Verfahrensgang
OLG Hamm (Entscheidung vom 17.06.2021; Aktenzeichen I-5 U 31/20) |
LG Münster (Entscheidung vom 26.02.2020; Aktenzeichen 16 O 250/19) |
Tenor
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 17. Juni 2021 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 116.645,92 €
Gründe
Rz. 1
I. Die Parteien waren Miteigentümer eines Grundstücks, das zur Auseinandersetzung der Gemeinschaft versteigert wurde.
Rz. 2
1. Der Kläger hat in der Hauptsache beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die Freigabe des auf seinen Anteil entfallenden hinterlegten Erlöses in Höhe von 116.645,92 € zu bewilligen. Der Beklagte hat sich demgegenüber auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen, gestützt einerseits auf Nutzungsentschädigungsansprüche, anderseits auf einen Schadensersatzanspruch wegen Verschlechterung des Grundstücks durch den Kläger.
Rz. 3
2. Das Landgericht hat der Klage, nachdem der Beklagte im Verhandlungstermin am 5. Februar 2020 säumig geblieben ist, in der Hauptsache antragsgemäß nach Lage der Akten stattgegeben. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Nutzungsentschädigung oder auf Schadensersatz habe der Beklagte nicht substantiiert dargelegt. Das Berufungsgericht hat sich dieser Einschätzung angeschlossen und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Soweit die neu mandatierten Prozessbevollmächtigen des Beklagten mit Schriftsätzen vom 20. und insbesondere 25. Februar 2020 "den bis dahin fehlenden Tatsachenvortrag nachgeholt haben", sei dies nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug erfolgt. Mangels Wiederöffnungsgrundes habe das Landgericht diesen Vortrag gemäß § 296a ZPO zu Recht unberücksichtigt gelassen mit der weiteren Folge, dass der Beklagte mit ihm gemäß § 531 Abs. 1 ZPO auch in zweiter Instanz nicht mehr gehört werden könne.
Rz. 4
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG).
Rz. 5
1. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass der Beklagte mit dem Vortrag aus den Schriftsätzen vom 20. und insbesondere 25. Februar 2020 gemäß § 531 Abs. 1 ZPO ausgeschlossen ist. Nach dieser Vorschrift bleiben Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug zu Recht zurückgewiesen worden sind, ausgeschlossen. Die Bestimmung ist nur anwendbar auf Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in erster Instanz nach § 296 Abs. 1 oder 2 ZPO oder nach § 340 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 296 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen oder nicht zugelassen worden sind. Von diesen Vorschriften hat das Landgericht im Streitfall jedoch keinen Gebrauch gemacht. Es hat lediglich gemäß §§ 156, 296a ZPO von der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgesehen. Ist erstinstanzliches Vorbringen unberücksichtigt geblieben, ohne nach den vorgenannten Bestimmungen präkludiert worden zu sein, so ist § 531 Abs. 1 ZPO nicht anwendbar (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 10; Beschluss vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 17). Wendet das Berufungsgericht gleichwohl § 531 Abs. 1 ZPO an, ist dies offenkundig unrichtig und verletzt deshalb das rechtliche Gehör der Partei (BGH, Beschluss vom 21. März 2013 - VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 Rn. 9; Beschluss vom 23. September 2020 - IV ZR 74/20, FamRZ 2020, 2021 Rn. 8 mwN).
Rz. 6
2. Auf dieser Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht die Entscheidung. Das Berufungsgericht wird nach Zurückverweisung der Sache zu prüfen haben, ob das Vorbringen des Beklagten in den Schriftsätzen vom 20. und 25. Februar 2020 unter Berücksichtigung des bisherigen Parteivorbringens als neu zu bewerten ist und ob gegebenenfalls einer der Zulassungsgründe des § 531 Abs. 2 ZPO vorliegt. Um ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel handelt es sich dann, wenn ein streitiger Vortrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht vorgebracht und daher im erstinstanzlichen Urteil zu Recht gemäß § 296a ZPO unberücksichtigt geblieben ist (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 27. Februar 2018 - VIII ZR 90/17, NJW 2018, 1686 Rn. 19; Beschluss vom 23. September 2020 - IV ZR 74/20, FamRZ 2020, 2021 Rn. 10). Eine eigene Entscheidung ist dem Senat deshalb verwehrt, weil das Berufungsgericht seine Entscheidung ausschließlich auf § 531 Abs. 1 ZPO und entgegen der Auffassung der Beschwerdeerwiderung auch nicht stillschweigend auf § 531 Abs. 2 ZPO gestützt hat. Dem Bundesgerichtshof als Rechtsmittelgericht ist es versagt, die Zurückweisung auf eine andere als von der Vorinstanz angewandte Vorschrift zu stützen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. September 2020 - IV ZR 74/20, FamRZ 2020, 2021 Rn. 10; Beschluss vom 23. März 2021 - II ZR 80/20, juris Rn. 12).
Born |
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B. Grüneberg |
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V. Sander |
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von Selle |
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Adams |
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Fundstellen
Dokument-Index HI15462220 |