Leitsatz (amtlich)
Für die Erteilung eines (gegenständlich nicht beschränkten) Erbscheins ist das Amtsgericht Berlin-Schöneberg auch dann zuständig, wenn der Erblasser mit letztem Wohnsitz im Gebiet der DDR vor dem 1. Januar 1965 verstorben ist, sich in der Bundesrepublik Deutschland keine Nachlaßgegenstände befinden und der Erbschein lediglich zur Geltendmachung von Lastenausgleichsansprüchen benötigt wird (Erg. zum Beschluß vom 3. Dezember 1975 - IV ZB 20/75).
Verfahrensgang
LG Berlin (Entscheidung vom 26.05.1972) |
KG Berlin |
AG Berlin-Schöneberg |
Tenor
Die weitere Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluß der Zivilkammer 83 des Landgerichts Berlin vom 26. Mai 1972 wird zurückgewiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt DM 3.000,-.
Gründe
I.
Der deutsche Erblasser verstarb am 9. September 1953 in Rostock während der Umzugsreise, die er von seinem Wohnort Lambrechtshagen bei Rostock (Mecklenburg) nach Bremen unternahm. Letzter Wohnsitz und Sterbeort des Erblassers liegen im Gebiet der DDR. Gesetzliche Erben des Erblassers sind seine drei Kinder, die Ehefrau Erna T. geb F. der Landwirt Helmut F., die beide in der DDR wohnen, und Frau Gerda M. geb. F. mit Wohnsitz in Bremen.
Auf Antrag der Frau Gerda M. erteilte das Amtsgericht Berlin-Schöneberg am 15. Dezember 1965 einen Erbschein, der die Antragstellerin und ihre beiden Geschwister als gesetzliche Erben zu je 1/3 ausweist. Der Erbschein wurde mit dem Vermerk "zum ausschließlichen Gebrauch für das Lastenausgleichsamt" versehen und unmittelbar dem Ausgleichsamt in Bremen übersandt.
Aufgrund notarieller Verhandlung vom 13. Mai 1969 hat die Antragstellerin beantragt, den vorgenannten Erbschein einzuziehen und einen neuen Erbschein des Inhalts auszustellen, daß sie und ihr Ehemann je zur Hälfte Erben des Erblassers geworden seien. Sie hat sich dazu auf einen an sie und ihren Ehemann gerichteten Brief des Erblassers vom 8. September 1952 berufen, der ihrer Ansicht nach eine letztwillige Verfügung enthält. Die bei der notariellen Verhandlung anwesende Schwester der Antragstellerin hat dem Antrag zugestimmt. Im Verlauf des Verfahrens hat auch der Bruder der Antragstellerin schriftlich sein Einverständnis damit erklärt, daß die Antragstellerin und ihr Ehemann je zur Hälfte Erben seien.
Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg hat die Einziehung des Erbscheins abgelehnt. Die dagegen von der Antragstellerin eingelegte Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluß vom 26. Mai 1972 zurückgewiesen. Es hat zunächst unter Bezugnahme auf seine frühere in NJW 1970, 203 veröffentlichte Entscheidung den Standpunkt vertreten, das Amtsgericht Berlin-Schöneberg sei seinerzeit zur Erteilung des Erbscheins zuständig gewesen. In sachlicher Hinsicht hat es angenommen, daß der von der Antragstellerin seinem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilte Brief des Erblassers keine Verfügung von Todes wegen enthalte.
Die von der Antragstellerin eingelegte weitere Beschwerde hat das Kammergericht dem Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs. 2 FGG zur Entscheidung vorgelegt. Das Kammergericht möchte die weitere Beschwerde als unbegründet zurückweisen, sieht sich hieran jedoch durch einen Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 1. Dezember 1971 (OLGZ 1972, 352 = Rpfl 1972, 102) gehindert. Das OLG Hamm hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes BGHZ 52, 123 eine Zuständigkeit des Nachlaßgerichts zur Ausstellung eines gegenständlich nicht beschränkten Erbscheins nach einem mit letztem Wohnsitz in der DDR verstorbenen Erblasser verneint und die Einziehung eines dem entgegen erteilten Erbscheins angeordnet. Das Kammergericht vertritt dagegen die Ansicht, ein Erbschein nach einem mit letztem Wohnsitz oder Aufenthalt in der DDR verstorbenen Erblasser sei nicht allein deswegen als unrichtig im Sinne des § 2361 Abs. 1 BGB einzuziehen, weil er vor Erlaß der genannten Entscheidung des Bundesgerichtshofes ohne gegenständliche Beschränkung auf die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland belegenen Nachlaßgegenstände erteilt worden sei. Eine Einziehung aus diesem Grunde komme jedenfalls nicht für Erbscheine in Betracht, die vor dem 1. April 1966, dem Tag des Inkrafttretens des Einführungsgesetzes zum Familiengesetzbuch der DDR, erteilt worden seien. Auch in sachlicher Hinsicht gebe die Entscheidung des Landgerichts zu rechtlichen Bedenken keinen Anlaß.
II.
Die Voraussetzungen der Vorlegung sind gegeben.
Die weitere Beschwerde ist unbegründet. Die beantragte Einziehung des am 15. Dezember 1965 von dem Amtsgericht Berlin-Schöneberg erteilten Erbscheins ist nicht gerechtfertigt.
1.
Die interlokale Zuständigkeit westdeutscher Nachlaßgerichte zur Erteilung eines Erbscheins nach einem mit letztem Wohnsitz in der DDR verstorbenen Erblasser ist gegeben, und zwar sowohl dann, wenn sich Nachlaßgegenstände in der Bundesrepublik Deutschland befinden (BGHZ 52, 123), als auch dann, wenn dies nicht der Fall ist (so die zur Veröffentlichung bestimmte Entscheidung des erkennenden Senats vom 3. Dezember 1975 - IV ZB 20/75). Im ersten Fall ist in entsprechender Anwendung des § 73 Abs. 3 FGG das Nachlaßgericht zuständig, in dessen Bezirk sich Nachlaßgegenstände befinden, im zweiten Fall ist das Amtsgericht Berlin-Schöneberg das zuständige Nachlaßgericht.
Ist im ersten Fall anstelle des zuständigen Nachlaßgerichts das Amtsgericht Berlin-Schöneberg tätig geworden, so stellt sich die Frage, ob ein von einem örtlich unzuständigen Gericht erteilter Erbschein einzuziehen ist. Die Frage wird weithin im Anschluß an die Entscheidung des Kammergerichts aus dem Jahre 1921 (KGJ 53 A 88 = OLGZ 42, 145) in entsprechender Anwendung des § 2361 Abs. 1 BGB bejaht (so von Keidel/Winkler FGG 10. Aufl. § 7 Rn. 36; Jansen FGG 2. Aufl. § 84 Rn. 12; BGB-RGRK 12. Aufl. § 2353 Rn. 1 und § 2361 Rn. 3; Palandt/Keidel BGB 35. Aufl. § 2361 Anm. 2; Staudinger/Firsching BGB 10./11. Aufl. § 2353 Rn. 35 und § 2361 Rn. 8; OLG Hamm OLGZ 72, 352 = Rpfl. 1972, 102; BayObLG Rpfl. 1975, 304; vom BGH NJW 1963, 1972 f nur in einer Nebenbemerkung). Jedoch erscheint eine entsprechende Anwendung des § 2361 Abs. 1 BGB auf den Fall, in dem das örtlich unzuständige Gericht einen inhaltlich richtigen Erbschein erteilt, der nach dem Gesetz als wirksam zu behandeln ist (§ 7 FGG), nicht zwingend geboten. Der Senat neigt dazu, die Analogie jedenfalls dann zu verneinen, wenn sich die örtliche Unzuständigkeit des tätig gewordenen Gerichts nicht aus eindeutigen Vorschriften ergibt. Auch erscheint die Einziehung des Erbscheins in solchem Falle nicht deshalb erforderlich, weil der Erbschein, obwohl zum Nachlaß Lastenausgleichsansprüche gehören, nicht die nach den §§ 2369 BGB, 73 Abs. 3 FGG gebotene Beschränkung auf die in der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Gegenstände, wohl aber den Vermerk "zum ausschließlichen Gebrauch für das Lastenausgleichsamt" enthält und unmittelbar dem zuständigen Ausgleichsamt übersandt worden ist. Denn die Verwendbarkeit des Erbscheins ist solchenfalls praktisch noch stärker eingeschränkt, als es mit der Anordnung einer gegenständlichen Beschränkung hätte geschehen können. Seine Einziehung mit nachfolgender Erteilung eines neuen gegenständlich beschränkten Erbscheins zum ausschließlichen Gebrauch für das Lastenausgleichsverfahren könnte als eine wenig sinnvolle, überflüssige Berichtigungsmaßnahme zu beurteilen sein. Für solche Fälle würden auch die vom OLG Hamm in der angeführten Entscheidung geäußerten Bedenken kaum durchgreifen können.
Doch brauchen diese Fragen vorliegendenfalls nicht abschließend beantwortet zu werden. Denn hier liegt entgegen der in dem Vorlegungsbeschluß vertretenen Ansicht des Kammergerichts nicht der Fall vor, daß sich in der Bundesrepublik Deutschland Nachlaßgegenstände befinden. Die Antragstellerin hat erklärt, der Nachlaß bestehe nur aus einem Lastenausgleichsanspruch. Lastenausgleichsansprüche sind aber keine Nachlaßgegenstände, wenn der Erblasser vor dem 1. April 1952, dem für die Entstehung der Lastenausgleichsansprüche bestimmten Stichtag (§ 232 Abs. 2 LAG), verstorben ist. In solchem Falle stehen die Ansprüche den Erben zu, und zwar nicht in ihrer Eigenschaft als Erben, sondern ihnen persönlich als Geschädigten (§ 229 Abs. 1 LAG; BVerwG NJW 1963, 1266). Entsprechendes ist anzunehmen, wenn ein Erblasser, wie im vorliegenden Fall, nicht vor dem 1. April 1952 verstorben ist, aber am 31. Dezember 1952 seinen ständigen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder in Berlin (West) gehabt hat und mit letztem ständigen Aufenthalt in der DDR verstorben ist. Für diese Fälle sind Lastenausgleichsansprüche erst mit dem 18. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz vom 3. September 1965 (BGBl 1965 I 1043) gewährt worden mit der Einschränkung, daß die Ansprüche nur geltend gemacht werden können, wenn der Erblasser vor dem 1. Januar 1965 verstorben ist (§ 230 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 LAG n.F.). Dem im Jahre 1953 im Gebiet der DDR verstorbenen Erblasser standen daher bei seinem Ableben noch keine Lastenausgleichsansprüche zu. Sie sind erst nach seinem Tode entstanden und daher keine Nachlaßgegenstände. Allenfalls könnten sie seinem Nachlaß fiktiv zugerechnet werden. Tatsächlich sind die Ansprüche den Personen zugeteilt worden, von denen es im Gesetz heißt, daß sie den Schaden geltend machen können. Das sind die am 31. Dezember 1964 vorhandenen Erben, soweit diese oder vorausgegangene Erben des Geschädigten in ihrer Person die Voraussetzungen des § 230 Abs. 1-3 LAG erfüllen. Sind aber in diesen Fällen die Lastenausgleichsansprüche keine Nachlaßgegenstände, dann greifen auch insoweit die Grundsätze ein, die der erkennende Senat in der zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung vom 3. Dezember 1975 - IV ZB 20/75 - aufgestellt hat. Danach ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg zur Ausstellung eines gegenständlich nicht beschränkten Erbscheins nach einem mit letztem Wohnsitz in der DDR verstorbenen Erblasser gegeben, wenn sich in der Bundesrepublik Deutschland keine Nachlaßgegenstände befinden und der Erbschein nur zur Geltendmachung von Lastenausgleichsansprüchen benötigt wird.
2.
Da hiernach das Amtsgericht Berlin-Schöneberg zur Erteilung des Erbscheins zuständig war, ist darüber zu entscheiden, ob die Auffassung des Landgerichts, der Erbschein sei inhaltlich richtig, einer rechtlichen Nachprüfung standhält.
Das Amtsgericht Berlin-Schöneberg hat einen Erbschein ausgestellt, der die gesetzliche Erbfolge ausweist. Die Antragstellerin begehrt die Feststellung testamentarischer Erbfolge zu ihren und ihres Ehemanns Gunsten. Sie sieht in einem an sie und ihren Ehemann gerichteten Brief des Erblassers vom 8. September 1952 eine letztwillige Verfügung, mit der der Erblasser sie und ihren Ehemann je zur Hälfte als Erben eingesetzt habe. Nach ihrem Vorbringen hat der von dem Erblasser vollständig handschriftlich geschriebene und unterschriebene Brief, der inzwischen abhanden gekommen, aber noch in Abschrift bei den Akten des Ausgleichsamts und des Verwaltungsgerichts Bremen vorhanden sei, in den entscheidenden Teilen folgenden Wortlaut:
" Ich denke mir so Erna hat ihr Grundstück und Helmut auch, also wenn es noch mal zurück geht, müßt ihr Stefan und Gerda mit Familie das meinige S. 8 8, K. hat wohl 172 und den Torfbruch P. weiß ich die Nummer nicht, übernehmen. Ja ob ihr damit einverstanden seid, ich meine damit wenn es doch noch zurück gehen soll. Will ich nur das ihr unser Grundstück; Ich und Mutterchen lebten in Gütergemeinschaft übernehmen sollt! u. da ist Arbeit und Brot u. denn darauf soll auch die Entschädigung geben daß man evtl. bauen u. Inventar anschaffen kann, denn die Entschädigung geht doch in die Abertausende, Schmiede mit allen Werkzeugen und das Grundstück mit den Maschinen und Geräte 10 Ps. Motor, Wagen und Ackergeräte alles neu und das Vieh und die Pferde, Darüber könnt ihr mir Eure Meinung äußern! Lieber Stefan Du machst da gleich eine Autofabrik auf, Erwin wird Direktor oder Bauer. Sigridche kann Hühner halten damit Eier immer sind, und Brigittchen muß Gänse hüten auch da ist Arbeit."
Das Landgericht hat in diesem Brief keine letztwillige Verfügung des Erblassers gesehen. Es hat dazu ausgeführt, der Erblasser habe in dem Brief lediglich seine Gedanken über die Gestaltung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse seines in Ostpreußen zurückgelassenen Grundvermögens für den Fall einer Rückkehrmöglichkeit niedergelegt, nicht aber eine rechtsverbindliche Erklärung für den Fall seines Todes abgeben wollen. Mit der Äußerung, wenn es noch einmal zurückgehe, müßten die Antragstellerin und ihr Ehemann sein Grundvermögen übernehmen, habe er allenfalls in Aussicht gestellt, ihnen seine in Ostpreußen zurückgelassenen Vermögenswerte zu vererben. Hätte er seine Mitteilung als letztwillige Verfügung angesehen wissen wollen, so wäre seine anschließende Frage, ob sie damit einverstanden seien, unverständlich. Aber selbst wenn man den Brief dahin auslegen wolle, daß der Erblasser in ihm bereits eine letztwillige Verfügung getroffen habe, so seien durch sie die Antragstellerin und ihr Ehemann doch nur für den Fall als Erben eingesetzt worden, daß sie sein in Ostpreußen zurückgelassenes Grundvermögen übernehmen könnten. Es könne nicht angenommen werden, daß er die gesetzliche Erbfolge auch für den Fall habe ausschließen wollen, daß diese Übernahme nicht möglich sei und anstelle des verlorengegangenen Vermögens Lastenausgleichsansprüche getreten seien.
Der Ansicht des Kammergerichts, diese auf dem Gebiet der tatsächlichen Würdigung und Auslegung liegende Feststellung des Landgerichts lasse einen Rechtsfehler nicht erkennen, ist beizutreten. Das gilt jedenfalls für die Feststellung, der Brief enthalte nicht eine testamentarische Anordnung, sondern allenfalls das Inaussichtstellen einer solchen letztwilligen Verfügung. Diese Feststellung beruht auf einer allein dem Tatrichter obliegenden Auslegung einer individuellen Erklärung, die weder Auslegungsfehler noch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze aufweist. Hieran ist das Rechtsbeschwerdegericht gebunden. Neue Tatsachen können im Rechtsbeschwerdezug nicht nachgetragen werden. Daher kann das Vorbringen der Antragstellerin in dem Schriftsatz ihres Anwalts vom 22. Juli 1975 über die Erklärung, die der Erblasser ihrem Bruder anläßlich von Besuchen in der Zeit von 1949 bis 1952 gemacht haben soll, nicht berücksichtigt werden.
Nach alledem mußte die weitere Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen werden.
Beschluss:
Der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt DM 3.000,-.
Fundstellen
Haufe-Index 3018707 |
NJW 1976, 1032 |
NJW 1976, 1032 (amtl. Leitsatz) |
MDR 1976, 477-478 (Volltext mit amtl. LS) |
IPRspr. 1976, 203 |