Entscheidungsstichwort (Thema)
Eintragung von Steuerschulden im Schuldnerverzeichnis indiziert Vermögensverfall
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Eintragung von Steuerverbindlichkeiten im Schuldnerverzeichnis – auf deren genaue Höhe kommt es nicht an – indiziert den Vermögensverfall.
2. Hier bestanden im Zeitpunkt des Widerrufs Steuerschulden in sechsstelliger Höhe. Das Finanzamt vollstreckte seit Jahren laufend im Wege einer kontrollierten Kontopfändung. Diese Umstände lassen schon für sich genommen den Schluss auf einen Vermögensverfall des Klägers im Zeitpunkt des Widerrufs zu. Zur Entkräftung dieses Indizienbeweises hätte der Kläger – bezogen auf den Zeitpunkt des Widerrufs – die gegen ihn gerichteten Forderungen darlegen und erläutern müssen, wie er sie zu tilgen beabsichtigte.
3. Dass der Kläger nach vergeblichem Einspruch vor dem Finanzgericht Klage gegen die Eintragungsanordnung erhoben hat, erfordert nicht die Eintragungsanordnung aufzuheben und die Eintragung zu löschen.
Normenkette
BRAO § 14 Abs. 2 Nr. 7; ZPO § 882b; AO §§ 249, 284
Verfahrensgang
AGH Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 30.08.2019; Aktenzeichen 1 AGH 73/17) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. August 2019 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 50.000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Kläger ist im Bezirk der Beklagten zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Mit Bescheid vom 28. August 2017 widerrief die Beklagte die Zulassung des Klägers wegen Vermögensverfalls. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt im Schuldnerverzeichnis nach § 882b ZPO eingetragen. Der Eintragung lagen Steuerschulden des Klägers zugrunde. Die Höhe der Steuerschulden ist zwischen den Parteien streitig. Die Klage gegen den Widerrufsbescheid ist erfolglos geblieben. Nunmehr beantragt der Kläger die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 2
Der Antrag des Klägers ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
Rz. 3
1. Ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 – AnwZ (Brfg) 36/16, juris Rn. 3 mwN; vom 15. Dezember 2017 – AnwZ (Brfg) 11/17, juris Rn. 3). Daran fehlt es hier. Das Urteil des Anwaltsgerichtshofs steht im Einklang mit der Rechtsprechung des erkennenden Senates.
Rz. 4
a) Im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerrufsbescheides (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 29. Juni 2011 – AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ 190, 187 Rn. 9 ff.; Beschluss vom 4. März 2019 – AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 4 mwN) befand sich der Kläger in Vermögensverfall. Er war in dem vom Vollstreckungsgericht zu führenden Vermögensverzeichnis eingetragen (§ 882b ZPO). Gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wird der Vermögensverfall in einem solchen Fall vermutet. Tatsachen, die zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung geeignet sind, hat der Kläger auch in der Begründung des Zulassungsantrags nicht dargelegt.
Rz. 5
aa) Der Kläger verweist im Wesentlichen darauf, die Beklagte habe zunächst mit Schreiben vom 7. November 2016 trotz der Eintragung im Schuldnerverzeichnis und trotz einer „kontrollierten” Pfändung des Geschäftskontos den Nachweis der Einrichtung eines Anderkontos als ausreichend für den Schutz der Mandanten angesehen. Der Widerrufsbescheid sei dann mit einem Anstieg der Steuerschulden begründet worden. Für die Annahme eines derartigen Anstiegs fehle es jedoch an einer ausreichenden Tatsachengrundlage.
Rz. 6
Für die Frage, ob sich der Kläger im Zeitpunkt des Widerrufs in Vermögensverfall befand, kommt es auf die genaue Höhe der Steuerverbindlichkeiten nicht an. Die Eintragung im Schuldnerverzeichnis indiziert den Vermögensverfall. Dass die Forderungen, die zur Eintragung im Schuldnerverzeichnis geführt haben, im Zeitpunkt des Widerrufs insgesamt nicht oder nicht mehr bestanden hätten, behauptet der Kläger nicht.
Rz. 7
bb) Der Kläger meint weiter, das Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof sei gemäß § 118b BRAO auszusetzen gewesen. Unstreitig hat der Kläger nach vergeblichem Einspruch vor dem Finanzgericht M. … Klage gegen die Eintragungsanordnung erhoben mit dem Ziel, die Eintragungsanordnung aufzuheben und die Eintragung zu löschen.
Rz. 8
Die Vorschrift des § 118b BRAO gilt für das in den §§ 113 ff. BRAO geregelte anwaltsgerichtliche Verfahren, welches die Ahndung von anwaltlichen Pflichtverletzungen betrifft. In verwaltungsrechtlichen Anwaltssachen kommt allenfalls eine Aussetzung nach § 112c Abs. 1 BRAO, § 94 VwGO in Betracht. Schon die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 94 VwGO waren nicht erfüllt. Die Entscheidung des Widerrufsverfahrens ist nicht vom Ausgang des finanzgerichtlichen Verfahrens abhängig.
Rz. 9
(1) Selbst das Obsiegen des Klägers würde nichts daran ändern, dass der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides im Schuldnerverzeichnis eingetragen war. Der Vermögensverfall wird im Falle einer Eintragung im Schuldnerverzeichnis nur dann nicht vermutet, wenn die der Eintragung zugrundeliegenden Forderungen im Zeitpunkt des Widerrufs nicht oder nicht mehr bestanden (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2002 – AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577; vom 16. Oktober 2019 – AnwZ (Brfg) 28/19, juris Rn. 6). Darlegungs- und beweispflichtig ist insoweit der betroffene Rechtsanwalt. Der Kläger hat weder behauptet noch in geeigneter Weise belegt, dass die Steuerschulden, die zur Eintragung im Schuldnerverzeichnis geführt haben, im Zeitpunkt des Widerrufs nicht oder nicht mehr bestanden.
Rz. 10
(2) Überdies stellen offene Forderungen und Vollstreckungsmaßnahmen Beweisanzeichen dar, die unabhängig von der gesetzlichen Vermutung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO den Schluss auf einen Vermögensverfall des Rechtsanwalts erlauben können (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 10. April 2019 – AnwZ (Brfg) 68/18, juris Rn. 6 mwN). Hier bestanden im Zeitpunkt des Widerrufs Steuerschulden in sechsstelliger Höhe. Das Finanzamt vollstreckte, wie sich auch aus der Auskunft des Finanzamts D. vom 18. April 2019 ergibt, seit Jahren laufend im Wege einer kontrollierten Kontopfändung. Diese Umstände lassen schon für sich genommen den Schluss auf einen Vermögensverfall des Klägers im Zeitpunkt des Widerrufs zu. Zur Entkräftung dieses Indizienbeweises hätte der Kläger – bezogen auf den Zeitpunkt des Widerrufs – die gegen ihn gerichteten Forderungen darlegen und erläutern müssen, wie er sie zu tilgen beabsichtigte (BGH, Beschluss vom 10. April 2019, aaO). Das ist auch in der Begründung des Zulassungsantrags nicht geschehen.
Rz. 11
b) Der Vermögensverfall des Klägers gefährdete die Interessen der Rechtsuchenden.
Rz. 12
aa) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wertung des Gesetzgebers ist mit dem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Auch wenn diese Regelung nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermögensverfalls folgt, kann die Gefährdung im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden, wobei den Rechtsanwalt hierfür die Feststellungslast trifft. Die Annahme einer derartigen Sondersituation setzt mindestens voraus, dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv verhindern (BGH, Beschluss vom 16. Oktober 2019 – AnwZ (Brfg) 28/19, juris Rn. 7 mwN).
Rz. 13
bb) Diese Voraussetzungen sind hier auch nach dem Vorbringen des Klägers nicht erfüllt. Der Senat hält in ständiger Rechtsprechung selbst auferlegte, aber rechtlich nicht abgesicherte und deshalb jederzeit abänderbare Beschränkungen des Rechtsanwalts grundsätzlich nicht für ausreichend, eine Gefährdung der Rechtsuchenden auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2019 – AnwZ (Brfg) 47/18, juris Rn. 13 mwN). Das Schreiben der Beklagten vom 7. November 2016, in welchem die Beklagte erklärt hat, „derzeit” von einem Widerruf abzusehen, wenn die Einrichtung eines Anderkontos nachgewiesen werde, ändert hieran nichts.
Rz. 14
2. Der Kläger hat keinen Verfahrensfehler dargelegt, auf dem die Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs beruhen kann (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Insbesondere hat der Anwaltsgerichtshof nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen.
Rz. 15
a) Im Antrag auf Zulassung der Berufung wegen eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss substantiiert dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren erster Instanz, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – AnwZ (Brfg) 65/18, juris Rn. 11 mwN).
Rz. 16
b) Diesen Voraussetzungen genügt der Zulassungsantrag nicht. Der Kläger verweist auf eine im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof vorgelegte Auskunft des für ihn zuständigen Finanzamts D. … vom 12. November 2018, nach welcher nur noch Rückstände in Höhe von insgesamt 100.284,19 EUR bestünden. Die Beklagte sei folglich von unrichtigen Zahlen ausgegangen. Der Anwaltsgerichtshof sei nunmehr verpflichtet gewesen, den Sachverhalt näher aufzuklären.
Rz. 17
Dies trifft nicht zu. Entscheidungserheblich waren die Vermögensverhältnisse des Klägers im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung. Die aus der Eintragung im Schuldnerverzeichnis folgende gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls hat der Kläger nicht widerlegt. Ebenso wenig hat er die aus den offenen Steuerforderungen und den gegen ihn gerichteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen folgende tatsächliche Vermutung eines Vermögensverfalls erschüttert. Auf mehr kommt es nicht an.
Rz. 18
3. Besondere rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten der Rechtssache (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) sind auf der Grundlage der Begründung des Zulassungsantrags nicht zu erkennen.
Rz. 19
4. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung wirft der Fall nicht auf (§ 112e Satz 2 BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Rz. 20
a) Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn der Rechtsstreit eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH, Beschluss vom 29. Dezember 2016 – AnwZ (Brfg) 53/16, NJW 2017, 1181 Rn. 21 mwN). Die genannten Voraussetzungen sind vom Beschwerdeführer darzulegen. Insbesondere muss begründet werden, warum ein korrigierendes Eingreifen des Bundesgerichtshofs erforderlich ist (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 – AnwZ (Brfg) 39/16, juris Rn. 9 mwN; st. Rspr.).
Rz. 21
b) Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Zulassungsantrags nicht. Der Kläger verweist lediglich in allgemeiner Form auf die Neufassung des § 112c BRAO und den Amtsermittlungsgrundsatz der Verwaltungsgerichtsordnung. Überdies hat der Senat bereits mehrfach entschieden, dass der Anwalt im Widerrufsverfahren nach § 32 Abs. 1 BRAO, § 26 Abs. 2 VwVfG gehalten ist, bei der Ermittlung des Sachverhalts mitzuwirken und insbesondere die ihm bekannten Tatsachen und Beweismittel mitzuteilen. Im anwaltsgerichtlichen Verfahren und im Verfahren vor dem Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs setzt sich diese Mitwirkungslast fort (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 6. Februar 2012 – AnwZ (Brfg) 42/11 Rn. 20; Urteil vom 5. Dezember 2016 – AnwZ (Brfg) 31/14, NJW 2017, 669 Rn. 21).
III.
Rz. 22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Unterschriften
Kayser, Lohmann, Paul, Schäfer, Schittmann
Fundstellen
Dokument-Index HI13626690 |