Verfahrensgang
LG Dortmund (Urteil vom 06.11.2001) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. November 2001 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt er die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs führt in erster Linie, daß die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 64 StGB durch das Landgericht der rechtlichen Überprüfung nicht standhält.
Nach den Feststellungen der sachverständig beratenen Strafkammer betreibt der deutlich minderbegabte Angeklagte im Rahmen seiner dissozialen Persönlichkeit aus Langeweile bereits langjährig einen exzessiven Alkoholmißbrauch. Im Tatzeitpunkt betrug seine Blutalkoholkonzentration 1,92 ‰. Auch früher war er bei Begehung erheblicher Straftaten, u.a. bei Begehung eines Sexualdelikts, mit ähnlich hohen oder höheren Blutalkoholkonzentrationen aufgefallen. Das Vorliegen der Voraussetzungen einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB hat die Strafkammer vorliegend nicht festzustellen vermocht (UA 24/47 ff.).
Zur Begründung der Ablehnung einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB führt das Landgericht lediglich aus, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt komme, ebenso wie die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht in Betracht. Angesichts der getroffenen Feststellungen ist das Revisionsgericht anhand dieser formelhaften Begründung nicht in der Lage nachzuprüfen, ob die Strafkammer zu Recht von einer Unterbringung des Angeklagten nach § 64 StGB abgesehen hat. Dies versteht sich hier nicht von selbst.
Die Begründung läßt bereits besorgen, daß die Strafkammer davon ausgegangen ist, die Annahme eines Hanges oder eines Rausches im Sinne des § 64 StGB setze eine erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens im Sinne des § 21 StGB voraus. Dies ist indes nicht der Fall. Denn anders als bei § 63 StGB kommt es für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht darauf an, daß zumindest verminderte Schuldfähigkeit des Täters gemäß § 21 StGB feststeht (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; BGH NStZ-RR 2001, 12). Ebensowenig ist für die Feststellung eines Hanges erforderlich, daß eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit vorliegt. Es genügt vielmehr eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen. Diese Neigung muß noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5). Nach den Feststellungen liegt beim Angeklagten ein Hang in diesem Sinne auf der Hand. Ebenso liegt es nahe, daß zwischen dem Hang des Angeklagten zum Alkoholmißbrauch und seiner Tat der erforderliche symptomatische Zusammenhang bestanden hat. Ein solcher ist nämlich auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum Alkoholmißbrauch neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, daß der Angeklagte eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist. Dieser Zusammenhang kann daher grundsätzlich nicht allein deshalb verneint werden, weil außer dem Alkoholmißbrauch noch weitere Persönlichkeitsmängel, beim Angeklagten dessen dissoziale Persönlichkeitsstruktur, eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (vgl. BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1, 2).
Unter diesen Umständen hätte es einer näheren Erörterung der Ablehnung der Anordnung der Maßregel bedurft. Daß eine konkrete Erfolgsaussicht dieser Maßregel (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.) nicht besteht, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen.
Der Erörterungsmangel nötigt hier zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Landgericht im Falle der Anordnung der Maßregel auf eine mildere Strafe erkannt hätte. Der neue Tatrichter wird auch Gelegenheit haben, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB erneut zu prüfen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, ob die Minderbegabung, die dissoziale Persönlichkeitsstruktur und die Alkoholisierung des Angeklagten in ihrem Zusammenwirken zu einer Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit des Angeklagten geführt haben (vgl. BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 5). Sofern der neue Tatrichter zur positiven Feststellung eines dauerhaften Zustandes im Sinne des § 21 StGB gelangt, würde auch die Frage der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erörtern sein.
Daß nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung einer Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung der §§ 63, 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Unterschriften
Maatz, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen