Tenor

Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Schiffahrtsobergerichts Hamburg vom 17. Mai 1977 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Sache befindet sich zum zweiten Mal im Beschwerderechtszug. Wegen des Sach- und Streitstands wird auf den Beschluß des Senats II ZB 5/76 vom 21. März 1977 = ZfB 1977, 328 Bezug genommen, durch den die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden war, weil die Rücknahme der zunächst wirksam eingelegten Berufung durch die Beklagte als unwirksam zu behandeln sei.

Nach Zustellung dieses Beschlusses am 12. April 1977 hat die Beklagte am 25. April ihre Berufung begründet und wegen der Versäumung der Begründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung erneut – diesmal mangels rechtzeitiger Begründung – verworfen. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist unbegründet.

1. Die Berufungsbegründungsfrist war mit dem 24. Mai 1976 abgelaufen und konnte danach nicht mehr verlängert werden.

a) Das Berufungsgericht, das seinen ersten Verwerfungsbeschluß bereits vier Tage vor diesem Fristablauf gefaßt hatte, hat ausgeführt, die Frist zur Begründung einer zulässigen Berufung werde durch einen solchen Verwerfungsbeschluß nicht unterbrochen, sondern laufe für den Fall, daß er auf Beschwerde aufgehoben werde, ununterbrochen weiter (vgl. auch RGZ 158, 195; RG Warn. 1939 Nr. 24 und BGH, Beschl. v. 5. 4. 67 – VIII ZB 7/67 = LM ZPO § 519 Nr. 56). Die Beschwerde bittet um Überprüfung dieser Ansicht. Auf die von ihr erhobenen Bedenken kommt es jedoch nicht an. Der Verwerfungsbeschluß ist erst mit der Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 25. Mai 1976 wirksam geworden (RGZ 156, 385, 386). An diesem Tage aber war die Berufungsbegründungsfrist bereits abgelaufen, so daß die Verwerfung des Rechtsmittels schon aus diesem Grunde keinen Einfluß mehr auf sie haben konnte.

b) Der Beschwerde kann auch nicht darin gefolgt werden, daß der Vorsitzende des Berufungsgerichts – was dieses übersehen habe – auf den rechtzeitig gestellten Fristverlängerungsantrag hin die Berufungsbegründungsfrist auch nach deren Ablauf noch hätte verlängern können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist § 519 Abs. 2 ZPO dahin auszulegen, daß die Frist nur verlängert werden kann, solange sie noch läuft (vgl. außer den zahlreichen Nachweisen im Urt. d. BGH v. 12.11.75 – IV ZR 155/74 s RPfl. 1976, 208: RGZ 156, 385; BGHZ 4, 389, 399; BGH, Beschl. v. 12.2.59 – VIII ZB 6/59 = LM ZPO § 519 Nr. 38 unter 1 a. E.; v. 12.7.67 – VIII ZB 28/67 = VersR 1967, 1094).

2. Nimmt man mit dem Berufungsgericht an, die Zweiwochenfrist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages (§ 234 Abs. 1 ZPO) habe nicht schon mit dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 24. Mai 1976 (vgl. dafür die Beschlüsse BGH VIII ZB 3/74 v. 6.3.74 = VersR 1974, 783 unter 2; VII ZB 1/74 v. 29.4.74 = VersR 1974, 908 u. VII ZB 12/74 v. 10.6.74 = VersR 1974, 1029), sondern erst mit der Zustellung des Senatsbeschlusses am 12. April 1977 begonnen, dann ist der am 25. April 1977 beim Berufungsgericht eingegangene Wiedereinsetzungsantrag allerdings noch rechtzeitig gestellt. Gleichwohl hat das Berufungsgericht der Beklagten die Wiedereinsetzung mit Recht versagt; denn die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist hat ihren Grund in einem Verschulden der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, das diese sich nach dem im Mai 1976 noch anwendbaren Absatz 2 des § 232 ZPO wie eigenes Verschulden zurechnen lassen muß.

Hat ein Prozeßbevollmächtigter die Verlängerung einer Rechtsmittelbegründungsfrist beantragt, so muß er sich vor Fristablauf vergewissern, ob seinem Antrag entsprochen worden ist, um das Rechtsmittel notfalls noch innerhalb der laufenden Frist begründen zu können (vgl. BGHZ 10, 307; 12, 161, 165 ff sowie BGH, Beschl. v. 22. 11. 57 – IV ZB 236/57 = VersR 1958, 28 u. v. 20. 12. 57 – I ZB 3/57 = VersR 1958, 129). Der Umstand, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, der deren Sache bearbeitet hat, seit seiner Zulassung beim Berufungsgericht am 1. November 1935 kein Fall bekannt geworden ist, in dem schon ein erster Verlängerungsantrag abgelehnt worden wäre, würde ihn dieser Erkundigungspflicht nicht enthoben haben. Das gilt um so mehr, als er durch die Rücknahme der ersten Berufung unklare Verhältnisse geschaffen hatte und nicht davon ausgehen konnte, das Berufungsgericht werde auf jeden Fall der formell zurückgenommenen Berufung doch noch zur Zulässigkeit verhelfen. Sollten aber die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ihrer Erkundigungspflicht genügt haben und sollte ihnen dabei mitgeteilt worden sein, das Berufungsgericht halte die Berufung für unzulässig und damit den Verlängerungsantrag für gegenstandslos, so hätten sie die Berufung vorsorglich bis zum Ablauf des 24. Mai 1976 begründen müssen. Eine „überflüssige Förmelei” liegt entgegen der Ansicht der Beschwerde in dieser Forderung nicht. Vielmehr dient sie dazu, das Verfahren zu beschleunigen und eine weitere Verzögerung auszuschließen, und deren Zweck würde auch im vorliegenden Falle erreicht worden sein, denn bei rechtzeitigem Eingang der Berufungsbegründung hätte sogleich nach Zustellung des Senatsbeschlusses vom 21. März 1977 Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werden können. Das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, dessen ausdrückliche Feststellung die Beschwerde vermißt, liegt darin, daß sie die eine oder die andere ihrer vorgenannten Pflichten verletzt haben.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde verbieten Treu und Glauben es nicht, der Beklagten den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist entgegenzuhalten. Die besonderen Umstände, die dazu genötigt haben, die Rücknahme des Rechtsmittels selbst als wirkungslos anzusehen, haben auf den Ablauf der Begründungsfrist keinen Einfluß gehabt. Ging die Beklagte – zu Recht – davon aus, daß ihre erste Berufung zulässig geblieben sei, dann wäre es nur folgerichtig gewesen, sie auch rechtzeitig zu begründen. Zu Unrecht beruft sich die Beschwerde insoweit darauf, daß die Gegenseite keinen Grund zu der Annahme gehabt habe, die Beklagte wolle ihr Rechtsmittel nicht weiterverfolgen. Die bloße Erkennbarkeit der Absicht einer Partei, ein von ihr eingelegtes Rechtsmittel durchzuführen, hindert beim Fehlen von Wiedereinsetzungsgründen die andere Partei nicht, sich auf den Ablauf der Begründungsfrist zu berufen.

Ob die Neufassung von § 233 Abs. 1 ZPO durch Gesetz vom 3. Dezember 1976, wie die Beschwerde meint, die Wiedereinsetzung gerechtfertigt haben würde, kann auf sich beruhen, da allein auf die Gesetzesfassung zur Zeit des Fristablaufs im Mai 1976 abzustellen ist.

 

Unterschriften

Stimpel, Dr. Schulze, Fleck, Dr. Bauer, Bundschuh

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1502355

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