Verfahrensgang

Brandenburgisches OLG (Entscheidung vom 11.08.2022; Aktenzeichen 12 U 223/21)

LG Cottbus (Entscheidung vom 30.11.2021; Aktenzeichen 2 O 68/21)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 11. August 2022 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt bis 40.000 €.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motor der Baureihe EA 288 auf Schadensersatz in Anspruch.

Rz. 2

Das Landgericht hat die Klage unter anderem mit der Begründung abgewiesen, ein Anspruch wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung sei nicht gegeben, weil es jedenfalls an einem Schaden des Klägers fehle, der ein voll funktionsfähiges Fahrzeug erworben habe. Ein Schaden könne nicht in der Bemakelung mit einer möglicherweise unzulässigen Abschalteinrichtung gesehen werden. "Wirksamkeitsmängel" der erteilten Typgenehmigung habe der Kläger nicht vorgetragen. Eine Aufhebung der Typgenehmigung oder eine Erledigung seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Gerichte hätten bestandskräftige Verwaltungsakte, auch wenn sie fehlerhaft seien, zu beachten, solange sie nicht aufgehoben seien oder - wie hier nicht - greifbare Anhaltspunkte für ihre arglistige Erschleichung vorlägen. Eine Haftung wegen der Verletzung eines unionsrechtlichen Schutzgesetzes scheitere "bereits daran", dass die entsprechenden Vorschriften nicht das Interesse eines Fahrzeugkäufers schützten, "nicht zur Eingehung einer ungewollten Verpflichtung veranlasst zu werden". Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung nach Erteilung eines Hinweises als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 3

Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss weder den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) noch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip).

Rz. 4

1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Berufung sei nicht ordnungsgemäß begründet, weil sie nicht auf alle tragenden Erwägungen des Landgerichts eingehe. Das Landgericht habe die Abweisung der Klage selbständig tragend darauf gestützt, dass es an einem Schaden des Klägers fehle, weil er ein vollständig funktionsfähiges Fahrzeug erworben habe. Mit diesen Ausführungen habe sich die Berufungsbegründung nicht auseinandergesetzt.

Rz. 5

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Rz. 6

a) Ohne Erfolg macht die Rechtsbeschwerde geltend, bei dem angefochtenen Beschluss handele es sich um eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Diese Rüge ist schon nicht hinreichend ausgeführt, weil die Rechtsbeschwerde nicht dartut, was der Kläger auf weitere Hinweise entscheidungserheblich zu übergangenem Vorbringen in der Berufungsbegründung vorgetragen hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2020 - I ZR 194/19, juris Rn. 6 f.). Davon abgesehen ist das Berufungsgericht seiner Verpflichtung nachgekommen, den Berufungskläger vor der Verwerfung der Berufung anzuhören (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2011 - VI ZB 44/10, VersR 2011, 1155 Rn. 3 mwN). Es hat vorab zwar einen Hinweis nicht nur nach § 522 Abs. 1 ZPO, sondern auch nach § 522 Abs. 2 ZPO erteilt. Es hat dabei aber deutlich gemacht, dass und welche Einwände in erster Linie gegen die Zulässigkeit der Berufung bestünden, die es sodann wortgleich im Verwerfungsbeschluss wiederholt hat. Dass das Berufungsgericht sowohl Bedenken gegen die Zulässigkeit des Rechtsmittels als auch gegen dessen Begründetheit formuliert hat, macht die erteilten Hinweise nicht widersprüchlich und willkürlich. Ein Berufungsgericht darf unabhängig von konkreten Beanstandungen einer Berufungsbegründung ergänzend darauf hinweisen, dass es das angegriffene Urteil aus sich heraus für richtig hält (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 2020 - VI ZB 59/19, MDR 2020, 1334 Rn. 6).

Rz. 7

b) Das Berufungsgericht hat die Berufung auch mit Recht als unzulässig verworfen.

Rz. 8

aa) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen nicht; für die Zulässigkeit der Berufung ist es insbesondere ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Jedoch muss die Berufungsbegründung auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein, es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen. Dabei muss die Berufung die tragenden Erwägungen des Erstgerichts angreifen und darlegen, warum diese aus Sicht des Berufungsklägers nicht zutreffen; die Begründung muss also - ihre Richtigkeit unterstellt - geeignet sein, das gesamte Urteil in Frage zu stellen (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016 - IX ZB 88/15, NJW-RR 2016, 1267 Rn. 5; Beschluss vom 21. März 2022 - VIa ZB 4/21, NJW-RR 2022, 642 Rn. 7; Beschluss vom 20. Juni 2022 - VIa ZB 5/21, juris Rn. 8; Beschluss vom 25. Juli 2022 - VIa ZB 2/21, juris Rn. 8; jeweils mwN). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2016, aaO Rn. 9; Beschluss vom 20. Juni 2022, aaO Rn. 9; jeweils mwN).

Rz. 9

bb) Gemessen daran hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, die Berufungsbegründung des Klägers werde den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO nicht gerecht.

Rz. 10

Das Berufungsgericht hat den Entscheidungsgründen des landgerichtlichen Urteils zutreffend entnommen, das Landgericht habe eine Haftung der Beklagten aufgrund sämtlicher Anspruchsgrundlagen daran scheitern lassen, der Kläger habe durch das Handeln der Beklagten "jedenfalls" keinen Schaden erlitten. Dass das Landgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz erst im Anschluss an seine Ausführungen zum Schaden behandelt hat, hat das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend in dem Sinne verstanden, das Landgericht füge seinen sämtliche deliktischen Anspruchsgrundlagen betreffenden Erwägungen zum Schaden eine weitere selbständig tragende Erwägung zum Schutzgesetzcharakter unionsrechtlich fundierter Vorschriften hinzu. Die Ausführungen des Berufungsgerichts, es fehle in der Berufungsbegründung an einem hinreichenden Angriff gegen die selbständig tragende Verneinung eines Schadens durch das Landgericht, tragen wiederum eine Verwerfung der Berufung hinsichtlich aller in Betracht kommenden deliktischen Anspruchsgrundlagen innerhalb des vom Kläger verfolgten einheitlichen materiell-rechtlichen Anspruchs (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 2022 - VIa ZR 680/21, NJW-RR 2022, 1251 Rn. 26), ohne dass es noch auf deren Voraussetzungen im Übrigen ankam (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2022 - VIa ZR 230/22, juris Rn. 16; Beschluss vom 24. Oktober 2022 - VIa ZR 579/22, juris Rn. 11). Ob die Rechtsansicht des Landgerichts zum Fehlen eines Schadens zutrifft, ist unerheblich, weil der Kläger in seiner Berufungsbegründung einen Angriff gegen die Ausführungen des Landgerichts zum Schaden nicht formuliert hat. Aus den von ihr zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 23. Juni 2021 (VII ZB 42/20, juris) und 4. August 2021 (VII ZB 15/21, NJW-RR 2021, 1647), die sich allein zu der Frage verhalten, ob die Berufungen in den dortigen Verfahren mangels einer zureichenden Berufungsbegründung als unzulässig verworfen werden durften, kann die Rechtsbeschwerde nichts für sie Günstiges herleiten.

Rz. 11

cc) Die von der Rechtsbeschwerde zitierten Ausführungen des Klägers in seiner Stellungnahme auf den Hinweis des Berufungsgerichts konnten - unabhängig davon, dass der Kläger auch insoweit einen tauglichen Berufungsangriff nicht formuliert hat - schon deshalb nicht nachträglich zur Zulässigkeit der Berufung führen, weil eine unzulängliche Berufungsbegründung nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr geheilt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Oktober 2021 - III ZB 50/20, MDR 2022, 267 Rn. 28 mwN).

Menges     

Möhring     

Götz

Rensen     

Vogt-Beheim     

 

Fundstellen

Dokument-Index HI15555026

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge