Leitsatz (amtlich)
Erklärt der Betroffene bei der Anhörung, sich ohne Anwalt nicht oder nicht weiter äußern zu wollen, darf der Haftrichter eine Freiheitsentziehung nicht anordnen, ohne zu klären, ob der Betroffene damit - unabhängig von den Voraussetzungen einer Beiordnung im Wege der Verfahrenskostenhilfe - sein Recht auf Hinzuziehung anwaltlichen Beistands geltend machen will. Er muss deshalb den Betroffenen fragen, ob ein Anwalt kontaktiert werden soll, oder ihm hierzu Gelegenheit geben. Unterbleibt eine solche Klärung des Willens des Betroffenen, ist zu vermuten, dass dem Betroffenen der Zugang zu einem Anwalt verwehrt wurde.
Normenkette
GG Art. 104 Abs. 1; EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 Buchst. c
Verfahrensgang
LG Bamberg (Beschluss vom 09.08.2019; Aktenzeichen 43 T 115/19) |
AG Bamberg (Beschluss vom 02.07.2019; Aktenzeichen 15 XIV B 152/19) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde wird festgestellt, dass der Beschluss des AG Bamberg vom 2.7.2019 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bamberg vom 9.8.2019 die Betroffene in ihren Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Bayern auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 EUR.
Gründe
Rz. 1
I. Die Betroffene, eine iranische Staatsangehörige, reiste am 4.1.2019 nach Deutschland und stellte einen Asylantrag. Diesen lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.2.2019 als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung der Betroffenen in die Slowakei an, da sie dort bereits einen Asylantrag gestellt hatte. Eine für den 2.7.2019 geplante Überstellung scheiterte am Widerstand der Betroffenen.
Rz. 2
Mit Beschluss vom 2.7.2019 hat das AG auf Antrag der beteiligten Behörde Haft zur Sicherung der Überstellung der Betroffenen in die Slowakei bis zum 13.8.2019 angeordnet. Die für den 8.8.2019 geplante Überstellung konnte nicht durchgeführt werden, da die Slowakei an diesem Tag keine Überstellungen zuließ.
Rz. 3
Die gegen den Beschluss des AG erhobene Beschwerde hat das LG zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt die Betroffene festzustellen, dass sie durch die Beschlüsse des AG und LG in ihren Rechten verletzt worden ist.
Rz. 4
II. Das zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.
Rz. 5
1. Das Beschwerdegericht ist der Ansicht, das AG habe zu Recht Abschiebungshaft bis 13.8.2019 angeordnet. Der Haftantrag sei zulässig. Selbst wenn man die Aussage der Betroffenen bei ihrer Anhörung beim AG, sie sage ohne Anwalt nichts mehr, als Frage nach einem Anwalt auslege, führe dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, da Verfahrenskostenhilfe im Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu bewilligen gewesen wäre. Die Rechtsverteidigung der Betroffenen habe keine Aussicht auf Erfolg geboten. Es lasse sich zudem nicht feststellen, dass die Betroffene in der Lage gewesen wäre, einen Wahlanwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an der Anhörung teilzunehmen.
Rz. 6
2. Die Verfahrensweise des AG hat die Betroffene in ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
Rz. 7
a) Die Betroffene erklärte bei der Anhörung am 2.7.2019, sie sage ohne Anwalt nichts mehr und gebe auch ihre Personalien nicht an. Weder aus der Gerichtsakte noch aus der Ausländerakte ist ersichtlich, dass die Betroffene vor der Einlegung der Beschwerde durch einen Rechtsanwalt vertreten worden war. Eine Nachfrage des AG bei der Betroffenen, ob ein Anwalt und ggf. welcher zur Anhörung hinzugezogen werden solle, ist nicht protokolliert.
Rz. 8
b) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 10.7.2014 - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rz. 8; v. 12.11.2019 - XIII ZB 34/19, juris Rz. 7). Dieses Recht hat das AG durch seine Verfahrensgestaltung verletzt.
Rz. 9
aa) Es ist allerdings weder der Äußerung der Betroffenen bei ihrer Anhörung noch der Rechtsbeschwerde zu entnehmen, dass die Betroffene zum Zeitpunkt ihrer Anhörung bereits einen Rechtsanwalt hatte, dessen Teilnahme an der Anhörung sie wünschte. Es liegt also nicht der Fall vor, bei dem das Gericht weiß, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, und deshalb dafür Sorge tragen muss, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird (vgl. BGH, Beschl. v. 25.10.2018 - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rz. 5; v. 7.4.2020 - XIII ZB 84/19, juris Rz. 9 f.).
Rz. 10
bb) Gleichwohl hat das AG durch die Übergehung der Äußerung der Betroffenen deren Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
Rz. 11
(1) Die Erklärung der Betroffenen war nicht eindeutig. Die Äußerung, dass sie ohne Anwalt nichts sage, durfte nicht ohne weitere Klärung ihres Willens (lediglich) als Verfahrenskostenhilfeantrag verstanden werden. Denn der Erklärung war nicht zu entnehmen, worauf auch die Rechtsbeschwerde hinweist, dass die Betroffene auf ihr Recht, einen Anwalt zur Anhörung hinzuzuziehen, zu verzichten bereit war, wenn ihr keine Verfahrenskostenhilfe gewährt werde (vgl. BGH, Beschl. v. 20.5.2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rz. 7).
Rz. 12
(2) Der Haftrichter hätte die Betroffene daher fragen müssen, ob ein Anwalt kontaktiert werden solle, oder ihr hierzu Gelegenheit geben müssen (vgl. BGH, Beschl. v. 20.5.2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rz. 7; v. 25.8.2020 - XIII ZB 99/19, juris Rz. 11). Hätte die Betroffene hierauf einen Anwalt benannt, hätte dieser zum Termin hinzugezogen werden müssen. Wäre dies nicht möglich gewesen, hätte das AG die Haft nicht endgültig, sondern nur im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig (§ 427 FamFG) anordnen dürfen (BGH, Beschl. v. 7.4.2020 - XIII ZB 84/19, juris Rz. 10).
Rz. 13
(3) Nachdem das AG den Willen der Betroffenen nicht aufgeklärt hat und daher offengeblieben ist, ob die Betroffene einen Anwalt zu ihrer Anhörung hinzuziehen wollte, ist zur wirksamen Sicherung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf ein faires Verfahren zu vermuten, dass der Betroffenen der Zugang zu einem Anwalt verwehrt wurde. Denn es ist im Streitfall nicht offensichtlich - wovon das Beschwerdegericht aber ausgeht -, dass die Betroffene, selbst wenn ihr das AG bei der Anhörung hierzu Gelegenheit gegeben hätte, nicht in der Lage gewesen wäre, einen Anwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an einer Anhörung teilzunehmen. In Freiheitsentziehungssachen kommt es nicht selten vor, dass ein Rechtsanwalt die Vertretung des Betroffenen auch dann übernimmt, wenn diesem (noch) keine Verfahrenskostenhilfe bewilligt worden ist. Dementsprechend ist es auch der Betroffenen gelungen, einen Rechtsanwalt zu finden, der Beschwerde für sie eingelegt hat.
Rz. 14
cc) Die Anhörung der Betroffenen leidet damit an einem schwerwiegenden Verfahrensfehler, der nicht nur den ordnungsgemäßen Ablauf der Anhörung, sondern deren Grundlagen betrifft (vgl. BGH, Beschl. v. 18.2.2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rz. 26 m.w.N.). Eine Heilung des Verfahrensfehlers, die mit Wirkung für die Zukunft möglich gewesen wäre, ist durch das Beschwerdegericht nicht erfolgt. Sie hätte eine Nachholung der Anhörung der Betroffenen vorausgesetzt (vgl. BGH, Beschl. v. 7.4.2020 - XIII ZB 84/19, juris Rz. 13), die das Beschwerdegericht unterlassen hat.
Rz. 15
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
Fundstellen