Leitsatz (amtlich)
Auch in einfach liegenden Streitfällen genügt es nicht, daß die Berufungsbegründung angibt, in welchem Punkte das Urteil angefochten wird. Sie muß auch zu erkennen geben, weshalb die Beurteilung durch den ersten Richter unrichtig sei. Dazu reicht eine Verweisung auf den erstinstanzlichen Vortrag, das angefochtene Urteil und ein Armenrechtsgesuch, das ein bei dem Berufungsgericht nicht zugelassener Rechtsanwalt unterzeichnet hat, nicht aus.
Normenkette
ZPO § 519
Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 16.12.1980) |
AG Essen-Steele |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 2. Familiensenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Dezember 1980 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 456 DM
Gründe
Vor dem Amtsgericht (Familiengericht) stritten die Parteien über die Höhe des Unterhaltsanspruchs, den die Klägerin, eine Studentin, als eheliches Kind des Beklagten gegen diesen erhob. Das Amtsgericht wies die über anerkannte 352 DM monatlich hinausgehende Klage ab. Anhand des im einzelnen ermittelten Einkommens des Beklagten, das zunächst streitig gewesen war, errechnete es einen Unterhaltsanspruch von monatlich 440 DM. Davon zog es 50 DM von der Klägerin bezogenes Kindergeld ab. Auf den verbleibenden Betrag von 390 DM rechnete es sodann entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin 38 DM Ausbildungsbeihilfe nach dem BAföG an. Dazu führte es aus, Ausbildungsbeihilfen seien zusätzliche Leistungen, die nur dann unberücksichtigt bleiben könnten, wenn sie darlehensweise gewährt würden. Weil nicht habe geklärt werden können, ob das hier der Fall sei, gehe diese Unklarheit zu Lasten der Klägerin.
Die Klägerin hat durch ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten um das Armenrecht für die beabsichtigte Berufung nachgesucht und sich gegen die Anrechnung der BAföG-Leistungen auf ihren Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten gewandt. Das Berufungsgericht hat das Armenrecht bewilligt. Die Klägerin hat sodann Berufung eingelegt.
In der verlängerten Frist zur Begründung des Rechtsmittels hat sie einen als Berufungsbegründung bezeichneten Schriftsatz mit dem Antrag auf eine monatliche Unterhaltsrente von 390 DM eingereicht. Die Begründung lautet:
„Unter Bezugnahme auf die angefochtene Entscheidung sowie das bisherige Vorbringen der Klägerin wird für diese ausgeführt:
Das Familiengericht hat in erster Instanz unter Beachtung der Richtlinien des OLG die „BAföG”-Leistungen nur teilweise berücksichtigt. Insoweit handelt es sich um einen Differenzbetrag von 38,– DM monatlich. Nur um diesen Betrag geht es noch in der Berufungsinstanz.
Das sei zur Klarstellung des obigen Antrages ausdrücklich erwähnt.
Da es sich um eine reine Rechtsfrage im vorliegenden Falle handelt, beziehe ich mich im übrigen auf den zutreffenden Inhalt des Armenrechtsantrages des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 22. Juli 1980 (Bl. 73 bis 76) und die bisherigen diesseitigen Ausführungen, um Wiederholungen zu vermeiden. Der Klägerin war auf den Armenrechtsantrag das Armenrecht bewilligt worden.”
Ein weiterer Schriftsatz der Klägerin ist erst nach dem Ablauf der verlängerten Berufungsbegründungsfrist bei Gericht eingegangen.
Das Berufungsgericht hat die Berufung durch Beschluß als unzulässig verworfen, weil sie innerhalb der Frist nicht vorschriftsgemäß begründet worden sei; es fehle an der bestimmten Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (§ 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
I. Die sofortige Beschwerde gegen den angefochtenen Beschluß ist gemäß § 519 b Abs. 2 ZPO statthaft, weil gegen ein Urteil gleichen Inhalts nach §§ 621 d Abs. 2, 621 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Revision zulässig wäre. Sie ist auch fristgerecht eingelegt (§ 577 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO), also zulässig.
Das Rechtsmittel bleibt jedoch ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zu Recht für unzulässig gehalten.
II. Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muß die Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat. Das bedeutet, daß der Berufungskläger eine auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnittene Begründung liefern muß, die erkennen läßt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach seiner Ansicht unrichtig ist (Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO 39. Aufl. § 519 Anm. 3 Ca mit Rechtsprechungsnachweisen). Er muß im einzelnen angeben, in welchen Beziehungen und aus welchen Gründen er die rechtliche oder tatsächliche Würdigung des ersten Richters für unrichtig hält (Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht 12. Aufl. § 138 II 2 b).
1) Der ersten Anforderung genügt die Berufungsbegründung im Streitfall: Sie gibt zu erkennen, daß sie die Teilanrechnung erhaltener BAföG-Leistungen auf den Unterhaltsanspruch der Klägerin bekämpft.
2) Der zweiten Anforderung (vgl. BGH Urteil vom 20. Februar 1975 – VI ZR 183/74 – NJW 1975, 1032) wird die vorliegende Berufungsbegründung jedoch nicht gerecht. Sie zeigt nicht auf, welche Gründe sie der rechtlichen Beurteilung des Familiengerichts zur Frage der Anrechnung der BAföG-Leistungen entgegensetzt.
a) Dazu reicht nach gefestigter Rechtsprechung eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen nicht aus (BGHZ 7, 170, 172). Die Erklärung, das Vorbringen aus dem ersten Rechtszuge werde wiederholt, genügt den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung der Berufungsgründe selbst dann nicht, wenn der Streit nur eine einzelne Rechtsfrage betrifft (BGH Beschluß vom 12. Februar 1959 – VIII ZR 6/59 – LM ZPO 519 Nr. 38 = NJW 1959, 885; Zöller/Schneider, ZPO 12. Aufl. § 519 Anm. VI 2 g m.w.N.).
b) Auch die Verweisung auf das von dem erstinstanzlichen Bevollmächtigten eingereichte Armenrechtsgesuch begründet die Berufung nicht vorschriftsgemäß. In Bezug genommene Schriftsätze, die von einem bei dem Berufungsgericht nicht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sind, können nicht als Teile der Rechtsmittelbegründung angesehen werden (BGHZ 7, 170, 174). Eine derartige Bezugnahme entspricht wie eine solche auf den erstinstanzlichen Vortrag der Partei auch dann nicht den gesetzlichen Anforderungen, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits letzthin von der Beurteilung einer einzigen Rechtsfrage abhängt (BGH Urteil vom 13. Dezember 1954 – IV ZR 139/54 LM ZPO § 519 Nr. 21).
3) Die Beschwerde hält eine Berufungsbegründung der hier vorliegenden Art mit ihren Bezugnahmen, auch auf das erstinstanzliche Urteil, jedenfalls dann für ausreichend, wenn die Rechtsauffassung des Berufungsklägers zu der allein umstrittenen Rechtsfrage in dem angefochtenen Urteil selbst wiedergegeben sei. Sie beruft sich hierzu auf Entscheidungen des Reichsgerichts, die in JW 1936, 2654 und 1938, 966 veröffentlicht sind. Das verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
a) Der Bundesgerichtshof hat schon in BGHZ 7, 170, 172 darauf hingewiesen, daß bereits das Reichsgericht später Zweifel geäußert hat, ob an der in JW 1936, 2654 vertretenen Rechtsauffassung festgehalten werden könne. Er hat diese Bedenken geteilt, ohne jedoch dazu zunächst abschließend Stellung nehmen zu müssen (a.a.O.). Später hat es der Bundesgerichtshof in dem Beschluß vom 12. Februar 1959 a.a.O. ausdrücklich abgelehnt, in den vom Reichsgericht erörterten Ausnahmefällen Bezugnahmen zur Begründung der Berufung genügen zu lassen. Er hat auf die Gefahr neu entstehender Streitigkeiten über das Vorliegen eben dieser Ausnahmefälle hingewiesen, insbesondere aber dargelegt, der Zweck des § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO bestehe auch dahin, den Berufungsführer zu zwingen, die abweichende Beurteilung des Streitfalles durch den Erstrichter zu überprüfen und danach in erneuter Stellungnahme darauf hinzuweisen, aus welchem Grunde er das angefochtene Urteil für unrichtig halte, so daß Berufungsgericht und Gegner möglichst schnell und sicher darüber unterrichtet würden, wie der Berufungsführer den Streitfall beurteilt wissen wolle.
b) Dem schließt der Senat sich an. Der Umstand, daß das Familiengericht die Rechtsauffassung der Klägerin, staatliche Ausbildungsförderung könne nicht in ihren privatrechtlichen Unterhaltsanspruch eingreifen, in seinem Urteil kurz wiedergegeben hat, enthob die Klägerin nicht der Obliegenheit, ihre Angriffe gegen das erstinstanzliche Urteil zu begründen. Das gilt hier auch deshalb, weil der erste Richter seine Entscheidung zur Teilanrechnung der BAföG-Leistungen auf einen von der Klägerin weder früher noch später erörterten Gesichtspunkt gestutzt hatte, nämlich auf eine im Termin nicht aufklärbare Ungewißheit darüber, ob sie die Ausbildungsbeihilfe als Darlehn oder ohne Rückzahlungsverpflichtung erhalte.
4) Die Beschwerde erwägt weiter, bei der Eindeutigkeit der zur Entscheidung gestellten Rechtsfrage sei es ein die überlasteten Anwälte und Gerichte gleichermaßen unnötig beschwerender Formalismus, wenn man verlange, daß der Berufungsanwalt das erfolgreiche Armenrechtsgesuch des erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten wörtlich in die Berufungsbegründung aufnehme. Die damit verbundene doppelte Schreib- und Lesearbeit sei entbehrlich.
Auch dem vermag der Senat nicht zu folgen. Diese Argumentation verkennt die Aufgabe des Berufungsanwalts. Gefordert wird nicht sinnlose Abschreibarbeit, sondern eigenverantwortliche Prüfung durch den in der höheren Instanz postulationsfähigen Anwalt. Daß er sich dieser Aufgabe unterzogen und als Ergebnis dieser Prüfung dem Berufungsgericht und dem Gegner mitgeteilt Hätte, wie er den Streitfall beurteilt wissen wolle, läßt die Verweisung nicht erkennen.
Unterschriften
Lohmann, Portmann, Knüfer, Seidl, Krohn
Fundstellen
Haufe-Index 1502476 |
Nachschlagewerk BGH |