Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 28.02.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Februar 2017 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen zweier zuvor ergangener Strafbefehle zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat sowie wegen Diebstahls mit Waffen, Diebstahls in drei Fällen und versuchten Diebstahls zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.
Rz. 2
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen betrat der arbeitslose Angeklagte, der keine Sozialleistungen erhielt, auf der Suche nach Nahrungsmitteln das Gebäude einer medizinischen Hochschule. Dort nahm er zwei Mobiltelefone, einen Laptop und Bargeld in Höhe von 65 Euro an sich. Auf die Nachfrage einer Zeugin antwortete er, er habe Durst und suche nach Getränken. Sodann lief er in Richtung des Ausgangs, wo ihn ein Mitarbeiter in den sog. Schwitzkasten nahm, um ihn am Fortkommen zu hindern. Hiergegen wehrte sich der Angeklagte und biss den Mitarbeiter kräftig in den Unterarm, um sich im Besitz der Gegenstände zu erhalten, die er an sich genommen hatte (Tat II. 1. der Urteilsgründe). Drei Monate später betrat der Angeklagte den Umkleideraum einer Schulsporthalle und nahm ein Schlüsselbund an sich, was der Geschädigte kurze Zeit später bemerkte. Der Angeklagte verließ zunächst das Schulgelände, kehrte jedoch nach einiger Zeit zurück, öffnete mehrere Büros und stellte dort aufgefundene technische Geräte und Lebensmittel zum Abtransport bereit. Als er bemerkte, dass sich weitere Personen in dem Schulgebäude befanden, versteckte er sich unter einem Tisch, wo er aufgefunden wurde (Tat II. 2. der Urteilsgründe). Etwa zwei Wochen später betrat der Angeklagte Geschäftsräume eines Unternehmens und nahm Bargeld, ein Mobiltelefon, ein Obstmesser sowie ein Fahrrad an sich. Nachdem er das Gebäude verlassen hatte, verfolgte und stellte ihn ein Mitarbeiter, dem er zunächst das Fahrrad und später die übrigen Gegenstände herausgab (Tat II. 3. der Urteilsgründe). Etwa vier Wochen später konsumierte der Angeklagte Amphetamine, trat durch das Fenster seines im dritten Stock eines Wohnheimes gelegenen Zimmers auf den Fenstersims und hielt sich dort einige Minuten auf. Zwei hinzugerufene Polizeibeamte nahmen den Angeklagten mit zur Polizeiwache. Da er dort mehrfach versuchte zu fliehen, wurde er in eine Gewahrsamszelle verbracht, wo er sich zunächst ruhig verhielt. Sodann erhob er sich jedoch auf seiner Liege, nutzte diese als Sprungbrett und sprang mit solcher Wucht auf einen Polizeibeamten zu, dass beide gegen eine Wand fielen. Nunmehr versuchte der Angeklagte, den Polizeibeamten zu beißen, zu schlagen und zu treten. Der Beamte wurde von einem Schlag oder Tritt getroffen. Mit Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten gelang es schließlich, den sich wehrenden Angeklagten zu überwältigen und zu fixieren (Tat II. 4. der Urteilsgründe). In der Folgezeit verbrachte er elf Tage in einem Klinikum, wo eine drogeninduzierte Psychose diagnostiziert wurde. Drei Tage nach seiner Entlassung betrat er ein Krankenhaus und nahm einen Rucksack mit Inhalt an sich. Einen Teil der Beute verkaufte er, einen anderen Teil lagerte er in seinem Wohnheimzimmer (Tat II. 5. der Urteilsgründe). Neun Tage später betrat der Angeklagte ein Unternehmensgebäude und verstaute einige Weinflaschen sowie Sportschuhe in einem von ihm mitgeführten Bündel. Als er das Firmengelände verlassen wollte, wurde er von einem Wachdienstmitarbeiter angesprochen. Daraufhin ließ er das Bündel fallen; nach einem Gerangel mit dem Mitarbeiter gelang es ihm zu fliehen (Tat II. 6. der Urteilsgründe). In der darauffolgenden Nacht betrat der Angeklagte die Kinderstation einer Medizinischen Hochschule, nahm dort einen Rucksack samt Inhalt an sich und verließ damit das Krankenhaus (Tat II. 7. der Urteilsgründe).
Rz. 3
Die sachverständig beratene Strafkammer hat weiter ausgeführt, aufgrund einer paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis (ICD 10: F 20.0) sei bei der Tat II. 4. der Urteilsgründe die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und bei den übrigen Taten bei voll vorhandener Einsichtsfähigkeit die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert gewesen. Außerdem sei die Diagnose eines polyvalenten Suchtmittelmissbrauchs (ICD 10: F 19.1) zu stellen.
Rz. 4
1. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rz. 5
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn unter anderem zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstat aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung im Sinne eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig (§ 20 StGB) oder vermindert schuldfähig (§ 21 StGB) war und die Tatbegehung hierauf beruhte. In diesem Zusammenhang ist darzulegen, wie sich die festgestellte, einem Merkmal der §§ 20, 21 StGB unterfallende Störung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden Zustand zurückzuführen sind. Das Tatgericht ist dabei verpflichtet, die wesentlichen Gesichtspunkte in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. aus neuerer Zeit etwa BGH, Beschlüsse vom 25. Juli 2017 – 3 StR 119/17, juris Rn. 9; vom 22. August 2017 – 3 StR 249/17, juris Rn. 9 jeweils mwN). Insbesondere führt die Diagnose einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit. In diesen Fällen bedarf es vielmehr zudem der Feststellung eines akuten Schubs der Erkrankung sowie einer konkretisierenden Darlegung, in welcher Weise sich das festgestellte Krankheitsbild bei Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75 mwN).
Rz. 6
b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht.
Rz. 7
aa) Bei der Tat II. 4. der Urteilsgründe hat die Strafkammer lediglich ausgeführt, aufgrund einer akuten Dekompensation der paranoid-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis sei bei gleichzeitiger Intoxikation mit Amphetaminen von einer Aufhebung der Einsichtsfähigkeit bei dem Angeklagten auszugehen. Hierfür spreche, dass der Angeklagte sich bereits bei Eintreffen der Polizei in dem Wohnheim abwesend gezeigt und wirr und zusammenhanglos geredet habe. Auf der Polizeiwache habe er sich zunächst teilnahmslos verhalten und sei sodann raptusartig aggressiv aufgetreten. Diese Erwägungen genügen nicht, um zu belegen, dass das Verhalten des Angeklagten psychotisch bedingt war und nicht auf dem Konsum der Amphetamine beruhte. Diesen Konsum hat das Landgericht zwar erwähnt, jedoch nicht dargelegt, welchen konkreten Einfluss der Betäubungsmittelkonsum auf die psychische Disposition des Angeklagten hatte und in welchem konkreten Verhältnis dessen Auswirkungen zu der Erkrankung des Angeklagten stehen. Damit ist nicht bezogen auf die konkrete Tatsituation nachvollziehbar dargetan, dass die von der Strafkammer angenommene Aufhebung der Einsichtsfähigkeit des Angeklagten tatsächlich auf der psychotischen Erkrankung des Angeklagten beruhte.
Rz. 8
bb) Bei den weiteren Taten hat das Landgericht als Beleg für seine Annahme, zwar sei die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten vollständig vorhanden, jedoch sei seine Steuerungsfähigkeit aufgrund der Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis erheblich vermindert gewesen, angeführt, dies werde durch Äußerungen des Angeklagten in der Hauptverhandlung aber auch an den Tatorten deutlich, er habe Hunger und Durst gehabt. Der Angeklagte habe das Entwenden von Gegenständen zur Befriedigung seines Hunger- und Durstgefühls trotz Erkennen des Unrechts als aus seiner Sicht notwendig angesehen. Die Komplexität und zeitliche Dimension der Tatabläufe zeigten indes, dass seine Steuerungsfähigkeit nicht vollständig aufgehoben gewesen sei. Auch diese Erwägungen greifen zu kurz. Nach den Feststellungen verfügte der Angeklagte über keinerlei Einkommen und bewohnte ein Zimmer in einem Männerwohnheim. Bereits vor diesem Hintergrund versteht es sich nicht von selbst, dass sein auf die Befriedigung elementarer Bedürfnisse gerichtetes Tun psychotisch und damit krankheitsbedingt war. Hinzu kommt, dass die Strafkammer angenommen hat, der Angeklagte habe bei den Taten II. 5., 6. und 7. der Urteilsgründe gewerbsmäßig gehandelt. Mit Blick auf diese Umstände hätten die durch den psychischen Defekt hervorgerufene akute psychotische Symptomatik und deren Einfluss auf die Taten näher präzisiert werden müssen.
Rz. 9
c) Im Übrigen hat das Landgericht ebenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt, aus welchen Gründen die Erkrankung des Angeklagten im Fall II. 4. der Urteilsgründe zum Ausschluss der Einsichtsfähigkeit, in den sonstigen Fällen indes bei voll erhaltener Einsichtsfähigkeit zur erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit geführt haben soll. Zwischen diesen beiden Alternativen ist grundsätzlich zu trennen. Für die Annahme eines Krankheitsbildes, bei dem aufgrund dessen Ambivalenz ausnahmsweise sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit betroffen sein können (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 – 2 StR 394/05, BGHR StGB § 20 Steuerungsfähigkeit 2) fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Allein der Umstand, dass der Angeklagte im Fall II. 4. der Urteilsgründe zusätzlich unter dem Einfluss zuvor konsumierter Amphetamine stand, genügt insoweit für sich genommen ohne nähere Ausführungen nicht.
Rz. 10
2. Vor diesem Hintergrund umfasst die Aufhebung hier auch die Schuld- und Strafaussprüche. Über das Krankheitsbild des Angeklagten und dessen Einfluss auf die begangenen Straftaten sind insgesamt neue Feststellungen und Wertungen zu treffen; dabei ist auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu der Überzeugung gelangen wird, der Angeklagte sei bei allen Taten schuldunfähig gewesen.
Rz. 11
3. Demgegenüber ist gegen die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten und die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung nichts zu erinnern; sie werden insbesondere von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Gericke, Tiemann, Hoch
Fundstellen
Dokument-Index HI11373553 |