Leitsatz (amtlich)
Der Rechtsmittelführer darf die Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nur dann erwarten, wenn es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt und er in dem Antrag erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt. Der Wendung, der Antrag werde "vorsorglich" gestellt, ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wird.
Normenkette
ZPO § 233 S. 1 D, § 520 Abs. 2 S. 3
Verfahrensgang
LG Kiel (Beschluss vom 21.08.2018; Aktenzeichen 7 S 21/18) |
AG Kiel (Urteil vom 29.05.2018; Aktenzeichen 110 C 120/17) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Kiel vom 21.8.2018 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 823,40 EUR festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
I. Gegen das ihm am 31.5.2018 zugestellte Urteil des AG hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 25.7.2018, der am 1.8.2018 beim LG eingegangen ist, hat er "vorsorglich" beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern.
Rz. 2
Nach einem Hinweis des Vorsitzenden, der Verlängerungsantrag sei erst nach Ablauf der Frist zur Berufungsbegründung eingegangen, hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe den Schriftsatz am 25.7.2018 zur Mittagszeit in einen Briefkasten eingeworfen und darauf vertraut, dass der Schriftsatz vor dem Ablauf der Frist beim Berufungsgericht eingehe. Der Prozessbevollmächtigte sei wegen urlaubsbedingten Ausfalls von Personal und der Belastung mit einer Vielzahl gerichtlicher Verfahren auf die Fristverlängerung angewiesen.
Rz. 3
Das LG hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, der die Beklagte entgegentritt.
Rz. 4
II. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Eine Verlängerung der Frist zur Begründung der Berufung sei unterblieben, weil der entsprechende Antrag erst nach Ablauf der Frist eingegangen sei. Die Versäumung der Frist beruhe auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Dieser hätte dafür Sorge tragen müssen, dass ein Antrag auf Fristverlängerung das Gericht rechtzeitig erreiche, habe es jedoch versäumt, den Antrag auch per Telefax zu übermitteln. Auf eine rechtzeitige Übermittlung auf dem Postweg habe er sich nicht verlassen dürfen. Angesichts der unterbliebenen Übermittlung per Telefax hätte er spätestens am letzten Tag der Frist telefonisch nachfragen müssen, ob der Antrag eingegangen sei und er mit der beantragten Verlängerung rechnen könne.
Rz. 5
III. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 6
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz und rechtliches Gehör. Dieser gebietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste. Der Verstoß gegen das Gebot der Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes führt unabhängig davon zur Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde, ob er sich auf das Ergebnis auswirkt (BGH, Beschl. v. 23.10.2003 - V ZB 28/03, NJW 2004, 367; Beschl. v. 26.1.2009 - II ZB 6/08, NJW 2009, 1083 Rz. 13; Beschl. v. 7.3.2013 - I ZB 67/12, NJW-RR 2013, 1011; Beschl. v. 3.12.2015 - V ZB 72/15, NJW 2016, 874 Rz. 5).
Rz. 7
2. Der Kläger hat die Frist zur Begründung der Berufung versäumt. In einem solchen Fall ist nach § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Rechtsmittelführer ohne sein Verschulden gehindert war, die Frist einzuhalten, weil er rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung dieser Frist gestellt hat und erwarten durfte, dass diesem Antrag entsprochen wird. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann dem Kläger danach die beantragte Wiedereinsetzung nicht versagt und seine Berufung daher nicht verworfen werden (nachfolgend zu a), doch stellt sich die Entscheidung aus anderen Gründen als richtig dar (nachfolgend zu b).
Rz. 8
a) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Erfolg des Wiedereinsetzungsgesuchs nicht entgegen, dass der Fristverlängerungsantrag nicht auch per Telefax, sondern nur per Briefpost übermittelt wurde.
Rz. 9
aa) Nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BGH dürfen einer Partei Verzögerungen der Briefbeförderung oder -zustellung nicht als Verschulden angerechnet werden (BGH, Beschl. v. 12.5.2016 - V ZB 135/15, NJW 2016, 3789 Rz. 23 m.w.N.). Danach darf die Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 31.7.2018, einem Dienstag, ab. Nach dem anwaltlich versicherten Vorbringen des Klägers, welches das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hat sein Prozessbevollmächtigter den Antrag auf Fristverlängerung vom 25.7.2018 noch am gleichen Tag in einen Postbriefkasten eingeworfen, so dass eine Postlaufzeit von sechs Kalendertagen zur Verfügung stand.
Rz. 10
bb) Steht danach - wie hier - eine ausreichende Postlaufzeit zur Verfügung, kann es einer Partei weder als Verschulden angelastet werden, dass der Schriftsatz nicht auch per Telefax übermittelt wird, noch dass eine telefonische Nachfrage unterbleibt, ob der Schriftsatz fristgerecht eingegangen ist (BGH, Beschl. v. 2.2.1983 - VIII ZB 1/83, NJW 1983, 1741; Beschl. v. 28.3.2001 - XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045 Rz. 18; Beschl. v. 13.12.2005 - VI ZB 52/05, VersR 2006, 568 Rz. 7; Beschl. v. 5.6.2012 - VI ZB 16/12, NJW 2012, 2522 Rz. 9 m.w.N.).
Rz. 11
b) Die Rechtsbeschwerde bleibt gleichwohl erfolglos, weil sich die angefochtene Entscheidung aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 577 Abs. 3 ZPO).
Rz. 12
aa) Nach der Rechtsprechung des BGH darf der Rechtsmittelführer die Verlängerung der Frist zur Berufungsbegründung nur dann erwarten, wenn es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt und der Rechtsmittelführer darin gem. § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt (BGH, Beschl. v. 9.5.2017 - VIII ZB 69/16, NJW 2017, 2041 Rz. 11 f. m.w.N.; Beschl. v. 20.2.2018 - VI ZB 47/17, NJW-RR 2018, 569 Rz. 7 f. m.w.N.). Wird der Antrag nicht begründet, muss der Rechtsmittelführer hingegen damit rechnen, dass der Antrag deshalb abgelehnt wird (BGH, Beschl. v. 16.6.1992 - X ZB 6/92, NJW 1992, 2426; Beschl. v. 18.7.2007 - IV ZR 132/06, VersR 2007, 1583 Rz. 5). An die Darlegung eines erheblichen Grundes für die Notwendigkeit der Fristverlängerung sind bei einem ersten Antrag keine hohen Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich reicht der Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Grundes - etwa Urlaubsabwesenheit, Arbeitsüberlastung oder das Erfordernis weiterer Abstimmung zwischen Prozessbevollmächtigtem und Partei - aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf (BGH NJW 2017, 2041 Rz. 12 f.; BGH NJW-RR 2018, 569 Rz. 8 m.w.N.). Unter Umständen kann auch eine konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen genügen (BGH, Beschl. v. 12.4.2006 - XII ZB 74/05, NJW 2006, 2192; BGH NJW 2017, 2041 Rz. 15 ff.).
Rz. 13
bb) In dem Antrag vom 25.7.2018 sind Gründe für die Erforderlichkeit einer Fristverlängerung um einen Monat nicht dargetan. Der Wendung, der Antrag werde "vorsorglich" gestellt, ist, anders als die Rechtsbeschwerde meint, nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen eine Verlängerung begehrt wurde. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes ist unter solchen Umständen auch nicht etwa ohne Weiteres als Grund des Antrags zu vermuten (BGH VersR 2007, 1583 Rz. 7). Der Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden sich der Kläger zurechnen lassen muss, durfte deshalb nicht darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht die beantragte Fristverlängerung gewähren werde, sondern hätte Anlass gehabt, sich durch Nachfrage beim Gericht zu vergewissern, ob die Verlängerung wie beantragt gewährt werde (BGH VersR 2007, 1583 Rz. 8). Der nicht bereits im Antrag auf Fristverlängerung, sondern erst nach Fristablauf mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 3.8.2018 erfolgte Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers, er sei derzeit überlastet, rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Rz. 14
cc) Danach hat das Berufungsgericht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Ergebnis zu Recht versagt und die Berufung zutreffend als unzulässig verworfen, weil die Fristversäumung vom Prozessbevollmächtigten des Klägers verschuldet worden ist.
Rz. 15
Hätte der Prozessbevollmächtigte des Klägers sich spätestens am Tag vor Fristablauf nach der Bescheidung seines Antrags erkundigt, wäre aufgedeckt worden, dass der Antrag das Berufungsgericht nicht erreicht hatte, und hätte der Prozessbevollmächtigte noch rechtzeitig einen - ordnungsgemäß begründeten - Antrag per Telefax übermitteln können.
Fundstellen
Haufe-Index 13397384 |
NJW 2019, 10 |
NWB 2019, 3399 |
FamRZ 2019, 1802 |
NJW-RR 2019, 1392 |
IBR 2019, 650 |
JurBüro 2019, 612 |
JurBüro 2020, 56 |
WM 2020, 243 |
ZAP 2019, 1112 |
AnwBl 2019, 619 |
JZ 2019, 720 |
MDR 2019, 1272 |
MDR 2019, 1493 |
BRAK-Mitt. 2019, 294 |
Mitt. 2019, 527 |