Leitsatz (amtlich)
Hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde gegen einen Beschluß, durch den der Einspruch gegen ein Versäumnisurteil wegen Versäumung der Einspruchsfrist verworfen und der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen worden ist, zu Unrecht als unzulässig verworfen, so kann das Gericht der weiteren Beschwerde im Falle der Entscheidungsreife über die sofortige Beschwerde und die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Einspruchsfrist entscheiden.
Normenkette
ZPO §§ 237, 238 Abs. 2-3
Verfahrensgang
Tenor
Die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 7. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. Februar 1996 wird auf Kosten des Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluß des Amtsgerichts – Familiengericht – Soest vom 19. Januar 1996 als unbegründet zurückgewiesen wird.
Beschwerdewert: 18.135 DM
Gründe
I.
Die Parteien sind getrennt lebende Eheleute. Ihre vier Kinder leben bei der Klägerin. Durch ein im schriftlichen Verfahren ergangenes Versäumnisurteil, dem Beklagten am 21. Juli 1995 zu Händen seines Vaters in N. zugestellt, wurde der Beklagte verurteilt, an die Klägerin Kindesunterhalt von insgesamt 1.395 DM monatlich ab dem 1. März 1995 zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 25. Oktober 1995 haben sich die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten bestellt und um Akteneinsicht gebeten. Sie haben mitgeteilt, der Beklagte habe inzwischen eine „Gerichtskostenabrechnung” erhalten, aus der er ersehen habe, daß ihm „maßgebliche Schriftstükke” offenbar nicht zugestellt worden seien. Er sei seit April 1995 nach R. verzogen und habe sich dort auch polizeilich angemeldet Mit Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 23. November 1995 (eingegangen an diesem Tage≫ hat der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch eingelegt und wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Durch Beschluß vom 19. Januar 1996 hat das Familiengericht den Wiedereinsetzungsantrag als unbegründet zurückgewiesen und den Einspruch gegen das Versäumnisurteil als nicht fristgerecht eingelegt verworfen. Dieser Beschluß ist dem Beklagten zu Händen seiner Prozeßbevollmächtigten am 25. Januar 1996 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 8. Februar 1996 haben die Prozeßbevollmächtigten des Beklagten gegen diesen Beschluß sofortige Beschwerde eingelegt. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht Hamm die sofortige Beschwerde als unzulässig verworfen mit der Begründung, sie sei erst am 9. Februar 1996 und damit verspätet bei Gericht eingegangen. Dagegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten.
II.
Das Rechtsmittel ist nach §§ 568a, 621d Abs. 2 ZPO zulässig. Im Ergebnis ist es nicht begründet.
1. Allerdings hat das Beschwerdegericht die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen die Entscheidung des Familiengerichts zu Unrecht als unzulässig verworfen mit der Begründung, sie sei verspätet eingelegt worden. Zwar mußte es aufgrund der Aktenlage davon ausgehen, daß der Schriftsatz des Beklagten vom 8. Februar 1996 erst am 9. Februar 1996 und damit verspätet eingegangen sei. Der Beklagte hat jedoch durch Vorlage eines Faxprotokolls und einer eidesstattlichen Versicherung einer Büroangestellten seiner Prozeßbevollmächtigten nachgewiesen, daß seine Prozeßbevollmächtigten den Schriftsatz am 8. Februar 1996 vorab per Telefax dem Gericht übermittelt haben. Bei einem Eingang des Rechtsmittels schon am 8. Februar 1996 ist die Beschwerdefrist gewahrt. Danach kann der Beschluß des Oberlandesgerichts mit der gegebenen Begründung nicht bestehen bleiben.
2. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind, ist der Senat in der Lage, selbst abschließend über die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen die Entscheidung des Familiengerichts zu entscheiden. Dem steht nicht entgegen, daß nach § 237 ZPO über den Antrag auf Wiedereinsetzung das Gericht zu entscheiden hat, dem die Entscheidung über die nachgeholte Prozeßhandlung zusteht (hier: das Familiengericht) und daß dessen die Wiedereinsetzung gewährende Entscheidung unanfechtbar wäre (§ 238 Abs. 3 ZPO). Daraus ergibt sich zwar, daß das nach § 237 ZPO zuständige Gericht die erstmalige Entscheidung zu treffen hat und daß ein Rechtsmittelgericht diese erstmalige Entscheidung nicht an sich ziehen darf, weil einer Partei, die eine Not- oder Rechtsmittelfrist versäumt hat, die Chance erhalten werden muß, daß das nach § 237 zuständige Gericht ihr endgültig Wiedereinsetzung gewährt (Senatsbeschluß vom 7. Oktober 1981 – IVb ZB 825/81 – FamRZ 1982, 163, 164 – NJW 1982, 887, 888). Im vorliegenden Fall hat das nach 5 237 ZPO berufene Familiengericht aber bereits über das Wiedereinsetzungsgesuch entschieden. und zwar ablehnend. Dann ist im Rechtsmittelzug darüber zu befinden, ob diese ablehnende Entscheidung Bestand haben kann (§ 238 Abs. 2 ZPO) Hat in einem solchen Fall auch das Beschwerdegericht Wiedereinsetzung nicht gewährt, so kann diese Überprüfung auch durch das Gericht der weiteren Beschwerde erfolgen.
3. Das Familiengericht hat zu Recht entschieden, daß der Einspruch gegen das Versäumnisurteil verspätet eingelegt wurde und deshalb unzulässig ist. Zumindest im Ergebnis zu Recht geht es davon aus, daß dem Beklagten wegen der Versäumung der Einspruchsfrist nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann.
a) Das Versäumnisurteil ist dem Beklagten am 21. Juli 1995 in Ne zu Händen seines Vaters nach § 181 Abs. 1 ZPO wirksam zugestellt worden. Das bedeutet, daß die Einspruchsfrist von zwei Wochen (§ 339 Abs. 1 ZPO) mit diesem Tage beginnt. Der Beklagte weist zwar zutreffend darauf hin, daß eine Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1 ZPO an einen zu der Familie gehörenden erwachsenen Hausgenossen nur dann zulässig ist, wenn der Zustellungsempfänger dort eine Wohnung hat. Entgegen den Ausführungen des Beklagten ist jedoch davon auszugehen, daß er im Juli 1995 (noch) bei seinem Vater in W. eine Wohnung hatte. Daß er dort bis April 1995 gewohnt hat und daß ihn der Prozeßkostenhilfeantrag der Klägerin, mit dem das vorliegende Verfahren eingeleitet worden ist, dort erreicht hat, räumt der Beklagte ausdrücklich ein. Es kommt mithin darauf an, ob er diese Wohnung vor Zustellung des Versäumnisurteils aufgegeben hat. Dem Umstand, daß er sich bei der Polizeibehörde umgemeldet hat, kommt in diesem Zusammenhang keine allein entscheidende Bedeutung zu (BGH, Urteil vom 27. Oktober 1987 – VI ZR 268/86 – BOHR ZPO § 182 Wohnung 1 m.N.). Entscheidend für die Eigenschaft als Wohnung ist, wo der Zustellungsempfänger den räumlichen Mittelpunkt seines Lebens hat (BGH aaO). Der – z.B. berufsbedingte – vorübergehende Aufenthalt an einem anderen Ort rechtfertigt jedenfalls für sich allein nicht die Annahme, daß die bisherige Wohnung aufgegeben worden ist.
Für die Frage, ob eine Wohnung aufgegeben worden ist, kann auch nicht allein auf die bloße Absicht des bisherigen Inhabers abgestellt werden, dort künftig nicht mehr wohnen zu wollen. Dieser Wille muß vielmehr, ähnlich wie bei der Aufhebung des Wohnsitzes gemäß § 7 Abs. 3 BGB, in dem gesamten Verhalten des Betreffenden seinen Ausdruck finden. Aufgabewille und Aufgabeakt müssen, wenn auch nicht gerade für den Absender eines zuzustellenden Schriftstücks oder den mit der Zustellung beauftragten Postbediensteten, so doch jedenfalls für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter erkennbar sein. Darauf kann schon deshalb nicht verzichtet werden, weil sonst Möglichkeiten zur Manipulation eröffnet würden (BGH aaO).
Die urkundliche Erklärung des Postbediensteten, der Zustellungsempfänger sei „in der Wohnung” nicht angetroffen worden, begründet ein beweiskräftiges Indiz, das nur durch eine plausible Gegendarstellung entkräftet werden kann (Senatsbeschluß vom 11. Mai. 1994 – XII ZB 55/94 – BOHR ZPO 5 174 Abs. 1 Zustellungsbevollmächtigter 1). Von einem Zustellungsempfänger, der sich darauf beruft, an dem Zustellungsort nicht gewohnt zu haben, kann erwartet werden, daß er klare und vollständige Angaben über seine tatsächlichen Wohnverhältnisse macht (Senatsbeschluß vom 4. Oktober 1989 – RVb ZB 47/89 – BOHR ZPO § 182 Wohnung 2 m.N.). Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Der Beklagte hat nichts dazu vorgetragen, ob er sich unter der Anschrift, an der er jetzt polizeilich gemeldet ist, eine Wohnung gemietet hat, ob er seine Möbel mit dorthin genommen hat usw.. Er hat auch nichts dazu vorgetragen, was aus seiner bisherigen Wohnung in seinem Elternhaus geworden ist und ob er sich dort noch häufig oder gelegentlich aufhält. Solche Angaben wären insbesondere deshalb notwendig gewesen, weil der Vater des Beklagten dem Gericht auf Anfrage mitgeteilt hat, der Beklagte komme nach wie vor regelmäßig zu Hause vorbei.
Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß eine Zustellung im Hause des Vaters des Beklagten im Juli 1995 noch zulässig war.
b) Auch wenn der Beklagte von der Zustellung des Versäumnisurteils ohne eigenes Verschulden keine Kenntnis erhalten haben sollte, z.B. weil ihm sein Vater aus Versehen das zugestellte Schriftstück bei den regelmäßigen Besuchen nicht ausgehändigt hat, kann dem Beklagten wegen der Versäumung der Einspruchsfrist nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, weil er die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO versäumt hat. Nach dieser Vorschrift muß die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, die mit dem Tag beginnt, an dem das Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das der rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs entgegenstehende Hindernis wäre hier darin zu sehen, daß der Beklagte von der Zustellung des Versäumnisurteils und damit von dem Beginn der Einspruchsfrist (zunächst) keine Kenntnis hatte. Dieses Hindernis war aber spätestens behoben, als dem Beklagten der Kostenfestsetzungsbeschluß des Familiengerichts vom 18. Mai 1995 zugegangen ist, aus dem sich unzweideutig ergibt, daß eine die Instanz abschließende Entscheidung ergangen war (vgl. BGH, Beschluß vom 29. März 1972 – IV ZB 11/72 – VersR 1972, 667; vgl. auch Senatsbeschluß vom 22. Februar 1995 – XII ZB 22/95 – BGHR ZPO § 234 Abs. 2 Fristbeginn 7). In dem Kostenfestsetzungsbeschluß des Familiengerichts ist unter „Ausgang des Rechtsstreits in der Instanz” vermerkt, die Kosten des Rechtsstreits seien dem Beklagten auferlegt worden. Aus dem Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten des Beklagten vom 25. Oktober 1995 ergibt sich, daß dieser Kostenfestsetzungsbeschluß dem Prozeßbevollmächtigten spätestens an diesem Tage vorgelegen hat. Zumindest für den Prozeßbevollmächtigten des Beklagten war aus dem Kostenfestsetzungsbeschluß eindeutig erkennbar, daß eine Entscheidung zum Nachteil des Beklagten ergangen war. Ein Verschulden des Prozeßbevollmächtigten muß sich der Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO wie ein eigenes Verschulden zurechnen lassen. Der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten hätte unverzüglich – mit der in dieser Situation gebotenen Eile – den Stand des Verfahrens aufklären und vom 25. Oktober 1995 an binnen zwei Wochen einen Wiedereinsetzungsantrag stellen müssen. Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedoch erst am 23. November 1995 bei Gericht eingegangen.
Unterschriften
Blumenröhr, Krohn, Zysk, Hahne, Gerber
Fundstellen
Haufe-Index 609868 |
NJW 1996, 2581 |
Nachschlagewerk BGH |