Tenor
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern.
Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt.
Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Der Angeschuldigte ist am 2. Januar 2021 vorläufig festgenommen worden und befindet sich seit dem 3. Januar 2021 ununterbrochen in Untersuchungshaft, zunächst aufgrund eines Haftbefehls des Amtsgerichts Karlsruhe vom 3. Januar 2021 (31 Gs 8/21) und nunmehr aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. April 2021 (2 BGs 201/21).
Rz. 2
Gegenstand des aktuellen Haftbefehls vom 29. April 2021 ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich in der Zeit von Anfang 2020 bis zu seiner vorläufigen Festnahme am 2. Januar 2021 in S., in G. und an anderen Orten in der Bundesrepublik Deutschland durch sechs rechtlich selbständige Handlungen als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat” (IS) beteiligt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 und 12 VStGB) zu begehen. In einem dieser Fälle habe er zudem durch dieselbe Handlung eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet. Der Haftbefehl geht insofern von einer mutmaßlichen Strafbarkeit des Angeschuldigten gemäß § 89a Abs. 2a, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 52, 53 StGB aus.
Rz. 3
Der Senat hat mit Beschluss vom 14. Juli 2021 (AK 37/21) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus angeordnet.
Rz. 4
Unter dem 5. Oktober 2021 hat der Generalbundesanwalt Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Gegenstand der Anklageschrift sind die im Haftbefehl vom 29. April 2021 aufgeführten sowie drei weitere Taten. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens und die vom Generalbundesanwalt beantragte Neufassung des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs hat das Oberlandesgericht noch nicht befunden. Es hält allerdings eine Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich; der Vorsitzende des Staatsschutzsenats hat mit Verfügung vom 8. Oktober 2021 daher die Akten zur erneuten besonderen Haftprüfung über den Generalbundesanwalt dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
Rz. 5
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, gemäß §§ 121, 122 StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus anzuordnen.
Rz. 6
Der Angeschuldigte und seine Verteidiger hatten Gelegenheit zur Stellungnahme, haben hiervon aber keinen Gebrauch gemacht.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 7
Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus liegen vor (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO).
Rz. 8
1. Gegenstand des Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 StPO ist der vollzogene Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 29. April 2021, zu dessen Anpassung oder Erweiterung nur das gemäß § 126 Abs. 1 oder 2 StPO zuständige Gericht befugt ist. Die Haftprüfung ist grundsätzlich auf die in dem aktuellen Haftbefehl erhobenen Vorwürfe beschränkt. Dem Haftprüfungsgericht ist es jedenfalls verwehrt, anhand der Ermittlungsergebnisse eine im Haftbefehl umschriebene prozessuale Tat auszutauschen oder den Haftbefehl über die von diesem erfassten prozessualen Taten hinaus in tatsächlicher Hinsicht zu erweitern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2021 – AK 44/21, juris Rn. 3; vom 20. April 2021 – AK 30/21, juris Rn. 38 mwN; vom 22. Juli 2020 – AK 17/20, juris Rn. 4; KK-StPO/Schultheis, 8. Aufl., § 121 Rn. 24). Die drei dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift des Generalbundesanwalts zur Last gelegten Taten, die nicht Gegenstand des Haftbefehls sind, bleiben mithin bei der Haftprüfung außer Betracht.
Rz. 9
2. Der Angeschuldigte ist der ihm im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs zur Last gelegten Taten weiterhin dringend verdächtig. Hinsichtlich der Einzelheiten der insofern erhobenen Tatvorwürfe und der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände nimmt der Senat Bezug auf seine Haftfortdauerentscheidung vom 14. Juli 2021, deren Gründe unverändert fortgelten. Die seither geführten Ermittlungen haben die Beweislage verdichtet, jedenfalls aber den dringenden Tatverdacht nicht entfallen lassen; der Senat nimmt insofern Bezug auf die Darstellung des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen in der Anklageschrift des Generalbundesanwalts.
Rz. 10
3. In rechtlicher Hinsicht ist weiterhin davon auszugehen, dass sich der Angeschuldigte mit hoher Wahrscheinlichkeit jedenfalls wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland in sechs Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und – über die rechtliche Würdigung des Haftbefehls hinausgehend – in vier weiteren Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 139 vom 29. Mai 2002, S. 9) veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, gemäß § 89a Abs. 2a, § 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, §§ 52, 53 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom 28. Juni 2013 (ABl. L 179 vom 29. Juni 2013, S. 85) strafbar gemacht hat.
Rz. 11
a) Der Senat nimmt auch insofern Bezug auf seinen Haftfortdauerbeschluss vom 14. Juli 2021.
Rz. 12
b) Hinsichtlich der hochwahrscheinlichen Strafbarkeit des Angeschuldigten nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG wegen Verstoßes gegen ein Bereitstellungsverbot ist ergänzend zu bemerken:
Rz. 13
Dadurch, dass der Angeschuldigte in jedenfalls vier Fällen in Deutschland gesammelte Gelder mittels „Hawala-Banking” an IS-Mitglieder in Syrien beziehungsweise im Libanon transferierte, wo die Gelder – wie vom Angeschuldigten beabsichtigt – von diesen im Interesse der Vereinigung verwendet wurden, ist der dringende Tatverdacht eines nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG strafbaren Verstoßes gegen das Bereitstellungsverbot des Art. 2 Abs. 2 der unmittelbar geltenden Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften Nr. 881/2002 (EG) vom 27. Mai 2002 begründet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 15 ff.; vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 5 ff.; Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 7 ff.; Beschlüsse vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 40; vom 24. Februar 2021 – AK 6/21, juris Rn. 38; vom 22. Juli 2020 – AK 16/20, juris Rn. 29; vom 14. Mai 2020 – AK 8/20, juris Rn. 30 f.).
Rz. 14
aa) Denn nach Art. 2 Abs. 2 der Verordnung dürfen den in Anhang I dieses Rechtsaktes aufgeführten natürlichen und juristischen Personen, Organisationen, Einrichtungen und Vereinigungen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugutekommen. In diesem Anhang I ist seit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission vom 28. Juni 2013 (ABl. L 179 vom 29. Juni 2013, S. 85) auch der IS gelistet (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 16; Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 9; Beschluss vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 40). Bedenken gegen die Wirksamkeit der unter der (früheren) Bezeichnung „Islamic State in Iraq and the Levant” erfolgten Listung des IS bestehen nicht (näher hierzu BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 10; s. auch BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 16).
Rz. 15
bb) Zwar pönalisiert § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG nur Zuwiderhandlungen gegen ein Bereitstellungsverbot, während Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 das „Zur-Verfügung-Stellen” von Geldern und wirtschaftlichen Ressourcen untersagt. Obwohl sich insoweit der Wortlaut der Blankettnorm und der ausfüllenden Norm nicht decken, ist der Sinngehalt der beiden Tatbestandsmerkmale identisch, so dass Verstöße gegen Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 der Strafbewehrung des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG unterfallen (BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 17; vgl. in Bezug auf den wortlautgleichen Art. 7 Abs. 3 der Iran-Embargo-Verordnung (EG) Nr. 423/2007 vom 19. April 2007 BGH, Beschluss vom 23. April 2010 – AK 2/10, BGHSt 55, 94 Rn. 15; s. zudem MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 34; BT-Drucks. 17/11127, S. 27).
Rz. 16
cc) „Zur-Verfügung-Stellen” ist jeder tatsächliche Vorgang, der dazu führt, dass der gelisteten Person, Organisation, Einrichtung oder Vereinigung der betreffende wirtschaftliche Vorteil zugutekommt, sie also die Verfügungsgewalt über den Vermögenswert erlangt (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-72/11, juris Rn. 40; BGH, Beschlüsse vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 18; vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 6; Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 12 ff.; Beschluss vom 23. April 2010 – AK 2/10, BGHSt 55, 94 Rn. 19; MüKoStGB/Wagner, 3. Aufl., § 18 AWG Rn. 32).
Rz. 17
dd) Im Hinblick auf die Struktur des IS und den Umstand, dass es sich bei der Vereinigung um einen Personenverband handelt, werden Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen jedenfalls dann bereits dem IS selbst unmittelbar zur Verfügung gestellt, wenn sie einem im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation befindlichen und agierenden Mitglied, das in die dortigen Vereinigungsstrukturen eingebunden ist, zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließen. Insofern ist nicht erforderlich, dass die Gelder oder wirtschaftlichen Ressourcen in die direkte Verfügungsgewalt eines Führungsverantwortlichen oder eines für Finanzangelegenheiten zuständigen Vereinigungsmitglieds gelangen oder solche höherrangigen Mitglieder eine eigene Zugriffsmöglichkeit erhalten.
Rz. 18
Bei terroristischen Vereinigungen wie dem IS verbietet es sich wegen ihrer Struktur als reine Personenzusammenschlüsse ohne eigene (Völker-)Rechtssubjektivität und ihrer Vorgehensweise zur Verfolgung des Vereinigungsziels, hinsichtlich der tauglichen Empfänger von Geldern oder wirtschaftlichen Ressourcen zwischen im unmittelbaren Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation vereinigungsbezogen tätigen „einfachen” (nachrangigen) Mitgliedern einerseits und der Organisation selbst und ihren (ranghohen) Repräsentanten andererseits zu differenzieren. Denn das Bereitstellungsverbot des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 ist weit auszulegen (vgl. in Bezug auf den wortlautidentischen Art. 7 Abs. 3 der Iran-Embargo-Verordnung (EG) Nr. 423/2007 vom 19. April 2007 EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-72/11, juris Rn. 39 f., sowie in Bezug auf Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 vom 27. Dezember 2001 EuGH, Urteil vom 29. Juni 2010 – C-550/09, NJW 2010, 2413 Rn. 66 ff.).
Rz. 19
Entsprechend dem Ziel des Bereitstellungsverbots des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002, zu verhindern, dass terroristische Vereinigungen Vermögenswerte oder wirtschaftliche Ressourcen erlangen, die für terroristische Aktivitäten Verwendung finden können (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 14 f.; Beschlüsse vom 22. Juli 2020 – AK 16/20, juris Rn. 29; vom 14. Mai 2020 – AK 8/20, juris Rn. 32), genügt es daher für ein unmittelbares „Zur-Verfügung-Stellen”, wenn Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen irgendeinem im IS-Herrschaftsgebiet vereinigungsbezogen tätigen und in die dortigen Strukturen des IS eingebundenen IS-Mitglied zur Verwendung für die Ziele und Zwecke der Vereinigung zufließen. Denn bereits damit wird die Gefahr eines Einsatzes der Mittel für terroristische Aktivitäten der gelisteten Vereinigung geschaffen, der das Bereitstellungsverbot entgegenwirken will (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 19 f.; vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 6; Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 16 ff.; Beschlüsse vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 40; vom 24. Februar 2021 – AK 6/21, juris Rn. 33, 37 f.).
Rz. 20
ee) Der Transfer von Geldern aus Deutschland an IS-Mitglieder im Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation ist nicht nur dann ein Zurverfügungstellen im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002, wenn der von der Bundesrepublik aus Gelder transferierende Täter selbst nicht der Vereinigung angehört und damit als Unterstützer gewissermaßen von außen der Organisation finanzielle Ressourcen zukommen lässt (vgl. zu dieser Fallkonstellation BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 23; Urteil vom 29. Juli 2021 – 3 StR 156/20, juris Rn. 16 ff.). Vielmehr kommt eine Strafbarkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG auch dann in Betracht, wenn – wie hochwahrscheinlich der Angeschuldigte – der in Deutschland agierende Täter zum Zeitpunkt des Geldtransfers selbst IS-Mitglied und von der Vereinigung damit betraut war, als solches in der Bundesrepublik Gelder für den IS zu sammeln und in das Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation zu transferieren (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 8 ff.; vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 40; vom 22. Juli 2020 – AK 16/20, juris Rn. 29; vom 14. Mai 2020 – AK 8/20, juris Rn. 30 ff.; s. auch EuGH, Urteil vom 29. Juni 2010 – C-550/09, NJW 2010, 2413 Rn. 63 ff.). In einer derartigen Konstellation liegt schon angesichts der auf das Sammeln und Weiterleiten von finanziellen Ressourcen bezogenen mitgliedschaftlichen Beteiligung des Täters und dessen Distanz zu den im Betätigungsgebiet der (Kern-)Organisation befindlichen Empfängern, welche die Gelder erstmals unmittelbar vereinigungsbezogen verwenden, keine vom Bereitstellungsverbot möglicherweise nicht erfasste bloße vereinigungsinterne Verschiebung von Finanzmitteln (vgl. insofern EuGH, Urteil vom 29. Juni 2010 – C-550/09, NJW 2010, 2413 Rn. 75; BGH, Beschlüsse vom 11. August 2021 – 3 StR 268/20, juris Rn. 23; vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 14) vor. Vielmehr übt ein Mitglied einer terroristischen Vereinigung, das sich als „Geldsammler” betätigt und dessen Aufgabe es ist, der Organisation wirtschaftliche Ressourcen für terroristische Zwecke zu verschaffen, eine Tätigkeit aus, die das Bereitstellungsverbot gerade unterbinden will (BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 10). In einer solchen Konstellation, in der ein Mitglied einer gelisteten Vereinigung für diese finanzielle Ressourcen sammelt und an die Organisation weiterleitet, werden die Gelder erst mit der erfolgten Weiterleitung der Vereinigung im Sinne des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 zur Verfügung gestellt (BGH, Beschluss vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 12 f.).
Rz. 21
ff) Die Strafbarkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG tritt nicht konkurrenzrechtlich hinter die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zurück. Denn das Bereitstellungsverbot des Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 bezieht sich auf den tatsächlichen Vorgang des Zur-Verfügung-Stellens, der dazu führt, dass der gelisteten Person oder Einrichtung ein wirtschaftlicher Vorteil zu Gute kommt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2010 – AK 2/10, BGHSt 55, 94 Rn. 19). Ziel des Bereitstellungsverbots ist es, den gelisteten Personen oder Einrichtungen in tatsächlicher Hinsicht die materiellen Grundlagen ihrer Tätigkeit vorzuenthalten (BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2014 – 3 StR 62/14, juris Rn. 27). Damit kommt dem Verstoß gegen das Bereitstellungsverbot auch dann ein eigener Unrechtsgehalt zu, wenn die Überweisung durch ein Mitglied der Vereinigung selbst erfolgt (BGH, Beschlüsse vom 11. August 2021 – 3 StR 173/21, juris Rn. 15; vom 14. Juli 2021 – AK 37/21, juris Rn. 46; vom 22. Juli 2020 – AK 16/20, juris Rn. 29; vom 14. Mai 2020 – AK 8/20, juris Rn. 32).
Rz. 22
4. Es sind nach wie vor die Haftgründe der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO sowie – bei der gebotenen restriktiven Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Januar 2019 – AK 57/18, juris Rn. 30 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 112 Rn. 37 mwN) – der Schwerkriminalität gegeben. Es ist wahrscheinlicher, dass sich der Angeschuldigte – sollte er auf freien Fuß gelangen – dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm stellen wird. Der Senat nimmt insofern Bezug auf seine fortgeltenden Erwägungen zu den Haftgründen im Haftfortdauerbeschluss vom 14. Juli 2021.
Rz. 23
Der Zweck der Untersuchungshaft kann unter den gegebenen Umständen weiterhin nicht durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO – die bei verfassungskonformer Auslegung auch im Rahmen des § 112 Abs. 3 StPO möglich sind – erreicht werden.
Rz. 24
5. Die besonderen Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über neun Monate hinaus (§ 121 Abs. 1, § 122 Abs. 4 Satz 2 StPO) sind gegeben. Der Umfang des Verfahrens und seine besonderen Schwierigkeiten haben ein Urteil noch nicht zugelassen und rechtfertigen den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft.
Rz. 25
Insofern nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen im Haftfortdauerbeschluss vom 14. Juli 2021.
Rz. 26
Auch danach ist das Verfahren durchgängig mit der in Haftsachen gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden: Im Anschluss an die letzte Haftfortdauerentscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Auswertung der mehr als 30 sichergestellten Datenträger – überwiegend Mobiltelefone, die umfangreiche Datensätze, darunter eine Vielzahl fremdsprachiger Kommunikationsereignisse, enthielten – fortgesetzt worden. Insbesondere sind im Speicher eines sichergestellten Mobiltelefons der gesondert verfolgten Lebensgefährtin des Angeschuldigten bei einer ergänzenden Auswertung 646 als relevant eingestufte WhatsApp-Sprachnachrichten festgestellt worden, deren zeitaufwändige Auswertung und Verschriftung erforderlich gewesen ist und erst Mitte September 2021 hat abgeschlossen werden können. Unter dem 27. August 2021 hat das mit den Ermittlungen betraute Landeskriminalamt Baden-Württemberg einen 45-seitigen Ermittlungsbericht vorgelegt, der nachfolgend durch weitere polizeiliche Ermittlungsvermerke ergänzt worden ist.
Rz. 27
Der Generalbundesanwalt hat unter dem 5. Oktober 2021 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Die Anklageschrift ist dort am 6. Oktober 2021 eingegangen. Der Aktenbestand hat zum Zeitpunkt der Anklageerhebung 42 Stehordner Sachakten und zehn weitere Stehordner Sachaktensonderbände umfasst; die Anklageschrift hat einen Umfang von 71 Seiten nebst Anlagen. Der Vorsitzende des zuständigen Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart hat am 7. Oktober 2021 die Zustellung der Anklageschrift und ihre Übersetzung verfügt sowie eine angesichts des großen Aktenumfangs angemessene Stellungnahmefrist bis zum 5. November 2021 gesetzt.
Rz. 28
6. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft nach Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Angeschuldigten einerseits sowie dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit andererseits nach wie vor nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Unterschriften
Schäfer, Paul, Kreicker
Fundstellen
Haufe-Index 14970290 |
wistra 2022, 207 |
StV 2022, 524 |