli 2020 bis Juni 2021 entfalteten Tätigkeiten ist das bis zum 31. Dezember 2022 geltende Recht anzuwenden (vgl. Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 - XII ZB 104/22 - FamRZ 2023, 793 Rn. 7).
Rz. 10
b) In der Rechtsprechung des Senats geklärt und von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogen sind die folgenden rechtlichen Ausgangspunkte:
Rz. 11
Nach § 277 Abs. 1 Satz 1 FamFG aF erhält der Verfahrenspfleger Ersatz seiner Aufwendungen nach § 1835 Abs. 1 bis 2 BGB aF. Gemäß § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG aF hat er daneben Anspruch auf eine Vergütung in entsprechender Anwendung der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 und 2 VBVG aF, wenn die Verfahrenspflegschaft ausnahmsweise berufsmäßig geführt wird. Auf § 1835 Abs. 3 BGB aF, wonach als Aufwendungen auch solche Dienste des Vormunds oder des Gegenvormunds gelten, die zu seinem Gewerbe oder seinem Beruf gehören, verweist § 277 FamFG aF zwar nicht. Gleichwohl ist § 1835 Abs. 3 BGB aF auch auf den anwaltlichen Verfahrenspfleger anzuwenden. Dieser kann für seine Tätigkeit statt einer Vergütung nach Stundensätzen entsprechend § 3 Abs. 1 und 2 VBVG aF wahlweise als Aufwendungsersatz eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz beanspruchen, soweit er im Rahmen seiner Bestellung für den Betroffenen Dienste erbringt, für die ein juristischer Laie als Verfahrenspfleger berechtigterweise einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte (Senatsbeschluss vom 1. Februar 2023 - XII ZB 104/22 - FamRZ 2023, 793 Rn. 8 mwN; vgl. nunmehr § 277 Abs. 2 Satz 2 FamFG iVm § 4 Abs. 2 VBVG und § 1877 Abs. 3 BGB entsprechend). Hat das Betreuungsgericht bereits im Zusammenhang mit der Bestellung des Verfahrenspflegers ausgesprochen, dass dieser eine anwaltsspezifische Tätigkeit ausübt, ist diese Feststellung für das Vergütungsfestsetzungsverfahren bindend. Fehlt es demgegenüber - wie hier - an einem solchen Ausspruch bei der Bestellungsentscheidung, hat das Gericht im Vergütungsfestsetzungsverfahren festzustellen, ob die Tätigkeit des Verfahrenspflegers die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gerechtfertigt hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 24. September 2014 - XII ZB 444/13 - FamRZ 2015, 137 Rn. 9 mwN).
Rz. 12
c) Das Beschwerdegericht hat zur Frage nach dem anwaltsspezifischen Charakter der von dem Verfahrenspfleger aufgrund seiner Bestellung zu entfaltenden Tätigkeiten keine Feststellungen getroffen. Vom Rechtsstandpunkt des Beschwerdegerichts, dass dem Verfahrenspfleger von vornherein kein Gebührenanspruch nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zustehen könne, weil mit der Erbringung von anwaltsspezifischen Diensten im Genehmigungsverfahren der einem Verfahrenspfleger zugewiesene Pflichtenkreis überschritten werden würde, ist dies folgerichtig. Dieser rechtliche Ausgangspunkt erscheint allerdings zweifelhaft.
Rz. 13
aa) Zutreffend ist zwar die grundsätzliche Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass ein Verfahrenspfleger nicht - neben dem Gericht und anstelle des Gegenbetreuers nach früherem Recht (vgl. § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB aF iVm § 1792 Abs. 1 Satz 1 BGB aF) - die Interessen des Betreuten gegenüber dem Betreuer schützen und über dessen Amtsführung wachen soll. Er ist kein gesetzlicher Vertreter des Betreuten (vgl. nunmehr § 276 Abs. 3 Satz 3 FamFG). Vielmehr ist seine Aufgabe primär darin zu sehen, die verfahrensmäßigen Rechte des Betreuten zur Geltung zu bringen, wozu insbesondere der Anspruch auf rechtliches Gehör zu zählen ist. Insoweit gehört es zu den Aufgaben des Verfahrenspflegers, die tatsächlichen Wünsche oder den mutmaßlichen Willen des Betreuten zu erforschen und in das Verfahren einzubringen (vgl. nunmehr § 276 Abs. 3 Satz 1 FamFG). Eine Pflicht zur Aufklärung von Umständen, die für die Würdigung des Betreuerhandelns, insbesondere für die Wirtschaftlichkeit des von ihm beabsichtigten Rechtsgeschäfts, von Bedeutung sein könnten, trifft den Verfahrenspfleger hingegen nicht; auch hat er nicht zu prüfen, ob sämtliche für das genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft relevanten Umstände in die Willensbildung des Betreuers eingeflossen sind (vgl. Senatsurteil BGHZ 182, 116 = FamRZ 2009, 1656 Rn. 43 ff. zu § 67 FGG). Der Verfahrenspfleger ist auch - worauf das Beschwerdegericht mit Recht hingewiesen hat - keine Hilfsperson des Gerichts, der es obliegen könnte, eine Art materiell-rechtlicher Vorprüfung des beabsichtigten Rechtsgeschäfts vorzunehmen (vgl. Harm RPflStud 2013, 113, 114; vgl. auch Weber BtPrax 2023, 157, 160). Vor diesem Hintergrund wird die Bestellung eines Verfahrenspflegers in einem Genehmigungsverfahren nur in solchen Ausnahmefällen in Betracht kommen, in denen ohne Bestellung eines Verfahrenspflegers die Gewährung des rechtlichen Gehörs nicht sichergestellt ist, weil der Betreute seinen Willen nicht mehr in ausreichender Weise kundtun kann (vgl. Senatsurteil BGHZ 182, 116 = FamRZ 2009, 1656 Rn. 51 zu § 67 FGG).
Rz. 14
bb) Mit der grundsätzlichen Beschränkung des Verfahrenspflegers auf seine verfahrensrechtliche Funktion steht aber noch nicht ohne weiteres fest, dass ein anwaltlicher Verfahrenspfleger keine Vergütung nach anwaltlichem Gebührenrecht verlangen könnte, wenn er gleichwohl - wie hier - von dem Betreuungsgericht in einem Genehmigungsverfahren zum Verfahrenspfleger bestellt worden ist. Als Wahrer der objektiven Interessen des Betreuten (§ 276 Abs. 1 Satz 1 FamFG) hat er zwar den geäußerten Wunsch des Betroffenen zu beachten, muss diesem jedoch nicht entgegen dem erkennbaren Wohl des Betreuten entsprechen (vgl. BeckOK FamFG/Günter [Stand: 1. August 2024] § 276 Rn. 4). Geht es deshalb um die Genehmigung eines von dem Betreuer abgeschlossenen Grundstückskaufvertrages, ist der Verfahrenspfleger dazu gehalten, die in diesem Vertrag enthaltenen Regelungen eingehend auf ihre Auswirkungen für den Betreuten zu untersuchen (vgl. Senatsbeschluss vom 24. September 2014 - XII ZB 444/13 - FamRZ 2015, 137 Rn. 14). Bei dieser Konstellation hat der Senat in einem Einzelfall bereits die tatrichterliche Würdigung gebilligt, dass die eingehende Prüfung des Grundstückskaufvertrages, insbesondere im Hinblick auf kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche, besondere Rechtskenntnisse voraussetzt und auch ein Verfahrenspfleger, der über berufliche Qualifikationen der höchsten Vergütungsstufe verfügt, in dieser Situation berechtigterweise einen Rechtsanwalt hinzugezogen hätte (vgl. Senatsbeschluss vom 24. September 2014 - XII ZB 444/13 - FamRZ 2015, 137 Rn. 13 f.).
Rz. 15
d) Einer weitergehenden Erörterung bedarf dies allerdings nicht. Denn selbst wenn man im Verfahren der Rechtsbeschwerde zugunsten des Verfahrenspflegers davon ausginge, dass er seine Vergütungsansprüche nach anwaltlichem Gebührenrecht abrechnen durfte, ist eine Einigungsgebühr (vgl. dazu auch Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2019 - XII ZB 276/19 - FamRZ 2020, 619 Rn. 22 ff.) unter den hier obwaltenden Umständen nicht entstanden.
Rz. 16
aa) Gemäß Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 der Anmerkung zu Nr. 1000 VVRVG in der hier maßgeblichen Fassung vom 22. Dezember 2020 entsteht eine 1,5 Einigungsgebühr für die Mitwirkung beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht. Nach Abs. 2 der Anmerkung zu Nr. 1000 VVRVG entsteht die Gebühr auch für die Mitwirkung bei Vertragsverhandlungen, es sei denn, dass diese für den Abschluss des Vertrags im Sinne des Absatzes 1 nicht ursächlich war. Damit wird klargestellt, dass der Rechtsanwalt die Einigungsgebühr auch dann verdienen soll, wenn er nicht unmittelbar bei dem Abschluss eines Einigungsvertrages nach Abs. 1 der Anmerkung zu VVRVG Nr. 1000 zugegen ist, sondern seine Mitwirkung sich in der Beteiligung an den Vertragsverhandlungen erschöpft.
Rz. 17
Voraussetzung für das Entstehen der Einigungsgebühr ist unabhängig von der Form der Mitwirkung des Rechtsanwalts in jedem Fall, dass zwischen den Parteien im Zeitpunkt der Einigung bereits ein Rechtsverhältnis besteht oder, was auch genügt, ein solches Bestehen zumindest von einer Partei behauptet wird (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG 26. Aufl. VV 1000 Rn. 96). Deshalb kann auch beim einvernehmlichen Abschluss von streitigen Vertragsverhandlungen keine Einigungsgebühr anfallen, wenn sich keine Partei bei den Verhandlungen einer auf Vertragsschluss gerichteten Rechtsposition berühmt hat und durch den Vertrag zwischen den Parteien erstmals ein Rechtsverhältnis begründet wird (vgl. OLG Düsseldorf Beschluss vom 17. September 2002 - 24 U 7/02 - juris Rn. 5; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe RVG 26. Aufl. VV 1000 Rn. 97; BeckOK RVG/Sefrin [Stand: 1. Juni 2024] RVG VV 1000 Rn. 13; Schneider NZM 2018, 716, 717). Ist unstreitig und gewiss, dass ein Rechtsverhältnis besteht und keiner Partei ein einseitiges Recht zur Änderung dieses Rechtsverhältnisses zusteht, kann eine einvernehmliche Umgestaltung dieses Rechtsverhältnisses für sich genommen ebenfalls keine Einigungsgebühr auslösen (vgl. OLG München AGS 2018, 265, 266; BeckOK RVG/Sefrin [Stand: 1. Juni 2024] RVG VV 1000 Rn. 13a; Schneider NZM 2018, 716, 717).
Rz. 18
bb) Nach diesen Grundsätzen konnte der Verfahrenspfleger im vorliegenden Fall keine Einigungsgebühr verdienen.
Rz. 19
(1) Zwischen den Vertragsparteien des Grundstücksgeschäfts war zu keinem Zeitpunkt streitig, dass der Neffe der Betroffenen keinen Anspruch gegen die Betroffene auf Erwerb ihres Miteigentumsanteils an dem Hausgrundstück hatte, und dass umgekehrt auch die Betroffene den Ankauf ihres Miteigentumsanteils durch ihren Neffen nicht verlangen konnte. Den Verhandlungen der Vertragsparteien lag somit in Bezug auf das Grundstücksgeschäft kein streitiges oder ungewisses Rechtsverhältnis zugrunde. Ungewiss war allein, ob der von dem Betreuer der Betroffenen mit dem Käufer ausgehandelte Grundstückskaufvertrag nachträglich durch das Betreuungsgericht genehmigt werden würde (vgl. § 1908 i Abs. 1 Satz 1 BGB aF iVm §§ 1829 Abs. 1 Satz 1, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB aF; jetzt: §§ 1856 Abs. 1 Satz 1, 1850 Nr. 1 BGB). Diese Ungewissheit betrifft aber gerichtliches Handeln und kein der Disposition der Vertragsparteien oder gar des Verfahrenspflegers zugängliches „Rechtsverhältnis“ im Sinne von Nr. 1000 VVRVG (vgl. OLG Hamm FamRZ 2011, 1975, 1976; Prütting/Helms/Fröschle FamFG 6. Aufl. § 277 Rn. 56). Passen daher die Parteien in dieser Situation - wie hier - ihren ursprünglichen Vertragsentwurf vor dem endgültigen Vertragsschluss lediglich entsprechend den Beanstandungen des vom Gericht bestellten Verfahrenspflegers an, weil sie ansonsten eine Versagung der betreuungsgerichtlichen Genehmigung befürchten müssten, kann dies keine Einigungsgebühr auslösen, und zwar weder für die Rechtsanwälte der Vertragsparteien noch für einen anwaltlichen Verfahrenspfleger. Nichts anderes würde unter gleichen Bedingungen auch dann gelten, wenn der zur betreuungsgerichtlichen Genehmigung anstehende Vertrag im Zeitpunkt der Bestellung des Verfahrenspflegers bereits abgeschlossen war und die Parteien diesen Vertrag entsprechend den Vorstellungen des Verfahrenspflegers einvernehmlich nachträglich modifizieren (vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2011, 1975, 1976).
Rz. 20
Die auf die inhaltliche Überprüfung des zur Genehmigung anstehenden Vertrages gerichtete Tätigkeit des Verfahrenspflegers ist jedenfalls mit der - hier bereits rechtskräftig festgesetzten - Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VVRVG abgegolten, die für das Betreiben des Geschäfts und die Mitwirkung bei der Gestaltung von Verträgen entsteht.
Rz. 21
(2) Keine abweichende Beurteilung ergibt sich schließlich aus dem Umstand, dass das Grundstücksgeschäft in eine vertragliche Gesamtkonstruktion eingebunden war, in der auch der bestehende Streit zwischen der Betroffenen und ihrem Bruder in Bezug auf erbrechtliche Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche im Wege des Vergleiches durch Zahlung eines Abfindungsbetrages beigelegt wurde. Denn es ist weder festgestellt noch ersichtlich, dass die Betroffene und ihr Bruder von dem Abschluss dieses Vergleiches - an dem der Verfahrenspfleger unstreitig nicht mitgewirkt hat - abgesehen hätten, wenn es zu dem Verkauf des Miteigentumsanteils an den Neffen der Betroffenen nicht gekommen wäre.
Guhling |
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Nedden-Boeger |
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Botur |
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RinBGH Dr. Krüger ist wegen Urlaubs an der Signatur gehindert. |
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Recknagel |
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Fundstellen
JZ 2024, 625 |
NZFam 2024, 1097 |