Leitsatz (amtlich)
Die Adressierung eines Fristverlängerungsantrags am letzten Tag der Rechtsmittelbegründungsfrist an ein unzuständiges Gericht bleibt für die Versäumung der Frist auch dann kausal, wenn der Rechtsanwalt seine Mitarbeiterin anweist, sich die Fristverlängerung telefonisch bestätigen zu lassen, und diese von dem unzuständigen Gericht die Mitteilung erhält, einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag werde regelmäßig stattgegeben.
Normenkette
ZPO § 233
Verfahrensgang
LG Berlin (Aktenzeichen 11 O 457/98) |
KG Berlin (Aktenzeichen 19 U 6696/99) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 19. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 14. Dezember 1999 wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Der Beschwerdewert beträgt 80.000 DM.
Gründe
I.
Der Beklagte hat gegen das am 2. Juni 1999 verkündete landgerichtliche Urteil mit einem am 13. August 1999 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Sein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist war versehentlich nicht an das Kammergericht, sondern an das Landgericht Berlin gerichtet worden. Er ging dort als Fax am 13. September 1999 um 14.18 Uhr ein und wurde erst am 21. September 1999 dem Kammergericht vorgelegt. Die Berufungsbegründung des Beklagten ging zusammen mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist am 23. September 1999 beim Kammergericht ein. Zur Begründung hat der Beklagte vorgetragen:
Die Fristversäumung beruhe auf dem Büroversehen einer Angestellten seiner Prozeßbevollmächtigten. Diese habe der Angestellten den Antrag auf Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung mit der ausdrücklichen Anweisung diktiert, daß der Schriftsatz an das Kammergericht zu richten sei. Die Mitarbeiterin habe, um das nochmalige Schreiben der Adresse zu vermeiden, im Computer den letzten Schriftsatz aufgerufen. Dieser sei jedoch an das Landgericht Berlin gerichtet gewesen. Deshalb sei auch der Fristverlängerungsantrag statt an das Kammergericht an das Landgericht Berlin adressiert worden. Der Prozeßbevollmächtigten sei der Schriftsatz während eines Telefonats zur Unterschrift vorgelegt worden. Sie habe ihn zwar gelesen, aber nicht kontrolliert, ob er richtig adressiert war. Seine Prozeßbevollmächtigte habe außerdem angeordnet, daß die Mitarbeiterin umgehend bei Gericht anrufe und sich die Fristverlängerung bestätigen lasse. Entgegen der generellen Anweisung, grundsätzlich mit dem Vorsitzenden Richter oder dem zuständigen sachbearbeitenden Richter Rücksprache zu halten, ob das Fax angekommen sei und Fristverlängerung gewährt werde, habe die sonst zuverlässige Mitarbeiterin nur mit der Geschäftsstelle, und zwar des Landgerichts, gesprochen. Diese habe den Eingang des Fax bestätigt und mitgeteilt, dem ersten Fristverlängerungsantrag werde regelmäßig stattgegeben. Die Mitarbeiterin habe die Frist daraufhin im Fristenbuch abgehakt. Seine Prozeßbevollmächtigte sei deshalb bei der Kontrolle des Fristablaufs am Abend des 13. September 1999 davon ausgegangen, die Fristverlängerung werde gewährt. Wäre die Frist nicht abgehakt gewesen, hätte seine Prozeßbevollmächtigte die Berufung noch am Abend des 13. September 1999 begründet.
Mit Beschluß vom 14. Dezember 1999, zugestellt am 20. Dezember 1999, hat das Kammergericht den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat ausgeführt, daß die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist durch ein schuldhaftes Verhalten der Prozeßbevollmächtigten versäumt worden sei.
Mit der gegen diesen Beschluß gerichteten sofortigen Beschwerde, eingegangen am 3. Januar 2000, macht der Beklagte geltend, nicht die fehlerhafte Adressierung, sondern die Nichtbefolgung der von der Prozeßbevollmächtigten an die Mitarbeiterin erteilten Anweisungen habe zu der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist geführt.
II.
1. Die nach §§ 519 b Abs. 2, 547, 238 Abs. 2 ZPO statthafte sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
2. Das Kammergericht hat dem Beklagten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht versagt. Nach §§ 233, 85 Abs. 1 ZPO darf dem Beklagten nur dann Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn seinen Prozeßbevollmächtigten an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kein Verschulden trifft. Das ist hier nicht der Fall.
a) Die Prozeßbevollmächtigte des Beklagten trug die Verantwortung dafür, daß eine fristwahrende Prozeßhandlung vor dem zuständigen Gericht vorgenommen wird. Sie hat ihre Pflichten dadurch verletzt, daß sie den Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht auf die richtige Adressierung hin überprüft und entsprechend berichtigt hat. Insbesondere mußte der Anwältin auffallen, daß der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Gericht gerichtet war, dessen Entscheidung angefochten werden sollte (vgl. BGH, Urteil vom 12. Oktober 1995 – VII ZR 8/95, NJW-RR 1996, 443).
b) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist das Verschulden seiner Prozeßbevollmächtigten für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kausal geworden.
aa) Ursächlich ist jedes Verschulden der Partei oder ihres Prozeßbevollmächtigten, bei dessen Fehlen die Frist nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht versäumt worden wäre (vgl. BGH, Beschluß vom 29. Mai 1974 – IV ZB 6/74, VersR 1974, 1001, 1002).
Wäre der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten bei der Überprüfung und Unterzeichnung des Antrags vom 13. September 1999, die Berufungsbegründungsfrist erstmals um einen Monat zu verlängern, aufgefallen, daß der Antrag nicht an das Kammergericht, sondern an das unzuständige Landgericht Berlin gerichtet war, und wäre die Adresse entsprechend korrigiert worden, wäre die Berufungsbegründungsfrist eingehalten worden. Dem ersten Fristverlängerungsantrag wird, jedenfalls wenn er, wie geschehen, mit Urlaubsabwesenheit der Partei begründet ist, üblicherweise stattgegeben.
bb) Die Mitursächlichkeit des Verschuldens der Prozeßbevollmächtigten, die eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt, hat entgegen der Ansicht des Beklagten ihre rechtliche Erheblichkeit nicht durch ein späteres, ihm nicht zuzurechnendes Ereignis verloren. Insbesondere kann sich der Beklagte nicht auf die „überholende” Kausalität eines nachfolgenden Fehlverhaltens einer Mitarbeiterin seiner Prozeßbevollmächtigten berufen.
Einen solchen Fall hat der IVb Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in einem Beschluß vom 12. Dezember 1984 (IVb ZB 103/84, NJW 1984, 1226) in einem Fall angenommen, in dem der Prozeßbevollmächtigte durch eine allgemeine Anweisung an seine Angestellten, die Unterzeichnung sämtlicher ausgehenden Schriftsätze zu kontrollieren, Vorsorge dafür getroffen hatte, daß bei normalem Verlauf der Dinge die Berufungsbegründungsfrist trotz versehentlicher Nichtunterzeichnung der Berufungsbegründung „mit Sicherheit” gewahrt worden wäre. Ob dieser Entscheidung zuzustimmen ist, kann dahingestellt bleiben. Hier fehlt es nämlich an einer Anweisung, bei deren Einhaltung unabhängig vom Verschulden der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten bei der Unterzeichnung des falsch adressierten Fristverlängerungsantrags die Berufungsbegründungsfrist mit Sicherheit gewahrt worden wäre.
Die Anweisung der Prozeßbevollmächtigten an ihre Mitarbeiterin, bei Gericht telefonisch nachzufragen und sich die Fristverlängerung bestätigen zu lassen, war weder dazu bestimmt noch dazu geeignet, die von der Prozeßbevollmächtigten zu verantwortende fehlerhafte Adressierung eines Fristverlängerungsantrags mit Sicherheit aufzudecken und die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist zu gewährleisten. Angesichts der falschen Adressierung bestand die von der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten verursachte Gefahr, daß sich ihre Angestellte an das falsche Gericht wandte und dort hinsichtlich des Fristverlängerungsantrags, der der Geschäftsstelle noch nicht vorlag, eine unrichtige Antwort erhielt. Diese Gefahr hat sich hier realisiert. Nach ihren eidesstattlichen Versicherungen vom 16. September und 9. November 1999 ist die Mitarbeiterin der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten davon ausgegangen, beim zuständigen Gericht angerufen zu haben. Sie hat sich deshalb mit der Antwort der Geschäftsstelle, einem erstmaligen Fristverlängerungsantrag werde regelmäßig stattgegeben, zufrieden gegeben und die Frist im Fristenbuch abgehakt. Der Fehler der Angestellten ist danach durch das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten mitbedingt. Von einer „überholenden” Kausalität des Fehlverhaltens der Angestellten kann keine Rede sein.
cc) Die Ursächlichkeit des Verschuldens der Prozeßbevollmächtigten des Beklagten für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist schließlich auch nicht deshalb zu verneinen, weil das Landgericht den Fristverlängerungsantrag vom 13. September 1999 erst am 21. September 1999 an das Kammergericht weitergeleitet hat.
Zwar ist das Gericht, bei dem das Verfahren bisher anhängig war, verpflichtet, einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelverfahren bestimmten fristgebundenen Schriftsatz an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung einer Rechtsmittel(begründungs)frist ist in einem solchen Fall aber nur dann zu gewähren, wenn der fristgebundene Schriftsatz so zeitig eingereicht worden ist, daß er bei Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingegangen wäre (BVerfG NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Urteil vom 1. Dezember 1997 – II ZR 85/97, NJW 1998, 908).
Das ist hier nicht der Fall. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ist erst am Nachmittag des 13. September 1999, dem Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, bei der Posteingangsstelle und am 14. September 1999 bei der zuständigen
Geschäftsstelle des Landgerichts eingegangen. Auch bei einer sofortigen Weiterleitung im ordnungsgemäßen Geschäftsgang an das Kammergericht wäre die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt worden.
Unterschriften
Nobbe, Dr. Schramm, Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Müller
Fundstellen
BB 2000, 1544 |
DStR 2000, 1236 |
HFR 2001, 380 |
NJW 2000, 2511 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 2000, 885 |
MDR 2000, 1026 |
VersR 2001, 390 |
MittRKKöln 2000, 324 |