Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 30.01.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30. Januar 2002
- im Schuldspruch dahin neu gefaßt, daß der Angeklagte der schweren Verunglimpfung des Staates schuldig ist;
- im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen Verunglimpfung des Staates in der Absicht, sich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und seiner Verfassungsorgane einzusetzen,” zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I. Nach den Feststellungen verfaßte der mehrfach einschlägig vorbestrafte Angeklagte im April 2000 einen „Offenen Brief an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages und der Bundesregierung”. In dem vierseitigen Schreiben, in dem er seine Auffassungen zu verschiedenen politischen Fragen darlegte und den Politikern Versagen bei deren Behandlung vorwarf, äußerte er sich u. a. auch wie folgt:
„… Sie alle haben aus der Bundes- eine Bimbes-Republik gemacht, einen käuflichen Saustall, über dem als Wichtigstes Ihr Glaubensbekenntnis steht: Es darf nie wieder einen selbstbewußten, wirklich souveränen deutschen Staat geben. Nur allzu willig und übereifrig unterwerfen Sie sich französischen, amerikanischen, vor allem aber jüdischen Wünschen oder Befehlen …. Die Bundesrepublik ist kein Staat! …. Das Grundgesetz ist keine Verfassung und wurde nicht in freier Entscheidung vom deutschen Volke beschlossen, kann also auch niemals eine Verfassung oder gar die Grundlage eines souveränen Staates werden …. Das Grundgesetz ist Besatzungsrecht … Folglich wäre es die Pflicht der Bundesregierung gewesen, 1990 auch das Besatzungsprovisorium BRD aufzulösen …. Statt dessen hat sie das Grundgesetz, ein Willkürprodukt der Feindmächte, zur Quasiverfassung erhoben, …. Das Reich muß wieder her! Die BRD gehört zum traurigsten und würdelosesten Abschnitt unserer deutschen Geschichte und muß so schnell wie möglich beendet und durch das Reich ersetzt werden. Das Reich muß uns doch bleiben! „.
Abschriften des Briefes, den er auch im Internet publizierte, versandte er an ihm Gleichgesinnte und an Haushalte.
Das Landgericht hat in den Äußerungen eine besonders verletzende Mißachtung und Herabwürdigung der Bundesrepublik Deutschland und seiner freiheitlich demokratischen Grundordnung gesehen. Der Angeklagte habe der Bundesrepublik Deutschland die Staatlichkeit, die Souveränität sowie die staatsrechtliche Legitimation abgesprochen und sie als so verachtenswert denunziert, daß sie beseitigt und durch das „Dritte Reich”, also eine Gewalt- und Willkürherrschaft, ersetzt werden müsse. Dadurch habe er die Bundesrepublik und ihre verfassungsmäßige Ordnung sowohl beschimpft als auch böswillig verächtlich gemacht und sich für Bestrebungen gegen ihren Bestand und gegen Verfassungsgrundsätze eingesetzt.
Entscheidungsgründe
II. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand.
1. Bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen hat die Strafkammer nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere unter Berücksichtigung der Ausführungen, in denen sie sich mit der Einlassung des Angeklagten auseinandersetzt, die Anforderungen beachtet, die sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ergeben (vgl. BVerfG NJW 1999, 204, 205; 1995, 3303, 3305). Sie hat sich vor allem mit der Behauptung des Angeklagten befaßt, mit „Reich” sei nicht das „Dritte Reich”, sondern das „Reich Bismarcks” gemeint und diese Auslegungsmöglichkeit auch unter Berücksichtigung der Passage des Briefes, in der der Angeklagte zur Begründung seiner These vom „Fortbestand des Deutschen Reichs” das Bundesverfassungsgericht zitiert, mit einer ausführlichen, tragfähigen Begründung ausgeschlossen (UA S. 18, 19). Bei der Deutung des objektiven Sinns der Äußerungen durfte die Strafkammer neben ihrem Wortlaut und Kontext Umstände außerhalb des Offenen Briefes berücksichtigen (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305). Insbesondere konnte sie auch darauf abstellen, daß der Angeklagte seit Jahrzehnten rechtsradikales Gedankengut verbreitet und die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekämpft.
2. Die Äußerungen des Angeklagten erfüllen den Tatbestand des § 90 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i. V. m. § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 6, Abs. 3 Nr. 1 und 3 StGB in der Alternative des böswilligen Verächtlichmachens der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung.
Der Angeklagte hat mit seiner Äußerung, die Bundesrepublik und ihre freiheitlich demokratische Grundordnung seien minderwertig und müßten durch das „Dritte Reich” ersetzt werden, diese als der Achtung der Bürger unwert und unwürdig hingestellt (vgl. BGHSt 3, 346; 7, 110, 111). Die Äußerung stellt sich als böswillig dar, weil er aus bewußt feindlicher Gesinnung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung handelte (BGH NJW 1964, 1481, 1483), deren Existenzrecht er bestreitet und die er beseitigen will.
3. Das Landgericht hat bei der Anwendung des § 90 a StGB die wertsetzende Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlich demokratischen Rechtsstaat entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts berücksichtigt (vgl. BVerfG NJW 1978, 1043, 1045; 1995, 3303, 3304). Es hat insbesondere gesehen, daß bei der gesetzlichen Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit durch eine Staatsschutznorm besonders sorgfältig zwischen einer – wie verfehlt auch immer erscheinenden – Polemik und einer Beschimpfung oder einem böswilligen Verächtlichmachen zu unterscheiden ist, weil Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet (BVerfG NJW 1995, 3303, 3304; 1999, 204, 205). Angesichts der schwerwiegenden Verunglimpfungen durfte es im Rahmen der gebotenen Abwägung der Anwendung des § 90 a StGB den Vorrang vor der Meinungsäußerungsfreiheit einräumen.
Die Strafkammer hat § 90 a StGB zum Schutz des Ansehens des Staates nicht so ausdehnend ausgelegt, daß die Meinungsfreiheit nicht mehr die außergewöhnlich große Bedeutung hat, die ihr innerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zukommt. Ihre Interpretation führt nicht dazu, daß vom Gebrauch des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes deswegen abgeschreckt wird, weil aus Furcht vor Sanktionen auch zulässige Kritik unterbleibt (vgl. BVerfG NJW 1995, 3304). Zu Recht hat sie den Äußerungen des Angeklagten ein Gewicht beigemessen, das über Entstellungen, Übertreibungen und Geschmacklosigkeiten deutlich hinausgeht. Dabei hat sie zutreffend gesehen, daß § 90 a StGB nicht verbietet, ablehnende und scharfe Kritik am Staat zu üben und selbst verfassungsfeindliche Ziele zu propagieren (BVerfGE 47, 198, 232). Es durfte aber auch berücksichtigen, daß die Bundesrepublik Deutschland als rechtsstaatlich verfaßte Demokratie in ihrem von der inneren Zustimmung ihrer Bürger abhängigen Bestand auf ein Mindestmaß an Achtung dieser Bürger ihr gegenüber angewiesen ist, auch um die Grundrechtsausübung wirksam gewährleisten zu können (vgl. BGHR StGB § 90 a Kunstfreiheit 1), zumal der Angeklagte die in seinem Offenen Brief angesprochenen politischen Anliegen auch in einer vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit gedeckten Form hätte verbreiten können, ohne daß ihm dadurch ein Verzicht auf gedankliche Teile seiner Äußerungen zugemutet werden würde (vgl. BVerfGE 47, 198, 233).
4. Den mit dem Wortlaut des Qualifikationstatbestandes gemäß § 90 a Abs. 3 StGB nicht übereinstimmenden Schuldspruch des angefochtenen Urteils hat der Senat neu gefaßt. Er hat dabei die Tat als schwere Verunglimpfung des Staates bezeichnet, um zum Ausdruck zu bringen, daß sich der Angeklagte durch sie absichtlich für verfassungswidrige Bestrebungen eingesetzt hat.
III. Gegen den Strafausspruch bestehen jedoch durchgreifende rechtliche Bedenken.
Auch wenn die Meinungsäußerungsfreiheit nicht vor einer Verurteilung wegen Verunglimpfung des Staates schützt, weil sie bei der gebotenen fallbezogenen Abwägung hinter dem Rechtsgut des Schutzes des Staates vor böswillig verächtlich machenden Äußerungen zurücktritt, muß bei der Strafzumessung ihre wertsetzende Bedeutung beachtet werden. Denn dem eingeschränkten Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit ist bei der Rechtsanwendung auf allen Ebenen Rechnung zu tragen. Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Grundgesetzes enthält nicht nur den verfassungsrechtlichen Maßstab für die Beurteilung, ob eine Meinungsäußerung erlaubt oder verboten ist, sondern verlangt auch bei der Zumessung der Sanktion für eine verbotene Meinungsäußerung Beachtung (vgl. BVerfG NStZ 1994, 357, 358; NJW 1999, 204, 205; 2002, 1031, 1034 f). Die erforderliche Abwägung auf der Ebene der Strafzumessung hat die Strafkammer nicht erkennbar vorgenommen.
Von dieser Abwägung war die Strafkammer auch nicht deshalb enthoben, weil die Äußerungen eine reine Schmähkritik darstellen könnten. Denn eine überzogene oder ausfällige Kritik macht eine Äußerung noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muß vielmehr, daß nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung im Vordergrund steht. Die Äußerung muß jenseits auch polemischer Kritik in der persönlichen Herabsetzung bestehen. Dementsprechend liegt Schmähkritik bei Stellungnahmen in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage nur ausnahmsweise vor und wird im übrigen eher auf die sogenannte Privatfehde beschränkt bleiben (BVerfG NJW 1999, 204, 206; 1995, 3303, 3304).
Die strafbaren Äußerungen des Angeklagten bezweckten nicht ausschließlich die Schmähung des Staates und seiner verfassungsmäßigen Ordnung. Bei ihrer Bewertung muß berücksichtigt werden, daß nur wenige Passagen innerhalb eines vierseitigen Textes, der weitgehend strafrechtlich irrelevante, von Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Grundgesetzes gedeckte Meinungsäußerungen enthält, betroffen sind und zwischen allen Äußerungen ein enger Zusammenhang besteht. Bei dieser Sachlage bedarf es keiner Entscheidung, ob die vom Bundesverfassungsgericht für die Annahme der Schmähung einer Person entwickelten Grundsätze auf den Bereich des durch § 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB geschützten Rechtsguts übertragbar sind.
Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Bemessung der Freiheitsstrafe auf dem dargestellten Rechtsmangel beruht und hebt deshalb den Strafausspruch auf. Die Einziehungsanordnung, die keinen Rechtsfehler aufweist, kann bestehen bleiben.
IV. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, daß noch nicht rechtskräftige Verurteilungen nicht strafschärfend herangezogen werden dürfen und insoweit mißverständliche Formulierungen vermieden werden sollten. Schließlich wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben für die Überprüfung, ob im Hinblick auf § 21 StGB die Beiziehung eines Sachverständigen geboten ist. Der Angeklagte ist letztmals vor circa 20 Jahren hinsichtlich seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit untersucht worden. Die Intensität, Hartnäckigkeit und insbesondere die Unbelehrbarkeit, mit der er in Kenntnis drohender Strafverfahren öffentlich die nationalsozialistische Ideologie vertritt, könnten zumal unter Berücksichtigung der Möglichkeit altersbedingter Abbauprozesse eine erneute Untersuchung angezeigt erscheinen lassen.
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Winkler, von Lienen, Hubert
Fundstellen
Haufe-Index 2559773 |
NStZ 2003, 145 |