Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörungsrüge bei behaupteter Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften. Zum Nebeneinander von Geschmacksmusterschutz und ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz. Jeans II
Leitsatz (amtlich)
Zur Geltendmachung einer Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG im Rahmen der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO.
Normenkette
UWG § 4 Nr. 9 Buchst. a; ZPO § 321a
Verfahrensgang
KG Berlin (Entscheidung vom 11.01.2002; Aktenzeichen 5 U 182/01) |
LG Berlin (Entscheidung vom 04.05.2001; Aktenzeichen 15 O 719/99) |
Tenor
Die Anhörungsrüge gegen das Senatsurteil vom 15.9.2005 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. In dem vorausgegangenen Rechtsstreit ist die Beklagte durch das Berufungsgericht nach den Grundsätzen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes (§ 1 UWG a.F., §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG) zur Unterlassung und zur Auskunftserteilung verurteilt worden. Zudem hat das Berufungsgericht die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz festgestellt. Der Senat hat mit Urteil vom 15.9.2005 die Revision der Beklagten zurückgewiesen (BGH v. 15.9.2005 - I ZR 151/02, BGHReport 2006, 111 = WRP 2006, 75).
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Anhörungsrüge.
II. Die gem. § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Gehörsrüge ist nicht begründet.
1. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Streitfall werfe die gemeinschaftsrechtlich relevante Frage auf, ob Art. 96 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12.12.2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. Nr. L 3 vom 5.1.2002, S. 1) zur Folge habe, dass für ein gemeinschaftsrechtlich nicht eingetragenes Geschmacksmuster nach Ablauf der dreijährigen Schutzdauer gem. Art. 11 Abs. 1 der Verordnung noch ein wettbewerbsrechtlicher Schutz nach nationalem Recht bestehen könne. Der Senat hätte diese Frage dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gem. Art. 234 EG vorlegen müssen. Ob eine solche Vorlage erwogen worden sei, sei dem Senatsurteil nicht zu entnehmen.
a) Gemäß § 321a ZPO ist auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei das Verfahren fortzuführen, wenn die Entscheidung mit Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbar ist und das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
Die Gerichte sind nach dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 47, 182 [187]; BVerfG v. 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94, BVerfGE 96, 205 [216]). Dass die Beklagte in dem der Senatsentscheidung vorausgegangenen Rechtsstreit in den Instanzen oder im Revisionsverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 Abs. 1 und Abs. 3 EG angeregt hat, hat die Beklagte in der Anhörungsrüge nicht dargelegt. Vielmehr macht sie die Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wegen des Verhältnisses von Ansprüchen nach den Grundsätzen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes (§§ 3, 4 Nr. 9 UWG) zum Schutz eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung erstmals mit der Anhörungsrüge geltend. Der von der Beklagten gerügte Verstoß gegen die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 1 und Abs. 3 EG betrifft deshalb nicht das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, sondern den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfG v. 22.10.1986 - 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339 [366] = MDR 1987, 290; v. 31.5.1990 - 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87, BVerfGE 82, 159 [194] = CR 1991, 44; DVBl. 2004, 1411 [1412]). Ob ein Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter in entsprechender Anwendung des § 321a ZPO gerügt werden kann, braucht im Streitfall nicht abschließend entschieden zu werden (bejahend: Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 321a Rz. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 321a Rz. 8; kritisch zur Beschränkung des § 321a ZPO auf einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG auch: Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 321a Rz. 7, Aktualisierungsstand 26.4.2005; offen gelassen: Begründung zum RegE BR-Drucks. 663/04, 33). Für eine analoge Anwendung des § 321a ZPO auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter spricht die Rechtsprechung des BVerfG, wonach Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte durch Selbstkontrolle der Fachgerichte im Instanzenzug oder eine analoge Anwendung von Prozessrechtsnormen behoben werden sollen (BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/01, BVerfGE 107, 395 [397] = MDR 2003, 886). Zu den Verfahrensgrundrechten, die der Einhaltung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards dienen, zählt auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/01, BVerfGE 107, 395 [407] = MDR 2003, 886). Dass das BVerfG im Plenarbeschluss vom 30.4.2003 einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt hat, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, schließt eine analoge Anwendung des § 321a ZPO auf eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nicht aus (vgl. auch BGH v. 19.5.2004 - IXa ZB 182/03, BGHReport 2004, 1306 = MDR 2004, 1254 = NJW 2004, 2529; BFH v. 30.9.2004 - IV S 9/03, BFHReport 2004, 1465 = NJW 2005, 526). Denn der Vorlagebeschluss des 1. Senats des BVerfG war auf eine behauptete Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt (BVerfG, Beschl. v. 30.4.2003 - 1 PBvU 1/01, BVerfGE 107, 395 [408] = MDR 2003, 886). Die Frage der analogen Anwendung des § 321a ZPO auf eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter kann aber deshalb offen bleiben, weil gegen dieses Grundrecht vorliegend nicht verstoßen worden ist.
b) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist nicht erforderlich, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Rechtsfrage bleibt und wenn das nationale Gericht davon überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (st.Rspr.: EuGH, Urt. v. 6.10.1982 - Rs. C-283/81 - CILFIT, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 Tz. 16; Urt. v. 15.9.2005 - Rs. C-495/03, HFR 2005, 1236 Tz. 33). Davon ist bei der Frage auszugehen, ob ein Anspruch aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung nach §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG deshalb ausgeschlossen ist, weil für das streitgegenständliche Modell auch ein Schutz nach Art. 3 ff. GGVO hätte in Anspruch genommen werden können. Der Senat hat diese Frage in Übereinstimmung mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen verneint (Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 3. Aufl., Allgemeines Rz. 53; Harte/Henning/Sambuc, UWG, § 4 Nr. 9 Rz. 41 f.; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl., § 4 UWG Rz. 9.8; Keller, FS Erdmann, 2002, 595 [611]; Bartenbach/Fock, WRP 2002, 1119 [1123]; Osterrieth, FS Tilmann, 2003, 221 [223]; Rahlf/Gottschalk, GRUR-Int. 2004, 821 [826]; Ortner, WRP 2006, 189 [192]). Denn die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung lässt Bestimmungen der Mitgliedstaaten über den unlauteren Wettbewerb unberührt (Art. 96 Abs. 1 GGVO, vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 31 der Verordnung). Dieses Nebeneinander von Geschmacksmusterschutz und ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz ist aufgrund der unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen und Rechtsfolgen gerechtfertigt. Während der Musterschutz an die Neuheit und Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmusters anknüpft (Art. 5, 6 GGVO) und einen zeitlich auf drei Jahre befristeten Schutz begründet (Art. 11 GGVO), setzt der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz nach §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG mit dem Vorliegen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung ein Unlauterkeitsmerkmal voraus und führt zu einem zeitlich nicht von vornherein befristeten Anspruch. Anders als die Beklagte erstmals mit der Anhörungsrüge geltend macht, bedarf es deshalb auch keiner Modifikation der Senatsrechtsprechung zum ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Dieses Ergebnis ist eindeutig. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften war nicht geboten. Unberührt davon ist die im Streitfall nicht entscheidungserhebliche Frage nach dem Verhältnis des Gemeinschaftsgeschmacksmusterschutzes zum wettbewerbsrechtlichen Saisonschutz für eine Modeneuheit, der eine vermeidbare Herkunftstäuschung nicht voraussetzt (vgl. zu § 1 UWG a.F.: BGH, Urt. v. 10.11.1983 - I ZR 158/81 - Hemdblusenkleid, MDR 1984, 643 = GRUR 1984, 453 [454] = WRP 1984, 259; zum Schutzverhältnis vgl. Gloy/Loschelder/Eck, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 3. Aufl., § 43 Rz. 143; Gottschalk, Der Schutz des Designs nach deutschem und europäischem Recht, 2005, S. 257 f.).
2. Die Anhörungsrüge ist auch nicht im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten zur Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht begründet. Das Vorbringen ist berücksichtigt; eine Beweiserhebung war nicht erforderlich.
Fundstellen
Haufe-Index 1487686 |
NJW 2006, 1978 |
BGHR 2006, 671 |
WRP 2006, 467 |
MarkenR 2006, 168 |