Leitsatz (amtlich)

Eine auf die Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gestützte Rechtsbeschwerde ist unzulässig, wenn es der Beschwerdeführer im Rahmen des vorinstanzlichen Rechtsmittels versäumt hat, eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Anschluss an BGH, Beschl. v. 15.7.2015 - IV ZB 10/15 VersR 2016, 137 Rz. 7).

 

Normenkette

ZPO § 574 Abs. 2 Nr. 2; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG Düsseldorf (Beschluss vom 15.04.2019; Aktenzeichen I-5 U 5/19)

LG Mönchengladbach (Urteil vom 05.12.2018; Aktenzeichen 6 O 355/17)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 5. Zivilsenats des OLG Düsseldorf vom 15.4.2019 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt bis 22.000 EUR.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Schadensersatz im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal in Anspruch. Er erwarb im Dezember 2015 einen gebrauchten Pkw Skoda Yeti 1.6 TDI, in welchem ein Dieselmotor des Typs EA189 eingebaut ist, den die Beklagte hergestellt hat. Dieser Motor ist mit einer Prüfstanderkennungssoftware versehen. Der Kläger begehrt von der Beklagten Erstattung des Kaufpreises i.H.v. 21.400 EUR Zug um Zug gegen Übergabe des Pkws. Er behauptet, er habe in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware das Fahrzeug erworben, wodurch er einen wirtschaftlich nachteiligen Vertrag geschlossen habe. Dies folge bereits daraus, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb ggf. mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das Kraftfahrtbundesamt rechnen müsse.

Rz. 2

Das LG Mönchengladbach hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger fristgerecht Berufung eingelegt. Unter Hinweis auf Urteile der LG Hildesheim und Offenburg macht er geltend, dass ihm die Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gem. § 826 BGB vorsätzlich Schaden zugefügt habe. Die schädigende Handlung sei der Beklagten auch zuzurechnen. Außerdem habe das LG auch ein Urteil des LG Kleve nicht berücksichtigt, danach seien die dem Kläger zustehenden Schadensersatzansprüche auch auf die Vorschriften der §§ 826, 249 ff. BGB und § 823 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu stützen.

Rz. 3

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG die Berufung als unzulässig verworfen, da ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 und 3 ZPO genüge. An einer auf den konkreten Sachverhalt zugeschnittenen Berufungsbegründung fehle es hier. Die Begründung beschränke sich darauf, Urteile anderer LG zu zitieren, wonach es sich bei der eingebauten Software um eine verbotene Abschalteinrichtung handele, was Ansprüche gem. §§ 823 Abs. 2, 826 BGB rechtfertige. Dabei verkenne die Berufung, dass das LG diese Fragen überhaupt nicht anders beurteilt habe als der Kläger. Ein Rechtsfehler werde insoweit nicht aufgezeigt. Nicht angegriffen worden sei die einzige Begründung des LG für die Abweisung der Klage, wonach der Kläger zum Zeitpunkt des Fahrzeugerwerbs von dem behaupteten Mangel Kenntnis gehabt habe. Eine Täuschung sei damit ebenso ausgeschlossen wie eine sittenwidrige Schädigung.

Rz. 4

Hierauf sei der Kläger mit Beschluss des Berufungsgerichts unter Gelegenheit zur Stellungnahme hingewiesen worden. Die darauf eingegangene Stellungnahme rechtfertige keine andere Beurteilung. Soweit mit ihr vorgetragen werde, das LG habe zu Unrecht eine Kenntnis des Klägers angenommen, hätte dies innerhalb der Berufungsbegründungsfrist gerügt werden müssen.

Rz. 5

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 6

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt den gesetzlichen Frist- und Formerfordernissen. Sie ist aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO, die auch bei einer Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss gewahrt sein müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.1.2010 - I ZB 97/08, juris Rz. 5; v. 14.4.2020 - VIII ZB 27/19, juris Rz. 1; jeweils m.w.N.), nicht erfüllt sind. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) erforderlich.

Rz. 7

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Zu der Darlegung der Rechtsverletzung gehört die aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche Gründe er ihnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden; die Vorschrift stellt keine besonderen formalen Anforderungen hierfür auf. Für die Zulässigkeit der Berufung ist auch ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Zur Bezeichnung des Umstands, aus dem sich die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung materiellen Rechts ergibt, genügt regelmäßig die Darlegung einer Rechtsansicht, die dem Berufungskläger zufolge zu einem anderen Ergebnis als dem des angefochtenen Urteils führt. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen. Dabei ist aber stets zu beachten, dass formelle Anforderungen an die Einlegung eines Rechtsmittels im Zivilprozess nicht weitergehen dürfen, als es durch ihren Zweck geboten ist (st.Rspr.; vgl. nur BGH v. 8.6.2021 - VI ZB 22/20 WM 2021, 1354 Rz. 6; v. 8.6.2021 - VI ZB 47/20, juris Rz. 6; v. 27.10.2020 - VI ZB 81/19, juris Rz. 7 jeweils m.w.N.).

Rz. 8

2. Ob die Berufungsbegründung des Klägers diesen Anforderungen noch gerecht wird, muss nicht entschieden werden.

Rz. 9

Insoweit vermerkt das Berufungsgericht zunächst zutreffend, dass sich der Kläger in seiner Berufungsbegründung mit der Annahme des LG, er habe vom Dieselskandal und der Betroffenheit des Fahrzeugs Kenntnis gehabt, nur unzureichend auseinandergesetzt hat. Wie die Rechtsbeschwerde aber zu Recht geltend macht, hat das Berufungsgericht übersehen, dass der Kläger die Schadensersatzansprüche nicht nur auf die Anspruchsgrundlagen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und des § 826 BGB, sondern in der ersten Instanz auf drei verschiedene deliktische Anspruchsgrundlagen gestützt hat, nämlich auf §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB, auf §§ 826, 31 BGB sowie auf §§ 823 Abs. 2, 31 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV. Mit der Berufung hat er dann geltend gemacht hat, dass seine Schadensersatzansprüche sich auch aus den Regelungen des § 823 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ergäben und dies vom LG übergangen worden sei. Er hat ausgeführt, dass ein Verstoß gegen das Verbot von Inverkehrgabe und Handel ohne gültige Bescheinigung in § 27 Abs. 1 EG-FGV und zum anderen gegen die Pflicht zur Erteilung einer gültigen Bescheinigung gem. § 6 Abs. 1 EG-FGV vorliege, hierbei handele es sich jeweils um Verbotsgesetze im Sinne der Vorschrift des § 823 Abs. 2 BGB.

Rz. 10

Mit dieser Anspruchsgrundlage hat sich das LG in seiner Entscheidung nicht befasst und insb. auch nicht festgestellt, dass eine mögliche Kenntnis des Klägers vom Dieselskandal und der Betroffenheit seines Fahrzeugs auch einem solchen Anspruch entgegenstünde. Waren in erster Instanz mehrere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen verneint worden, so braucht die Berufungsbegründung nicht auf alle Anspruchsgrundlagen einzugehen und es reicht der Angriff gegen eine Verneinung (vgl. nur in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl., § 520 Rz. 43 m.w.N.). Entsprechendes gilt, wenn das erstinstanzliche Gericht eine Anspruchsgrundlage übersieht oder nicht behandelt, auf die der Kläger in der Berufungsbegründung (erneut) seinen Anspruch stützt. Für die Zulässigkeit der Berufung wäre es auch ohne Bedeutung, dass die Ausführungen der Berufungsbegründung zum Schutzgesetzcharakter dieser Normen rechtlich nicht zutreffend sind (vgl. nur BGH vom 25.5.2020 - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rz. 73 ff.).

Rz. 11

3. Der Geltendmachung der etwaigen Verletzung des Grundrechts auf Gewährung wirkungsvollen Rechtschutzes steht jedenfalls der Grundsatz der Subsidiarität entgegen.

Rz. 12

a) Der Subsidiaritätsgrundsatz fordert, dass ein Beteiligter über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen muss, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine solche zu verhindern (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 9.2.2011 - VIII ZR 285/09, WuM 2011, 178 Rz. 10; v. 14.6.2018 - III ZR 54/17, BGHZ 219, 77 Rz. 37; v. 18.11.2020 - VIII ZR 123/20 NJW-RR 2021, 76 Rz. 67; Beschlüsse v. 28.3.2019 - IX ZR 147/18, ZInsO 2019, 1026 Rz. 4; v. 28.1.2020 - VIII ZR 57/19 NJW 2020, 1740 Rz. 15; jeweils m.w.N.). Dieser Grundsatz ist nicht auf das Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit beschränkt, sondern gilt auch im Nichtzulassungsbeschwerde- und Revisionsverfahren (vgl. BGH, Beschl. v. 28.1.2020 - VIII ZR 57/19 NJW 2020, 1740 Rz. 15). Denn einer Revision kommt bei der Verletzung von Verfahrensgrundrechten auch die Funktion zu, präsumtiv erfolgreiche Verfassungsbeschwerden vermeidbar zu machen. Daher sind für ihre Beurteilung die gleichen Voraussetzungen maßgebend, die nach der Rechtsprechung des BVerfG zum Erfolg einer Verfassungsbeschwerde führten (vgl. BGH, Beschl. v. 27.3.2003 - V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 296 f.). Nichts Anderes kann für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelten (vgl. BGH, Beschl. v. 15.7.2015 - IV ZB 10/15 VersR 2016, 137 Rz. 7).

Rz. 13

b) Gemessen daran hat es der Kläger versäumt, in seiner Stellungnahme auf den Hinweisbeschluss die drohende Nichtberücksichtigung seiner Ausführungen in der Berufungsbegründung zu weiteren Anspruchsgrundlagen zu rügen.

Rz. 14

Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, dass die Berufungsbegründung unzureichend sei, in einem Hinweisbeschluss, mit dem es dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat, dargelegt. Der Kläger hat in seiner Stellungnahme dazu lediglich unter Beweisantritt vorgetragen, dass ihm zum Kaufzeitpunkt der Mangel in Gestalt der Betroffenheit des Fahrzeugs vom Abgasskandal nicht bekannt gewesen sei und er hiervon erst im Frühjahr 2016 erfahren habe. Er hat aber nicht geltend gemacht, dass er seine Schadenersatzansprüche auf weitere Anspruchsgrundlagen aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV gestützt habe und das Berufungsgericht dies ausweislich des Hinweisbeschlusses übergangen habe. Damit hat er die eingeräumte prozessuale Möglichkeit zur Verhinderung der nunmehr mit der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Verfahrensgrundrechtsverletzung nicht genutzt.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14844478

NJW 2021, 10

NJW-RR 2021, 1507

IBR 2021, 665

MDR 2021, 347

MDR 2022, 57

VRS 2021, 43

WRP 2022, 124

Mitt. 2021, 575

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