Entscheidungsstichwort (Thema)
Beglaubigungsabkommen Deutschland - Frankreich vom 13.9.1971
Leitsatz (amtlich)
a) Die beglaubigte Abschrift einer französischen Akte erbringt regelmäßig den vollen Beweis für die Abgabe der darin beurkundeten Erklärungen.
b) Das Gericht darf die beglaubigte Abschrift einer französischen Akte nicht deshalb außer Betracht lassen, weil sie in französischer Sprache verfasst ist.
Normenkette
ZPO § 415 Abs. 1, § 435 S. 1 Hs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 1. Zivilsenats des OLG Karlsruhe vom 21.2.2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.567 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
[1] Der Kläger nimmt - soweit für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde noch von Interesse - den Beklagten zu 2) auf Kaufpreisrückzahlung und Schadensersatz in Anspruch, weil dieser ihm ein Auto verkauft hat, das - nach der Behauptung des Klägers - zuvor in Frankreich gestohlen worden war.
[2] Der Kläger erwarb von dem Beklagten zu 2) mit Kaufvertrag vom 17.7.2001 einen gebrauchten R. Anschließend verkaufte er das Fahrzeug seinem Bruder, der es wiederum an einen in Frankreich lebenden Onkel veräußerte.
[3] Der Kläger behauptet, das Auto sei in Frankreich gestohlen worden, bevor der Beklagte zu 2) es ihm verkauft habe. Nachdem sein Bruder das Fahrzeug an den Onkel weiterverkauft habe, sei es von der französischen Polizei beschlagnahmt worden. Der Beklagte zu 2) habe ihm deshalb kein Eigentum an dem Auto verschafft und hafte ihm wegen anfänglichen Unvermögens.
[4] Der Kläger verlangt von dem Beklagten zu 2) die Zahlung von 20.576 EUR nebst Zinsen.
[5] Das LG hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde, mit der der Kläger seinen Klageantrag gegen den Beklagten zu 2) weiterverfolgt.
II.
[6] Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2, 544 Abs. 6 und 7 ZPO; Art. 26 Nr. 8 EGZPO). Sie ist auch begründet, weil das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör () in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat und deshalb die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (st.Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom 5.4.2005 - , BGHReport 2005, 1072 = MDR 2005, 1068 = , unter I).
[7] 1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
[8] Dem Kläger sei der Beweis, dass das Fahrzeug in Frankreich gestohlen worden sei, bevor der Beklagte zu 2) es ihm verkauft habe, nicht gelungen. Aufgrund der Aussage des Zeugen E. sei keine Überzeugung davon zu gewinnen, dass das Fahrzeug gestohlen worden sei. Auch aus dem Zusammenwirken der vom Kläger vorgelegten Ablichtungen und der Aussage des Zeugen E. folge nicht der Beweis des Diebstahls. Die vom Kläger vorgelegten Ablichtungen von Urkunden seien selbst nicht als Urkunden anzusehen. Sie seien damit kein zulässiges Beweismittel, sondern nur Gegenstand der freien Beweiswürdigung. Zweifel an der Übereinstimmung der Ablichtungen mit den Originalen seien begründet, weil es bei der Zulassung des Fahrzeugs in Deutschland keine Suchmeldung gegeben habe. Hinzu komme, dass der Kläger trotz entsprechender Hinweise des LG nicht in der Lage gewesen sei, Originale der Kopien vorzulegen. Durch die Aussage des Zeugen E. seien die durch diese Umstände begründeten Zweifel an der Übereinstimmung der Ablichtungen mit den Urkunden nicht ausgeräumt worden.
[9] 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht das Grundrecht des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs () verletzt hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das entscheidende Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (, 216 m.w.N.). Das Berufungsgericht hat hiergegen verstoßen, indem es entscheidungserhebliches Vorbringen des Klägers außer Acht gelassen hat.
[10] Das Berufungsgericht hat zwar nicht übersehen, dass der Kläger die von ihm zum Beweis seiner Behauptung, das Fahrzeug sei in Frankreich gestohlen worden, in erster Instanz vorgelegten Ablichtungen in der Berufungsinstanz durch weitere Fotokopien ergänzt hat. Es hat aber nicht berücksichtigt, dass der Kläger vorgetragen hat, bei diesen in der Berufungsinstanz mit Schriftsatz vom 26.10.2005 vorgelegten Ablichtungen handele es sich - anders als bei den in erster Instanz vorgelegten unbeglaubigten Fotokopien - um beglaubigte Abschriften der französischen Ermittlungsakte, durch sie werde nachgewiesen, dass das Fahrzeug in Frankreich gestohlen worden sei.
[11] Das Berufungsurteil beruht auf diesem Verfahrensfehler, da nicht auszuschließen ist, dass das Berufungsgericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es das Vorbringen des Klägers zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hätte. Hätte das Berufungsgericht das Vorbringen des Klägers berücksichtigt, er habe eine beglaubigte Abschrift der französischen Ermittlungsakte vorgelegt, und sich damit auseinandergesetzt, dass eine solche beglaubigte Abschrift den vollen Beweis für die Abgabe der darin beurkundeten Erklärungen erbringt, dann hätte es die Behauptung des Klägers, das Fahrzeug sei in Frankreich gestohlen worden, möglicherweise als erwiesen angesehen.
[12] a) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), begründen nach § 415 Abs. 1 ZPO, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs.
[13] Die Bestimmung des § 415 Abs. 1 ZPO gilt, wie sich aus § 438 ZPO ergibt, auch für ausländische öffentliche Urkunden (vgl. Zöller/Geimer, ZPO, 26. Aufl., § 415 Rz. 3, § 438 Rz. 2; BVerwG v. 15.7.1986 - 9 C 8/86, NJW 1987, 1159, m.w.N.). Bei der Urschrift der nach dem Vorbringen des Klägers in beglaubigter Abschrift vorgelegten Ermittlungsakte einschließlich der darin enthaltenen Strafanzeige des M. A. und des Abschlussberichts der Polizei M. handelt es sich um französische öffentliche Urkunden. Nach Art. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über die Befreiung öffentlicher Urkunden von der Legalisation vom 13.9.1971 (ratifiziert durch Gesetz vom 30.7.1974, BGBl. II S. 1074 ff.; im Folgenden: "Abkommen") sind für die Anwendung dieses Abkommens u.a. Urkunden einer Staatsanwaltschaft bei einem Gericht (Art. 2 Nr. 1 Alt. 2 des Abkommens) und Urkunden einer Verwaltungsbehörde (Art. 2 Nr. 2 des Abkommens) als öffentliche Urkunden anzusehen. Um solche Urkunden handelt es sich hier. Die Ermittlungsakte ist eine Urkunde der Staatsanwaltschaft ("Procureur de la République") bei dem Tribunal de Grande Instance de Lyon. Die in der Ermittlungsakte enthaltene Strafanzeige und der Abschlussbericht sind Urkunden der Polizei M., die - wie aus dem Vermerk auf der Strafanzeige "MINISTERE DE L'INTERIEUR" hervorgeht - dem französischen Innenminister nachgeordnet ist und bei der es sich demnach um eine Verwaltungsbehörde handelt.
[14] Eine öffentliche Urkunde kann gem. § 435 Satz 1 Halbs. 1 ZPO nicht nur in Urschrift, sondern auch in einer beglaubigten Abschrift, die hinsichtlich der Beglaubigung die Erfordernisse einer öffentlichen Urkunde an sich trägt, vorgelegt werden. Die nach Darstellung des Klägers von ihm vorgelegte beglaubigte Abschrift der französischen Ermittlungsakte genügt diesen Anforderungen. Der auf dem ersten Blatt des Konvoluts aufgestempelte Vermerk, der die Übereinstimmung der beglaubigten Abschrift mit dem Original bestätigt ("COPIE CERTIFIÉE CONFORME A L'ORIGINAL"), ist von einem "Greffier en Chef", also einem französischen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, ausgestellt. Nach Art. 4 i.V.m. Art. 2 Nr. 1 Alt. 4 des Abkommens sind Beglaubigungen von Abschriften, die ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle erteilt hat, als öffentliche Urkunden anzusehen.
[15] Voraussetzung für die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde ist ferner deren Echtheit und Unversehrtheit (Zöller/Geimer, a.a.O., vor § 415 Rz. 1). Die Echtheit ausländischer öffentlicher Urkunden hat das Gericht grundsätzlich nach den Umständen des Falles zu ermessen, wobei zum Beweis der Echtheit die Legalisation genügt (§ 438 ZPO). Da es sich bei der Beglaubigung des französischen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle allerdings um eine in Frankreich errichtete und mit einem amtlichen Stempel versehene öffentliche Urkunde handelt, bedarf sie zum Gebrauch in Deutschland nach Art. 1 des Abkommens keiner Legalisation. Sie hat daher entsprechend § 437 Abs. 1 ZPO die Vermutung der Echtheit für sich (vgl. Zöller/Geimer, a.a.O., § 438 Rz. 1).
[16] b) Die nach dem Vorbringen des Klägers von ihm vorgelegte beglaubigte Abschrift der Ermittlungsakte begründet demnach gem. § 415 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die Abgabe der darin beurkundeten Erklärungen. An diese gesetzliche Beweisregel, die den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) weitgehend einschränkt (Zöller/Geimer, a.a.O., vor § 415 Rz. 1), ist das Gericht zwar nicht gebunden, wenn eine Anordnung des Gerichts, dass der Beweisführer die Urschrift vorlege oder die Tatsachen angebe und glaubhaft mache, die ihn an der Vorlegung der Urschrift verhindern, erfolglos bleibt; dann entscheidet das Gericht gem. § 435 Satz 2 ZPO nach freier Überzeugung, welche Beweiskraft der beglaubigten Abschrift beizulegen ist. Eine solche Anordnung hat das Berufungsgericht hinsichtlich der in der Berufungsinstanz vorgelegten Abschriften jedoch nicht getroffen, so dass es bei der gesetzlichen Beweisregel des § 415 Abs. 1 ZPO bleibt.
[17] Die - wie für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde zu unterstellen ist - beglaubigte Abschrift der Ermittlungsakte erbringt demnach vollen Beweis zwar nicht für die inhaltliche Richtigkeit (innere oder materielle Beweiskraft), jedoch für die Abgabe (äußere oder formelle Beweiskraft) der darin beurkundeten Erklärungen (Zöller/Geimer, a.a.O., § 415 Rz. 5; BGH, Beschl. v. 14.8.1986 - 4 StR 400/86, MDR 1986, 976 = JZ 1987, 522; Urt. v. 6.7.1979 - I ZR 135/77, MDR 1980, 31 = NJW 1980, 1000, unter II 2). Die in ihr enthaltene Strafanzeige des M. A. beweist demnach, dass M. A. am 8.4.2000 Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls erstattet und dabei bekundet hat, am 8.4.2000 um 17.05 Uhr sei ein etwa 20jähriger Mann mit schwarzer Hautfarbe in den der Firma A. gehörenden grauen R., der in einer Garage in M. geparkt gewesen sei und an dem die Schlüssel noch gesteckt hätten, eingestiegen und sei damit in Richtung der "p." weggefahren. Sie erbringt ferner Beweis dafür, dass M. A. eine Fahrgestellnummer des gestohlenen Fahrzeugs angegeben hat, die - wie aus einem Vergleich mit dem Kaufvertrag des Klägers und des Beklagten zu 2) vom 17.7.2001 hervorgeht - mit der Fahrgestellnummer des verkauften Fahrzeugs übereinstimmt. Der gleichfalls in der beglaubigten Abschrift der Ermittlungsakte enthaltene Abschlussbericht der Polizei M. beweist schließlich, dass die Polizei M. aufgrund der Strafanzeige des M. A. von einem Diebstahl des Fahrzeugs ausgegangen ist.
[18] Das Berufungsgericht hätte, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht, prüfen müssen, ob in den Erklärungen des M. A. und den Feststellungen der Polizei M. Anhaltspunkte zu sehen sind, die darauf schließen lassen, dass das Fahrzeug, wie der Kläger behauptet hat, in Frankreich gestohlen worden war.
[19] Das Berufungsgericht durfte die beglaubigte Abschrift der französischen Ermittlungsakte auch nicht etwa deshalb außer Betracht lassen, weil sie in französischer Sprache verfasst ist. Das Berufungsgericht hätte die Ermittlungsakte auch ohne Übersetzung berücksichtigen dürfen (vgl. BGH, Beschl. v. 2.3.1988 - IVb ZB 10/88, NJW 1989, 1432, unter II 2). Andernfalls hätte es nach § 142 Abs. 3 Satz 1 ZPO anordnen können, dass der Kläger eine Übersetzung beibringt, oder es hätte entsprechend § 144 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 ZPO eine Übersetzung von Amts wegen einholen müssen (vgl. Zöller/Greger, a.a.O., § 142 Rz. 6).
III.
[20] Das Revisionsgericht kann in Fällen der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach in dem der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Beschluss unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen. Von dieser Möglichkeit macht der Senat hier Gebrauch.
Fundstellen
Haufe-Index 1697746 |
BGHR 2007, 524 |
EBE/BGH 2007 |
FamRZ 2007, 636 |
NJW-RR 2007, 1006 |
MDR 2007, 791 |
RIW 2007, 382 |