Leitsatz (amtlich)

a) In Verfahren, in denen ein bayerisches Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des BayObLG oder des BGH für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden.

b) Die versehentlich unterbliebene Entscheidung über das zuständige Revisionsgericht kann das Berufungsgericht mit Bindungswirkung durch Berichtigungsbeschluss gem. § 319 Abs. 1 ZPO nachholen. Bestimmt das Berufungsgericht nachträglich das BayObLG als Revisionsgericht, ist diese Entscheidung auch für den BGH gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend. Dieser erklärt sich entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO für unzuständig und übersendet die Prozessakten dem BayObLG.

 

Normenkette

ZPO § 319 Abs. 1; EGZPO § 7 Abs. 1, 2 S. 2; EGGVG § 8 Abs. 2; BayAGGVG Art. 11 Abs. 1

 

Verfahrensgang

OLG Nürnberg (Urteil vom 09.03.2020; Aktenzeichen 5 U 634/18)

LG Regensburg (Entscheidung vom 27.02.2018; Aktenzeichen 4 O 2233/16 (2))

 

Tenor

Der BGH ist für die Entscheidung über die Revision der Klägerin unzuständig.

Der auf den 25.3.2021 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

Die Sache wird an das BayObLG zur Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin abgegeben.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Die Klägerin, ein privater Krankenversicherer, begehrt aus übergegangenem Recht ihrer Versicherungsnehmer Rückzahlung ärztlicher Honorare, die der Beklagte, ein in Regensburg niedergelassener Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, für von ihm erbrachte Magnetresonanztomografie-Untersuchungen abgerechnet hat. Sie ist der Auffassung, der Beklagte habe die Untersuchungen in unzulässiger Weise außerhalb seines Fachgebiets vorgenommen.

Rz. 2

Das LG Regensburg hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das OLG Nürnberg mit Urteil vom 9.3.2020 zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach Art. 34 Abs. 1 des bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes (HKaG) dürfe, wer eine Gebietsbezeichnung (i.S.d. Art. 27 HKaG) führe, grundsätzlich nur in dem betreffenden Gebiet tätig sein. Inhalt und Umfang der Gebiete, auf die Art. 34 Abs. 1 HKaG Bezug nehme, würden nach Art. 35 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HKaG in einer Weiterbildungsordnung (WBO) geregelt, die von der Landesärztekammer mit Genehmigung des Staatministeriums erlassen werde (Art. 35 Abs. 1 HKaG). § 2 Abs. 2 WBO in der hier einschlägigen Fassung vom 24.4.2004 lege eindeutig fest, dass die Grenzen für die Ausübung der fachärztlichen Tätigkeit durch die Gebietsdefinition bestimmt werde und innerhalb des jeweiligen Gebiets nicht nur die Weiterbildungsinhalte für die Ausübung der fachärztlichen Tätigkeit maßgebend seien. Die Magnetresonanztomografie sei daher für den Orthopäden und den Chirurgen im Rahmen der Erkennung der in der Gebietsdefinition angeführten Erkrankungen gebietskonform. Die innerhalb eines Gebiets berufsrechtlich erlaubten Tätigkeiten gingen über die Summe der Weiterbildungsinhalte hinaus.

Rz. 3

Das Berufungsgericht hat die Revision nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung der "Auslegung des § 2 WBO hinsichtlich der für die Gebietskonformität fachärztlicher Tätigkeit maßgebenden Kriterien" zugelassen, ohne zunächst zu bestimmen, ob der BGH oder das BayObLG für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision zuständig ist. Die Klägerin hat daraufhin die Revision bei beiden Gerichten form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Mit Verfügung vom 12.10.2020 hat der Vorsitzende des erkennenden Senats Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem BGH auf den 25.3.2021 bestimmt. Mit Beschluss vom 29.12.2020 hat das OLG Nürnberg das Urteil vom 9.3.2020 gem. § 319 ZPO im Tenor dahin berichtigt, dass die Revision zum BayObLG zugelassen wird.

II.

Rz. 4

Der BGH ist für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin unzuständig (§ 7 Abs. 1 EGZPO i.V.m. § 8 Abs. 2 EGGVG und Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG). Die Sache ist an das nunmehr zuständige BayObLG abzugeben.

Rz. 5

1. Gemäß Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG tritt das BayObLG, das - nach seiner vorübergehenden Auflösung - mit Wirkung vom 15.9.2018 wieder errichtet worden ist, in dem durch § 8 Abs. 2 EGGVG abgesteckten Rahmen als Revisions- und Rechtsbeschwerdegericht an die Stelle des BGH, wenn im Wesentlichen Rechtsnormen zur Anwendung kommen, die im Landesrecht Bayerns enthalten sind. In Verfahren, in denen ein bayerisches Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses daher nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des BayObLG oder des BGH für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden. Die Entscheidung ist für das gesamte weitere Verfahren gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend.

Rz. 6

2. Solange eine solche Entscheidung, etwa versehentlich, von dem Berufungsgericht nicht getroffen worden ist, kann die zugelassene Revision nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz fristwahrend sowohl beim BGH als auch beim BayObLG eingelegt (und begründet) werden (BGH, Beschl. v. 6.6.2019 - III ZB 98/18 NJW 2020, 691 Rz. 6; BGH, Urt. v. 8.10.1980 - IVb ZR 505/80, juris Rz. 8, insoweit in NJW 1981, 172 nicht abgedruckt; v. 20.1.1994 - I ZR 250/91 NJW 1994, 1224; v. 14.1.2005 - V ZR 99/04 NJW-RR 2005, 716, 717; Beschlüsse v. 26.11.1980 - IVb ZR 592/80 NJW 1981, 576, 577; v. 19.8.1998 - XII ZB 43/97 NJW 1998, 3571; v. 4.5.2005 - XII ZR 217/04 NJW-RR 2005, 1230). Dementsprechend konnte die Klägerin im vorliegenden Fall infolge zunächst unterbliebener Bestimmung des zuständigen Revisionsgerichts durch das OLG das Rechtsmittel innerhalb der Monatsfrist des § 548 ZPO bei beiden Revisionsgerichten einlegen. Die gegenüber einem der beiden Revisionsgerichte bis zur endgültigen Zuständigkeitsbestimmung vorgenommenen Prozesshandlungen behalten ihre Wirksamkeit auch dann, wenn nachträglich die Zuständigkeit des anderen Gerichts bestimmt wird (BGH, Urt. v. 8.10.1980, a.a.O., Rz. 9; Heßler in Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 7 EGZPO Rz. 4).

Rz. 7

3. Die Entscheidung über das zuständige Revisionsgericht konnte das OLG mit Bindungswirkung durch Berichtigungsbeschluss gem. § 319 Abs. 1 ZPO nachholen. Bestimmt das Berufungsgericht - wie hier - nachträglich das BayObLG als Revisionsgericht, ist diese Entscheidung auch für den BGH gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend. Dieser erklärt sich entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO für unzuständig und übersendet die Prozessakten dem BayObLG (vgl. Heßler in Zöller, a.a.O., Rz. 4 für den Fall einer gänzlich unterbliebenen Zuständigkeitsentscheidung).

Rz. 8

Entgegen der Auffassung der Klägerin fehlt dem Berichtigungsbeschluss nicht ausnahmsweise die Bindungswirkung. Es trifft zwar zu, dass Berichtigungsbeschlüsse, die erkennbar keine gesetzliche Grundlage haben, nicht bindend sind (vgl. BGH, Urt. v. 9.12.1987 - IVa ZR 155/86 NJW-RR 1988, 407, 408; v. 25.2.2000 - V ZR 206/99, NJW-RR 2001, 61). So liegt der Fall hier aber nicht. Aus den Gründen seines Urteils ergibt sich eindeutig, dass das Berufungsgericht die Entscheidung maßgeblich auf Bestimmungen des bayerischen Heilberufe-Kammergesetzes sowie auf die Auslegung der von der Bayerischen Landesärztekammer nach Art. 35 Abs. 1 HKaG als Satzung erlassenen Weiterbildungsordnung gestützt hat. Der landesrechtliche Rechtsstoff bildet somit den Schwerpunkt des Rechtsstreits und überwiegt i.S.d. § 8 Abs. 2 EGGVG. Zudem hat das Berufungsgericht im Rahmen der Entscheidung über die Zulassung der Revision die Bedeutung der Auslegung des § 2 der Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns "hinsichtlich der für die Gebietskonformität fachärztlicher Tätigkeit maßgeblichen Kriterien" hervorgehoben. Jedenfalls vor diesem Hintergrund war es zulässig, den Urteilstenor hinsichtlich der versehentlich unterbliebenen Zuständigkeitsbestimmung gem. § 319 Abs. 1 ZPO mit Bindungswirkung für den BGH und das BayObLG zu berichtigen (vgl. BGH, Urt. v. 8.10.1980, a.a.O., Rz. 7, 9; vom 20.1.1994, a.a.O.; vom 14.1.2005, a.a.O.; v. 17.12.2020 - I ZR 158/19, BeckRS 2020 39398 Rz. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 41. Aufl., § 8 EGZPO Rz. 4; Heßler in Zöller, a.a.O.). Es kann deshalb dahinstehen, ob die Bestimmung des zuständigen Revisionsgerichts auch durch Urteilsergänzung nach § 321 ZPO nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 19.8.1998, a.a.O., und 4.5.2005, a.a.O.; BLHAG/Schmidt, ZPO, 79. Aufl., § 7 EGZPO Rz. 2; Heßler in Zöller, a.a.O.).

Rz. 9

4. Indem die Klägerin die Revision sowohl beim BGH als auch beim BayObLG eingelegt hat, hat sie zwar zwei Verfahren eingeleitet; es liegt jedoch nur ein einheitliches Rechtsmittel vor, über das einheitlich zu entscheiden ist. Die zeitgleich anhängigen Rechtsmittelverfahren müssen durch die angerufenen Gerichte koordiniert werden (BGH, Beschl. v. 26.11.2020 - V ZB 151/19, BeckRS 2020, 36581 Rz. 10 f.; s. auch Urt. v. 15.2.2005 - XI ZR 171/04 NJW-RR 2005, 780 und Beschl. v. 29.9.2011 - V ZB 157/11, NJW-RR 2012, 141 Rz. 5). Im Fall einer bindenden nachträglichen Zuständigkeitsbestimmung (§ 7 Abs. 1 EGZPO) sind die beiden Revisionsverfahren dadurch zusammenzuführen, dass das nunmehr unzuständige Revisionsgericht entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 2 EGZPO verfährt, d.h. seine Unzuständigkeit erklärt und die Sache unter Übersendung der Prozessakten an das zuständige Revisionsgericht abgibt. Insoweit kommen entgegen der Ansicht des Beklagten weder die Erledigterklärung des Rechtsmittels noch dessen Verwerfung als unzulässig in Betracht.

 

Fundstellen

Haufe-Index 14402030

FuR 2021, 425

NJW-RR 2021, 507

JZ 2021, 280

MDR 2021, 961

VersR 2021, 990

GWR 2021, 259

GesR 2021, 369

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