Verfahrensgang
LG Duisburg (Entscheidung vom 11.12.2023; Aktenzeichen 80 KLs 28/23) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 11. Dezember 2023 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit „unerlaubtem“ Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und mit „vorsätzlichem“ Besitz eines Schlagrings sowie wegen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Zudem hat es gegen ihn die Einziehung von 311,43 Gramm Marihuana und 17,1 Gramm Haschisch angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die nicht ausgeführte allgemeine Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen weitgehenden Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen verkaufte der Angeklagte in den Monaten Februar bis Mai 2022 in vier Fällen jeweils 30 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10% und damit einer Wirkstoffmenge von zumindest drei Gramm Tetrahydrocannabinol (THC) gewinnbringend an einen Abnehmer. Dabei handelte er in der Absicht, sich durch wiederholten Cannabisverkauf eine fortlaufende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zur Finanzierung seines Eigenkonsums von Cannabis zu verschaffen (Fälle II. 1. bis II. 4. der Urteilsgründe). Diese Taten hat die Strafkammer jeweils als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG gewertet.
Rz. 3
2. Am 18. Mai 2022 verwahrte der Angeklagte in seiner Wohnung 311,43 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 20% THC und 17,1 Gramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 34,9% THC. Von den Drogen waren jeweils 80% zum Weiterverkauf und 20% zum Eigenkonsum bestimmt. Mithin waren 249,14 Gramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 49,82 Gramm THC und 13,68 Gramm Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 4,77 Gramm THC zum Weiterverkauf sowie 62,28 Gramm Marihuana und 3,42 Gramm Haschisch mit einer Gesamtwirkstoffmenge von 13,62 Gramm THC zum Eigenkonsum vorgesehen. In der kleinen Wohnung befanden sich zudem leicht zugänglich und von jedem Ort in den Räumlichkeiten aus schnell zu ergreifen ein Schlagring, ein Teleskopschlagstock, ein Einhandmesser mit einer Klingenlänge von neun Zentimetern und eine Machete mit 40 cm Klingenlänge. Die Gegenstände hielt der Angeklagte bereit, um den Besitz der Drogen erforderlichenfalls verteidigen zu können (Fall II. 5. der Urteilsgründe). Diese Tat hat das Landgericht als bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) und mit Besitz eines Schlagrings (§ 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG) gewertet.
II.
Rz. 4
Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils führt zu dessen Aufhebung.
Rz. 5
1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht den Angeklagten für seinen Umgang mit Marihuana und Haschisch - entsprechend der zum Urteilszeitpunkt geltenden Rechtslage und gemessen an dieser rechtsfehlerfrei - nach dem Betäubungsmittelgesetz verurteilt hat. Am 1. April 2024 ist jedoch das Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz - KCanG) vom 27. März 2024 in Kraft getreten (BGBl. 2024 I Nr. 109). Diese Rechtsänderung ist im Revisionsverfahren gemäß § 2 Abs. 3 StGB in Verbindung mit § 354a StPO zu berücksichtigen. Nach der Neuregelung unterfällt Cannabis nicht mehr dem Betäubungsmittelgesetz, sondern bestimmt sich die Strafbarkeit der hier zu beurteilenden Taten nach dem Konsumcannabisgesetz (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 2024 - 5 StR 1/24, juris Rn. 4; vom 18. April 2024 - 6 StR 24/24, juris Rn. 5; Patzak/Möllinger, NStZ 2024, 321).
Rz. 6
a) Unter dessen Geltung ist das Tathandeln des Angeklagten in den Fällen II. 1. bis II. 4. der Urteilsgründe als Handeltreiben mit Cannabis (§ 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) zu werten. Im Fall II. 5. der Urteilsgründe hat sich der Angeklagte gemessen an den Vorschriften des Konsumcannabisgesetzes wegen bewaffneten Handeltreibens mit Cannabis gemäß § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG (in Bezug auf die Handelsmenge) in Tateinheit mit Besitz von Cannabis gemäß § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG (jedenfalls in Bezug auf die Eigenverbrauchsmenge) strafbar gemacht. Das bewaffnete Handeltreiben im Fall II. 5. der Urteilsgründe bezog sich auf Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 49,82 Gramm THC und Haschisch mit einer Wirkstoffmenge von 4,77 Gramm THC, also - wie von § 34 Abs. 4 Nr. 4 KCanG gefordert - auf eine „nicht geringe Menge“. Diese ist auch unter dem Konsumcannabisgesetz bei einer Wirkstoffmenge von 7,5 Gramm THC erreicht (näher hierzu BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 Rn. 8; vom 6. Mai 2024 - 2 StR 480/23, juris Rn. 27 ff.; vom 6. Mai 2024 - 4 StR 5/24, NStZ-RR 2024, 249, 250; vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 7; vom 24. April 2024 - 4 StR 50/24, juris Rn. 6 ff.; vom 23. April 2024 - 5 StR 153/24, NStZ-RR 2024, 216 f.; vom 18. April 2024 - 1 StR 106/24, NJW 2024, 1968 Rn. 7 ff.). Die zum Eigenkonsum bestimmte Besitzmenge lag bei über 60 Gramm Cannabis und überschritt damit die Strafbarkeitsgrenze des § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG.
Rz. 7
b) Ob in den verfahrensgegenständlichen Fällen das Tatzeitrecht oder das neue Recht für den Angeklagten günstiger und damit gemäß § 2 Abs. 3 StGB zur Anwendung zu bringen ist, richtet sich nach einem konkreten Gesamtvergleich im Einzelfall (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN; Beschluss vom 14. Oktober 1982 - 3 StR 363/82, NStZ 1983, 80; Urteil vom 9. Oktober 1964 - 3 StR 32/64, BGHSt 20, 74, 75).
Rz. 8
Das Ergebnis dieses Vergleichs hängt in den Fällen II. 1. bis II. 4. der Urteilsgründe davon ab, ob die Taten nach neuem Recht wegen des jeweils gewerbsmäßigen Handelns des Angeklagten als besonders schwere Fälle (§ 34 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 KCanG) zu werten sind oder der Grundstrafrahmen (§ 34 Abs. 1 KCanG) Anwendung findet, denn das Landgericht hat die Einzelstrafe jeweils dem Grundstrafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG entnommen. Bei dieser Entscheidung handelt es sich um einen Strafzumessungsakt, der dem Tatgericht obliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 Rn. 5; vom 9. Mai 2017 - 4 StR 366/16, NStZ-RR 2017, 240, 241 f.; Urteil vom 24. Juli 2014 - 3 StR 314/13, wistra 2014, 446 Rn. 31; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 354a Rn. 11).
Rz. 9
Entsprechendes gilt für die Strafbarkeit des Angeklagten im Fall II. 5. der Urteilsgründe. Hier hängt die Anwendung alten oder neuen Rechts - anzuwenden ist auf alle Tathandlungen des Angeklagten in diesem Fall im Sinne einer strikten Alternativität einheitlich entweder das Betäubungsmittelgesetz oder das Konsumcannabisgesetz jeweils in seiner Gesamtheit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Oktober 1999 - 4 StR 460/99, NStZ 2000, 136; vom 14. Oktober 1982 - 3 StR 363/82, NStZ 1983, 80; Schönke/Schröder/Hecker, StGB, 30. Aufl., § 2 Rn. 32) - von der Frage ab, ob das bewaffnete Handeltreiben mit Cannabis nach neuem Recht als minder schwerer Fall gemäß § 34 Abs. 4 KCanG einzustufen ist, was gleichfalls eine dem Tatgericht obliegende Strafzumessungsentscheidung ist.
Rz. 10
Zwar hat das Landgericht in den Fällen II. 1. bis II. 4. der Urteilsgründe jeweils einen besonders schweren Fall nach § 29 Abs. 3 BtMG trotz des Regelbeispiels der Gewerbsmäßigkeit verneint und im Fall II. 5. der Urteilsgründe einen minder schweren Fall gemäß § 30a Abs. 3 BtMG bejaht. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass es eine entsprechende Beurteilung für die Strafbarkeiten nach § 34 KCanG nicht vorgenommen hätte. Denn die Strafkammer hat bei ihrer Entscheidung unter anderem darauf abgehoben, bei Cannabis handele es sich um eine „weiche Droge“. Diese Erwägung ist indes unter dem Konsumcannabisgesetz nicht mehr statthaft, weil die Tatbestände des § 34 KCanG ausschließlich den Umgang mit Cannabis betreffen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Mai 2024 - 3 StR 154/24, NStZ 2024, 547 Rn. 10; vom 16. Mai 2024 - 6 StR 116/24, NStZ-RR 2024, 215, 216; vom 29. April 2024 - 6 StR 132/24, juris Rn. 5). Eine Schuldspruchänderung durch den Senat in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO scheidet daher aus. Eine isolierte Aufrechterhaltung der - für sich genommen rechtsfehlerfreien - tateinheitlichen Verurteilung wegen des Verstoßes gegen das Waffengesetz im Fall II. 5. der Urteilsgründe kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 353 Rn. 7a).
Rz. 11
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem gesamten Rechtsfolgenausspruch die Grundlage, so dass dieser ebenfalls aufzuheben ist.
Rz. 12
3. Die Feststellungen haben Bestand (§ 353 Abs. 2 StPO); diese sind insgesamt rechtsfehlerfrei getroffen worden. Das zur neuen Verhandlung und Entscheidung berufene Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese den bisherigen nicht widerstreiten.
Rz. 13
4. Im Hinblick auf eine etwaige neue Einziehungsentscheidung im zweiten Rechtsgang bemerkt der Senat:
Rz. 14
a) Eine Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB bezüglich der Verkaufserlöse aus den Taten II. 1. bis II. 4. der Urteilsgründe scheidet wegen des Verschlechterungsverbotes (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) aus, weil eine solche im ersten Rechtsgang, wenn auch zu Gunsten des Angeklagten rechtsfehlerhaft unterblieben ist.
Rz. 15
b) Sollte das neue Tatgericht im Fall II. 5. der Urteilsgründe als Ergebnis des anzustellenden Vergleichs der konkret einschlägigen Strafrahmen das Konsumcannabisgesetz zur Anwendung bringen - bei dem anzustellenden Günstigkeitsvergleich kommt es hier auf die möglichen einziehungsrechtlichen Folgen nicht an (vgl. BGH, Urteile vom 10. August 2023 - 3 StR 412/22, NZWiSt 2024, 187 Rn. 70; vom 8. August 2022 - 5 StR 372/21, BGHSt 67, 130 Rn. 12 f. mwN) -, wird bei der Entscheidung über eine Einziehung der in diesem Fall sichergestellten Betäubungsmittel (311,43 Gramm Marihuana und 17,1 Gramm Haschisch) von Relevanz sein, ob im Falle eines straf- oder bußgeldbewehrten Besitzes von Cannabis bei Überschreitung der Menge, deren Besitz erlaubt ist (§ 3 KCanG), nach § 37 KCanG die Gesamtmenge oder lediglich ein die erlaubte Menge übersteigender Teil eingezogen werden kann (vgl. einerseits BGH, Beschlüsse vom 1. August 2024 - 2 StR 107/24, juris Rn. 21 ff.; vom 12. Juni 2024 - 1 StR 121/24, NStZ-RR 2024, 312 f.; vom 12. Juni 2024 - 1 StR 105/24, juris Rn. 22 ff.; andererseits Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., § 37 KCanG Rn. 1 sowie BGH, Beschluss vom 24. April 2024 - 4 StR 50/24, StV 2024, 595 Rn. 12 ff.).
Schäfer Berg Hohoff
Anstötz Kreicker
Fundstellen
Dokument-Index HI16696512 |