Verfahrensgang
AnwG Hamburg (Entscheidung vom 28.06.2023; Aktenzeichen II ZU 11/2021 (II-39)) |
Tenor
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das ihm am 28. Juni 2023 an Verkündungs statt zugestellte Urteil des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs der Freien und Hansestadt Hamburg wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Zulassungsverfahrens wird auf 12.500 € festgesetzt.
Gründe
I.
Rz. 1
Der Kläger ist seit dem 9. März 2011 in H. zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er beantragte am 28. August 2018 bei der beklagten Rechtsanwaltskammer die Gestattung der Führung der Bezeichnung "Fachanwalt für Informationstechnologierecht". Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 1. April 2021 den Antrag des Klägers ab, da er im Fachgebiet "Informationstechnologierecht" die gemäß § 5 Abs. 1 Buchst. r FAO erforderlichen praktischen Erfahrungen nicht in hinreichendem Umfang nachgewiesen habe. Lediglich bei 7,4 der von ihm aufgeführten Fälle handele es sich um rechtsförmliche Verfahren mit Bezug zu den in § 14 Buchst. k FAO genannten Bereichen. Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 2021 zurück. Die gegen den Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids gerichtete Klage des Klägers hat der Anwaltsgerichtshof abgewiesen. Der Kläger beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Anwaltsgerichtshofs.
II.
Rz. 2
Der Antrag ist nach § 112e Satz 2 BRAO, § 124a Abs. 4 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er bleibt jedoch ohne Erfolg.
Rz. 3
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 112e Satz 2, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen nicht.
Rz. 4
1. Soweit der Kläger geltend macht, der Anwaltsgerichtshof habe eine Abwertung der von ihm zum Nachweis besonderer praktischer Erfahrungen auf dem Gebiet des Informationstechnologierechts i.S.v. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 Satz 1 Buchst. r Satz 3 FAO vorgelegten Fälle rechtsförmlicher Verfahren angenommen, weil die von den Fällen berührten informationstechnologierechtlichen Fragen einfach seien, trifft dies nicht zu. Vielmehr hat der Anwaltsgerichtshof die von ihm angenommene unterdurchschnittliche Komplexität und die deshalb gemäß § 5 Abs. 4 FAO durchgeführte Mindergewichtung der Fälle 5 bis 11 und 13 bis 20 allein damit begründet, dass sich die Sachverhalte in den zur Beurteilung stehenden informationstechnologierechtlichen Fragen - im Verhältnis zu dem mit 1,0 Punkten bewerteten "Ausgangsfall" 1 und im Verhältnis zueinander - nicht relevant voneinander unterschieden, es sich mithin um Serienfälle handele.
Rz. 5
2. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 6
a) Zwar ist, wenn sich dem Rechtsanwalt in unterschiedlichen Fällen dieselben fachrechtlichen Fragen gestellt haben, eine Mindergewichtung der Wiederholungsfälle (nicht des ersten Falls) nicht zwingend. Sie ist jedoch gerechtfertigt, wenn Wiederholungsfälle eng miteinander verknüpft sind, etwa weil ihnen im Wesentlichen derselbe Lebenssachverhalt und eine gleich gelagerte rechtliche Problematik zugrunde liegt (Senat, Urteile vom 28. November 2016 - AnwZ (Brfg) 53/15, AnwBl 2017, 442 Rn. 23 und vom 8. April 2013 - AnwZ (Brfg) 54/11, BGHZ 197, 118 Rn. 38; Beschluss vom 20. April 2009 - AnwZ (B) 48/08, BRAK-Mitt 2009, 177 Rn. 18 f., 21, 31; vgl. zu Serienfällen Scharmer in Hartung/Scharmer, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 8. Aufl., § 5 FAO Rn. 413 ff.). Dabei ist hinsichtlich der sich wiederholenden Rechtsfragen und der ihnen zugrundeliegenden, im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalte jeweils auf das Fachgebiet abzustellen, für das besondere praktische Erfahrungen nachzuweisen sind (vgl. Senat, Urteil vom 8. April 2013, aaO Rn. 37 f.; Beschluss vom 20. April 2009, aaO (jeweils Fachgebiet Erbrecht); vgl. auch Beschluss vom 14. November 2018 - AnwZ (Brfg) 29/18, BRAK-Mitt 2019, 32 Rn. 8 ff. (Fachgebiet Medizinrecht); Scharmer, aaO Rn. 395).
Rz. 7
Entgegen der Auffassung des Klägers scheiden zur Mindergewichtung führende Serienfälle nicht bereits dann aus, wenn es sich um eigenständige Lebenssachverhalte handelt. Vielmehr kommt gerade bei von anderen Sachverhalten unterscheidbaren Lebenssachverhalten die Annahme von Serienfällen in Betracht, soweit die diesbezüglichen Voraussetzungen vorliegen. Serienfälle können je nach Fallgestaltung unterschiedliche Fälle, aber - bei einem einheitlichen Lebenssachverhalt - auch nur einen einzigen Fall darstellen (Senat, Beschluss vom 25. September 2013 - AnwZ (Brfg) 52/12, juris Rn. 11). Der Annahme von Serienfällen steht mithin nicht entgegen, dass verschiedene Mandanten vertreten wurden und unterschiedliche Gegner betroffen waren. Ihr steht ebenfalls ein gewisser zeitlicher Versatz der bearbeiteten Fälle nicht entgegen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die zu gewichtenden 16 Fälle - wie vom Kläger vorgetragen - innerhalb eines Zeitraums von 17 Monaten (Juni 2016 bis Oktober 2017) bearbeitet wurden.
Rz. 8
Soweit der Senat in seinem vom Kläger in Bezug genommenen Beschluss vom 6. März 2006 (AnwZ (B) 36/05, BGHZ 166, 292 Rn. 28) ausgeführt hat, es könne allgemein nicht davon ausgegangen werden, dass weniger praktische Erfahrungen erlangt würden, wenn sich einem Rechtsanwalt in unterschiedlichen Fällen wiederholt dieselben Rechtsfragen stellten (so auch Senat, Urteil vom 8. April 2013, aaO Rn. 38), hat er damit seine vorangehende Feststellung begründet, dass § 5 Abs. 2 FAO (a.F.) keine Handhabe dafür biete, eine bestimmte Art der Fallbearbeitung (dort: Steuererklärungen für denselben Mandanten) allgemein - losgelöst vom einzelnen Fall - anders zu gewichten. Das bedeutet aber zugleich, dass eine - wie geboten - am einzelnen Fall orientierte Gewichtung (vgl. dazu Scharmer, aaO Rn. 398) gemäß § 5 Abs. 4 FAO durchaus zu einer Abwertung eines Falles gelangen kann, wenn es sich um einen Wiederholungsfall handelt und dieser mit dem Ausgangsfall im vorgenannten Sinne eng verknüpft ist. Eine Mindergewichtung ist mithin bei Wiederholungsfällen zwar nicht zwingend. Sie ist aber gerechtfertigt, wenn ihnen im Wesentlichen derselbe Lebenssachverhalt und eine gleich gelagerte rechtliche Problematik zugrunde liegt (Senat, Urteile vom 28. November 2016 und vom 8. April 2013, jew. aaO). Der Kläger irrt daher, wenn er meint, die Wiederholung von Rechtsfragen führe "allenfalls" an den unteren Rand des noch durchschnittlichen Falles. Sie kann vielmehr - abhängig vom einzelnen Wiederholungsfall - auch zu einer Mindergewichtung führen.
Rz. 9
b) Der Anwaltsgerichtshof hat die vorstehenden Grundsätze erkannt und zutreffend angewandt. Die von ihm gemäß § 5 Abs. 4 BRAO vorgenommene Mindergewichtung der Fälle 5 bis 11 und 13 bis 20 ist nicht zu beanstanden.
Rz. 10
Der Anwaltsgerichtshof hat in Bezug auf diese Fälle jeweils die auf das vorliegend betroffene Fachgebiet des Informationstechnologierechts bezogenen Sachverhalte und Rechtsfragen geprüft und festgestellt, dass sich die Sachverhalte vom vollgewichteten (Ausgangs-)Fall 1 in den zur Beurteilung stehenden informationstechnologierechtlichen Fragen nicht relevant unterscheiden (z.B. S. 12 Abs. 2 des angefochtenen Urteils). Letzteres wird vom Kläger nicht - schon gar nicht in einer den Anforderungen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes genügenden Weise (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 3. Mai 2016 - AnwZ (Brfg) 58/15, juris Rn. 3 mwN) - in Frage gestellt. Eine Überschneidung der Sachverhalte in den durch sie aufgeworfenen informationstechnologierechtlichen Fragen ist auch unmittelbar nachvollziehbar, da es sich jeweils um unverlangt zugesandte Werbe-EMails handelte, bei denen sich im Wesentlichen immer wieder dieselben informationstechnologierechtlichen Fragen stellten (v.a. sog. "Double-Opt-In" und Impressumspflicht nach Telemediengesetz).
Rz. 11
Nach alledem handelt es sich um im vorstehenden Sinne eng miteinander verknüpfte Wiederholungsfälle, die der Anwaltsgerichtshof zu Recht gemäß § 5 Abs. 4 FAO mit einer Punktzahl von lediglich 0,2 gewichtet hat.
Rz. 12
3. Soweit der Kläger meint, hinsichtlich der - von der Beklagten und dem Anwaltsgerichtshof mit 1,0 Punkten gewichteten - Fälle 2, 3, 4 und 21 sei eine Höhergewichtung angezeigt, lassen seine Ausführungen ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils erkennen. Allein daraus, dass ein Fall sich über mehrere Instanzen erstreckt, folgt nicht zwingend eine höhere Gewichtung. Die Fallbearbeitung in einem Berufungs- oder sonstigen Rechtsmittelverfahren bietet nicht schon für sich genommen eine Gewähr dafür, dass der Rechtsanwalt hierbei in dem betreffenden Fachgebiet besondere praktische Erfahrungen erwirbt, die über diejenigen eines "durchschnittlichen" Falles hinausgehen. Wird etwa bei unstreitigem Sachverhalt um Fragen des materiellen Rechts gestritten, besteht, wenn die Sache in zweiter Instanz nicht gleichsam rechtlich auf "neue Beine" gestellt wird, kein Anlass für eine Höhergewichtung (Senat, Beschluss vom 12. Juli 2010 - AnwZ (B) 85/09, AnwBl. 2010, 798 Rn. 5).
Rz. 13
Hiervon ausgehend hat der Kläger nicht hinreichend dargelegt, dass die Fälle 2, 3, 4 und 21 durch ihre Verhandlung in zwei Instanzen eine höhere Gewichtung verdienen. Auch soweit Fall 4 darüber hinaus einen Gegner im EUAusland betraf, ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, warum die konkrete Fallbearbeitung deshalb eine höhere Gewichtung rechtfertigt.
III.
Rz. 14
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 1 BRAO, § 52 Abs. 1 GKG.
Schoppmeyer Remmert Grüneberg
Lauer Niggemeyer-Müller
Fundstellen
AnwBl 2024, 54 |
NJW-Spezial 2024, 94 |
BRAK-Mitt. 2024, 104 |