Leitsatz (amtlich)
In einer einen Versorgungsausgleich betreffenden Folgesache können im Verfahren der weiteren Beschwerde Umstände, die erst nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung eingetreten sind und deshalb vom Tatrichter nicht festgestellt werden konnten, bei der Entscheidung berücksichtigt werden, wenn die zugrundeliegenden Tatsachen (z.B. daß ein Ehegatte als Beamter in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden ist) als feststehend angesehen werden können, ohne daß eine weitere tatrichterliche Beurteilung erforderlich ist, und wenn schützenswerte Belange einer Partei nicht entgegenstehen.
Normenkette
ZPO § 621e Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die weitere Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluß des 16. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin als Senat für Familiensachen vom 4. September 1997 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Kammergericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.296 DM.
Gründe
I.
Das Familiengericht hatte die Folgesache Versorgungsausgleich abgetrennt und die Ehe der Parteien durch Urteil vom 6. Mai 1996, das seit diesem Tage rechtskräftig ist, geschieden. Das vorliegende Beschwerdeverfahren betrifft die Folgesache Versorgungsausgleich.
Der am 4. Dezember 1939 geborene Antragsteller und die am 15. Juli 1942 geborene Antragsgegnerin haben am 11. Juli 1966 geheiratet. Sie haben drei inzwischen volljährige Kinder. Seit Oktober 1987 leben sie getrennt. Der Scheidungsantrag wurde der Antragsgegnerin am 22. Juli 1995 zugestellt.
Beide Parteien sind bzw. waren Lehrer im Dienst des Landes Berlin und haben während der Ehezeit (1. Juli 1966 bis 30. Juni 1995, § 1587 Abs. 2 BGB) Anrechte der Beamtenversorgung erworben. Der während der Ehezeit erworbene Anteil der Beamtenversorgung ist vom Kammergericht aufgrund von Auskünften des Landesschulamtes vom 29. Januar 1996 für den Antragsteller mit 3.619,02 DM und für die Antragsgegnerin mit 2.736,20 DM – jeweils monatlich und bezogen auf das Ehezeitende – bewertet worden. Wegen der Versorgung der Kinder hat die Antragsgegnerin von September 1971 an sechs Jahre nicht und anschließend bis August 1981 nur halbtags gearbeitet. Danach war sie wieder voll berufstätig.
Das Familiengericht hat den Versorgungsausgleich dahin geregelt, daß es zu Lasten der Versorgungsanrechte des Antragstellers bei dem weiteren Beteiligten für die Antragsgegnerin auf einem für diese bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte einzurichtenden Versicherungskonto Rentenanwartschaften von monatlich 230 DM, bezogen auf das Ehezeitende begründet hat. Es hat ausgeführt, die Hälfte des Wertunterschiedes der von den Parteien in der Ehezeit erworbenen Anwartschaften betrage zwar monatlich 441,41 DM, aufgrund der Härteklausel des § 1587 c Nr. 1 BGB sei der auszugleichende Betrag jedoch auf monatlich 230 DM herabzusetzen, weil bei voller Durchführung des Versorgungsausgleichs die Antragsgegnerin als Ausgleichsberechtigte mehr Anrechte als der Antragsteller als Ausgleichsverpflichteter erwerben würde.
Gegen diesen Beschluß des Familiengerichts hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Versorgungsausgleich ungekürzt durchzuführen, der Antragsteller hat (unselbständige) Anschlußbeschwerde eingelegt mit dem Antrag auszusprechen, daß der Versorgungsausgleich nicht stattfinde.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Beschwerdegericht die Anschlußbeschwerde des Antragstellers zurückgewiesen und auf die Beschwerde der Antragsgegnerin hin den Versorgungsausgleich ungekürzt durchgeführt.
Mit der zugelassenen weiteren Beschwerde will der Antragsteller erreichen, daß der Versorgungsausgleich nicht durchgeführt wird. Er beruft sich auf die von dem Familiengericht herangezogene Härteklausel des § 1587 c BGB und macht geltend, das Beschwerdegericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, daß die Parteien ca. acht Jahre lang getrennt gelebt hätten, daß die Antragsgegnerin im Zusammenhang mit der Scheidung Vermögen erworben habe und daß sie bei ungekürzter Durchführung des Versorgungsausgleichs ein um ca. 400 DM höheres Ruhegehalt erwarten könne als der Antragsteller.
Der Antragsteller und der weitere Beteiligte haben mitgeteilt, daß der Antragsteller aus gesundheitlichen Gründen zum 1. Januar 2001 vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden ist.
II.
Die weitere Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
Das Beschwerdegericht hat nach dem ihm vorliegenden Sachverhalt den ungekürzten Versorgungsausgleich zutreffend berechnet. Dagegen erhebt die weitere Beschwerde auch keine Einwendungen. Sie macht lediglich geltend, daß im vorliegenden Fall die Härteklausel des § 1587 c Nr. 1 BGB anzuwenden und der Versorgungsausgleich auszuschließen, zumindest zu kürzen sei. Hierüber vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden, weil aufgrund veränderter Umstände eine weitere Sachaufklärung erforderlich ist.
Daß der Antragsteller inzwischen – während die Sache beim Gericht der weiteren Beschwerde anhängig war – in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden ist, ist bei der Entscheidung über die weitere Beschwerde zu berücksichtigen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind nach Einführung des Abänderungsverfahrens nach § 10 a VAHRG auch nachehezeitliche, auf individuellen Verhältnissen beruhende Änderungen, die einen anderen Ehezeitanteil der Versorgung ergeben, aus Gründen der Verfahrensökonomie bereits in der Erstentscheidung zu berücksichtigen, um ein späteres Abänderungsverfahren zu vermeiden (st.Rspr. seit Senatsbeschluß vom 6. Juli 1988 – IVb ZB 151/84 – FamRZ 1988, 1148, 1150 f.; Senatsbeschluß vom 14. Oktober 1998 – XII ZB 174/94 – FamRZ 1999, 157). Deshalb ist es bereits bei der Erstentscheidung zu berücksichtigen, wenn ein Beamter nach der Ehezeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt worden ist (Senatsbeschlüsse vom 15. November 1995 – XII ZB 4/95 – FamRZ 1996, 215 f.; vom 18. September 1991 – XII ZB 169/90 – BGHR BGB § 1587 a Abs. 2 Nr. 1 Ruhestand, vorzeitiger 2).
Der Berücksichtigung bei der Entscheidung über die weitere Beschwerde steht nicht entgegen, daß die Veränderung erst während des Verfahrens der weiteren Beschwerde eingetreten ist. Der Senat hat bereits entschieden, daß Gesetzesänderungen, die erst zu diesem Zeitpunkt in Kraft getreten sind, berücksichtigt werden müssen (BGHZ 90, 52, 57). Für den Umstand, daß der Antragsteller während des Verfahrens der weiteren Beschwerde in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden ist, kann nichts anderes gelten. Zwar handelt es sich bei der weiteren Beschwerde um eine Rechtsbeschwerde, bei der grundsätzlich – wie bei der Revision, § 561 ZPO – lediglich der vom Tatrichter festgestellte Sachverhalt zu beurteilen ist. Auch im Revisionsverfahren sind aber neue, erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz eingetretene Tatsachen, die für die Beurteilung der sachlichen Rechtslage erheblich sind, zu berücksichtigen, wenn sie von Amts wegen zu beachten oder unstreitig sind und wenn schützenswerte Belange der Gegenpartei nicht entgegenstehen (BGHZ 28, 13; 53, 128, 131; Zöller/Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 561 Rdn. 7 m.w.N. aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs). Das gilt für das Verfahren der weiteren Beschwerde in einer Folgesache Versorgungsausgleich erst recht, weil § 10 a VAHRG bei veränderten Umständen eine „Totalrevision” der Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich vorsieht. Voraussetzung ist allerdings, daß die neu eingetretenen Tatsachen als feststehend angesehen werden können und keiner weiteren tatrichterlichen Beurteilung bedürfen. Diese Voraussetzung ist vorliegend gegeben. Ob es ausreichend ist, daß die Antragsgegnerin den entsprechenden Vortrag des Antragstellers nicht bestritten hat, kann offenbleiben. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß das beteiligte Land Berlin die Versetzung des Antragstellers in den vorzeitigen Ruhestand bestätigt und die Berechnung seiner Ruhegehaltsbezüge vorgelegt hat.
Die Versetzung eines Beamten in den vorzeitigen Ruhestand hat regelmäßig zur Folge, daß sich die ruhegehaltsfähige Dienstzeit (Gesamtzeit) gegenüber der ursprünglichen Prognose, daß der Beamte nämlich bis zum 65. Lebensjahr im aktiven Dienst ist, verringert mit der Folge, daß sich der Ehezeitanteil erhöht. Bei ungekürzter Durchführung des Versorgungsausgleichs würde das zu einem für den Antragsteller ungünstigeren Ergebnis führen. Andererseits ist nicht mehr das prognostizierte, sondern das tatsächlich gezahlte Ruhegehalt zugrunde zu legen (Senatsbeschluß vom 18. September 1991 aaO).
Es würde keinen Sinn ergeben, angesichts dieser Umstände die Frage, ob die ungekürzte Durchführung des Versorgungsausgleichs für den Antragsteller eine grob unbillige Härte im Sinne des § 1587 c Nr. 1 BGB darstellen würde, bei der Entscheidung über die weitere Beschwerde anhand der nicht mehr zutreffenden Zahlen des Beschwerdegerichts zu beurteilen und eine der Parteien darauf zu verweisen, einen Antrag nach § 10 a VAHRG zu stellen und dieselbe Frage in dem auf diese Weise eingeleiteten Verfahren anhand der zutreffenden Zahlen überprüfen zu lassen. Der Senat kann seiner Beurteilung auch nicht die Zahlen zugrunde legen, die der weitere Beteiligte in einer neuen Auskunft mitgeteilt hat. Diese Angaben sind tatrichterlich nicht festgestellt und bedürfen der tatrichterlichen Überprüfung auf ihre Richtigkeit (Senatsbeschluß vom 26. Oktober 1989 – IVb ZB 46/88 – FamRZ 1990, 276, 278). Insbesondere ist die Prüfung der Frage, ob nach den neu festzustellenden Angaben die ungekürzte Durchführung des Versorgungsausgleichs grob unbillig wäre, in erster Linie Sache des Tatrichters.
Die Sache muß deshalb an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden, damit es – ausgehend von der dem Antragsteller tatsächlich gewährten Versorgung (BGHZ 82, 66) – den Ehezeitanteil der von dem Antragsteller erworbenen Versorgungsanrechte neu feststellen und darauf aufbauend neu überprüfen kann, ob die Härteklausel des § 1587 c Nr. 1 BGB eingreift.
Zu den dabei maßgebenden Grundsätzen wird auf die Senatsbeschlüsse BGHZ 82, 66, 79 und vom 9. November 1988 – IVb ZB 53/87 – FamRZ 1989, 492, 493 sowie vom 9. Mai 1990 – IVb ZB 58/89 – FamRZ 1990, 1341, 1342 Bezug genommen (vgl. auch BVerfGE 66, 324 ff.).
Die Zurückverweisung gibt dem Kammergericht auch Gelegenheit, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte zu beteiligen.
Unterschriften
Blumenröhr, Gerber, Wagenitz, Fuchs, Ahlt
Fundstellen
Haufe-Index 657825 |
NJW 2002, 220 |
BGHR 2002, 109 |
FamRZ 2002, 93 |
FuR 2002, 41 |
Nachschlagewerk BGH |
EzFamR aktuell 2002, 23 |
FPR 2002, 83 |
MDR 2002, 168 |
ZFE 2002, 67 |