Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Schutzmassnahmen nach dem Minderjährigenschutzabkommen
Leitsatz (amtlich)
a) Bei Kindern, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben und die neben der deutschen eine andere Staatsangehörigkeit besitzen (sog. Doppelstaater), sind die deutschen Gerichte zum Erlaß von Schutzmaßnahmen nach Art. 4 MSA international zuständig. Es kommt nicht darauf an, welche Staatsangehörigkeit die effektive ist.
b) Zu den materiellen Voraussetzungen für den Erlaß einer Schutzmaßnahme nach Art. 4 MSA.
Normenkette
MSA Art. 1, 4 Abs. 12; EGBGB Art. 5 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
OLG Karlsruhe (Beschluss vom 13.09.1995) |
AG Heidelberg |
Tenor
Die weitere Beschwerde gegen den Beschluß des 16. Zivilsenats – Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 13. September 1995 wird auf Kosten der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 5.000 DM.
Tatbestand
I.
Die Beteiligte zu 1 (Mutter) und der Beteiligte zu 2 (Vater) streiten um die elterliche Sorge für die aus ihrer Ehe hervorgegangene Tochter Melisa, geboren am 24. September 1986. Im Jahre 1992 erging in der Türkei ein Urteil, das die Scheidung der Ehe der Eltern aussprach. Das Scheidungsurteil wurde in der Bundesrepublik nicht anerkannt, unter anderem weil der Mutter der Scheidungsantrag nicht zugestellt worden war und weil sie sich auf das Verfahren nicht eingelassen hatte. Inzwischen ist in der Bundesrepublik ein weiteres Scheidungsverfahren anhängig. Der Vater ist Türke, die Mutter ist Deutsche und hat möglicherweise mit der Eheschließung zusätzlich die türkische Staatsbürgerschaft erworben. Die Tochter Melisa besitzt sowohl die deutsche als auch die türkische Staatsangehörigkeit. Beide Eltern leben in der Bundesrepublik.
Im Mai 1991 fuhren die Eltern mit Melisa in die Türkei zu den Verwandten des Vaters. Das Kind blieb in der Türkei, nach Darstellung der Mutter gegen deren Willen. Die Eltern kehrten ohne sie in die Bundesrepublik zurück.
Im August 1991 beantragte der Vater beim Familiengericht Heidelberg, ihm die elterliche Sorge für Melisa und den älteren Sohn Cagdas zu übertragen. Die Mutter widersprach diesem Antrag und begehrte selbst das Sorgerecht für beide Kinder. Soweit das Verfahren den Sohn betraf, hat es sich erledigt, weil er volljährig geworden ist. Durch Beschluß vom 27. März 1992 wies das Familiengericht beide das Sorgerecht für die Tochter betreffenden Anträge zurück mit der Begründung, die deutschen Gerichte seien nicht zuständig. Dagegen legte die Mutter Beschwerde ein.
Im Zusammenhang mit dem Ausspruch der Scheidung übertrug das türkische Gericht im Mai 1992 die elterliche Gewalt dem Vater.
Die Tochter Melisa hielt sich zunächst von Mai 1991 bis August 1993 in der Türkei auf. Dann nahm der Vater sie vorübergehend zu sich in die Bundesrepublik. Nach wenigen Monaten kehrte sie aber in die Türkei zurück. Spätestens seit Ende Januar 1994 lebt sie dort in der Familie der Schwester des Vaters.
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht die Beschwerde der Mutter zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die zugelassene weitere Beschwerde der Mutter, mit der sie das Begehren weiter verfolgt, ihr das Sorgerecht zu übertragen. Sie ist der Ansicht, die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte sei gegeben und die Sache müsse zur weiteren Aufklärung an das Familiengericht zurückverwiesen werden.
Entscheidungsgründe
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Das Familiengericht und das Oberlandesgericht haben zu Recht und mit zutreffender Begründung die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte zur Regelung der elterlichen Sorge für die Tochter Melisa verneint. Zwar wären nach den §§ 621 a Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, 64 Abs. 3 und 35 b Abs. 1 FGG die deutschen Gerichte an sich international zuständig, weil das betroffene Kind die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Die Zuständigkeitsregeln des Haager Minderjährigenschutzabkommens (MSA) gehen jedoch diesen allgemeinen Regeln des deutschen Prozeßrechts vor und verdrängen sie (BGHZ 60, 68, 71; 78, 293, 294; Keidel/Kuntze, FGG 13. Aufl. § 35 b Rdn. 14 m.w.N.). Sowohl die Bundesrepublik als auch die Türkei sind Vertragsstaaten dieses Abkommens. Nach Art. 1 MSA richtet sich die internationale Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Minderjährigen. Darunter ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Ort oder das Land zu verstehen, in dem der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person, ihr Daseinsmittelpunkt liegt. Zu fordern ist nicht nur ein Aufenthalt von einer nicht geringen Dauer, sondern auch das Vorhandensein weiterer Beziehungen, aus denen sich der Schwerpunkt der Bindungen der betreffenden Person ableiten läßt. Vom Wohnsitz unterscheidet sich der gewöhnliche Aufenthalt dadurch, daß der Wille, den Aufenthaltsort zum Mittelpunkt oder Schwerpunkt der Lebensverhältnisse zu machen, nicht erforderlich ist. Es handelt sich vielmehr um einen „faktischen Wohnsitz” (BGHZ 78 a.a.O. S. 295). Beim Minderjährigen leitet sich dieser gewöhnliche Aufenthalt nicht vom Aufenthalt oder Wohnsitz des Sorgeberechtigten ab; er ist vielmehr selbständig zu ermitteln (BGHZ a.a.O. S. 295 f.; vgl. zu dem Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltsortes auch Staudinger/Kropholler 1994, Vorbem. Art. 19 EGBGB Rdn. 128 bis 139 m.N.).
In Literatur und Rechtsprechung wird häufig angenommen, daß nach sechs Monaten der Aufenthalt eines Minderjährigen zum gewöhnlichen Aufenthalt i.S. der Regelungen des MSA erstarkt (BGHZ 78 a.a.O. S. 300 f.; v. Bar, Internationales Privatrecht, Bd. II Bes. T., Rdn. 333; Staudinger/Kropholler a.a.O. Rdn. 130 m.N.). Der Bundesgerichtshof hat entschieden, es entspreche „offensichtlich der Lebenserfahrung”, daß ein Kind jedenfalls nach einem Aufenthalt von 15 Monaten an einem neuen Ort dort so fest integriert sei, daß dieser neue Ort sein Daseinsmittelpunkt geworden sei (BGHZ 78 a.a.O. S. 301).
Die Tochter Melisa lebt seit Mai 1991 in der Familie ihrer Tante in der Türkei. Ihr Aufenthalt dort war nur 1993/1994 für wenige Monate unterbrochen, in denen sie sich bei ihrem Vater in der Bundesrepublik aufgehalten hat. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß ihr Aufenthalt in der Türkei nur als vorübergehend anzusehen ist. Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts war es bei dem vorübergehenden Aufenthalt des Kindes in der Bundesrepublik 1993/1994 (zumindest auch) deshalb nicht möglich, das Kind hier zu integrieren, weil es nur über ungenügende deutsche Sprachkenntnisse verfügt. Zur Zeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts – dem in diesem Zusammenhang maßgeblichen Zeitpunkt: vgl. BGHZ 78 a.a.O. S. 301 – lebte das Kind seit mehr als 19 Monaten ohne Unterbrechung wieder in der Türkei.
Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht aus diesen Gesamtumständen den Schluß gezogen hat, der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes i.S. von Art. 1 MSA liege in der Türkei. Daß kein Elternteil bei ihm lebt, schließt entgegen der weiteren Beschwerde diese Annahme nicht aus (Staudinger/Kropholler a.a.O. Rdn. 136).
2. Jedenfalls im Ergebnis zu Recht hat das Oberlandesgericht es auch abgelehnt, im Sinne des Antrags der Mutter eine Schutzmaßnahme nach Art. 4 Abs. 1 MSA zu treffen.
a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine solche Schutzmaßnahme nach Art. 4 MSA ist allerdings gegeben. Nach dieser Vorschrift können die Behörden des Staates, dem der Minderjährige angehört, nach ihrem innerstaatlichen Recht zum Schutz der Person oder des Vermögens des Minderjährigen Maßnahmen treffen, wenn sie der Auffassung sind, daß das Wohl des Minderjährigen solche Maßnahmen erfordert. Allerdings haben sie zuvor die Behörden des Staates zu verständigen, in dem der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Die in Art. 4 Abs. 1 MSA enthaltene Regelung der internationalen Zuständigkeit für solche Schutzmaßnahmen ist dann eindeutig, wenn der Minderjährige die Staatsangehörigkeit nur eines Vertragsstaates hat und sich in einem anderen Vertragsstaat gewöhnlich aufhält. Hat er – wie im vorliegenden Fall – eine Doppelstaatsangehörigkeit, ist die Regelung nicht mehr eindeutig. Da das Haager Minderjährigenschutzabkommen generell keine Regelungen für sogenannte Doppelstaater enthält, kann man nicht ohne weiteres davon ausgehen, daß Art. 4 Abs. 1 MSA die Behörden beider Heimatstaaten zur Vornahme von Schutzmaßnahmen berufen will. Daraus wird in der Literatur z.T. geschlossen, bei Doppelstaatern, die auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, seien die deutschen Behörden und Gerichte für Schutzmaßnahmen nach Art. 4 Abs. 1 MSA nur zuständig, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit die „effektive” sei (vgl. die Nachweise bei Soergel/Kegel, BGB 12. Aufl. vor Art. 19 EGBGB Rdn. 43 in Fn. 4). Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Auch im Rahmen des Art. 4 MSA muß bei Mehrstaatern mit deutscher Staatsangehörigkeit – wie regelmäßig für die internationale Zuständigkeit – die deutsche Staatsangehörigkeit den Ausschlag geben (so zutreffend Soergel/Kegel a.a.O. Rdn. 43). Zumindest führt eine verfassungskonforme Auslegung des deutschen Zustimmungsgesetzes vom 30. April 1971 zu dem Haager Minderjährigenschutzabkommen (BGBl. II 217/219) zu dem Ergebnis, daß deutsche Behörden und Gerichte grundsätzlich berufen sind, Schutzmaßnahmen i.S. des Art. 4 Abs. 1 MSA zugunsten deutscher Minderjähriger zu treffen. Wegen seiner sich aus Art. 6 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 1 GG ergebenden Schutzpflichten hat der Staat für Verfahren, die das Sorgerecht betreffen, Regelungen zu schaffen, die eine hinreichende Berücksichtigung der grundrechtlichen Stellung des betroffenen Kindes garantieren (so – in anderem Zusammenhang – BVerfGE 55, 171, 179; 72, 122, 134). Es wäre deshalb mit unverzichtbaren Grundsätzen des deutschen Verfassungsrechts nicht vereinbar, wenn deutsche Gerichte und Behörden einem deutschen Minderjährigen den Mindestschutz des Art. 4 Abs. 1 MSA nur deshalb nicht gewähren könnten, weil er zusätzlich zu der deutschen Staatsangehörigkeit noch eine andere Staatsangehörigkeit besitzt.
Für die Richtigkeit dieses Ergebnisses spricht auch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB. Das gilt unabhängig davon, ob diese Bestimmung im Zusammenhang mit Art. 4 MSA anwendbar ist oder nicht (dafür Palandt/Heldrich a.a.O. m.N.; wohl auch v. Bar a.a.O. Rdn. 332; dagegen z.B. Staudinger/Kropholler a.a.O. Rdn. 374, vgl. auch BGHZ 118, 312, 327 f.). Nach dieser Vorschrift hat das materielle deutsche Recht Vorrang, wenn auf das Recht des Staates verwiesen wird, dem eine Person angehört, und wenn diese Person sowohl die deutsche als auch eine andere Staatsangehörigkeit hat. Die in dieser Bestimmung zum Ausdruck kommende Regelungsabsicht des Gesetzgebers kann bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung der Zuständigkeitsregelungen des Haager Minderjährigenschutzabkommens i.V. mit dem deutschen Zustimmungsgesetz zumindest mit herangezogen werden (im Ergebnis wie hier: v. Bar, a.a.O. Rdn. 332; Henrich, Internationales Familienrecht, § 7 II 1 f. = S. 234; MünchKomm-BGB/Siehr, 2. Aufl. Art. 19 EGBGB Anh. Rdn. 219 m.w.N. in Fn. 252).
b) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Schutzmaßnahmen nach Art. 4 MSA entfällt im vorliegenden Fall auch nicht gemäß Art. 3 MSA. Es kann dahingestellt bleiben, ob nach dieser Vorschrift die deutschen Gerichte bei einem deutschen Kind, das eine weitere Staatsangehörigkeit besitzt, ein nach dem Recht des anderen Staates bestehendes ex-lege-Gewaltverhältnis jedenfalls in bestimmten Fällen zu berücksichtigen haben oder ob auch in diesem Zusammenhang die deutsche Staatsangehörigkeit grundsätzlich Vorrang hat (vgl. hierzu Henrich a.a.O. S. 233; Soergel/Kegel, a.a.O. Art. 3 MSA Rdn. 38; Palandt/Heldrich a.a.O. Anh. zu Art. 24 EGBGB Art. 3 MSA Rdn. 19, jeweils m.N.). Ebenso kann offenbleiben, ob die Sorgerechtsregelung des türkischen Rechts ein ex-lege-Gewaltverhältnis i.S.d. Art. 3 MSA anordnet (vgl. hierzu Staudinger/Kropholler a.a.O. Rdn. 326 vor Art. 19 EGBGB; zum Begriff vgl. Soergel/Kegel a.a.O. Rdn. 30–32 m.N.). Eine Schutzmaßnahme stellt nur dann i.S.d. Art. 3 MSA einen Eingriff in das gesetzliche Gewaltverhältnis des fremden Staates dar, wenn das Recht dieses Staates eine solche Maßnahme nicht zuläßt (Palandt/Heldrich a.a.O. Rdn. 25; Henrich a.a.O. S. 231 f.). Davon ist jedoch im vorliegenden Fall nicht auszugehen. Auch nach türkischem Recht steht den Eltern die elterliche Sorge gemeinsam zu (Art. 262, 263 türkisches ZGB; vgl. Bergmann/Ferid, Intern. Ehe- und Kindschaftsrecht Bd. XI Türkei S. 36 f.). Jedenfalls im Grundsatz kennt auch das türkische Recht die Übertragung der elterlichen Sorge durch das Gericht auf einen Elternteil (Art. 148 türkisches ZGB). Daß bei Meinungsverschiedenheiten nicht regelmäßig das Gericht zu entscheiden hat, sondern bei bestehender Ehe dem Vater der Stichentscheid zusteht, verstößt gegen den deutschen ordre public und ist deshalb nach Art. 16 MSA unbeachtlich (Senatsbeschluß vom 5. Februar 1992 – XII ARZ 4/92 – FamRZ 1992, 794, 795 = DAVorm 1992, 352, 354 m.N.).
c) Die materiellen Voraussetzungen für den Erlaß einer Schutzmaßnahme i.S. des Art. 4 Abs. 1 MSA durch die Gerichte des Heimatstaates sind jedoch nicht gegeben. In der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und in der Literatur wird allgemein die Meinung vertreten, daß bei der Anwendung des Art. 4 Abs. 1 MSA Zurückhaltung geboten ist und daß die deutschen Behörden von ihrer konkurrierenden Zuständigkeit nach Art. 4 Abs. 1 MSA nur dann Gebrauch machen sollen, wenn wegen besonderer Umstände das Eingreifen durch die Heimatbehörden dem Kindesinteresse mehr dient und den Schutz des Kindes besser gewährleistet als das Tätigwerden der nach Art. 1 MSA in erster Linie berufenen Behörden oder Gerichte des Aufenthaltsstaates (so OLG Celle, FamRZ 1993, 95; Staudinger/Kropholler a.a.O. Vorbemerkung zu Art. 19 EGBGB Rdn. 364 m.w.N. aus der Rechtsprechung; MünchKomm-BGB/Siehr a.a.O. Anh. nach Art. 19 EGBGB Rdn. 214; Palandt/Heldrich a.a.O. Anh. zu Art. 24 EGBGB Rdn. 31, jeweils m.w.N.). Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Die Behörden und Gerichte des Aufenthaltsstaates können im allgemeinen besser ermitteln und beurteilen, in welchen Verhältnissen das Kind lebt und welche Maßnahmen im Interesse des Kindeswohles erforderlich sind. Außerdem sind sie weit eher in der Lage, die von ihnen getroffenen Maßnahmen durchzusetzen (so zutreffend MünchKomm-BGB/Siehr aaO). Diese schon regelmäßig gebotene Zurückhaltung ist in besonderem Maße angebracht, wenn – wie im vorliegenden Fall – das Kind neben der deutschen Staatsangehörigkeit auch die Staatsangehörigkeit des Aufenthaltsstaates besitzt.
Nach diesen Grundsätzen kommt ein Eingreifen der deutschen Behörden oder Gerichte nach Art. 4 Abs. 1 MSA in erster Linie in Betracht, wenn Angelegenheiten des Kindes in der Bundesrepublik zu regeln sind, wenn es im konkreten Fall ausnahmsweise auf die besondere Sachkunde und Kompetenz der Heimatbehörde ankommt oder wenn die Behörden oder Gerichte des Aufenthaltsstaates nicht in der Lage oder nicht willens sind, eine im Interesse des Kindes offensichtlich gebotene Schutzmaßnahme anzuordnen (so zutreffend OLG Celle, Staudinger/Kropholler und MünchKomm-BGB/Siehr, jeweils a.a.O. m.w.N.).
Anhaltspunkte dafür, daß im vorliegenden Fall eine solche oder eine ähnlich gelagerte Situation gegeben ist, sind von der Mutter nicht vorgetragen und ergeben sich auch nicht aus den Akten. Die Mutter macht geltend, es liege im Interesse des Kindes, daß ihr das Sorgerecht übertragen werde und daß das Kind bei ihr aufwachsen könne. Ob das richtig ist, ist eine Frage, die vorrangig die Behörden und Gerichte des Aufenthaltsstaates zu beurteilen haben. Daß die Mutter sich von einem deutschen Gericht eher als von einem türkischen Gericht eine Entscheidung zu ihren Gunsten verspricht, rechtfertigt es nicht, an den Behörden und Gerichten des Aufenthaltsstaates vorbei eine Schutzmaßnahme nach Art. 4 Abs. 1 MSA zu erlassen.
Unterschriften
Blumenrohr, Krohn, Gerber, Sprick, Weber-Monecke
Fundstellen
Haufe-Index 1127391 |
NJW 1997, 3024 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1997, 943 |
IPRspr. 1997, 99 |