Verfahrensgang
LG Köln (Urteil vom 17.06.2002) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 17. Juni 2002 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Seine auf Verfahrensrügen und die Sachrüge gestützte Revision ist aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet; sie führt mit der Sachrüge aber zur Aufhebung des Strafausspruchs.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte seine von ihm getrennt lebende Ehefrau, die sich aus der Ehe lösen und ein selbständiges Leben führen wollte, indem er an ihrer Arbeitsstelle in der von ihr geleiteten Bäckerei in Anwesenheit mehrerer dort beschäftigter Personen mit direktem Tötungsvorsatz aus nächster Nähe sechs Schüsse aus seiner halbautomatischen Pistole auf sie abgab; anschließend benachrichtigte er seine Mutter und stellte sich der Polizei. Der Tat vorausgegangen waren langdauernde Auseinandersetzungen namentlich auch im Sorgerechtsstreit um die gemeinsame Tochter. Der in diesem Zusammenhang von dem späteren Tatopfer unberechtigt erhobene Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs war von einer Sachverständigen sowie von der Tochter selbst ausgeräumt worden. Die Ehefrau des Angeklagten hatte Strafanträge wegen früherer körperlicher Mißhandlungen zurückgenommen. Nachdem der Angeklagte erfahren hatte, daß sie eine neue Beziehung eingegangen war, kam es wiederum zu körperlichen Übergriffen. Der Angeklagte kaufte die später zur Tat verwendete Pistole und bedrohte seine Ehefrau damit, sie zu erschießen; deshalb erstattete sie erneut Strafanzeige.
Unmittelbarer Anlaß für die am 24. Dezember 2001 begangene Tat war ein Telefongespräch, das der Angeklagte etwa 45 Minuten vor der Tat mit seiner Ehefrau führte, um von ihr die Zustimmung zu einem Treffen mit seiner Tochter zu erlangen. In diesem Gespräch teilte ihm die Geschädigte mit, es gehe ihn nichts an, wo seine Tochter sei, und verweigerte ihm den Kontakt. Überdies warf sie ihm erneut angeblichen sexuellen Mißbrauch des Kindes vor und bezeichnete ihn als „Kinderschänder”. Der Angeklagte, der hierdurch gekränkt war, entschloß sich daraufhin zu der Tat, holte seine Pistole aus ihrem Versteck, fuhr mit dem PKW zur Arbeitsstelle seiner Ehefrau und tötete diese.
Das Landgericht hat eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der vorliegenden Alkoholisierung von 1,49 Promille oder aufgrund einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung im Sinne eines Affekts ausgeschlossen. Das Vorliegen eines Mordes durch Tötung aus niedrigen Beweggründen hat es ebenso verneint wie die Annahme eines minder schweren Falles im Sinne von § 213, 1. Alternative StGB aufgrund der vorausgegangenen Beleidigung; es hat daher der Strafzumessung den Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB zugrundegelegt. Ob die Darlegungen des Urteils hierzu im Ergebnis rechtsfehlerfrei sind, kann offenbleiben, weil der Strafausspruch schon aus anderen Gründen aufzuheben ist.
2. Die Bemessung der hohen Freiheitsstrafe innerhalb des Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat insoweit ausgeführt, die Strafe müsse nahe an der Höchstgrenze liegen, weil die strafschärfenden die zugunsten des Angeklagten wirkenden Gesichtspunkte überwiegen (UA S. 46). Die Darlegungen des Tatrichters hierzu sind aber nicht ohne Widerspruch und genügen den Anforderungen nicht, welche bei Verhängung einer nahe an der Höchstgrenze des Strafrahmens liegenden Strafe an die Darlegung der Zumessungserwägungen zu stellen sind (vgl. dazu BGH NJW 1995, 2234, 2235; BGH StV 1992, 271).
a) So führt das Landgericht bei der Erörterung möglicher niedriger Beweggründe des Angeklagten zunächst aus, „tatbestimmend” sei neben der aktuellen Kränkung im Rahmen des Telefonats auch die Befürchtung gewesen, seine Tochter nicht sehen zu können. Eine weitere Rolle „dürften die Verletzungen gespielt haben, die die Geschädigte dem Angeklagten zugefügt hatte” (UA S. 43). Im Zusammenhang mit der Erörterung des § 213 StGB ist dagegen ausgeführt, es fehle an einem „durchgehenden Kausalzusammenhang” zwischen der Beleidigung durch die Geschädigte und der Tötung; den Angeklagten habe „ein ganzes Motivbündel zur Tat veranlaßt, wobei der Ärger über die Kränkung nur eine untergeordnete Rolle spielte” (UA S. 45); dies ergebe sich aus dem Umstand, daß der Angeklagte nach der Tat immer wieder gesagt habe, er habe doch nur seine Tochter sehen wollen, sowie aus seinen früheren Drohungen (ebenda). Diese Erwägungen sind nicht widerspruchsfrei und geben auch in sich zu Bedenken Anlaß.
b) Dies gilt gleichermaßen für die Erwägung, die Beleidigung als „Kinderschänder” sei deshalb als weniger schwerwiegend anzusehen, weil der Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs sich zuvor als unberechtigt erwiesen hatte (UA S. 45). Das ist nicht naheliegend und steht im Widerspruch zu der vorangehenden Erwägung des Landgerichts, Anlaß für die Tat sei das kurz zuvor geführte Telefongespräch gewesen; es müsse auf den Angeklagten „sehr kränkend” gewirkt haben, daß seine Ehefrau ihm erneut sexuellen Mißbrauch der Tochter vorwarf und ihm den Kontakt verweigerte, obwohl der Verdacht inzwischen ausgeräumt worden war.
c) Schließlich begründen auch die sehr knappen Darlegungen des Landgerichts zu einzelnen Strafzumessungsgründen (UA S. 46 f.) die Besorgnis, der Tatrichter habe das Gewicht der von ihm festgestellten strafmildernden Umstände nicht hinreichend berücksichtigt und den strafschärfenden Gesichtspunkten daher insgesamt zu hohes Gewicht beigemessen. Zugunsten des Angeklagten sprechende Umstände führen die Urteilsgründe hier nur in fünf Zeilen auf und stellen ihnen – deutlich breiter – Gesichtspunkte entgegen, deren strafschärfende Berücksichtigung auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen nicht bedenkenfrei erscheint. So kommt etwa den straferhöhend gewerteten Umständen, daß der Angeklagte „zielgerichtet mit der Pistole in der Tasche die Bäckerei betreten (hat)”, daß er „zielgerichtet und zügig (ausführte), was er für erforderlich hielt”, und daß er sich bei den anwesenden Zeugen entschuldigte und „zur Polizei (ging), nachdem er sein Werk erledigt hatte” (UA S. 46), hier kaum das vom Landgericht angenommene Gewicht zu; sie lassen überdies einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB besorgen.
Im Widerspruch zu den Feststellungen steht die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe die Tat begangen, weil er die Entscheidung des Gerichts im Sorgerechtsstreit nicht abwarten, seine Tochter ganz für sich haben und „seine eigene Entscheidung im Wege der Selbstjustiz” treffen wollte (UA S. 47). Es ist nicht ersichtlich, wie der Angeklagte dieses Ziel durch die offene Tötung seiner Ehefrau und die sofort anschließende Selbststellung hätte erreichen können; Feststellungen zu entsprechenden Vorstellungen enthält das Urteil nicht.
3. Der Senat kann auf der Grundlage der unzureichenden und im einzelnen nicht bedenkenfreien Darlegungen der Urteilsgründe nicht ausschließen, daß der Tatrichter bei erschöpfender und rechtsfehlerfreier Würdigung der für die Strafzumessung wesentlichen Umstände zu einer milderen Strafe gelangt wäre.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Fischer, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558786 |
NStZ-RR 2003, 138 |