Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweisführung für Protokollfälschung. Öffentlich-rechtlicher Versorgungsausgleich. Zustellung des Verhandlungsprotokolls 15 Monate nach mündlicher Verhandlung. Zustellung eines Beschlusses 15 Monate nach mündlicher Verhandlung. Nachweis des Verkündungszeitpunktes eines Beschlusses
Leitsatz (amtlich)
Wird eine Protokollfälschung behauptet, dürfen selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Darlegungslast die Anforderungen an die Prozesspartei insoweit nicht überspannt werden. Denn die Partei, die in aller Regel keinen hinreichenden Einblick in die internen Geschäftsabläufe des Gerichts und die Arbeitsweise des Richters hat, ist in derartigen Fällen durchweg auf bloße Indizien für den objektiven Tatbestand und auf Schlussfolgerungen für dessen subjektive Seite angewiesen (im Anschluss an BGH, Urt. v. 16.10.1984 - VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782 und Beschl. v. 3.3.2004 - VIII ZB 121/03, BGHReport 2004, 979, 980).
Normenkette
ZPO § 165
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 2. Familiensenats des OLG Rostock vom 29.6.2007 mit Ausnahme der Entscheidungen über die Prozesskostenhilfeanträge der Parteien aufgehoben.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur weiteren Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das OLG zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Streitwert: 1.000 EUR
Gründe
I.
[1] Die Parteien streiten um Durchführung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs.
[2] Mit Urteil des AG vom 19.1.2004 wurde die Ehe der Parteien geschieden und der öffentlich-rechtliche Versorgungsausgleich durchgeführt. Auf die Beschwerde des Antragstellers hob das OLG das angefochtene Urteil hinsichtlich des Versorgungsausgleichs auf und setzte das Verfahren insoweit aus.
[3] Auf Antrag der Antragsgegnerin nahm das AG das Verfahren hinsichtlich des Versorgungsausgleichs wieder auf und verhandelte am 4.5.2005 mit den Parteivertretern. Das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung lautet nach dem Hinweis auf die Erörterung der Sach- und Rechtslage und die Antragstellung wie folgt:
"beschlossen und verkündet
Eine Entscheidung ergeht am Ende der Sitzung.
Nach Wiederaufruf der Sache erscheint: Niemand
Es wird anliegender Beschluss verkündet."
[4] Das Protokoll ist von dem Abteilungsrichter, der von der Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesehen hatte, unterschrieben. Ein nachfolgender Vermerk, der die Richtigkeit der Übertragung vom Tonträger bestätigen soll, ist von der dort genannten Justizobersekretärin nicht unterzeichnet.
[5] Am 1.8.2006, also rund 15 Monate nach der mündlichen Verhandlung, wurden dem Antragsteller das Protokoll sowie ein Beschluss zugestellt, in dem es eingangs heißt: "... hat das AG - FamG ... - durch ... nach Anhörung der Beteiligten am 4.5.2005 beschlossen". Auch den übrigen Verfahrensbeteiligten sind Protokoll und Beschluss erst am 31.7. bzw. 4.8.2006 zugestellt worden.
[6] Gegen diesen Beschluss legte der Antragsteller am 29.8.2006 mit dem Antrag Beschwerde ein, die Durchführung des Versorgungsausgleichs nach § 1587c BGB auszuschließen, hilfsweise den Versorgungsausgleich unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses "durchzuführen, wie es rechtens ist".
[7] Nachdem das OLG den Antragsteller darauf hingewiesen hatte, dass seine Beschwerde nicht vor Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des angefochtenen Beschlusses eingegangen und somit verfristet sei, beantragte er mit einem am 26.10.2006 eingegangenen Schriftsatz vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zugleich zog er die Richtigkeit des übersandten gerichtlichen Protokolls in Zweifel und beantragte Akteneinsicht. Während der Verhandlung sei weder ein konkreter Verkündungstermin benannt worden noch ein Hinweis darauf erfolgt, dass eine Entscheidung am Schluss der Sitzung ergehen werde. Wenn das Gericht "die Verkündung einer Entscheidung am Schluss der Sitzung beabsichtigt hätte und dies auch tatsächlich erfolgt wäre", stelle sich die Frage, aus welchen Gründen die Zustellung erst nach 15 Monaten erfolgt sei.
[8] Mit dem angefochtenen Beschluss wies das OLG den Wiedereinsetzungsantrag und das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers zurück und verwarf seine Beschwerde gegen die Entscheidung des AG, ohne ihm zuvor Akteneinsicht bewilligt zu haben. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.
II.
[9] 1. Die Rechtsbeschwerde ist unstatthaft, soweit sie sich gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe richtet (§ 574 Abs. 1 ZPO).
[10] Im Übrigen ist sie nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §§ 621e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Insoweit ist sie auch zulässig, weil die angefochtene Entscheidung den Antragsteller in seinen Verfahrensgrundrechten verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG), was eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
[11] 2. Insoweit ist die Rechtsbeschwerde auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[12] a) Im Ansatz zu Recht geht das OLG allerdings davon aus, dass die Beschwerde des Antragstellers verspätet eingegangen wäre, wenn der angefochtene Beschluss am 4.5.2005 verkündet worden wäre.
[13] Nach §§ 621e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO beginnt die einmonatige Beschwerdefrist mit Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach ihrer Verkündung. Nach der Rechtsprechung des BGH kommt es nicht darauf an, dass sich dem Verkündungsprotokoll genau entnehmen lässt, ob die Entscheidung durch Bezugnahme auf die Beschlussformel oder durch Verlesen der Formel verkündet wurde und ob der Beschluss zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig abgefasst war (BGH Beschlüsse v. 2.3.1988 - IVa ZB 2/88, NJW 1988, 2046; v. 3.3.2004 - VIII ZB 121/03, BGHReport 2004, 979, 980). Entscheidend ist allein, ob die angefochtene Entscheidung tatsächlich verkündet worden ist (vgl. auch BGH v. 7.7.2004 - XII ZB 12/03, FamRZ 2004, 1478, 1479).
[14] b) Ebenfalls zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass die Beachtung der für die Verhandlung - einschließlich der Verkündung (§ 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO) - vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 ZPO).
[15] aa) Das Beschwerdegericht verkennt jedoch, dass der Antragsteller - soweit ihm dies zunächst überhaupt möglich war - eine solche Fälschung des Protokolls behauptet. Denn er hat geltend gemacht, zum Schluss der mündlichen Verhandlung sei weder ein konkreter Verkündungstermin noch ein Hinweis auf eine Verkündung am Schluss der mündlichen Verhandlung beschlossen worden. Mit der weiteren Behauptung, die verspätete Zustellung des Beschlusses sei nicht erklärbar, wenn der Beschluss tatsächlich schon am 4.5.2005 verkündet worden wäre, zieht der Antragsteller zugleich die Verkündung selbst und somit die diese dokumentierende Aussage des Protokolls in Zweifel. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BGH selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs an die Darlegungslast hinsichtlich einer behaupteten Protokollfälschung die Anforderungen an die Prozesspartei insoweit nicht überspannt werden dürfen. Denn die Partei, die in aller Regel keinen hinreichenden Einblick in die internen Geschäftsabläufe des Gerichts und die Arbeitsweise des Richters hat, ist in derartigen Fällen durchweg auf bloße Indizien für den objektiven Tatbestand und auf Schlussfolgerungen für dessen subjektive Seite angewiesen (BGH, Urt. v. 16.10.1984 - VI ZR 205/83, NJW 1985, 1782 und Beschl. v. 3.3.2004 - VIII ZB 121/03, BGHReport 2004, 979, 980).
[16] Ob der Antragsteller insoweit schon in der Beschwerdebegründung und dem Wiedereinsetzungsgesuch hinreichend vorgetragen hatte, kann dahinstehen. Er hatte jedenfalls zusätzlich Akteneinsicht verlangt, um seinen Vortrag weiter konkretisieren zu können. Da das Beschwerdegericht dem Antragsteller die begehrte Akteneinsicht versagt hat, hat es gegen dessen Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör verstoßen. Im Verfahren der Rechtsbeschwerde ist deswegen davon auszugehen, dass der Antragsteller zur Begründung seines Vorwurfs der Protokollfälschung das vorgetragen hätte, was er nunmehr - nach Akteneinsicht - im Verfahren der Rechtsbeschwerde vorbringt. Diese Tatsachen sind hinreichend substantiiert, um die Beweiskraft des Protokolls, nach dessen Inhalt der angefochtene Beschluss am 4.5.2005 verkündet wurde, ernsthaft in Zweifel zu ziehen.
[17] Nach dem Vermerk des Geschäftsstellenbeamten sind sowohl das Protokoll "vom 04.05.2005" als auch der angefochtene Beschluss erst am 27.7.2006, also annähernd 15 Monate nach dem Verhandlungstermin, zur Geschäftsstelle gelangt. Dafür spricht auch die Foliierung des Sonderhefts, nach der mehrere Anfragen der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin bezüglich der ausstehenden Entscheidung und der Kostenabrechnung aus der Zeit vom 20.7.2005 bis zum 3.4.2006 vor dem Protokoll und dem Beschluss des AG abgeheftet sind. Gleiches gilt für einen Rentenbescheid vom 27.7.2005, den die Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 12.8.2005 nachgereicht hatte. Auch die Verfügung des Richters zur Zustellung des angefochtenen Beschlusses datiert erst vom 27.7.2006 und befindet sich auf der Rückseite einer erneuten Anfrage der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, die erst am 20.6.2006 beim AG eingegangen war.
[18] Schon dieser zeitliche Ablauf spricht dafür, dass der Beschluss deutlich später abgesetzt wurde und am 4.5.2005 jedenfalls keine vollständig abgesetzte Entscheidung verkündet worden ist. Denn wenn die Entscheidung schon in diesem Zeitpunkt abgesetzt gewesen wäre, hätte nichts näher gelegen, als sie - spätestens auf die ausdrücklichen Nachfragen der Antragsgegnervertreterin - an die Parteien und die Verfahrensbeteiligten zuzustellen. Bei den Akten befindet sich aber auch kein isolierter Beschlusstenor, obwohl der Wortlaut des Protokolls auf die Verkündung eines "anliegenden" Beschlusses hinweist. Soweit die Rechtsbeschwerde allerdings darauf hinweist, dass die Verkündung einer noch nicht vollständig abgesetzten Entscheidung im Hinblick auf die Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs und die Berechnung des konkret durchzuführenden Ausgleichs eher fern liegt, ist hier zu berücksichtigen, dass die Entscheidung annähernd inhaltsgleich mit der - vom OLG aufgehobenen - früheren Entscheidung zum Versorgungsausgleich in dem Verbundurteil vom 19.1.2004 ist. Danach spricht viel dafür, dass seinerzeit auch kein isoliert vorliegender Beschlusstenor verkündet wurde und das Protokoll deswegen insoweit falsch i.S.v. § 165 ZPO ist.
[19] Gegen eine Verkündung des Beschlusses am 4.5.2005 spricht schließlich, dass sich sowohl auf dem Original als auch auf den an die Parteien versandten Ausfertigungen des Beschlusses keine Verkündungsvermerke befinden. Der aus den Akten ersichtliche zeitliche Ablauf legt es somit nahe, dass die Entscheidung erst auf die erneute Anfrage der Antragsgegnervertreterin vom 19.6.2006 abgesetzt und mit der richterlichen Verfügung vom 27.7.2006 zur Geschäftsstelle gelangt ist.
[20] bb) Das OLG hätte deswegen dem unter Zeugenbeweis gestellten Vortrag der Protokollfälschung i.S.d. § 165 Satz 2 ZPO nachgehen müssen. Selbst wenn diese nicht schon anhand des Akteninhalts hinreichend nachgewiesen ist, hätte es jedenfalls die vom Antragsteller gegen eine Verkündung des Beschlusses benannten Zeugen, nämlich den Abteilungsrichter, den Geschäftsstellenbeamten und die für das Protokoll zuständige Schreibkraft, zu der behaupteten Fälschung des Protokolls vernehmen müssen.
[21] 3. Weil der Antragsteller die von ihm behauptete Fälschung des Protokolls hinreichend substantiiert vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, wird das Beschwerdegericht den angebotenen Zeugenbeweis erheben müssen.
[22] Ergibt die Beweisaufnahme, dass der Beschluss nicht am 4.5.2005 verkündet wurde, lief die Beschwerdefrist des Antragstellers nach § 621e Abs. 3 Satz 2, 517 ZPO erst am 1.9.2006 ab und war durch die am 29.8.2006 eingegangene und begründete Beschwerde gewahrt.
[23] Unter diesen Umständen kann auch die Zurückweisung des nur vorsorglich gestellten Antrags auf Wiedereinsetzung keinen Bestand haben. Erweist sich die Beschwerde als rechtzeitig eingelegt und begründet, ist dieser Antrag gegenstandslos; über ihn ist dann nicht zu entscheiden (BGH BGHZ 165, 318, 324).
[24] 4. Die Gerichtskosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens sind gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG nicht zu erheben, weil sie bei richtiger Entscheidung des Berufungsgerichts nicht angefallen wären (BGH BGHZ 165, 318, 325).
Fundstellen
Haufe-Index 1976699 |
BGHR 2008, 716 |
EBE/BGH 2008 |
FamRZ 2008, 869 |
NJW-RR 2008, 804 |
AnwBl 2008, 145 |
MDR 2008, 706 |
FamRB 2008, 196 |
PA 2008, 120 |